Drogenkorridor Mexiko - Jeanette Erazo Heufelder

  • Es ist schon erstaunlich, wie sich, zumindest bei mir, die intuitiven Vorstellungen von Mexiko im Laufe der Zeit verändert haben. Früher, das bedeutet bei mir in den 80er Jahren, war Mexiko das Land des Tequila und (das freilich nur hypothetisch) des Peyote-Kaktus (beides Drogen, wie mir gerade auffällt). Wenn nicht gerade mal wieder ein verheerendes Erdbeben stattgefunden hatte, existierte Mexiko ansonsten außerhalb meiner Wahrnehmung
    Später dann wurde es, und ich könnte aus meiner Erinnerung heraus gar nicht sagen, wann dieser Prozess begonnen hat, zum Land der Finsternis, Schauplatz blutiger Schlachten der Drogenmafia und massenhaftem Mord an Frauen.
    Diese Bildungs- oder vielleicht eher Wahrnehmungslücke schließt dieses Buch. Denn in ihrer Reportage beschreibt Heufelder eine Reise entlang des namengebenden Drogenkorridors, geographisch eine eng definierter Streifen im mexikanischen Hinterland, der von Culiacan im Süden nach Ciudad Juarez an der us-amerikanischen Grenze führt und der Haupttransportweg von kolumbianischen Kokain, aber auch mexikanischem Marihuana und Heroin ist. Dadurch, dass sie diesem abstrakten Korridor ein Gesicht, also Landschaften und Dörfer, aber auch eine Stimme, nämlich die der einheimischen Bevölkerung, gibt, wird erst das Ausmaß dieser Tragödie, die nicht erst mit der Ausrufung des „Krieges gegen die Drogen“ begann, deutlich.


    Der Krieg gegen die Drogenkartelle allerdings hat diese eigentlich erst stark gemacht, die Kartelle selbst aufgerüstet und dafür gesorgt, dass zumindest im Bereich des Drogenkorridors bürgerkriegsähnlich Zustände herrschen. Die Banden haben den Korridor unter sich aufgeteilt, dennoch gibt es immer wieder Verteilungskämpfe, bei denen auch Unbeteiligte ihr Leben verlieren.
    Wobei es in dieser Gegend gar nicht so einfach ist, unbeteiligt zu bleiben, ist doch das gesamte gesellschaftliche Leben von mafiösen Strukturen durchdrungen. Denn die Armee tritt zwar martialisch auf, hat aber längst die Kontrolle über diesen Landstrich verloren, was zusätzlich dazu führt, dass die einheimische Bevölkerung in einem rechtsfreien Raum lebt und ohne jegliche staatliche Unterstützung zurechtkommen muss. Von den Schikanen, denen die oft indigene Bevölkerung von staatlicher Seite, offiziell unter dem Deckmäntelchen des Kampfes gegen die Drogen, ausgesetzt ist, ganz zu schweigen.


    Bei ihrer Reise durch dieses Krisengebiet trifft Heufelder viele Menschen, die vom Krieg gegen die Drogen mittelbar oder unmittelbar betroffen sind. Mütter emordeter Söhne, Opfer von Entführungen, vertriebene Ureinwohner. Dennoch ist dieses Buch keine Aneinanderreihung schrecklicher Einzelschicksale, sondern eher ein Gesellschaftsportrait eines Landes, in dem jahrzehntelange Verletzungen der Menschenwürde dafür gesorgt haben, dass das gesamte gesellschaftliche Klima vergiftet ist, dass grundsätzliche Regeln des menschlichen Zusammenlebens außer Kraft gesetzt sind und dass die brutale Gewalt, die ursprüngliche eine innerkartellische Angelegenheit war, sich nun auch in Lebensbereichen etabliert hat, die eigentlich nichts mit Drogen zu tun haben.


    Eindrücklich beschreibt Heufelder das am Phänomen der Frauenmorde, für den sich schon ein eigener Begriff, Feminiszid, etabliert hat. Denn auch wenn die Ermittlungsbehörden diese oft im Drogenmilieu verorten (was impliziert, dass die Frauen ja mehr oder weniger selbst schuld an ihrem Tod sind) und somit auch keine größere Anstrengungen unternehmen, sie aufzuklären (eine Einstellung, die sich in teilweise hanebüchenen Gerichtsurteilen fortsetzt), sind diese Morde eher eine Manifestation einer allgemeinen Verrohung der Gesellschaft zu sein, in der sich jeder das nimmt, was er will, und das entsorgt, das er nicht mehr braucht. Umso dramatischer ist dabei, dass ein großer Teil der Bevölkerung diese Zustände als gegeben hinnimmt, dass sich nur vereinzelt Widerstand regt.


    Heufelder lässt sich aber auch nicht, um im Bilde zu bleiben, von den Nebelbomben hinters Licht führen, der Kriegsrhetorik, die die Drogenkartelle als Ursache allen Übels ausmacht und denen es den Krieg zu erklären gilt. Sie sucht auch in der mexikanischen Geschichte nach Gründen für die Eskalation der Gewalt und macht so deutlich, dass die Zustände in Mexiko vielmehr sind als aus dem Ruder geratene Bandenrivalitäten. Denn die ist seit langem geprägt davon, dass sich die Reichen und Mächtigen das nehmen, was sie haben wollen, seien es nun Land, Rohstoffe oder auch Menschen.


    Dieses Buch ist wahrlich keine leichte Lektüre, aber eine beeindruckende Analyse, wie Macht- und Geldgier eine ganze Gesellschaft zerschlagen können.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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