Die stille Frau, A. S. A. Harrison, Berlin Verlag, Berlin, 2013, ISBN 978-3-8270-1207-4
Klappentext:
In Jodis und Todds Ehe kriselt es. Viel steht auf dem Spiel, auch das angenehme Leben, das sich die beiden aufgebaut haben, in ihrem luxuriösen Apartment mit Seeblick in Chicago.Doch ihre Beziehung rast geradezu auf einen mörderischen Abgrund zu: Er, charismatischer Architekt und systematischer Fremdgänger, und sie Psychotherapeutin und stillschweigende Verletzte.
Die fesselnde Geschichte einer verhängnisvollen Liebe, die in den USA ein Überraschungsbestseller wurde.
Zur Autorin (lt. Klappentext):
A. S. A. Harrison hat mehrere Sachbücher verfasst, bevor sie mit „Die stille Frau“ ihren Debütroman schrieb. Sie arbeitete an einem zweiten Spannungsroman, als sie Anfang 2013 verstarb. Sie lebte mit ihrem Mann, dem Künstler John Massey, in Toronto, Kanada.
Meine Meinung:
Jodi Brett und Todd Gilbert führen nach klassischem Rollenmodell eine nach außen hin perfekte Beziehung: er, der erfolgreiche Bauträger, sie, die gut aussehende, Teilzeit arbeitende Psychotherapeutin, die ihren Partner perfekt umsorgt. Gemeinsam mit ihrem Golden Retriever Freud führen sie ein ruhiges, angenehmes Leben in einer luxuriösen Stadtwohnung in Chicago und gönnen sich exklusive Kleidung und Nahrung. Hinter der Fassade sieht es anders aus. Todd ist ein notorischer Fremdgänger und Jodi gibt vor, nichts davon zu merken, rächt sich aber mit kleinen Racheakten, die von Todd jedoch nicht ihr zugeschrieben werden. So könnte es noch Jahre weiter gehen. Bis Todd nach einer depressiven Phase eine Affäre mit der Tochter seines Freundes beginnt, die nach kurzer Zeit ein Kind von ihm erwartet…
A. S. A. Harrison erzählt die aus zwei Teilen bestehende Geschichte von Jodi und Todd aus beider Sicht, daher ist jedes Kapitel jeweils einer Perspektive gewidmet. Bereits im ersten Kapitel, das Jodis Perspektive beleuchtet, eröffnet die Autorin, wohin sich die Geschichte von Jodi und Todd entwickeln wird und weshalb: „Mit fünfundvierzig Jahren sieht Jodi sich immer noch als junge Frau. Ihr Blick ist nicht so sehr auf die Zukunft gerichtet, sie lebt vielmehr im Moment und konzentriert sich auf ihren Alltag. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, geht sie davon aus, dass das Leben einfach auf unbestimmte Zeit so weiterlaufen wird: nicht perfekt, aber völlig akzeptabel. Mit anderen Worten, sie ist sich absolut nicht der Tatsache bewusst, dass sie sich gerade auf dem Höhepunkt befindet und ihre jugendliche Unverwüstlichkeit – die ihre zwanzigjährige Ehe mit Todd Gilbert langsam erschöpft hat – dem endgültigen Verfall entgegensteuert und dass ihre Vorstellung davon, wer sie ist und wie sie sich zu verhalten hat, sehr viel instabiler ist, als sie es bisher vermutet hat. Denn es wird nur noch wenige Monate dauern, bis sie zur Mörderin wird.“
Nach diesem Auftakt entwickelt sich die Geschichte stetig, aber langsam, da A. S. A. Harrison bzw. ihr allwissender Erzähler sich intensiv mit den handelnden Personen, ihren Motivationen, Gedanken und Gefühlen beschäftigt. Trotz des nüchternen, distanzierten Erzählstils entfaltet die Geschichte von Jodi und Todd eine Sogwirkung, die man sich allerdings nicht wie bei einem Psychothriller vorstellen darf. Ich würde den Roman eher als psychologischen Krimi bezeichnen, da die Stärke des Romans für mich in der Ausgestaltung der Charaktere liegt, die beide ihre Abgründe und ihre emotionalen Probleme haben, aber nicht in der Lage sind, diese in kohärente Gedanken zu bringen, ganz zu schweigen davon, sie zu thematisieren und miteinander zu kommunizieren. Neben der Ausgestaltung der Charaktere faszinierte mich, wie sich die Geschichte zu ihrem Höhepunkt entwickeln würde, und so habe ich den Roman „Die stille Frau“ nahezu in einem Zug gelesen.
Im Nachhinein gibt es dennoch einige Punkte zu bemängeln. Trotz der vorstehend zitierten Haltung Jodis, ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass einer intelligenten Frau mit akademischer Bildung nicht klar ist, welche Risiken sie eingeht, unverheiratet ihr Leben vollständig auf den Partner abzustellen. Des Weiteren erscheint der Vorschlag von Jodis Freundin Alison, wie die Probleme aus dem Weg geräumt werden könnten, als sehr unglaubwürdig, und Jodis Zustimmung im Vergleich zu ihrer sonstigen Darstellung als vollkommen unreflektiert. Trotz seiner Mängel hat mich der elegant geschriebene psychologische Roman „Die stille Frau“ von A. S. A. Harrison sehr gut unterhalten.
7 von 10 Punkte