Es liegt kein Antrag vor. Unerhörtes aus dem Alltag einer Jobsuchenden - Johanna Richter

  • Man könnte sich mal die Leseprobe zu Gemüte führen, wenn man schon das ganze Buch nicht kaufen / lesen möchte. Ich will das auch nicht. Aber bei der Lektüre der Leseprobe wird schnell erkennbar, dass die junge Autorin sehr schön schreibt und auch einen bemerkenswert scharfen, gar analytischen Blick auf einen bestimmten Teil der "Klientel" der Arbeitsämter hat. Und dass sie ihre Situation selbst keineswegs unkritisch sieht.


    Es ist jedoch unbestreitbar, dass es diese Hilflosigkeit gegenüber Behörden gibt. Versierte Verwaltungshengste und -stuten mögen das lächerlich finden. Aber da laufen leider eine Menge Menschen herum, die sich elend schwer tun, ihre Rechte durchzusetzen. Die wenden sich dann an Beo, wenn sie Geld haben, seine Dienste zu bezahlen. Aber viele haben das nicht, eben weil sie bereits in prekärer Lage sind.


    Was ich mit der Deutschen Rentenversicherung erlebt habe, ist nichts anderes als das berüchtigte Stück aus dem Tollhaus. Und ich kann mich sehr wohl halbwegs verständlich ausdrücken und meine Anliegen entsprechend vertreten. Aber das nützt einem gar nichts, wenn man erst mal in die Mühlen der unerfindlichen Sachbearbeitung geraten ist.


    Nebenbei: Ich wäre glücklich, wenn auch nur einer meiner Romane einen derartigen Ansturm erlebt hätte wie dieses kleine Büchlein. Im Moment gibt es dafür sogar Lieferzeiten von über einer Woche ...
    Das sagt allein nichts über die Qualität des Buches aus, aber es zeigt, dass die Leute ein großes Interesse an diesem Thema haben. Ob das der Fall wäre, wenn der Umgang der Behörden mit den Bürgern ganz und gar unproblematisch wäre, wage ich zu bezweifeln.

  • Johanna Richter hat Pech. Kurz vor Ende der Probezeit wird ihr gekündigt. Die Schuld liegt bei ihr, sie ist nicht zur Arbeit gekommen. Der Grund dafür war eine plötzliche psychische Überforderung, mit der sie nicht fertig wurde.
    Richter stellt umgehend einen Antrag auf Arbeitslosengeld, eine Antwort bekommt sie nicht, Geld wird auch nicht überwiesen. Zwei Monate später hat sie weder Geld noch Strom noch eine Stelle. Sie geht noch einmal zum Arbeitsamt, nur um zu hören, daß ihr Antrag nie dort angekommen ist.


    Was nun folgt, ist eine unseligerweise nur allzu vertraut klingende Geschichte über die Tücken von Verwaltungen, bei Behörden ebenso wie bei Firmen der Energieversorgung. Dazu kommen die Tücken des Jobcenters, da das endlich bewilligte Arbeitslosengeld nicht ausreicht. Das Ergebnis für Richter sind Schulden, Ausbeutung in zahlreichen Praktika mit Duldung des Jobcenters und ohne ernsthafte Aussicht auf eine neue feste Stelle. Am Ende hat sie einfach Glück und findet eine auf eine eigene Bewerbung hin.


    Für die angezielte Leserinnenschaft ist dieser Teil der Geschichte aufschlußreich und entlarvend, was das Verhalten gegenüber Arbeitslosen angeht und so manche Beziehungen zwischen Jobcentern und Firmen und Betrieben. All das kann man gar nicht eingehend genug lesen. Gerade für jüngere Menschen, die fernab von solchen Seiten der Realität der Arbeitswelt leben, können sie wichtige Einsichten in das System bringen, das griffig allgemein als ‚Hartz-IV‘ bekannt ist.


    Das Buch ist auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten und soll trotz des ernsten Themas als zumindest im Ansatz humoristische Lektüre vermarktet werden. Deswegen ist es aufwendig illustriert, mit guten, durchaus treffenden, zum Teil ganzseitigen Zeichnungen von Jana Moskito, die dem Buch einen Hauch Graphic Novel verleihen.
    Problematisch ist, daß dem Ganzen eine Dramaturgie unterlegt ist. Irrwege durch Amtszimmer und geduldete Sklavenarbeit genügen nicht für ein Leben. Also muß noch einiges fürs Herz her, Freizeitvergnügungen, treue Freundinnen, ein bißchen Familiendrama und natürlich junge Liebe mit Problemen. Streckenweise ist das Doku-Soap auf Papier. Was davon der Realität entspricht, läßt sich schwer entscheiden. Ebenso schwer entscheiden läßt sich, ob der Duktus des Gesamtexts tatsächlich ausschließlich von Richter stammt oder ob das, was streckenweise nach versierter JournalistInnenfeder klingt, nicht tatsächlich eine Bearbeitung erfahren hat.


    Das größte Problem ist schließlich, daß Richters Erlebnisse als rein individuelles Schicksal geschildert werden. Es ist eine Lektüre, bei der man sich so richtig barmen kann. Die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Die Bosheit der Welt bejammern. Angehen tut das, was passiert, die Leserin auf gar keinen Fall. Deswegen muß sie sich auch nicht ernsthaft damit auseinandersetzen.
    Damit wiederum ist man ganz nah bei der, der das alles tatsächlich widerfahren ist. Es ist ihr widerfahren, weil sie rundum naiv handelt schon in ihrer Lebensgestaltung. Was außerhalb des beruflichen Alltags und der sehr stromlinienförmig geschilderten Freizeitgestaltung geschieht, könnte auch auf einem anderen Planten stattfinden. Richter jedenfalls hat keine Ahnung davon.


    Als sie in Schwierigkeiten gerät, unternimmt sie das Nötigste. Ihre Naivität läßt sie glauben, daß sich schon alles von selbst regelt. Sie glaubt fest an ‚den Sozialstaat‘. Ihre Überzeugung, daß sie mit allem allein fertig werden kann und daß um Hilfe bitten peinlich ist, auch in privaten Krisen, trägt zur Verschärfung ihrer Lage in hohem Maß bei. Daß man, wenn man glaubt, einen Nervenzusammenbruch zu haben, sich das für den Arbeitgeber doch von einer Ärztin bescheinigen läßt, daß man gegen Bescheide von Ämtern Widerspruch einlegen kann, ist ihr unbekannt. Angebote, mithilfe eines Anwalts ihre Situation zu ändern, lehnt sie mehrfach ab. Von Versuchen, sich gründlich über ihre Lage zu informieren, die über vorsichtiges Fragen bei Terminen hinausgehen, lesen wir nichts. Klopft man den Text daraufhin ein wenig ab, klingt es bald hohl.


    Stattdessen werden offizielle Parolen propagiert. Arbeit, egal, welcher Art, ist besser, als von Ämtern abhängig sein. Richter selbst verstößt dagegen, weil sie nur Arbeit als Köchin sucht. Aber zwischen Denken und Handeln klafft bei ihr eine beträchtliche Lücke.
    Wenn man sich nur bemüht, kann man auch Arbeit finden. Was nur bedeutet, wer keine findet, hat sich nicht bemüht. Dementsprechend unfreundlich sind ihre Beschreibungen der meisten anderen, die mit ihr in den Gängen der Ämter warten. Da finden sich eben die Stammtischparolen, die sie in ihrem Vorwort so ablehnt. Das ist sehr ärgerlich.


    Es ist zu bezweifeln, daß dieses Büchlein aufklärerische Wirkung hat. Es ist am Ende ein Betroffenheitsgeschichtchen von vielen anderen. Hier wurde eine Chance vertan, jungen Menschen ein Bild auf einen Bereich der heutigen Arbeitswelt zu gewähren, das sie dazu bringt, Fragen zu stellen, Gegebenes infrage zu stellen. Und sich dann zu überlegen, wie man handeln kann, um eben nicht unter die Räder zu kommen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus