The Tough Guide to Fantasyland – Diana Wynne Jones

  • Dieser Reiseführer vermittelt hochsolide und unter Umständen lebensrettende Informationen für all die, die sich auf den Weg durch das Reich der Fantasy-Geschichten machen. Gleich, ob LiebhaberInnen des Genres, GegnerInnen oder GeschichtenerzählerInnen. Ausgestattet mit einer Landkarte und dem nachfolgenden Lexikonteil, in dem in alphabetischer Reihenfolge die wesentlichen Stichwörter erläutert werden, stellt der Reiseführer sicher, daß den Reisenden nichts wesentliches, sei es Tier, magische Wesen, Sehenswürdigkeit, Essen und Trinken, Geld oder Barbaren entgeht.


    Man wird aufgeklärt, wie man mit Prophezeiungen umgeht (höchst vorsichtig, trotzdem bringen sie eine unausweichlich von einer entsetzlichen Klemme in die nächste), ob rätselhafte Sprüche über den Romankapiteln aus Gnomenmund von Bedeutung sind (nie), was es bedeutet, wenn Kinder auftauchen (entweder sind es verkleidete Göttinnen/Götter oder ErbInnen eines noch zu erobernden Reichs), wie man das Böse erkennt (am Geruch des Unheils, das es umgibt) oder wie man ein Schwert kauft (mit Hilfe eines ortsansässigen Zauberers). Man erfährt, daß das meistverzehrte (weil meist aufgetischte) Gericht Eintopf ist, gleich, ob in einem Gasthaus (Achtung, Schlägerei!) oder unterwegs im Wald (Achtung, Räuber!), was es mit ZauberInnen und Elben auf sich hat und wie wichtig es ist, die in Fantasyland herrschenden Farbencodes zu beachten. Schwarz ist böse, rote Haare deuten auf magische Gaben hin und Blonde sind gut. Immer.
    Auch wenn es viele verschiedene Touren mit ganz unterschiedlich gesinnten ReiseleiterInnen gibt, so kann man sich als Reisende doch darauf verlassen, daß die Konstanten bei allen konstant sind.


    Piktogramme am Seitenrand zeigen bei jedem Stichwort an, zu welchem übergeordneten Thema es gehört, magisch, Tierwelt, Wirtschaft, König/Königin, Fortbewegungsarten. Es ist sehr übersichtlich gestaltet, nichts bleibt dem Zufall überlassen. Das ist auch wichtig, nicht daß man als ahnungslose Touristin einen Ring einfach für ein Schmuckstück hält, wo doch bekannt sein sollte, daß Schmuck und Juwelen in Fantasyland nie Schmuck sind, sondern immer magische Artefakte.


    Dieser ‚Reiseführer‘ stammt von Diana Wynne-Jones (1934 – 2011), die selbst zahlreiche Fantasyromane vor allem für Kinder geschrieben und eine eigene großartige magische Welt kreiert hat. Dieses Buch ist eine Satire vor allem auf die Massenproduktion innerhalb des Genres, die man mit höchstem Vergnügen liest. Das Vergnügen beginnt schon bei der Aufmachung, ist die Vorlage dafür doch die reale Reiseführerreihe ‚Rough Guides‘, die für Individualreisende konzipiert ist.
    Dementsprechend ist der Tough Guide aufgebaut. Die Karte wird erklärt, die Piktogramme vorgestellt und auf die Geschäftsbedingungen hingewiesen, an die man sich zu halten hat. Dann geht es los.


    Die AutorInnen der Romane sind dabei als die ReiseleiterInnen zu sehen, die Reisende übernimmt die Rolle der Heldin/des Helden oder zumindest der sehr nahen Beobachterin (Leserin), die die kommenden Schrecken mit durchstehen muß. (… it ist no use going straight to CONCLUSION. Managment rules will not allow you to do so …).
    Conclusion ist natürlich ein Stichwort. Dort wird darüber man aufgeklärt, daß es sich mindestens um eine Trilogie handelt und man daher mindestens drei Reisen gebucht hat. Oder fünf. Vorher kommt keine/r aus Fantasyland heraus.


    Wynne Jones erweist sich als höchst kenntnisreich. Tatsächlich zählt sie die Klischees und Stereotypen auf, die im Genre virulent sind. Selbst wenn man nur wenig Fantasyromane gelesen hat, ist das Wiedererkennen groß. Formuliert ist es lustig, ironisch und hin und wieder ein bißchen gemein. Recht hat sie immer.
    Das wiederum macht dieses Buch auch zu einem Schreibratgeber. Wer sich im Genre tummelt, ist gut beraten, diesen Reiseführer mit auf den Weg zu nehmen. Er ist äußerst hilfreich bei der Klischeesuche, die ‚Autsch‘-Einsicht kommt auf jeder Seite und oft nicht nur einmal.


    Dazu gibt es freie Seiten für eigene Notizen, Hinweise auf weitere Tough Guides (man wünschte, sie würden geschrieben) und einen kleinen Begleittext von Wynne-Jones darüber, wie sie auf die Idee zu diesem Buch kam. Dieser Reiseführer ist nicht nur sehr, sehr lustig, sondern auch ebenso nützlich.
    Das wird auch von höchster Stelle bestätigt, der Stempel auf dem Cover macht den Reiseführer ‚Dark Lord approved!‘


    Leider gibt es keine Übersetzung dieses Ratgebers. Angesichts der Situation des Genres hierzulande wäre das geradezu eine gute Tat.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Was für eine interessante und sorgfältige Rezension, Magali :anbet! Wie schade, dass es keine Übersetzung gibt, aber vielleicht erbarmt sich ein Verlag ja noch. Würde ich mir glatt kaufen und dann einmal als Ratgeber für ein satirisches Fantasyabenteuer nutzen. Denn eigentlich lese ich keine Fantasybücher, aber das würde mir Spaß machen. :-)

  • :lache


    Ja, ich finde das auch bedauerlich. Aber wir haben hier nicht diese Tradition von Fantasy und auch nicht ihre Pflege. Wir pflegen ja nicht mal, was aus dem angelsächsischen Raum überhaupt zu uns hereinkommt. Egal, ob es gut ist oder Massenprodukt, Fantasy läuft unter ex und hopp.


    Wenn Du etwas Witziges suchst, kannst Du mal in die Bücher von Terry Pratchett gucken.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus