Die Chroniken der Schattenwelt - Daimon (Gesa Schwartz)

  • Egmont Lyx (August 2014)
    Paperback, Klappbroschur
    736 Seiten, 12,99 EUR
    ISBN: 978-3802584596


    Rezension


    Bewaffnet mit dem legendären Schwert Bhalvris, das einst den Teufel verletzte, machen sich Nando und seine Gefährten auf den Weg in die Hölle. Zunächst müssen sie dafür den Dämon und Nandos Lehrer Drengur befreien – nur er kann ihnen einen „sicheren“ Weg zum Palast des Fürsten zeigen. Beim Durchqueren der Höllenkreise müssen sich Nando und seine Freunde durch brennende Wüsten kämpfen, doch sie erwartet auch kältester Frost in der Unterwelt, deren Finsternis mit all ihren Farben ein schillerndes Wunder ist. Auch in der Hölle gibt es freie Dämonen, die sich Luzifer widersetzen – und es gibt Menschen, die den Legionen des Teufels trotzen. Nicht alles ist Dunkelheit dort unten, doch Nando kommt dem Abgrund in ihm selbst immer näher. Luzifer weiß genau, welche Versprechungen er machen muss, um Nando zu locken, wie er ihn in Zweifel ziehen kann. Wird sich Nando seiner eigenen Finsternis stellen können – ohne zu fallen?


    Wie bereits im zweiten Band gestaltet sich Nandos Reise beschwerlich. Immer wieder stellen sich ihm alte und neue Gegner in den Weg, doch wie bereits in „Angelos“ erhält er auch unerwartete Hilfe. Viele setzen große Hoffnungen in ihn, den Sohn des Teufels, doch viele fürchten ihn auch – sie fürchten seine Macht und sie fürchten, was passiert, wenn er selbst zum Teufel wird. „Wir werden zu dem, was wir jagen“ - dieser Satz wird mit zunehmender Seitenzahl immer wahrer. Für Nando scheint es bald keinen anderen Weg mehr zu geben, als der Grausamkeit der Hölle mit Dunkelheit zu antworten. Auch seine Gefährten schwanken im Zwielicht der Hölle: Drengur, der einst an der Seite Luzifers stand, kämpft mühsam gegen die Verlockungen des Fürsten, an den er immer noch gebunden ist. Und Avartos, der Engelskrieger, fällt immer tiefer in seine eigenen Schatten. Einzig Noemi hält das Licht der Hoffnung hoch, doch es wird immer schwerer für sie, die Finsternis in den Herzen ihrer Freunde zu ertragen.


    Nicht nur die Protagonisten haben Licht- und Schattenseiten: Auch die Gegenspieler sind als vielschichtig zu bezeichnen, auch wenn manche von ihnen auf den ersten Blick rein boshaft wirken. Kymbra beispielsweise, die Nando und seinen Freunden immer noch auf den Fersen ist und sie mehrmals beinahe getötet hätte, verbirgt in ihrem Herzen tiefe Trauer und Einsamkeit. Es gibt einen tragischen Grund dafür, dass sie die Schatten gewählt und sich in ihnen verloren hat. Auch ein General der Hölle wirkt erschreckend menschlich, dann seine Motivation erwächst ebenso aus Trauer über einen Verlust. Doch anders als Nando und seine Freunde haben die Höllendämonen der Finsternis nachgegeben und sind ein Teil von ihr geworden. Sie fluten sich selbst mit Schatten, um den Schmerz zu betäuben. Wer zwischen den Zeilen liest, wird ein vielschichtiges und positives Menschenbild entdecken.


    „Du liegst in Ketten, rief Luzifer ihm zu. Und du fühlst es selbst. Du verfällst deiner eigenen Illusion, obwohl du weißt, dass du nichts ungeschehen machen kannst. Hör auf, dich selbst zu knechten! Tu, was du willst! Vertraue mir nicht, nein, ich weiß, dass du das nicht kannst. Aber, zur Hölle noch eins: Vertraue dir selbst!“ (Seite 492)


    Je öfter Luzifer Nando seine Verlockungen in die Gedanken flüstert, desto mehr fragt man sich als Leser, ob am Ende der Reise wirklich ein herzloser und grausamer Dämon wartet – oder ob der Teufel nicht doch ganz anders ist. Luzifer verspricht Nando grenzenlose Macht, aber nicht, um die Schattenwelt und die Welt der Menschen zu unterjochen, sondern um sie neu zu gestalten. Er bietet Nando einen Ausweg aus seinem schier endlosen Kampf, eine Versöhnung mit der Finsternis in seinem Herzen. Und all das tut er mit sanftem Blick, wie ein Vater, der seinen verlorenen Sohn endlich in die Arme schließen will. Doch Nando wehrt sich gegen die Stimme des Teufels und in diesen Momenten erhascht man einen kurzen Blick hinter die sanfte, golden schimmernde Fassade, hinter der Zorn und Hass lauern. Trotzdem ist Luzifer mehr als Finsternis, mehr als der Fürst der Hölle und das Übel der Welt.


    Die kunstvoll verschachtelten Sätze brennen geradezu vor Leidenschaft für die Schönheiten der Schattenwelt – aber sie lesen sich mitunter auch anstrengend. Man muss sich in den schillernden Schreibstil von Gesa Schwartz erst einlesen und wenn man das tut, wird man Bilder sehen, die man nie mehr vergisst. Die Trilogie um den Teufelssohn Nando bietet noch mehr als „Grim“ träumerische Welten, in denen sich Licht und Schatten zu Wundern vermengen. Und so blickt man als Leser staunend auf den Mohn vor den Toren Bantoryns, auf die goldenen Kuppeln der Engelsstadt und die eisblaue Wüste, die die Festung des Teufels umgibt. Man bereist mit Nando und seinen Freunden die Flüsse der Unterwelt, schlägt sich durch verwunschene Wälder und klettert mit ihm in düstere Schluchten, wo uralte Kreaturen ihm helfen oder ihn vernichten können. Nie hätte man sich die Hölle so „schön“ vorgestellt.


    „Daimon“ und seine beiden Vorgänger wirken bereits jetzt wie das Meisterstück von Gesa Schwartz und man fragt sich, was da noch kommen mag. Auch wenn ihr ausschweifender Schreibstil Geschmackssache ist, kommt man nicht umhin, die Perfektion ihrer Sprache und ihre außergewöhnlichen Ideen zu bewundern. Bei aller Begeisterung bleiben jedoch zwei kleine Kritikpunkte: Im Mittelteil wird eine Figur eingeführt, die Nando sehr schnell sehr viel bedeutet und die für die Geschichte extrem wichtig ist – allerdings hat man zu wenig Zeit, ihre Wichtigkeit auch zu verinnerlichen. Andererseits gibt es in der ersten Hälfte des Romans zu viele Hindernisse, Angriffe und knappe Fluchten, die Geduld vom Leser fordern. Zudem fragt man sich, wie Nando den Teufel besiegen soll, wenn seine Schergen ihm bereits so zusetzen. Die Antwort ist am Ende relativ einfach: Nando braucht diesen steinigen Weg samt seiner Niederlagen, um die Stärke zu erlangen, Luzifer gegenüberzutreten.


    Fazit


    „Daimon“ ist der krönende Abschluss einer außergewöhnlichen Trilogie, die wie keine andere das Spiel mit Licht und Schatten beherrscht und aus den Zwischentönen träumerische Welten schafft. Nando stürzt immer tiefer in seine eigene Finsternis und letztlich bleibt ihm nur der Blick in diesen Abgrund, um gegen den Teufel zu bestehen. Viele Erwartungen wurden erfüllt, andere auf den Kopf gestellt – doch als Leser ist man am Ende hochzufrieden und blickt voller Staunen auf die einzigartigen Bilder zurück, die Gesa Schwartz mit ihrer kunstvollen Sprache gemalt hat.

    Everything you can imagine is real ~ Picasso

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