Aline Bronsky, Denise Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert und abkassiert, warum es so nicht weitergehen darf
Deutsche Verlags-Anstalt 2016. 256 Seiten
ISBN-13: 978-3421047267. 17,99€
Verlagstext
Was ist das Muttersein unserer Gesellschaft wert?
Eine Schwangerschaftsvorsorge, die in Entmündigung gipfelt. Geburten, bei denen es vor allem um eines geht: (Kosten-)Effizienz. Ein Wochenbett, das seinen Namen nicht mehr verdient. Stillen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit und keinesfalls zu lange. Väter, die versuchen, die bessere Mutter zu sein. Eine Politik, die alles dafür tut, Kinder so schnell wie möglich in die Krippe zu stecken. Die Verunsicherung von Müttern als Geschäftsmodell. Wertschätzung? Unterstützung? Fehlanzeige. - Wer sich heute als Frau für ein Kind entscheidet, der muss verrückt sein, so könnte man meinen. Denn Mütter werden in unserer Gesellschaft zunehmend bevormundet, kleingehalten und überwacht. Jegliche Kompetenz mit dem eigenen Kind wird ihnen abgesprochen. Wer im Beruf ernstgenommen und von seinem Umfeld anerkannt werden möchte, der lässt seine Bedürfnisse als Mutter unter den Tisch fallen. Denn eines will man auf gar keinen Fall sein: eine Glucke. Schritt für Schritt vollzieht sich so die Abschaffung der Mutter. In ihrem Buch liefern Alina Bronsky und Denise Wilk eine schonungslose Analyse der Entwicklungen. Pointiert und zugespitzt schildern sie, wer die Nutznießer sind, und fragen, was sich ändern muss, damit Mütter wieder den Rückhalt bekommen, den sie verdienen.
Die Autorinnen
Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg, und Denise Wilk, geboren 1973 in Freiburg, wissen ganz genau, wovon sie sprechen. Die beiden Frauen haben zusammengezählt zehn Kinder (Stiefkinder nicht mitgerechnet). Sie glauben nicht, deshalb allwissend zu sein oder in ihrer Mutterrolle besser zu funktionieren als andere. Aber sie haben jahrelang erlebt, was im Umgang mit Müttern schiefläuft. Alina Bronsky ist erfolgreiche Bestsellerautorin („Scherbenpark“, „Baba Dunjas letzte Liebe“), Denise Wilk begleitet als Doula schwangere Frauen und frischgebackene Mütter und gibt Eltern-Kind-Kurse.
Inhalt
Als Mütter von insgesamt 10 leiblichen Kindern, von denen 7 nicht im Krankenhaus zur Welt kamen, erhielten die Autorinnen umfassenden Einblick, was Müttern heute auf den Nägeln brennt. Ihr Buchprojekt muss bereits im Vorfeld auf Kritik gestoßen sein; denn in der Einleitung setzen sie sich bereits kämpferisch mit möglichen Kritikerinnen auseinander. Die Differenzierung, was derzeit Tenor in der Mütterszene ist und welche Ansichten die Autorinnen selbst vertreten, hätte dabei schärfer sein können, z. B. zu Formulierungen, die ein Kind als Schadensfall und materielle Einbuße werten (Seite 17).
Vollblutmütter scheinen für andere Menschen eine Provokation zu sein. Mütter in Deutschland sind heute bei der Geburt ihres ersten Kindes älter als je zuvor, aber offenbar auch dünnhäutiger, könnte man aus den Erkenntnissen der Autorinnen schließen. Mütter werden von Politik, diskriminierender Steuergesetzgebung und Kita-Zwang zunehmend unter Druck gesetzt, so die Autorinnen, und geben diesem Druck zu unreflektiert nach. Auch frühere Müttergenerationen mussten sich abfällige Bemerkungen anhören zum Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft (egal wann ein Kind gezeugt wird, es ist der Umwelt nie recht) und der Zahl der Kinder (ob eins oder vier, auch das ist Außenstehenden nie recht). Im Unterschied zu den 60ern und 70ern schütteln Mütter von heute die unerwünschten Einmischungen Fremder offenbar schwerer ab oder werten sie durch sofortiges Twittern und Bloggen noch unnötig auf.
Die Bestsellerautorin und die Geburtsbegleiterin äußern sich zu diversen Aspekten von Schwangerschaft und Mutterschaft: der Gewinnorientierung von niedergelassenen Gynäkologen und Kliniken, dem Aussterben des Hebammen-Berufes, der Kommerzialisierung von Schwangerschaft und Kinderbetreuung durch fragwürdige Bildungsangebote, der Rolle der Väter und dem öffentlichen Stillen. Ihre Auseinandersetzung mit Auswüchsen der Fortpflanzungstechnologie und dem Wunsch nach dem perfekten Kind findet für meinen Geschmack nur auf Boulevard-Niveau statt, zu medizinischen Themen lese ich lieber Bücher von Fachautoren wie Andreas Bernard Nicht jede Autorin muss sich zu jedem Aspekt des Mutterseins äußern, zu dem an anderer Stelle schon alles gesagt wurde.
Kritisiert wird das Bild von Promi-Mutterschaften in Boulevard-Medien, aus deren Angebot die Autorinnen sich jedoch nicht sehr konsequent für ihr Buch ausführlich bedienen. Beide beklagen eine Parallelgesellschaft (die einige der zitierten Mütter sich selbst schaffen, indem sie ihre Kommunikation auf die eigene Kohorte beschränken und kinderlose Frauen wie ältere Mutter zum Thema per se für inkompetent halten) und sehen das auffällige Bedürfnis von Müttern dieses Jahrhunderts, von allen für alles anerkannt und gelobt zu werden, m. A. weitgehend unkritisch.
Fahrt nimmt Bronskys und Wilks kämpferische Schrift zu dem Zeitpunkt auf, als es um den gefühlten Zwang zur institutionellen Betreuung von Kleinkindern geht, dem sich Mütter von einjährigen Kindern nach ihrer Erfahrung immer schlechter entziehen können. Die angeblich so positiven Erfahrungen mit Krippenbetreuung in Frankreich und Schweden demaskieren die Autorinnen. U. a., indem sie den erfahrenen Familien-Therapeuten Jesper Juul und den Bindungsforscher Karl Heinz Brisch zu Worte kommen lassen. Wer sich mit dem Aufwachsen von Kleinkindern beschäftigt, kommt an BrischsBindungsforschung nicht vorbei. Dass Masse allein statt Qualität beim Betreuungsangebot Kindern (und besonders Migrantenkindern) kaum Vorteile bringt, wird sonst gern verschwiegen. Das derzeitige Betreuungsmodell in Deutschland übersieht, dass man „es mit Menschen und nicht mit Konzepten zu tun hat“ (Seite 208), so die Autorinnen.
„Die Abschaffung der Mutter“ tritt als kämpferischer Appell auf, der besonders in den Passagen über die Situation Alleinerziehender und die frühkindliche Betreuung sauber recherchiert ist und plausibel argumentiert. Anregen kann das Buch dazu, selbst genauer zu hinterfragen, wer von derzeitigen Trends und gefühlten Zwängen profitiert und den eigenen Standpunkt dazu entschiedener zu vertreten.
8 von 10 Punkten