Lindner und das Keltengrab. Baden-Württemberg-Krimi - Jürgen Seibold

  • Jürgen Seibold: Lindner und das Keltengrab. Baden-Württemberg-Krimi, Tübingen 2014, Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-1347-1, Softcover, 220 Seiten, Format: 18,6 x 12 x 1,4 cm, Buch: EUR 9,90, Kindle Edition: EUR 7,99.


    Seit Kriminalhauptkommissar Stefan Lindner, ein Mann mittleren Alters, fürs LKA Stuttgart arbeitet, ist er auf die wirklich skurrilen Fälle abonniert. Ob das Opfer mit Mostäpfeln gesteinigt wurde oder wie ein Gekreuzigter drapiert ist – Lindner muss ran. Das passt ihm wenig. Nach dem Tod eines Kollegen ist er immer noch psychisch angeschlagen. Bei aller ermittlungstechnischer Brillanz ist er ein hypochondrisches Weichei, das immer noch im Kinderzimmer auf dem elterlichen Bauernhof in Bad Boll haust. Eine Freundin hat er: Maria Treidler, eine Kollegin von der Kripo Göppingen.


    Als Lindner und Maria gerade im Gasthaus zum Hirschen in Bad Boll sitzen, kommt ein neuer Fall rein und die Vesperplatte muss unangetastet stehenbleiben: Im Wasserhochbehälter Hochen bei Nürtingen liegt ein Toter, aufgebahrt wie der Keltenfürst im Museum in Eberdingen-Hochdorf bei Ludwigsburg. Dekoriert ist der Fundort mit Original-Artefakten aus der Keltenzeit.


    Bei dem Toten handelt es sich um den 64-jährigen Pensionär und Kelten-Experten Dr. Thaddäus Kremp aus Nürtingen-Oberensingen. Ums Leben gekommen ist er, weil ihm jemand eine unbekömmliche Flüssigkeit eingeflößt hat. Die Artefakte stammen aus seiner Privatsammlung und der Fundort ist nicht der Tatort.


    Wer macht sich die Mühe, ein Mordopfer derartig zu inszenieren? Sicher nicht der Kleinganove, der den Leichenfund durch einen anonymen Anruf angezeigt hat – und dabei vergessen hat, seine Rufnummer zu unterdrücken. Der kann zwar Metall klauen und dabei über einen Toten stolpern, hat aber vermutlich keine Ahnung, was ein Kelte ist.


    Stefan Lindner und der zuständige Kriminalhauptkommissar Simon Pfau von der Kripo Esslingen stoßen bei ihren Ermittlungen auf Neid und Eifersüchteleien unter Wissenschaftlern, auf ein langwieriges Hickhack um ein archäologisches Gutachten, das ein Bauvorhaben zu Fall gebracht hat und auf einen finanziell klammen Erben des ermordeten Dr. Kremp, der kein Alibi hat. Dafür hat der Historiker Heinrich Hintze eines, der mit seiner Wut auf den Kollegen Kremp nicht hinter dem Berg hält. Er war zur fraglichen Zeit in Creglingen, um bei den Vorbereitungen für ein Keltenfest zu helfen.


    In Laufe der Ermittlungen erfährt Stefan Lindner mehr über Kelten, als er jemals hat wissen wollen, was sich für den Leser allerdings sehr interessant gestaltet. Mit dem Fall selbst kommen die Ermittler nicht so recht voran. Und wäre Lindner nicht dazu verdonnert worden, eine Gruppe Krimiautoren zu betreuen, würden sie der Lösung des Falles noch immer hinterherhecheln. Lindner zeigt den Schriftstellern den Fundort – und einer von ihren entdeckt etwas, das die Polizei bislang übersehen hat. Irgendwie haben sie den schmuddeligen Landwirt Albert Schempff unterschätzt, der in Fundortnähe seine Felder hat. Der hat erstaunliche Fertigkeiten und ein Hobby, das in diesem Fall noch eine Rolle spielen wird …


    Da der ermordete Wissenschaftler zu Lebzeiten etwas … speziell war, gab es eine ganze Menge Leute, die ihn zum Teufel wünschten. Aber wer hat ihn so gehasst, dass er ihn auf so grausame Weise umgebracht hat? Und was soll die Maskerade mit dem Fürstengrab? Die Lösung des Falles ist dann auch nicht so wahnsinnig überraschend. Aber wer es war, war ja auch bei „Columbo“ nie die entscheidende Frage. Interessant ist, wie die Ermittler dem Täter auf die Spur kommen. Und ein bisschen liest man die Krimis von Jürgen Seibold auch wegen der Parade an schrägen Nebenfiguren.


    Ungleich temperamentvoller und lebenslustiger als der lahme Lindner ist zum Beispiel seine verwitwete Mutter Ruth, 74. Wenn sie nicht gerade ihren Hof bewirtschaftet oder bei ihrem Freund, dem Landwirt Eugen Rösler, 72, ist, macht sie mit ihren Freundinnen, den „Boller Mädle“, die Wirtschaften unsicher. Sie schwätzt so ein herrliches Schwäbisch und redet nicht lange drumherum. Damit sie der heimliche Star der Lindner-Reihe. In diesem Band ist sie allerdings überwiegend telefonisch präsent. Ruth besitzt nämlich neuerdings ein Smartphone und kann damit deutlich besser umgehen als ihr technikskeptischer Sohn Stefan. Zum Ausgleich dafür, dass Ruth und Eugen sich rar machen, gibt’s eine Anzahl mehr oder weniger schrulliger Kelten-Experten. Klasse ist auch der grantige Bauer Albert Schempff, der in breitem Dialekt wüst vom Leder ziehen kann.


    Es ist hier wie bei vielen Regionalkrimis: Sobald der Autor im Dialekt schreibt, werden die Dialoge wahnsinnig authentisch und lebensnah. In der Mundart gibt’s keine papierene wörtliche Rede. Das liegt vermutlich daran, dass man sich die Dialektpassagen laut vorsagen oder zumindest ganz intensiv vorstellen muss, um sie niederschreiben zu können. Wer kein Schwäbisch kann, dem entgehen hier ein paar echt kernige Szenen. Das ist wirklich ein Regionalkrimi für Leserinnen und Leser aus der Region.


    Ein kleines Rätsel bleibt für mich noch ungelöst: Im Gespräch mit den Schriftstellern blamiert sich Krimi-Muffel Lindner, weil er die Anspielungen auf das literarische Vorbild für einen regionalen Romanhelden nicht versteht. Ich bin mir gleichfalls unsicher. Nachdem ich im Geiste das gesamte Seiboldsche Krimi-Universum durchforstet habe, vermute ich, dass man vielleicht bei einem bekannten Autorenduo aus dem Allgäu fündig werden könnte. Wenn jemand das Buch gelesen und eine bessere Idee hat, wäre ich für einen Hinweis dankbar.


    Der Autor
    Jürgen Seibold, 1960 in Stuttgart geboren, war Redakteur der Esslinger Zeitung, arbeitete als freier Journalist für Tageszeitungen, Zeitschriften und Radiostationen und veröffentlichte 1989 seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher für verschiedene Verlage (Heyne, Moewig, Knaur) mit einer verkauften Gesamtauflage von rund 1,2 Millionen Exemplaren. 2007 erschien bei Silberburg sein erster Regionalkrimi, 2010 die erste Komödie. Außerdem schreibt er Thriller und Jugendbücher. Jürgen Seibold lebt mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis und macht Musik – wenn er mal Zeit dafür findet.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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