Marie Hermanson: Der unsichtbare Gast
Insel Verlag 2015. 244 Seiten
ISBN-13: 978-3458176480. 16,99€ Klappenbroschur
Originaltitel: Skymningslandet
Übersetzerin: Regine Elsässer
Verlagstext
Auf Gut Glimmenäs lebt in einem ehemals herrschaftlichen Haus Florence Wendman, die umgeben ist von tickenden alten Uhren. Ihre innere Uhr ist 1943 stehen geblieben, da war sie ein junges Mädchen. Um sie herum hat sie eine Gruppe junger Leute, die ihr zu Diensten sind. Als Sekretärin, als Köchin, als Hausmeister, als Chauffeur. Die alte Dame kann ihnen bieten, was sie anderswo nicht gefunden haben: Unterkunft und eine Arbeit, von der sie leben können. Die jungen Leute fühlen sich auf dem verfallenden Gutshof wohl. Der Weinkeller ist gefüllt, die Kleider aus den 40er Jahren, die sie zu tragen haben, sind schön, der Ort wirkt verzaubert. Sie bewirten Florence' Gäste, die in Wirklichkeit lange tot sind. Sie sind Schauspieler in einem Stück, das Florence' Leben war. Als aber ein weiterer Besucher auf das Gut kommt, der alles auf den Kopf stellt, zeigt die Inszenierung Risse. Wer ist dieser junge Mann, der nach Florence' Testament fragt? Wie weit werden sie gehen, um ihr angenehmes, weltfremdes Leben gegen ihn zu verteidigen? Vom romantischen Märchen zum fesselnden Thriller – Marie Hermanson erzählt von einer eingeschworenen Gruppe junger Menschen, die sich in einem nicht enden wollenden Sommer wohlig im Universum ihrer geheimnisvollen Gastgeberin eingerichtet haben – bis die Welt, die sie hatten hinter sich lassen wollen, unaufhaltsam durch die Ritzen des Gemäuers dringt
Die Autorin
Marie Hermanson, 1956 geboren, lebt in Göteborg und hat etliche Jahre ihres Lebens als Journalistin gearbeitet. Sie debütierte mit einer Sammlung von Erzählungen, die, so ein schwedischer Kritiker, Zeichen sind „einer großen, sich entwickelnden Autorin, welche die altnordische Saga mit den besten Exempeln angloamerikanischer Fantasy und Science-Fiction zu vereinen versteht und deren Wurzeln bis hin zu Poe reichen“. Sie erhielt für ihren Roman Die Schmetterlingsfrau (1995) den renommierten schwedischen August-Preis. Mit ihrem Roman Muschelstrand (1998) gelang ihr der internationale Durchbruch.
Inhalt
Martina arbeitet als Zimmermädchen in einem schwedischen Hotel. Leute wie sie werden mit Zeitverträgen eingestellt und aufgefordert zu gehen, wenn ihnen etwas an ihrer Arbeit nicht passt. Für Martina ist es entwürdigend, dass sie nicht genug verdient, um sich von ihren Eltern abzunabeln und eine eigene Wohnung zu mieten. Als das labile Gleichgewicht ihres Lebens aus dem Takt gerät, scheint die Begegnung mit Martinas ehemaliger Klassenkameradin Tessan die Rettung zu sein. Tessan hat offenbar das große Los gezogen mit einer Stelle als Hausmädchen auf einem verfallenden Gutshof. Die junge Frau, deren besondere Pläne sich früher immer zu schnell in Luft aufgelöst hatten, betreut die betagte Besitzerin des Anwesens, Florence Wendman. Für Florence ist die Zeit in den 40ern des letzten Jahrhunderts stehengeblieben, als in Europa Krieg herrschte und Florences Vater als Botschafter eine wichtige Persönlichkeit gewesen sein muss. Die alte Frau klammert sich an Rituale, die Tessan für sie inszeniert und in denen Florences Altersgenossen noch jung sind. Die Icherzählerin Martina fügt sich in das Theaterstück auf Gut Glimmenäs problemlos ein; denn Florence braucht eine Sekretärin für die Büroarbeiten, die sie angeblich zu erledigen hat. Die beiden jungen Frauen leben bei freier Unterkunft und Verpflegung und mit einem bescheidenen Einkommen; ein paradiesischer Zustand, solange Florence noch körperlich fit ist. Doch paradiesische Zustände finden außerhalb von Romanen selten ein gutes Ende. Während das Anwesen zunehmend verfällt und von Weinbergschnecken übernommen wird, fragt man sich, wie lange ein Arrangement wie dieses gutgehen kann. Wann wird einem Außenstehenden auffallen, dass Florence längst nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen über Haus und Haushalt zu treffen und damit leicht auszunutzen ist. Nach wenigen harmonischen Wochen gerät die Idylle durch die Ankunft weiterer Personen ins Wanken, die sich einerseits als höchst anpassungsfähig erweisen, aber auch bereit sind, für ein Dach über dem Kopf mit harten Bandagen zu kämpfen. Die Abläufe innerhalb der Gruppe lassen an ein soziales Experiment oder eine inszenierte Doku-Soap denken. Mit psychologischem Gespür für die Ausnahmesituation demaskiert Hermanson, wer sich mit welchen Mitteln durchsetzt und welche Folgen das für schwächere Gruppenmitglieder haben wird.
Fazit
Eine stimmungsvoll und spannend erzählte Geschichte, die beim Lesen so manches Mal an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lässt.
9 von 10 Punkten