Lizzy Hollatko: Der Sandengel [ab 11 Jahre]

  • Lizzy Hollatko: Der Sandengel
    Verlag Jungbrunnen 2014. 140 Seiten
    ISBN-13: 978-3702658601. 14,95€
    Vom Verlag empfohlen ab 11 Jahre


    Verlagstext
    Südafrika, Anfang der 1980er-Jahre: Rut und ihre drei Schwestern Liv, Fee und Emma leben mit ihrer Mutter Alva in einer Siedlung am Rand einer großen Stadt. Der Vater ist vor einigen Jahren ums Leben gekommen, die Mutter ist Malerin und schafft es seither nur knapp, die Familie mit ihren Einkünften über Wasser zu halten. Aufgrund ihrer Lebenssituation haben sie mit vielen Schwarzen mehr gemeinsam als mit der weißen Oberschicht Trotzdem stehen sie - nur wegen ihrer Hautfarbe - gesellschaftlich über den Schwarzen. Dieses Menschenbild will Alva, die in Europa aufgewachsen ist, ihren Kindern nicht vermitteln. Aber wer sich in Südafrika zur Zeit der Apartheid mit Schwarzen solidarisiert, stößt schnell an die Grenzen der Toleranz.


    Die Autorin
    Lizzy Hollatko wurde 1971 in Südafrika geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Südafrika und Österreich. Für ihre Ausbildung zur Tanzpädagogin zog sie einige Jahre nach Deutschland, später nach Griechenland, bevor sie 2005 nach Wien zurückkehrte, wo sie auch heute lebt und arbeitet. Seit dem DIXI Kinderliteraturpreis 2005 schreibt sie Texte für Kinder, publizierte Bilderbücher und erhielt Stipendien und Preise für ihre Projekte.


    Inhalt
    Um ein einfaches Häuschen in der Bloekomstraße zu bekommen, muss eine südafrikanische Familie arm sein. Die Österreicherin Alva mit ihren vier kleinen Töchtern scheint so gar nicht in die ungeteerte Straße zu passen, in der sich alle Häuser einen gemeinsamen Wassertank teilen. Alva ist verwitwet und schlägt sich als Malerin mit dem Verkauf ihrer Bilder durch. Ihre zweitälteste Tochter Rut erzählt die Kindheitserinnerungen der Schwestern in der Ichform. Nelson Mandela sitzt zur Zeit der Handlung 1981 noch in Haft auf Robben Island. Die verordnete Rassentrennung reicht direkt mitten ins Familienleben, wenn die Weißen zwar schwarzes Hauspersonal beschäftigen, sonst aber keinen Kontakt zu Schwarzen haben dürfen. Emma, Fee, Liv und Rut spielen zusammen mit anderen Kindern auf der Wiese hinter dem Haus, denken sich ihre Spiele selbst aus und zeichnen auf den Boden, was sie zum Spielen brauchen. Alva findet, dass man in ihrer kleinen Straße viel über das Leben lernen kann und ihre Töchter noch längst nicht genug gelernt haben. Der titelgebenden Sandengel ist ein abgewandelter Schneeengel, den Alva mit ihrem Körper für Rut in den Sand vor dem Haus presst.


    Wie arm die Familie ist, erkennt man daran, dass Alva ihren Töchtern zu Weihnachten keine Geschenke kauft, sondern Dinge aus ihrem Besitz verschenkt, die die Mädchen sich mehr oder wenig heimlich gewünscht haben könnten. Der einzige Luxus für die Wanderer-Töchter ist ihr jährlicher Besuch auf der Farm ihrer Nenn-Großeltern. Der Sohn des älteren Paars war der beste Freund von Alvas verstorbenem Ehemann. Kinder brauchen Großeltern jetzt und hier, nicht nur im fernen Europa, haben die älteren Bekannten beschlossen – und genießen die Besuche von Töchtern und Mutter auf der Farm offensichtlich sehr. Wieder zuhause drängt sich den Mädchen die Frage auf, was eigentlich in der ihnen streng verbotenen „Schlucht“ hinter ihrem Haus sein könnte. Es muss sich ja mindestens um gefährliche Schlangen oder Skorpione handeln, wäre eine mögliche Erklärung. Der einfache Sandweg der Bloekomstraße verläuft zwischen Autostraße und Bahngleisen, beides hat die Mutter den Mädchen streng verboten. Auf dem Bahngleis fährt ein Zug nur für Schwarze, der die Bewohner der Townships zur Arbeit in die Großstadt bringt. Die Mädchen wissen, dass für viele andere Schwarze der Weg zur Arbeit aus ihrem abgelegenen Township zu weit ist und sie ihre Familien deshalb nur einmal im Jahr sehen können. Die Suche nach der Schlucht steht hier für etwas zunächst schwer Fassbares außerhalb der behüteten Kindheit. Dass ihre Mutter keine abfälligen Ausdrücke für Schwarze duldet, war den Mädchen schon immer klar. In diesem Sommer werden sie mit den Lebensbedingungen der Schwarzen im Südafrika der Apartheid konfrontiert und müssen lernen, dass Alva mit ihren entschiedenen Werten nicht ungefährlich lebt.


    Fazit
    Lizzy Hollatkos Kinderbuch erzählt konsequent aus der Perspektive einer Elfjährigen, deren Eltern aus Österreich nach Südafrika kamen. Ruts Erkundung der Welt außerhalb der schützenden Familie konfrontiert sie mit der Rassentrennung der 80er und der tiefsitzenden Verachtung der weißen Südafrikaner für Schwarze und Farbige. Die Überlegung, ob die weiße Familie Wanderer arm ist und was man selbst unter Armut versteht, zwingt Hollatkos Leser zur Auseinandersetzung mit ihrem bisherigen Afrikabild. Ein stilles Buch über eine Kindheit in Südafrika, deutlich spürbar aus der eigenen Anschauung geschrieben.


    10 von 10 Punkten