Gunnar Kaiser – Unter der Haut

  • Der Autor (Quelle Amazon):

    Gunnar Kaiser, geboren 1976 in Köln, arbeitet als Lehrer für Deutsch und Philosophie. Er betreibt den Blog »Philosophisch leben« und den YouTube-Kanal »KaiserTV«. In renommierten Literaturzeitschriften und in Anthologien veröffentlichte er Kurzgeschichten und Gedichte. Er lebt in Köln.


    Das Buch (Quelle Amazon):

    New York während des letzten Sommers der 1960-er Jahre: Der Literaturstudent Jonathan Rosen macht die Bekanntschaft des bibliophilen Dandys Josef Eisenstein. Durch den geheimnisvollen älteren Mann lernt der unerfahrene Junge nicht nur die Welt der Kunst und des Geistes, sondern auch die Macht der Verführung kennen und erlebt in diesen hellen Tagen sein Coming of age. Zu einem ersten sexuellen Erlebnis kommt es in Eisensteins Atelier, wo Jonathan mit einer jungen Frau schläft, die beide Männer in einem Diner angesprochen haben.


    In den folgenden Wochen machen sie sich in den brütend heißen Straßen New Yorks auf die Suche nach neuen »Opfern«. Ihr Muster: Eisenstein, der selber niemals eine Frau berührt, lehrt Jonathan die Kunst der Verführung; sie bringen die Frauen in sein Apartment, wo Jonathan mit ihnen schläft, während Eisenstein sie beobachtet. Mit der Zeit wächst in Jonathan ein Verdacht, dass über seinem Mentor ein dunkles Geheimnis liegt. Doch diese Ahnung wird erst Jahrzehnte später zur Gewissheit, als er in Israel von der ehemaligen FBI-Agentin Sally Goldman aufgesucht wird – denn sie jagt seit langem schon den »Skinner«, einen legendären Serienmörder.


    Meinung:

    Unwillkürlich taucht man ein in die heiße Metropole NYC im Sommer 69 und flugs wird man mitgerissen in den Strudel der Triebe und sogleich spürt der Leser die jugendliche Lust nach Autonomie und Freiheit. Am liebsten würde er sich zu den Hauptfiguren gesellen, lesend in einem Diner hocken und anschließend alle möglichen Partys feiern. Dass die Protagonisten einen Wochenendausflug machen und dabei das naheliegende Woodstock-Festival auslassen, nimmt man ihnen fast schon übel.


    Doch warum empfindet man das Buch so intensiv?

    Weil der Autor eine einzigartige Atmosphäre schafft, die den Leser mitnimmt und berauscht auf seiner Reise durch den „Summer of 69“, obwohl sich allmählich Schattenseiten ankündigen.


    Chronologisch geordnet führt uns der Erzähler ins Deutsche Reich von 1919 bis 1939, bis diese Episode nach einem Abstecher nach Polen grauenvoll und abrupt endet. Dann folgt ein Schnitt und wir landen im „Big Apple“ des Jahres 1969, wo wir uns recht lange aufhalten, bis wir 1989/90 in Berlin Halt machen. Anschließend geht es nach Israel und schließlich endet der Roman tragisch aber schlüssig in Argentinien.


    Der Autor schreibt poetisch, spannend und humorvoll. Er hat seine Charaktere mit Liebe und Feingeist gezeichnet, selbst Platzhalter hat er mit wenigen Strichen eindrucksvoll in Szene gesetzt. Am Ende fügen sich alle Puzzleteile zu einem Bild, wobei letzte Gewissheiten fehlen, was aber den Lesegenuss eher steigert als schmälert.


    Gunnar Kaiser spielt mit der Aufmerksamkeit des Lesers und ist stets für eine Überraschung gut. So hat er die Kapitel, die im Deutschen Reich spielen, unkonventionell und doch zwangsläufig in der alten Rechtschreibung geschrieben. Das passt, aber das hätte ihm nicht jeder Lektor durchgehen lassen. Das Werk ist erstaunlich für einen Erstling, fast unglaublich. Aber vielleicht hat der Verfasser schon ein paar Romane als Ghostwriter oder unter Pseudonym veröffentlicht.


    Meine einzige Kritik: Die ersten 400 Seiten hätte man auf 350 Seiten kürzen und die letzten 100 Seiten auf 150 Seiten strecken können.


    Einige Szenen hat man in ähnlicher Form schon mal gelesen („Das Parfüm“, „Die Blendung“, zahlreiche Werke der Exilliteratur …), was nicht negativ wirkt, ganz im Gegenteil, denn es betont den bibliophilen Charakter auf einer anderen Ebene.


    Eine Verfilmung des Stoffs könnte ich mir gut vorstellen. Für drei Figuren spuken schon geeignete Schauspieler in meinem Kopf herum. Für mich war das Buch eine positive Überraschung und das beste Debüt seit Langem.