Guten Morgen, Tel Aviv. Geschichten aus dem Holy Land – Katharina Höftmann

  • Dieses Buch ist eine Sammlung von gut fünf Dutzend Glossen über den Alltag in Israel, wie ihn die Autorin, eine junge Journalistin, 2010 erlebte. Einige von ihnen erschienen auch auf ihrem damaligen Blog bei Welt online.
    Leicht satirisch und meist humorvoll berichtet sie von einem Land, von dem man hier soviel zu wissen glaubt und doch keine Ahnung hat. Die Autorin, das zeigt sich schnell, ist davon nicht ausgenommen.


    Aufschlußreich auf jeden auf Fall sind die Schilderungen des ganz normalen Alltags. Extrem laut, aggressiv – Israelis lassen sich nichts gefallen, das wäre Schwäche – Handysüchtig, vergnügungssüchtig, ohne Zeitgefühl, besessen von seltsamen religiösen Gebräuchen, die immer dann eingehalten werden, wenn man es am wenigsten erwartet. Der Straßenverkehr lebensbedrohlicher als die Raketen der Hamas, die Räume reine Eiskeller wegen der zu tief eingestellten Klimaanlagen, Bauchtanz auf jeder Feier, zuviele geschlechtsneutrale Vornamen und nicht-funktionierende Steckdosen, all das wird liebevoll und lustig aufgespießt. Was es nicht weniger wahr macht.


    Farbig werden Familienbesuche und die Partyszene beschrieben oder eine Fahrt durch Tel Aviv-Jaffa (wie die Doppelstadt heute heißt), mit den westlich und arabisch geprägten Vierteln, den Stadtteilen der Gut – und Besserverdienenden, den Yuppies, Studierenden, Einkaufsmeilen, Designern, den Vierteln von Prostituierten, Stricher und Junkies.


    Geht es um die Probleme im Land, ist die Autorin weniger aufmerksam. Die fließen eher nebenbei in die Glossen ein. Gentrifizierung hält sie für einen guten und natürlichen Weg der Stadtsanierung, die Schwierigkeiten der unterschiedlichen jüdischen Bevölkerungsgruppen untereinander, den marokkanischen, ägyptischen, jemenitischen, äthiopischen, russischen werden eben mal gestreift. Ebenso das Problem der GastarbeiterInnen, kaum eine Restaurantküche würde funktionieren ohne die moslemischen AraberInnen, kaum ein Krankenhaus oder Altersheim ohne Frauen aus Thailand und den Philippinen. Verirrt man sich in einem Viertel der Ultraorthodoxen als Frau, kann man niemand nach dem Weg fragen. Ultraorthodoxe sprechen nicht mit fremden Frauen. An Schaltern, Kassen, bei Taxifahrern wird man erst einmal angeraunzt, Aggressivität prägt den Alltag ebenso wie SoldatInnen das Straßenbild. Da wird die Lektüre dann wirklich spannend.


    Unangenehm berührt im Weiteren allerdings die komplette Blindheit, was politische Zusammenhänge angeht. Es interessiert die Autorin einfach nicht, gegen Ende spricht sie sich auch frei davon. Unbeschwert will sie sein, wie die Israelis, denen sie begegnet, es angeblich sind. Sie will glücklich sein und nichts wissen von dem, was vor sich geht. Auch ein Standpunkt. Mit dem wird sie aber auch unglücklich, als sie einmal, auf dem Höhepunkt ihrer Israel-Euphorie aus ungeklärten Gründen in de Lage einer Unerwünschten kommt. Wartezeiten, Schikanen sind die Folge, bis sie die Paßkontrolle hinter sich hat. Sie versteht die Welt nicht mehr. Zuletzt hat sie sich aber von dem Schock erholt und liebäugelt mit dem Zionismus. Natürlich ohne die geringste Ahnung zu haben, was genau das nun wieder ist.


    Wie immer bei Glossen kann auch die in Guten Morgen, Tel Aviv nicht am Stück lesen. Das wird rasch eintönig, vor allem die Oberflächlichkeit tritt dann deutlich zutage. Manchmal fällt der Autorin auch einfach nichts ein, sie schweift nach ein, zwei Sätzen ab, der Humor wirkt bemüht. Irgendwann scheint sie Kishon entdeckt zu haben, ihr Lebensgefährte, der im Übrigen der Grund für ihren Israel-Aufenthalt ist, mutiert zu ‚mein wunderbarer Lebenspartner‘, wie weiland die ‚beste Ehefrau von allen‘. Aber das kann man überlesen. Alberner (und weit unangenehmer) sind etwa ein Beitrag über das, was sie unter ‚Prolet‘ versteht, ihr Bauchtanztrauma oder israelische Frauen. Gerade letzterer ist so oberflächlich, daß es schon wehtut.


    Interessanter sind ihre Überlegungen dazu, wie es ist, als Fremde in einem fernen Land zu leben, die Blicke von Deutschland auf Israel und Israel auf Deutschland, der völlig (für israelpolitisch zurechtgestutzte Deutsche schockierend) unverkrampfte Umgang mit dem Nationalsozialismus und die gleichzeitig kritiklose Hinnahme der Autorin offizieller israelisch-zionistischer Regierungsparolen. Höftmann ist ein Paradebeispiel der naiven Journalistin, die zwar neugierig, aber unaufmerksam ist, nicht einmal von dem Gedanken gestreift wird, nachzufragen, geschweige denn zu recherchieren, für die jede Medaille nur eine Seite hat und die ihren beschränkten Blick ungehemmt als tiefe Einsicht zu präsentieren weiß.


    Sehr aufschlußreiches Buch. Man muß es allerdings zu lesen wissen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus