Edward St. Aubyn, Lost for Words (dt. Der beste Roman des Jahres)

  • Edward St. Aubyn, Spross einer englischen upper-class-Familie, gehört inzwischen schon zu den arrivierteren zeitgenössischen Autoren. Im Jahr 2006 war er mit „Mother’s Milk“ für den Booker Prize nominiert – einem Roman um die autobiographisch gefärbte Figur des Patrick Melrose. Soweit ich sehe ist „Lost for Words“ St. Aubyns erster Roman, der nicht um die Familie Melrose und die englische upper class kreist, obwohl auch in diesem Roman Eliten nicht zu kurz kommen.


    „Lost for Words“ beschreibt den Auswahlprozess zu einem fiktiven Literaturpreis - dem Elysian Prize, der unschwer erkennbar an den Booker angelehnt ist - von der Konstituierung der Jury bis zur Verkündigung des Siegertitels. Auf dem Weg dahin begleiten wir eine Fülle von Figuren. Da sind zum ersten die Juroren: Der Vorsitzende ist ein frustrierter schottischer Hinterbänkler aus dem House of Commons namens Malcolm Craig. Ihm zur Seite gestellt werden eine bekannte Journalistin, eine Literaturprofessorin, eine Autorin und ein Schauspieler. Eingesetzt werden all diese Personen von einem 92jährigen ehemaligen Staatsminister, Sir David Hampshire, der seit den Zeiten des Kalten Krieges für den Elysian zuständig ist und der sich natürlich in seinen Auswahlprozess nicht dreinreden lässt.
    Außerdem spielen eine Reihe weiterer Figuren zentrale Rollen, zumeist Autorinnen und Autoren, die aus den unterschiedlichsten Gründen für den Preis nominiert oder nicht nominiert werden und darauf in unterschiedlicher Weise reagieren, sowie der literarische und familiäre Dunstkreis dieser Figuren.


    Das Ganze ist humorvoll geschrieben, der Einstieg mit dem ahnungslosen, doch nichtsdestoweniger ehrgeizigen Malcolm Craig, MP, gelingt leicht und lässt einen das Buch nicht mehr so schnell aus der Hand legen. Die Eitelkeiten der Buchmenschen – vor allem wenn es um Literatur mit großem „L“ geht – sind schön eingefangen und parodistisch akzentuiert, die Verflechtungen familiärer und amouröser Art in der kleinen Branche, werden mit Witz beschrieben, manchmal vielleicht etwas sehr grell überzeichnet, aber das kann man als Stilmittel durchgehen lassen.
    Interessant ist aber vor allem die Beschreibung der unterschiedlichen Herangehensweisen an Literatur, die Art und Weise, wie Bücher auf die Long- und die Short List gehievt werden, die Kriterien, die dafür herhalten müssen, das eigene Urteil manchmal eher schlecht als recht zu begründen. Man muss St. Aubyn zugute halten, dass er dabei relativ differenziert vorgeht, das Buch artet nicht in ein wildes Austeilen nach allen Seiten aus.
    Das führt allerdings auch dazu, dass man als Leser am Ende ein wenig ratlos dasitzt und sich fragt, wen die gerade gelesene Persiflage nun eigentlich aufs Korn genommen hat. Da alle Figuren ihr Fett wegbekommen - die konservativ Elitären, die dekonstruktiv Modernen, die musengeküsst Hedonistischen, die melancholisch mit dem Wort ringenden und viele weitere mehr -, hat man, wenn man das Buch zuklappt, einer amüsanten Parodie auf einen literarischen Preisreigen beigewohnt, allerdings ohne klaren fiktionalen Sieger. Am Ende scheint sich St. Aubyn ganz leicht in eine Richtung zu lehnen, die ich ein bisschen beliebig finde, aber das kann auch nur meine Interpretation sein. Alles in allem bin ich aber ein bisschen ambivalent. Sicher, der Text liest sich fix und lustig, aber Parodien leben für meinen Geschmack davon, dass sie ordentlich austeilen und eine bestimmte erkennbare Praxis veralbern. St. Aubyn bleibt hier für meinen Geschmack etwas lauwarm und wenig bissig, obwohl ich dieses Gefühl nicht recht festmachen kann, denn er hat schon ein paar sehr nette Ideen im Text. Vielleicht hätte den einzelnen Figuren ein bisschen mehr Raum gutgetan? Ich weiß es nicht. „Der beste Roman des Jahres“, so der etwas plakative deutsche Titel, ist das neue Buch von St. Aubyn sicher nicht, aber wie gewohnt von diesem Autor beileibe auch kein schlechtes.


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  • Mir gefiel das Buch überhaupt nicht, wobei ich auch nicht ausschließen würde, dass ich einfach zu doof war, um die sprachlichen Finessen des Buches richtig würdigen zu wissen; und vielleicht hätte ein Literaturwissenschaftler seinen Spaß.


    Ich hab hier und da gegrinst, zum Beispiel über das Schreibprogram "Ghost" und das Seminkolon, das unweigerlich in jedem Satz auftauchte, in dem Vanessa über selbiges sinnierte. Aber insgesamt haben mich die selbstgefälligen, missgünstigen in dysfunktionalen Beziehungen lebenden Figuren einfach nur genervt, und da leider einige der Figuren ebenso geschwurbelt reden wie sie schreiben, wurden meine Augen häufiger mal glasig.


    Ich geb mal 2 von 5 Sternen, umgerechnet 4 von 10 Eulenpunkten.


    Ich hab die englischsprachige Kindle-Ausgabe gelesen. In der deutschen Übersetzung geht möglicherweise einiges verloren.
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