Klappentext
Die Wärme des Tages ist im Gras. ich liege auf dem Rücken. Weiß umrandete Wolken ziehen vor dem Mond vorbei. Ich stelle mir vor, jemand sieht mich von oben, aber niemand sieht mich. Dabei liege ich so malerisch. Das glaube ich, und ich fühle mich so wohl und so tot und wie ein aufgestauter Fluss, über den in der Nacht immer wieder einmal der Wind geht.
Die Geschichte der verrückten, hellsichtigen Isa: Wolfgang Herrndorfs unvollendeter letzter Roman.
Isa ist 14 Jahre jung und verrückt, sie flieht mit nichts als ihren Klamotten und einem Tagebuch am Leib aus einer Anstalt in ihre eigene Geschichte.
"Tschick" - Leser kennen Isa, das irre, stinkende Müllkippenmädchen, mit dem Maik Klingenberg magische Stunden und den ersten zarten Zauber der Liebe erlebt. Es sind nicht mehr als ein paar Augenblicke, aber die reichen aus, um ein späteres Treffen auszumachen. In fünfzig Jahren an derselben Stelle. Mehr wissen wir bis dahin nicht von diesem merkwürdigen Mädchen und viel mehr werden wir von ihr auch nicht erfahren. Denn der Leser konstruiert aus ihrer Geschichte seine eigene, die ungeordnet aneinander gereihten Fragmente der Erzählung lassen das zu. Isa streift durch Wälder und Sommerwiesen, an Autobahnen entlang, durch die Berge und fährt über Kanäle. Sie trifft neben Maik und Tschick einen Binnenschiffer, einen Schrifsteller, taubstumme Kinder, eine Fußballmanschaft, einen Fernfahrer, einen toten, verwesten Förster. Sie alle scheinen in Isa eine Art Reflektion ihrer Sehnsüchte zu finden. Die Begegnungen sind mal mehr, mal weniger latent sexuell gefärbt und fast immer wirken sie auf mich bedrohlich. Isa ist trotz ihres Alters taff und stark, aber die Welt da draußen, die ist schlecht und genau deswegen wirkt das Mädchen auf mich verloren und einsam. Diese Geschichte ist der Gegenpol zu "Tschick", hier der wohlstandsverwahrloste, naive Junge, dort das taffe, existenzbedrohte Mädchen, immer an der Schwelle zur Katastrophe. Beide irren sie durch die gleiche, unbekannte Welt - mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen. War die Sommeratmosphäre bei Tschick leicht und melancholisch, so ist sie bei Isa bedrohlich und schwer.
Es ist mir nicht leichtgefallen, das alles. Ich habe mich nach dem Wunsch eines Happy Ends ertappt, bei dem jemand Isa in die Arme nimmt, ihr Kakao kocht, ein selbstgekochtes Essen auf den Tisch stellt und ihr ohne Hintergedanken über den Rücken streicht. Es wäre schön, wenn sie vor dem Erwachsen werden einfach ein Kind hätte sein dürfen. In meiner Geschichte finde ich davon nichts, das macht es aber nicht weniger großartig.
Im Anhang findet sich ein Text der Herausgeber Marcus Gärtner / Kathrin Passig zur Entstehung dieses Romans, denn Wolfgang Herrndorf hat ihn zusammenhanglos "geschrieben", als er bereits unheilbar erkrankt war. Das ist interessant, für mich aber nicht wichtig. Das Buch ist gut so, wie es ist. Ob wirr oder nicht. Ob vollendet oder nicht. Ob Wahrheit oder Fiktion ist für mich nicht von Bedeutung. Es ist Isas Geschichte mit Herrndorfs wunderbaren Liebe zur Sprache, die auch hier vorhanden ist. Für mich ist die Geschichte rund und sie hat ein Ende. Mein Ende, das ich an dieser Stelle nur auf Nachfragen verraten werde.
Bleibt zum Schluss nur ein unfassbar trauriges Gefühl. Das letzte Buch eines Lieblingsautors, nie wieder wird es eins geben. Das wusste ich auch schon vor dem Lesen des Buches. Nach der letzten Seite aber, da habe ich es auch in der Magengrube gespürt.