Jennifer Egan: Manhattan Beach

  • Jennifer Egan: Manhattan Beach

    S. FISCHER 2018. 496 Seiten

    ISBN-10: 3103973586

    ISBN-13: 978-3103973587. 22€

    Übersetzer: Henning Ahrens


    Verlagstext

    Tauchen Sie ein in das vibrierende New York der 30er und 40er Jahre, folgen Sie einer unvergesslichen Heldin in eine Zeit, in der alles auf dem Spiel steht.

    New York – von der Marinewerft in Brooklyn zu den schillernden Nachtclubs in Manhattan, von den Villen auf Long Island zu den Absteigen in der Bronx. 1942 sind die Männer an der Front, die Frauen stehen in der Fabrik. Aber Anna möchte ein besseres Leben. Seitdem der Vater verschwunden ist, sorgt sie für ihre Mutter und die pflegebedürftige Schwester. Während Anna den Vater nicht vergessen kann, verfolgt sie bestimmt ihren großen Traum: Unter die gigantischen Kriegsschiffe an den Docks möchte sie tauchen, um sie zu reparieren. Ein Beruf zu gefährlich für eine Frau – genauso wie die New Yorker Unterwelt, in der sich die Spur ihres Vaters verlor.

    Der Pulitzer-Preisträgerin und New York Times-Bestsellerautorin Jennifer Egan ist ein Meisterwerk mit erzählerischem Sog, mitreißender Atmosphäre und unvergesslichen Figuren gelungen – ein großes Zeitpanorama!


    Die Autorin

    Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und wuchs in San Francisco auf. Sie lebt heute mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, New York. Neben ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie für den New Yorker sowie das New York Times Magazine und lehrt an der Columbia University Creative Writing. Für ihren Roman »Der größere Teil der Welt« erhielt sie den Pulitzer Prize, den National Book Critics Circle Award und den Los Angeles Times Book Prize. Ihr aktueller Roman »Manhattan Beach« erstürmte gleich bei Erscheinen die New York Times-Bestsellerliste und erhielt hymnische Pressereaktionen.


    Inhalt

    Der Nachtclub-Besitzer Dexter Styles lebt samt Familie und Personal in einem Haus direkt am Strand. Männer wie er haben früher Alkohol geschmuggelt. Seine Geschäftspartner lädt er zu sich nachhause ein, um Vertrauen aufzubauen. Familienväter halten sich an Regeln, signalisiert er ihnen damit. Auch Eddie Kerrigan nutzt diesen Code und bringt seine kleine Tochter Anna mit zum geschäftlichen Treffen in der Strandvilla. Der soziale Unterschied zwischen Unterwelt-Boss und seinem Laufburschen könnte nicht krasser sein. Die Kerrigans leben in den 30ern mit Anna und einer älteren behinderten Tochter in einer Mietwohnung im 6. Stock und kommen finanziell kaum über die Runden. Den Rollstuhl für Lydia müssen sie privat finanzieren. Anna und ihre Mutter Lydia verdienen zwar mit Näharbeiten etwas dazu; Eddie ist jedoch dringend auf die Aufträge angewiesen, die er als wandelndes Kassenbuch für Styles erledigt. Anna durchschaut die Beziehung der beiden Männer instinktiv, Eddie ahnt das und wird sie nie wieder mitnehmen zu einem Geschäftstermin. Eigentlich müsste Eddie besser verdienen; denn wenn es der Schifffahrt so schlecht geht wie jetzt, blühen in einem Hafen stets die krummen Geschäfte. Rückblicke zeigen, wie Eddies Karriere als Berufsspieler und Varieté-Künstler begann, wie er dabei seine Frau kennenlernte und wie sich sein Verhältnis zur heranwachsenden Anna entwickelte.


    Einige Jahre später hat Anna einen kriegswichtigen Job im Hafen von Brooklyn beim Bau des Schlachtschiffs Missouri. Kurz blitzt bei mir die Frage auf, wie Annas Mutter allein mit der behinderten Lydia zurechtkommt; denn Eddie ist nach dem Anfangskapitel einfach verschwunden. Weil die Werftarbeiter im Krieg sind, übernehmen Frauen ihre Arbeitsplätze, leisten auch schwere körperliche Arbeit. Tagsüber arbeiten die Frauen für die amerikanische Marine, nach Dienstschluss haben sie sich wieder den Normen jener Zeit zu unterwerfen. Eine unverheiratete Frau kann auf keinen Fall allein wohnen, bekräftigt Annas Mutter, als sie selbst New York verlassen will. Anna spielt das Maskottchen ihres Teams, ist respektlos und unpünktlich, als wolle sie ihre Entlassung provozieren. In einem Hafen ließe sich sicher auch anders Geld verdienen; Anna weiß nur noch nicht wie. Als sie den ersten Marinetaucher mit einem Kugelhelm sieht, malt sie sich dessen Arbeit unter Wasser aus und fragt sehnsuchtsvoll: „Ob sie uns das je erlauben?“ Berufstaucher bergen Leichen aus den Hafenbecken, Schrott aus den Schifffahrtsrinnen und führen unter Wasser Reparaturen an Schiffen aus. Obwohl Frauen für den Job nicht erwünscht sind, bewirbt Anna sich. Die Macht, eine wichtige Tätigkeit zu beherrschen und davon erzählen zu können, wird sie nicht wieder loslassen. Auch die Familie Styles bleibt vom Zweiten Weltkrieg nicht unberührt. Ihr Neffe wartet gerade auf seine Einschiffung nach Europa. Ein möglicher U-Boot-Krieg könnte direkt vor ihrem Haus stattfinden an der Einfahrtsrinne nach Manhattan.


    Jennifer Egan berichtet im Interview, sie hätte für Manhattan Beach mit Zeitzeugen gesprochen und ihre Briefe gelesen. Die Figur einer Frau als Marinetaucherin mit kiloschwerer Ausrüstung sei rein fiktiv, weitergesponnen aus der Notwendigkeit, dass Frauen im Zweiten Weltkrieg Männerarbeiten übernehmen mussten.


    Von „Manhattan Beach“ hatte ich erwartet, Anna als Berufstaucherin würde im Mittelpunkt stehen. Die Handlung entwickelte sich zwar anders als erwartet, aber für mich doch zu einem großartigen historischen New-York-Roman mit Anna als Verbindung gegensätzlicher Milieus. Sie stand mit einem Bein in der kriegswichtigen Wirtschaft, mit dem anderen auf Seiten der Unterwelt-Clans und ihrer Geheimnisse. In diese Welt irischer Gewerkschafter, italienischer Mafiosi und New Yorker Geschäftsleute führt Jennifer Egan ihre Leser und lässt ihre Figuren auf beiden Seiten einträgliche Geschäfte machen. Wie die Anfangsszene mit Dexter Styles bereits vermuten ließ, werden sich die Wege der Beteiligten noch einmal kreuzen. Die symbolische Bedeutung des Tauchens in die „Unterwelt“ für Anna erschließt sich am Ende ebenso wie die Rolle Eddies.


    Fazit

    Dass die Autorin Figuren einfach verschwinden lässt und mich im Unklaren darüber lässt, ob ich sie noch im Kopf behalten sollte, ist bei umfangreichen Romanen nicht mein Fall. Von dieser Hürde abgesehen, hat Egan mich mit ihrer peniblen Recherche und dem Schauplatz Marinewerft sofort eingefangen. Da die Spoilergefahr bei diesem Roman groß ist, sollte man sich einfach überraschen lassen, ohne vorher zu viel über „Manhattan Beach“ zu lesen.


    8 von 10 Punkten


  • Dünne Story, dickes Buch



    Himmel - ich habe eine echte Ewigkeit gebraucht, bis ich endlich diesen Lesereindruck verfasse.


    Der Grund dafür ist, dass ich unwahrscheinlich lange an diesem Buch gelesen habe, mit großen Pausen dazwischen, was leider kein Kompliment ist.


    Ich muss gestehen, dass ich richtig traurig bin, dem Buch nur sechs von zehn Sternen zu geben, denn im Grunde hat es einiges, was mir gut gefällt: Der Stil der Autorin ist zum Beispiel interessant. Sie ist an vielen Stellen kreativ, gar poetisch, aber dennoch leider nicht so sehr, dass es mich vom Hocker reißt. :-/ Trotzdem möchte ich den Stil als angenehm hervorheben.


    Was mir ebenfalls gefiel, war der feministische Touch der Story. Die Tatsache, dass Berufe, die Frauen sonst ausgeredet wurden/werden, in Kriegszeiten eben ganz selbstverständlich von ihnen übernommen werden, macht man sich nur selten bewusst. (Schweißerinnen etc.)


    Mir gefiel auch, wie die Behinderung der Schwester thematisiert wurde und ich mochte die erotischen Beschreibungen zwischen Anna und Dexter, die nicht verhuscht und emotional interessant waren.


    ABER.


    Jetzt kommt mein Aber ... Ich bin, fürchte ich, mit allzu hohen Erwartungen an das Buch herangegangen. Ich wusste, dass Jennifer Egan Pulitzer-Preisträgerin ist, mich hatte das Metier des Buchs interessiert, ich erwartete einen dicht gewebten Roman, komplex und tiefgehend.


    Was ich dann gelesen habe, war zwar ein dickes Buch, aber eine dünne Geschichte. :-/ Ehrlich - ich hab mich gequält.


    Wie gesagt - das tut mir richtig leid, weil ich mir viel von dem Roman versprochen habe, aber nur eine im Grunde sogar recht seichte Geschichte erzählt wurde, angereichert zwar mit Atmosphäre und einen ansprechendem Stil, aber irgendwie war es für mich wie ein winziges Bonbon in einem überdimensionierten Geschenkkarton zu suchen.


    Zu viel Drumrum für zu wenig Drin. Schade. :-/