Hans und Dietrich von Quitzow - Brandenburger Geschichten

  • Die heutige Brandenburger Geschichte ist gut bekannt. Die Ereignisse stellen einen Meilenstein in der Historie unseres Landes dar. Sie waren oft Gegenstand literarischer Werke: Theodor Fontane widmete ihnen mehrere Kapitel in seinen „Wanderungen durch die Mark“, Karl May machte sie zum Gegenstand eines Jugendwerkes. Wenn man mit offenen Augen durch das Land reist, findet man Zeugnisse und Spuren aus dem frühen fünfzehnten Jahrhundert.


    In der offiziellen Version, die in den Geschichtsbüchern steht, und die heute jedermann auf „Wikipedia“ nachlesen kann, war die Mark Brandenburg der damaligen Zeit bestimmt von marodierenden Banden, Raubrittern und Wegelagerern. Das Land schien in reiner Anarchie versunken zu sein und deshalb machten sich im Jahre 1410 Vertreter der Stände auf den Weg in die Stadt Ofen - die heute Budapest heißt - zum ungarischen König Sigismund aus dem Hause der Luxemburger, um ihn um Hilfe zu bitten. Sigismund, der sich anschickte, der neue König des deutschen Reiches zu werden, zeigte großes Verständnis für die Empörung und weil er ein gerechter Herrscher war, schickte er seinen fähigsten Vasallen ins Land, um Ordnung zu schaffen. Dieser führte seinen Auftrag nicht nur mit großer Entschlossenheit erfolgreich aus sondern begründete auch eine Dynastie, die später gesamtdeutsche Geschichte schrieb. Aber ist diese Sicht auf die Ereignisse vielleicht nicht etwas einseitig? Wurde sie eventuell durch ein halbes Jahrtausend beschönigender Geschichtsschreibung verfälscht?


    Nahe der Mündung der Havel in die Elbe befindet sich der Ort Quitzöbel, früher genannt „Quitzöwel“ – die Heimat derer von Quitzow. Nicht weit entfernt davon der Ort Rühstädt, heute bekannt als „Dorf der Störche“. Der Name des Ortes leitet sich ab von „Ruhestätte“, denn hier liegen die Quitzows begraben. Den Landstrich nennt man die Prignitz. Hier lebte im ausgehenden vierzehnten Jahrhundert der zum armen Landadel gehörende Ritter Kuno von Quitzow. Es war die Zeit, in der das nicht weit entfernte Tangermünde an der Elbe zu einer Kaiserresidenz ausgebaut wurde. Der deutsche Kaiser Karl IV. lud gelegentlich den lokalen Adel an den Hof – so auch die von Quitzows. Die Söhne Kunos, Hans und Dietrich, erlebten es als Jugendliche hautnah mit. Und sie waren begeistert von Prunk und Macht. Die Vorstellung, König oder Kaiser zu werden, wurde zu ihrem Traum. Und früh lernten sie, dass es nur einen Weg gab, sich diesen zu erfüllen.


    Nachdem Kaiser Karl gestorben war, interessierten sich dessen Nachfolger kaum noch für die Mark Brandenburg. Es ging wie immer in solchen Situationen hauptsächlich darum, wie man am meisten Geld aus seinem Besitz schlagen konnte. Die neuen Herrscher zeigte wenig Interesse daran, sich an Ort und Stelle um die Verwaltung des Landes zu kümmern. Stattdessen verpfändeten sie ihre Besitzungen an den einheimischen Adel. Die Pfandbriefe wurden – sobald die Zahlungen geleistet waren – zu begehrten Streitobjekten. Es galt meist das Recht des Stärkeren. Den Quitzows gelang es innerhalb weniger Jahre ihren Besitz auszuweiten. Jedes Mittel war ihnen dabei Recht: Verhandlungen, Erpressungen, das Schmieden von immer wieder wechselnden Allianzen und natürlich der Einsatz von Gewalt.


    Jobst von Mähren, der eigentlich Kurfürst von Brandenburg war, tat nicht viel dagegen. Er akzeptierte die Situation wie sie war, ernannte Hans von Quitzow sogar zu seinem Stellvertreter und zum Landeshauptmann der Mittelmark. Dessen älterer Bruder Dietrich wurde militärischer Befehlshaber. Gemeinsam hatten die Quitzow-Brüder das Sagen in der Mark Brandenburg. Allerdings nicht ohne Widerstand. Feinde von außen und innen, wechselnde Bündnisse und Verrat prägten die Zeit. Nichts Besonderes während der gesellschaftlichen Umwälzungen im ausgehenden Mittelalter. Die Quitzows waren in all diesem Chaos aber der größte Garant für Stabilität im Lande – respektiert auch bei dem größten Teil der einheimischen Bevölkerung. Möglicherweise hätten sie irgendwann ein Quitzowsches Herzogtum begründet. Aber die Geschichte wollte es anders.


    War es tatsächlich das verzweifelte Bittgesuch einheimischer Stände, das den Lauf der Dinge veränderte? Im Jahre 1410 starb der deutsche König Ruprecht aus dem Hause der Wittelsbacher. Ein neuer König musste gefunden werden. Sigismund, Sohn des legendären Karl IV., wollte für das Haus der Luxemburger der nächste König werden. Das Deutschland des Mittelalters war ein Wahlkönigtum. Sieben Fürsten hatten das Recht, über den künftigen König zu entscheiden – ihn zu küren. Das Feilschen um die Kurstimmen gehörte zur üblichen Prozedur der Königswahl. Sigismund gelang es, zunächst lediglich zwei Kurfürsten auf seine Seite zu bringen. Sogar die böhmische Stimme - die seines Stammhauses - wurde ihm von seinem älteren Bruder verweigert, weil er sich mit diesem zerstritten hatte. Die brandenburgische Stimme hatte ihm eigentlich nicht zugestanden, denn diese gehörte seinem Cousin Jobst. Der allerdings hatte selbst Ambitionen König zu werden, aber es war Jobst verboten, sich mit seiner eigenen Stimme zu küren. Das nutzte Sigismund aus, indem er ohne jede rechtliche Grundlage kurzerhand die brandenburgische Stimme einem treuen Bundesgenossen übertrug: Dem Burggrafen Friedrich zu Nürnberg. Gekoppelt wurde dies an dessen Versprechen, mit dem Chaos in der Mark aufzuräumen, sobald Sigismund König wäre.

    Sigismund proklamierte sich im September 1410 mit nur drei Kurstimmen zum neuen König, darauf vertrauend, dass er früher oder später noch die Unterstützung seines Bruders aus Prag bekommen würde. Doch sein ambitionierter Plan drohte zu scheitern, denn seinem Cousin Jobst gelang es zwei Wochen später, alle vier restlichen Kurstimmen auf sich zu vereinigen. Sigismunds Ambitionen waren fehlgeschlagen, denn Jobst, der bereits brandenburgische Kurfürst war, wurde nun auch deutscher König. Eine gute Nachricht für die Quitzows, die nun freie Hand hatten, weil sie glaubten, dass der nominelle Landesherr sich noch weniger um die Angelegenheiten im Lande kümmern würde.
    Unter ungeklärten Umständen verstarb der neue König allerding einige Wochen später – es hieß er sei vergiftet worden. Nutznießer wurde dessen Cousin und Widersacher Sigismund, der Jobst sowohl mit dem brandenburgischen Kurfürstentitel als auch mit der deutschen Königskrone beerbte. Eine Beteiligung am Tod seines Verwandten konnte natürlich nie nachgewiesen werden. Allerdings beeinflusste diese Wendung maßgeblich den Lauf der Geschichte in der Mark Brandenburg. Der Nürnberger Burggraf Friedrich hatte Sigismund ja versprochen, die Mark zu befrieden. Friedrich wurde nun zum obersten Verweser der Mark bestimmt, mit der Aussicht, später selbst Kurfürst zu werden.


    Der Nürnberger schickte zunächst seinen fähigsten Hauptmann ins Brandenburgische, ausgestattet mit einer Handvoll Berittener und Geldmitteln, um die verpfändeten Besitzungen einzulösen. Diese befanden sich allerdings in der Zwischenzeit in den Händen der Quitzows, welche wenig daran interessiert waren, Macht und Einfluss aufzugeben. Der „Nürnberger Tand“ solle sich nach Hause scheren spottete der einheimische Adel und Friedrichs Mannen mussten unverrichteter Dinge zurückkehren. Friedrich erkannte, dass es größerer Anstrengungen bedurfte. Deshalb zog er selbst mit seinen Truppen ins märkische Land, um seine Ansprüche geltend zu machen.


    „Und wenn es ein Jahr lang Nürnberger regnete, wir geben unsere Schlösser nicht her“, mit diesem überlieferten Zitat Hans von Quitzows wird deutlich, dass man nicht daran glaubte, dass der Burggraf mehr bewirken könne, als alle fremden Regenten vor ihm. Die Quitzows mussten allerdings erkennen, dass diese Einschätzung zu optimistisch war. Friedrich erwies sich als geschickter Diplomat, der die Zwistigkeiten zwischen den einheimischen Interessengruppen für seine Zwecke ausnutzte. Ein jahrelanges Katz-und Maus-Spiel begann. Mit einem taktischen Schachzug versuchten die Brüder, den Kampf für sich zu entscheiden: Statt die offene Konfrontation mit Friedrich zu suchen, huldigten sie dem Nürnberger offiziell und gaben sogar einige Burgen gegen das Pfandgeld zurück. Dadurch gingen sie der „Reichsacht“ aus dem Wege, die ihnen drohte. Friedrich besaß die Unterstützung Sigismunds, des deutschen Königs. Eine offene Auflehnung der Rebellen hätte ihm alle Rechte gegeben, die Quitzows auch physisch zu vernichten. Dies war ihm nun verwehrt, denn offiziell gebärdeten sie sich sie als reuige Untertanen.


    So musste er sich auf die Mittel der Intrige und der Propaganda verlassen, denn militärisch war seine Truppe der des Dietrich von Quitzow unterlegen. Nach und nach gelang es Friedrich, immer mehr Verbündete auf seine Seite zu ziehen. Überall im Lande ließ er sogenannte „Schandbriefe“ aushängen. Dabei handelte es sich um Verleumdungen und Anfeindungen – berechtigte und erfundene - gegen die Quitzows, verfasst von deren Widersachern. Das war der Auftakt einer jahrhundertelang andauernden Verleumdungskampagne, deren Wirkung noch heute andauert.


    Diese Rufschädigungen reichten aber nicht aus, um die Macht im Lande wirklich an sich zu reißen. Erforderlich war auch ein schlagkräftiges militärisches Argument. Die Wende kam mit dem Erwerb der „faulen Grete“. Friedrich bekam die Steinbüchse leihweise zur Verfügung gestellt. Eine Wunderwaffe zur damaligen Zeit. Man nannte sie „faul“, weil der Transport sehr mühselig und die Vorbereitungen zu ihrem Einsatz daher sehr langwierig waren. Im Ausgleich dafür war die bronzene Kanone allerdings äußerst effektiv in ihrer Zerstörungskraft. Die 50 kg schweren Geschosse vermochten auch die stärkste Befestigungsanlage zu brechen. Zunächst belagerte Friedrich die Burg Friesack, wo sich Dietrich von Quitzow versteckt hielt. Dieser ergriff allerdings die Flucht, bevor der erste Schuss abgegeben wurde, und tauchte unter. Im Handstreich eroberte Friedrich binnen weniger Wochen alle Besitzungen der von Quitzows um sich am Ende der Burg Plaue zuzuwenden. Dort hatte sich das Oberhaupt der Familie, Hans von Quitzow verschanzt. Nach einigen Wochen der Belagerung wurde die Lage der Eingeschlossenen aussichtslos und Hans versuchte zu fliehen. Er wurde jedoch gefasst. In einem öffentlichen Schauprozess wurden alle gefassten rebellierenden Adligen abgeurteilt und inhaftiert.


    1415 bekam Friedrich von König Sigismund die Brandenburgische Kurfürstenwürde verliehen. Die jahrelange Vasallentreue, der enorme finanzielle Aufwand hatte sich für den Nürnberger endlich ausgezahlt. Dietrich von Quitzow kämpfte weiter aus dem Untergrund heraus mit einer Art Guerilla-Taktik gegen die neue Herrschaft und für den eigenen Vorteil. Spätestens in diesem Zeitraum wurde der Name der Quitzows tatsächlich dem Ruf gerecht, mit dem er später verbunden wurde: Dem der Raubritter, Wegelagerern und Banditen. Noch zwei Jahre lang dauerte der sinnlose Kampf, dann starb Dietrich.


    Sein Bruder Hans hingegen war bemüht, sich mit der neuen Herrschaft zu arrangieren. Immer noch hatten die Quitzows einen beträchtlichen Einfluss und irgendwann war es für Friedrich die vernünftigste Entscheidung, dies für seine Zwecke zu nutzen. Hans von Quitzow zog für den neuen Kurfürsten gegen die Hansestädte Hamburg und Lübeck ins Feld, wurde gefangen genommen und freigekauft. Er bekam eine Leibrente und ein Gut, bevor er 1437 starb.


    Friedrich selbst zog es inzwischen zu höheren Aufgaben. Im Auftrage Sigismunds verfolgte er einen Widersacher, der sich zum Papst erklärt hatte, übernahm als Stellvertreter des Königs die Geschicke im deutschen Reich, während dieser in Ungarn Krieg führte. Alle Bemühungen zahlten sich für Friedrich aber nicht aus. Sein Traum, Sigismund eines Tages zu beerben, scheiterte, denn dieser wandte sich in einer dynastischen Verbindung durch die Verheiratung seiner Tochter den Habsburgern zu. Friedrichs Familie der Hohenzollern schien das zu bleiben, was sie bis dahin immer gewesen war: Ein unbedeutendes Fürstengeschlecht. Friedrich überließ die Regierungsgeschäfte in der Mark Brandenburg seinem Sohn Johann und zog sich ins Fränkische zurück, wo er 1440 starb.


    Dass auch die Nachfolger Friedrichs große Probleme hatten, sich in Brandenburg zu etablieren, davon haben wir bereits in der Geschichte „Der Berliner Unwille“ berichtet. Mit dem Aufstreben des preußischen Staates wurden die hochfliegenden Ambitionen des ersten Brandenburgischen Friedrichs Jahrhunderte später doch noch Realität. Die Quitzows wären wohl völlig in Vergessenheit geraten, hätten die Hohenzollern deren Namen nicht missbraucht, um die Geschichtsschreibung in ihrem Sinne aufzuwerten.

    Was waren die Quitzows aber wirklich: Banditen oder Freiheitskämpfer? Die Meinungen dazu gehen auch heute noch weit auseinander. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich - wie immer – irgendwo in der Mitte. Eines waren sie mit Sicherheit: Zeugen ihrer Zeit. Wer heute in die Prignitz fährt, wird Spuren finden und kann sich vielleicht ein eigenes Bild machen.

  • :anbet
    :write bei Rumpelstilzchen
    (Du willst ja immer gern auf Fehler hingewiesen werden. Außer ein, zwei Kommaleins habe ich keine gefunden.)


    @ Rumpelstilzchen_
    Vielleicht, weil die pöhsen, streitsüchti- und kampfeslustigen Männer mit den Kanonen wesentlich mehr Zeit zubrachten als mit ihren besseren Hälften (und überdies befürchteten, genau deshalb möglicherweise deren Namen andernfalls zu vergessen :grin)...
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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