Das Auge des Osiris - R. Austin Freeman

  • OT: The Eye of Osiris
    3. Band der John Thorndyke-Reihe (und der 2. ins Deutsche übersetzte)


    Kurzbeschreibung:
    Wie bestimmt man den genauen Todeszeitpunkt, wenn die Leiche unauffindbar ist? Für Dr. Thorndyke stellt sich genau diese Frage, denn John Bellingham, ein bekannter Ägyptologe, ist spurlos verschwunden.


    Über den Autor:
    Richard Austin Freeman, am 11.04.1862 in Marylebone, London, geboren, war Arzt und Autor. 1887 begab er sich an die Goldküste, nach Accra, wo er sich an einer größeren Expedition ins Landesinnere beteiligte. Auf dieser Reise steckte er sich mit dem gefürchteten Erreger des Schwarzwasserfiebers an. Die Krankheit zwang ihn schließlich zur Rückkehr nach England, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1943 als Autor tätig war. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Kriminalromane und die berühmte Dr. Thorndyke-Serie.


    Meine Meinung:
    Im Jahr 1904 steckte die Kriminaltechnik noch in ihren Kinderschuhen, doch schon damals gab es interessierte Ermittler und Wissenschaftler, die der Analyse von Spuren aller Art große Bedeutung beimaßen. Zu ihnen gehört zweifelsohne auch der Gerichtsmediziner, Dozent und Wissenschaftler Dr. John Thorndyke, der Held von R. Austin Freemans 28-teiliger Reihe, von deren Bänden leider nur die wenigsten ins Deutsche übersetzt worden und inzwischen nur noch gebraucht erhältlich sind.
    In "Das Auge des Osiris" nimmt der Leser aus ungewöhnlicher Perspektive an den Ereignissen teil. Paul Berkeley, Arzt und ehemaliger Student Thorndykes, informiert diesen und mit ihm die Leser über einen sonderbaren Vermisstenfall, von dem er erfahren hat. Thorndykes Interesse ist geweckt und schon bald kommt Bewegung in den Fall, der aus Berkeleys Sicht erzählt wird. Dessen Interesse an der Aufklärung ist zum einen kriminalistischer, zum anderen romantischer Art, denn neben den Ermittlungen wird der Leser auch Zeuge einer (aus heutiger Sicht etwas antiquiert anmutenden) beginnenden Romanze, die einen nicht unerheblichen Raum des Romans einnimmt. Freeman lässt seinen Erzähler Berkeley ausführlich berichten, Gefühle und Gedanken mitteilen und durch Thorndykes Figur viele kriminalistische Details erklären. Für den heutigen Leser mögen diese nicht neu sein, doch im Jahr 1911, als der Roman zum ersten Mal erschien, waren die Leser weder mit der Ermittlungsarbeit der Polizei noch mit dem wissenschaftlichen Vorgehen von Experten auch nur annähernd vertraut.
    Freeman erzählt mit einem herrlich trockenen Humor, der dem Ganzen eine wunderbar leichte Note gibt und sich hervorragend in die bunte Mixtur aus Abenteuer, Orient, dem mysteriösen Verschwinden eines Menschen und dem streng logischen Vorgehen eines Wissenschaftlers einfügt. Auflösung und Motiv sind nicht wirklich überraschend, ein paar falsche Fährten mehr hätten der Spannung der Geschichte gut getan. Dennoch bietet sie all denen, die eher ruhige, aber gut erzählte Whodunit-Krimis zu schätzen wissen, einen unterhaltsamen Ausflug in das Goldene Krimi-Zeitalter und damit ein besonderes Lesevergnügen, das sich - ganz wie Dr. Thorndyke - alleine auf die Fakten stützt.


    Ich vergebe 8 Punkte.