Raija Siekkinen - Wie Liebe entsteht

  • Zur Autorin:


    Raija Siekkinen, geboren 1953 in Kotka, gehört zu den am meisten geschätzten finnischen Autorinnen. Sie veröffentlichte neun Kurzgeschichtenbände und mehrere Romane. Mit ihrem 1991 erschienenen Band "Wie Liebe entsteht" wurde sie für den Finlandia-Preis nominiert. Raija Siekkinen verstarb 2004 nachts im Schlaf bei einem Brand ihres Hauses. Da Finnland in diesem Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse ist, erscheint diese moderne Klassikerin erstmals auf Deutsch.


    Zum Buch:


    Frauen stehen im Mittelpunkt dieser zehn Erzählungen. Jede befindet sich in ihrem Leben an einem Scheideweg. Eine Kleinigkeit löst eine Gedankenkette aus, an deren Ende ein Neuanfang steht, eine banale Autofahrt wird zu einer Reise in ein neues Lebenskapitel. In der Titelerzählung »Wie Liebe entsteht« kämpft eine Frau mit den Folgen der Affäre ihres Mannes. In weiteren Geschichten müssen Frauen mit einer versuchten Vergewaltigung oder dem plötzlichen Tod ihres Mannes durch Herzversagen zurecht kommen.


    Meine Rezension:


    "Wie Liebe entsteht" ist das zweite Buch aus meiner Liste, um mir Finnland zu erlesen. Wieder von einer in Finnland sehr erfolgreichen Autorin, wieder ein Buch in erstmals deutscher Übersetzung.


    Wer kennt sie nicht – diese eigenartigen Momente, in denen die Zeit verrinnt und gleichzeitig still steht; in denen der Nebel des Vergangenen sich kurz hebt und man gleichzeitig einen Blick auf das in Zukunft Mögliche hat; dieser Moment, in dem alles um einen herum eine ungewöhnliche Schärfe und bisher unbekannte Bedeutung bekommt.


    Zitat

    ”Unterhalb der Ereignisse verlief noch ein tieferer Strom des Geschehens, dunkel und unberechenbar im Verlauf. Dort reiften Entscheidungen, langsam und ohne dass man es merkte, während oben das Leben weiterging und unbedeutende Kleinigkeiten sich addierten, bis man eines Morgens, ohne zu begreifen warum, aufwachte und etwas wusste.” (S. 131)


    Von diesen Momenten handelt „Wie Liebe entsteht“ und zehn Kurzgeschichten lang lässt Raija Siekkinen uns teilhaben, wie jeweils eine andere Frau diesen Augenblick erlebt.


    Ihre Geschichten beginnen meist unverfänglich – überhaupt reiht Raija Siekkinen federleicht formulierte Sätze aneinander, fädelt sie wie Perle an Perle auf eine Schnur, und doch trägt jede von ihnen einen harten, schweren Kern in sich.


    Zitat

    “Sie lernte, dass alle gesagten Wörter mit der Zeit ausblichen, herabfielen wie erloschene Sterne, manchmal als Echo zu hören waren vom Grund einer Kluft, entfernt und verzerrt, still geworden.” (S. 110)


    Ich habe mich öfter gefragt, wie man diese komplexen, kraftvollen und teilweise so schwermütigen, wahrhaftigen Gedanken in so leichtfüßig daherkommende Sätze packen kann.


    So unvermittelt der Einstieg in die einzelnen Kapitel ist,


    Zitat

    “Das Leben, so voll von kleinen Anfängen und Enden, und größeren Anfängen und Enden. Manchmal war es unmöglich zu sagen, welcher Anfang zu welchem Ende gehörte.” (S. 81)


    … so plötzlich enden sie auch.


    Das hat mich beim ersten Kapitel irritiert, fühlte ich mich doch irgendwie geködert und dann alleine zurückgelassen. Nach dem zweiten Häppchen spürte ich jedoch, dass es wohl so gewollt ist und Methode hat: Raija Siekkinen reißt die Geschichten um den eigentlichen Kern nur an. Und dann fängt es in einem an zu arbeiten, man rekapituliert, fügt eigene Erfahrungen oder von anderen gemachte hinzu und es entsteht ein viel größeres, detaillierteres, komplexeres Bild. Es ist, als würde sie mit leichtem Kohlestrich lediglich die Skizze eines Aquarells zu Papier bringen; man betrachtet es, denkt nach, lässt es auf sich wirken. Schließlich nimmt man selber seinen eigenen Pinsel in die Hand und fängt an, diese erste Fassung zu ergänzen. Ein bisschen violette Enttäuschung da, das klare, deutliche Blau der Erkenntnis hier, graue Desillusion in allen Schattierungen, grüne Flecken der Hoffnung und dann vielleicht doch noch etwas Sonnengelb?


    „Wie Liebe entsteht“ ist trotz des mittagspausenfreundlichen Umfanges kein Buch zum Einfach-Weg-Lesen. Die einzelnen Kapitel brauchen Zeit, sich in einem selbst entfalten zu können. Wer bereit ist, sich diese Zeit zu nehmen, sich auf die Perspektiven der Personen einzulassen, der wird mit einer Reihe von Erzählungen belohnt, die auf eigenartig sanfte Art das beschreiben, was einem im Leben so passieren kann: der Tod eines geliebten Menschen, nicht enden wollende Renovierungen, die späten Folgen eines Seitensprungs. Oder unvorhergesehene Konsequenzen einer versuchten Vergewaltigung, der Gedanke an eine Zukunft, in der vielleicht doch alles besser wird. Und die Erkenntnis, dass auch jenseits der Norm ein stilles Glück wohnen kann.

    :lesend Die Sonnenposition - Marion Poschmann


    "Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen; Vorboten dessen, was wir zu leisten imstande sein werden." (Goethe)