Präsentation des Verlags Schmelzer&Krause und Lesung Arne Schmelzer am 26. Mai in Berlin

  • Diese Veranstaltung habe ich beim müßigen Surfen, vulgo Herumdaddeln am PC entdeckt. Leidgeprüft über die Jahre verdrehe ich üblicherweise die Augen, wenn ich Kleinstverlag, unabhängig und frei lese, am besten garniert mit kreativ und innovativ. Dafür habe ich einfach zu viele Bücher gelesen.


    Hier aber war zum einen nicht nur die Verlags-Website fertiggestellt, sie hatte neben einiger Bestätigung aller meiner längst vielfach bestätigten Vorurteile, einen Ton, der mich neugierig machte. Sowie ein Gadget, wie man auf deutsch sagt, nämlich den Glückstext-Automaten. (Ja, ich habe zuerst auch ‚Glückskeks‘ gelesen). Der Glückstext-Automat sieht aus wie eine grobere Version der Kaugummiautomaten meiner Kindheit, die mit dicken Kugelkaugummis in ungesunden Farben und den Prinzessinnenringen aus Blech, mit kleinen Autos und Plastiktierchen an Häuserwänden darauf warteten, Kinder glücklich zu machen. Glücklich werden wollen wir schließlich alle, also trabte ich los.


    Veranstaltungsort war die Karl-Marx-Buchhandlung, seit Jahren befreit vom Buchhandel (leider), seit einem Jahr Veranstaltungsort. Die Räume sind immer noch wunderschön, die eingebauten Holzregale ein Genuß für alle, die altmodische Bibliotheken lieben. Ganz buchfrei sind sie nicht, sondern mit einem wilden Sammelsurium von Büchern gefüllt, in denen man bis zum Veranstaltungsbeginn herumblättern und sich sogar festlesen kann. Für Buch-AbstinenzlerInnen gibt es eine Bar.


    Die Präsentation/Lesung war eher spärlich besucht, vornehmlich vom FreundInnen-Kreis des Autors, (was zu erwarten war), das aber den Applaus herzlicher und die Atmosphäre heimeliger machte. Moderiert wurde das Ganze von Vanessa Remy, die den Veranstaltungsort managt.
    Die Moderation war munter, familiär und höchst lustig, bedingt durch eine umfassende Unbefangenheit im Reden über Bücher, Schreiben, Autoren und was so überhaupt irgendwie zu Kunst gehört. (‚Die haben da eine ganz gute Uni in Hildesheim, glaube ich, für, wie nennt man das, kreatives Schreiben.‘)


    Dieser unverkrampfte Umgang hatte im weiteren Verlauf tatsächlich etwas Befreiendes und als der junge Verlagsgründer und Autor zum Lesen seiner Texte gebeten wurde, brauchte er eigentlich gar nicht mehr dazu auffordern, ‚daß ihr euch ganz locker fühlt‘, die allgemeine Lockerheit hatte sich längst eingeschlichen.


    Schmelzer (Jg. 1988) schreibt Kurztexte. Angeregt von Augenblicksmomenten oder Augenblicksgedanken, formt er Texte, die nur wenige Abschnitte lang sind. Spontan. wie der Einstieg kam, spinnt er seine Sätze weiter, bis der Augenblick vorüber ist. Dann folgt der nächste Einfall, der nächste Abschnitt. Kommt nichts mehr, ist der Text zuende. Das Ergebnis sind in Maßen pointiert formulierte, fast ausschließlich assoziativ geprägte kleine Prosastücke mit philosophischem Einschlag. Der Tenor ist freundlich, menschenfreundlich, hin und wieder etwas belehrend, humorvoll. Gelegentlich blitzt Witz auf, Geistreiches, allerdings gilt die Liebe des Autors dem 19. Jahrhundert, nicht dem 18.
    Er sieht sich als Pionier, Gedankenentdecker, vielleicht, auf jeden Fall Spaziergänger auf Pfaden aus Einfall, Nachdenken und Sprache, die noch keiner so betreten hat. Die Neigung zum 19. Jahrhundert spürt man immer wieder in der Wortwahl, es tauchen ältere, seltene auch absonderliche Wörter auf. Schön!


    Sein Hauptwerk ist zur Zeit das ‚Konversationslexikon‘, ein Büchlein(!) mit 45 Texten, das zum endgültigen Beweis der Unabhängigkeit den Titel nicht auf der Vorderseite, sondern nur auf dem Buchrücken trägt. Vorne steht etwas anderes. Hinten auch.
    Vorgezogen habe ich aber die Gedichte, eine Sammlung von acht einzelnen Seiten, etwas größer als Postkarten, zusammengehalten von einem blauen Seidenbändchen links oben. Das Band ist natürlich handgeknotet und lang genug für Zuwachs, ein wenig wie Whitmans ‚Leaves of Grass‘. (Aber so denken nur Menschen, die abgebrüht sind im Umgang mit Literatur). Im Unterschied zu dieser berühmten Sammlung sind Schmelzers Gedichte begleitet von Illustration von Lars Möller, die so perfekt dazu passen, daß man es kaum für möglich hält, daß Autor und Illustrator sich nicht schon ein Leben lang kennen. Ich habe selten so eine ideale Kombination gesehen.


    Für weitere faszinierende Unternehmungen suche man die Website des Verlags auf, die Wundertüte, etwa, oder die gemeinsame Schreibaktion ‚Symphonie der Großstadt‘. Die Unabhängigkeit, die der kleine Verlag proklamiert, gibt es wirklich. Hier lebt Literatur. Das Ergebnis ist nicht immer rund, nicht immer überzeugend, aber immer anregend, zuweilen aufregend und ganz sicher spannend. Auf jeden Fall ist es etwas ganz, ganz anderes.
    Natürlich habe ich später dann meine Münze in den Automaten gesteckt, den Griff gedreht und meine dicke Kugel (Plastikhülle! Muß das sein??) aus dem Fach gefischt. Und bin glücklich geworden.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Ja, es gibt noch Zeichen und Wunder im Bereich Literatur. Ich war ganz verblüfft.
    Die Automaten wären ein Schmuckstück für Buchhandlungen und auch für Veranstaltungsorte. Vielleicht beißen ja noch einige an.

    Interessierte können sich ja bis dahin mit dem Konversationslexikon, der Wundertüte u.a. behelfen.
    Die Preise sind zivil, Neugier wird von so manchem etabliertem Verlag mitunter weit härter bestraft, so mit 22 Euro, wenn man Pech hat.
    :grin



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus