Hannes Köhler: Ein mögliches Leben

  • Hannes Köhler: Ein mögliches Leben

    Verlag: Ullstein Hardcover 2018. 352 Seiten

    ISBN-10: 3550081855

    ISBN-13: 978-3550081859. 22€


    Verlagstext

    Ein junger Mann begleitet seinen Großvater auf eine Reise in die deutsche Vergangenheit, durch die sich für ihre Familie alles ändert

    Ein Wunsch, den Martin seinem Großvater Franz nicht abschlagen kann: eine letzte große Reise unternehmen, nach Amerika, an die Orte, die Franz seit seiner Gefangenschaft 1944 nicht mehr gesehen hat. Martin lässt sich auf dieses Abenteuer ein, obwohl er den Großvater eigentlich nur aus den bitteren Geschichten seiner Mutter kennt. Unter der sengenden texanischen Sonne, zwischen den Ruinen der Barackenlager, durch die Begegnung mit den Zeugen der Vergangenheit, werden in dem alten Mann die Kriegsjahre und die Zeit danach wieder lebendig. Und endlich findet er Worte für das, was sein Leben damals für immer verändert hatte. Mit jeder Erinnerung, mit jedem Gespräch kommt Martin seinem Großvater näher, und langsam beginnt er die Brüche zu begreifen, die sich durch seine Familie ziehen. Er erkennt, wie sehr die Vergangenheit auch sein Leben geprägt hat und sieht seine eigene familiäre Situation in einem neuen Licht. - Ein vielschichtiger Roman über die tiefen Spuren, die der Krieg bis heute in vielen Familien hinterlassen hat.


    Der Autor

    Hannes Köhler, geboren 1982 in Hamburg, lebt als freier Autor und Übersetzer in Berlin. Studium der Neueren deutschen Literatur und Neueren/Neuesten Geschichte in Toulouse und Berlin. 2011 erschien der Debütroman In Spuren (mairisch). Hannes Köhler war u.a. Teilnehmer der Prosawerkstatt im LCB, Stadtschreiber in Kitzbühel, Stipendiat der Stiftung Preußische Seehandlung und des Goldschmidt-Programms für deutsch-französische Literaturübersetzung. Für Ein mögliches Leben unternahm er eine zweimonatige Recherchereise in die USA und führte zahlreiche Zeitzeugengespräche.

    Ullstein Blog mit Fotos


    Inhalt

    Als Franz Schneider 1944 bei Cherbourg von der US-Army gefangen genommen wird, rettet das sein Leben. Hundertausende seiner Generation werden den Zweiten Weltkrieg nicht überleben, viele Schicksale bleiben bis heute ungeklärt. Franz und seine Kameraden befürchten zunächst, die Amerikaner würden ihre Gefangenen bei nächster Gelegenheit erschießen. Doch er gelangt ins Gefangenenlager Camp Hearne in Texas, arbeitet in der Landwirtschaft und wird später Baumwolle pflücken. 70 Jahre später wünscht sich der fast 90-jährige Franz eine gemeinsame Reise mit seinem Enkel Martin. Martin hatte bis zu diesem Zeitpunkt ein distanziertes Verhältnis zu seinem Großvater, wie vor ihm schon seine Mutter Barbara. Franz Spurensuche in Texas führt ihn in die kleine Gedenkstätte des Camps und weckt Erinnerungen an seinen Freund Paul. Pauls Eltern waren Einwanderer aus Deutschland, die völlig schockiert reagierten, als ihr Sohn sich für einen Kriegseinsatz im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Deutschen meldete. Paul wird von den eigenen Landsleuten gefangengenommen, übernimmt im Camp eine Mentoren-Rolle für den jungen Bergmann aus dem Ruhrgebiet und stellt damit die Weichen für Franz weiteres Schicksal. Wer in Camp Hearne Freund und Feind ist, war anfangs weder für die Bewacher noch für die Gefangenen leicht zu durchschauen.


    Auf mehreren Zeitebenen (1936, 1944, 1947, 1968 und 2014) erzählt Hannes Köhler über vier Generationen der Familie Schneider. Anders als der Klappentext vermuten lässt, steht nicht das Verhältnis Enkel-Großvater im Mittelpunkt des Romans, sondern ein allwissender Erzähler fügt Szenen aus Franz Schneiders Leben zu einem Gesamtbild. Im Laufe der Handlung stellen sich zahlreiche Fragen, die am Ende alle schlüssig beantwortet werden. Warum war das Verhältnis zwischen Franz und seiner Tochter Barbara so kühl, was geschah wirklich, als er seinen Ringfinger verlor – und vor allem: warum ist Franz nicht in die USA ausgewandert, als sich nach dem Krieg die Gelegenheit dazu bot?


    Mein Wissen über deutsche Kriegsgefangene ist u. a. durch die Fotos geprägt, die meinen Vater und meine Onkel bei ihrer Rückkehr aus Russland und England zeigen. Auch wenn amerikanische PW-Lager nicht zu meiner Familiengeschichte gehören, finde ich es heute noch erstaunlich, wie stark ihre Erzählungen aus der Gefangenschaft mein Bild von anderen Nationen geprägt haben. Hannes Köhler löst mit einzelnen Szenen in meinem Kopf ganze Geschichten aus – auf der Basis durchschnittlicher Geschichtskenntnisse. Franz, der am Strand von Cherbourg auf seine Verladung wartet; Franz, dem bei der Ankunft die texanische Hitze entgegenschlägt und seine Erlebnisse wieder lebendig macht; der Uhrturm eines deutschen KZ; das allgegenwärtige PW-Zeichen auf der Kleidung uvm. Sehr glaubwürdig und treffend gezeichnet wirkt auf mich das Vater-Tochter-Verhältnis, das das Schweigen und die Verbitterung zwischen der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration auf den Punkt bringt. Gespräche mit meinem eigenen Vater kreisten jahrelang um die Frage, was wäre gewesen wenn?, warum hast du nicht? Auf emotionaler Ebene ist mir hier noch einmal deutlich geworden, warum die um 1920 geborene Generation sich in diesen Gesprächen nicht öffnen konnte.


    Das Titelbild gefällt mir nicht, weil im Mittelpunkt des Romans eine Einzelperson und ihre Familie stehen. Einige Szenen würden durch erklärende Fußnoten gewinnen. So bin ich mir z. B. nicht sicher, ob nach 1970 geborene Leser das Bild der schwarzen und feldgrauen Uniformen einordnen können.


    Fazit

    Insgesamt ein berührender Roman, der die Sprachlosigkeit zwischen Kriegsgeneration und deren Nachkommen erfahrbar macht.


    9 von 10 Punkten

  • Ein mögliches Leben - Hannes Köhler

    Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

    Verlag: Ullstein Hardcover

    2018

    ISBN-10: 3550081855


    Mein Eindruck:

    Mit Ein mögliches Leben liegt ein kunstvoll verschachteltes und raffiniert konstruiertes Buch vor.

    Der Roman beginnt mit der Reise des jungen Martin mit seinem Großvater Franz und dann werde die Geschehnisse in den USA, wo Franz Schneider 1944 als deutscher Soldat in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlagern in Texas kommt, erzählt. Die Zeiten wechseln in der Erzählung immer wieder.


    Es ist dem Autor aufgrund seiner intensiven Recherche zu verdanken, dass es jetzt einen Roman mit vielen Details zu diesem Thema gibt, vielleicht wäre ein Sachbuch auch eine Möglichkeit gewesen, aber in einem Roman können die Emotionen des Protagonisten intensiver gezeigt werden. Franz Schneider wird von den Erlebnissen geprägt, es ändert sich viel in dem Jahr vor Kriegsende und auch er ändert sich. Wie das beschrieben wird, gehört zu den Stärken des Romans.


    Mich überzeugt an dem Roman außerdem, dass es dem Autor so gut gelingt, die Atmosphäre der Zeit wiederzugeben.

  • Eigentlich sollte Franz Schneider im Jahr 1944 ein Teil der Gegenoffensive Hitlers sein. Stattdessen landete der Bergmann in amerikanischer Gefangenschaft. 70 Jahre später ist Franz verwitwet und hat einen Wunsch: Der fast 90-Jährige will noch einmal zurück nach Texas und das ehemalige Lager sehen. Sein Enkel Martin, ein Lehrer in den unbezahlten Sommerferien, kann ihm die Bitte nicht abschlagen und lässt sich ein auf die letzte große Reise seines Großvaters. In den USA werden für den alten Mann die Kriegsjahre und die Zeit danach wieder lebendig. Endlich findet Franz die Worte für das, was sein Leben damals verändert hat. Mit jeder Erinnerung kommt Martin seinem Opa näher. Und langsam beginnt er die Brüche zu begreifen, die sich durch seine Familie ziehen…


    „Ein mögliches Leben“ ist ein bewegender Roman von Hannes Köhler.


    Meine Meinung:

    Aufgeteilt ist das Buch in sechs Kapitel. Darüber hinaus gibt es einen Pro- und einen Epilog. Passagen aus der Gegenwart wechseln sich mit Rückblicken beziehungsweise Erinnerungen ab. Die Verknüpfung von damals und heute ist fließend und dabei gut gelungen.


    Den Erzählstil habe ich als angenehm und anschaulich empfunden. Die Sprache ist sehr klar. Dennoch schwingen viele Emotionen und Stimmungen mit und es entstehen viele Bilder. Dadurch konnte mich der Roman in seinen Bann ziehen.


    Franz und Martin sind zwei interessante und authentisch dargestellte Hauptprotagonisten. Ich fand es berührend zu lesen, wie sich ihre Beziehung entwickelt. Trotz seiner zweifelhaften Vergangenheit war mir Franz nicht unsympathisch. Die Reise der beiden habe ich gerne verfolgt.


    Ein Pluspunkt des Romans ist es, dass hier das interessante Thema der Kriegsgefangenschaft so detailliert und glaubwürdig aufgegriffen wird. Es bietet dem Leser nicht nur einen Erkenntnisgewinn, sondern regt auch zum Nachdenken an. Dass der Autor zwei Monate lang auf Recherchereise in den Vereinigten Staaten war und sich fundiert in die Materie eingearbeitet hat, merkt man dem Buch an. Dennoch ist es keine trockene Lektüre, sondern eine Geschichte, die emotional berührt.


    Das Cover ist ein Blickfang, der neugierig macht und inhaltlich gut zur Geschichte passt. Auch der Titel ist überzeugend.


    Mein Fazit:

    „Ein mögliches Leben“ von Hannes Köhler ist ein lesenswerter Roman, der mir schöne Lesestunden bereitet hat. Eine überzeugende Geschichte, die nicht nur die Vergangenheit einer Familie, sondern einer ganzen Generation beleuchtet.

    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.