Christian Dittloff: Das weiße Schloss

  • Christian Dittloff: Das weiße Schloss

    Berlin Verlag 2018. 304 Seiten

    ISBN-10: 3827013852

    ISBN-13: 978-3827013859. 22€


    Verlagstext

    Sie sind ein glückliches Paar. Ada und Yves haben sich für ein Kind entschieden, doch fürchten sie die Unvereinbarkeit von Liebe, Karriere und Erziehung. Deshalb nehmen sie am Prestigeprojekt des Weißen Schlosses teil, wo Leihmütter Kinder fremder Eltern austragen und aufziehen, alles sozusagen Bio und Fair Trade. Elternschaft ist hier Beruf, überwacht und gelenkt von einem alles kontrollierenden Apparat. Der Nachwuchs kann jederzeit besucht werden. Über neun Monate zeigt der Roman die beiden auf dem Weg zum eigenen Kind, folgt den Veränderungen ihres Selbstbilds und ihrer Beziehung. Im Stile von Kazuo Ishiguros »Alles, was wir geben mussten« stellen sich wichtige Fragen unserer Zeit in eigener Versuchsanordnung: Ab wann ist Bindung ein Verlust von Freiheit? Was ist Familie? Sind die tradierten Rollenbilder von Mutter und Vater verhandelbar? Spielerisch erreicht »Das Weiße Schloss« eine stilistische Größe sowie eine gedankliche Tiefe voller literarischer Verweise und Fragestellungen und wird so zu einem fulminanten Gewebe von transzendenter Leuchtkraft.


    Der Autor

    Christian Dittloff, geboren 1983 in Hamburg, studierte Germanistik und Anglistik in Hamburg. Während des Studiums arbeitete er in einer Psychiatrie sowie als Kulturjournalist in allen Formaten von Print bis Podcast. Anschließend studierte er Literarisches Schreiben in Hildesheim. Seit 2014 ist er Social Media Manager für die Komische Oper Berlin. Christian Dittloff lebt, arbeitet und schreibt in Berlin. »Das Weiße Schloss« ist sein erster Roman.


    Inhalt

    Ada und Yves leben in einer Modellsiedlung. Eine autofreie Grasdachsiedlung mit Komposttoiletten hätte ich mir gern vorgestellt, würde Ada nicht im Cabrio unterwegs sein. Das Paar ist in einem besonderen Auswahlverfahren erwählt worden, ihr Kind von einer Leihmutter zur Welt bringen zu lassen und es von ihr anschließend im Weißen Schloss aufziehen zu lassen. Die Tragemütter versorgen die Kinder normalerweise vier Jahre lang, Ada und Yves haben jedoch 6 Jahre gebucht. Kinder, die hier implantiert und geboren werden, werden einmal drei Elternteile haben.


    Ada ist gelernte Marketing-Fachfrau und arbeitet als „Nadelöhrlady“ im Amt für Gesellschaftserweiterung. Vermutlich entscheidet sie über Einwanderungsanträge, und sie sucht selbst aktiv Menschen, die in die schöne utopische Welt des Christian Dittloff passen würden. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Suche nach neuen Zeugungsmethoden und Konzepten von Elternschaft. Maria, die Tragemutter, wurde sorgfältig ausgewählt, passend zu einem Bildhauer und Restaurator als Vater des geplanten Kindes.


    Eingeschoben sind kurze Kapitel u. a. über Oscar Hertwig, der vor 100 Jahren wichtige Erkenntnisse zum Befruchtungsvorgang gewonnen hat, über eine Kinderwunschklinik in der Ukraine (wo Leihmutterschaft und Eizellspende anders als in Deutschland erlaubt sind) und über die englische Mathematikerin Ada Lovelace. Die Figur der Ada Lovelace wirft die Frage auf, ob unsere Welt heute eine andere wäre, wenn Lovelace keine Kinder gehabt und nicht bereits mit 36 Jahren verstorben wäre.


    Christian Dittloff entwickelt mit Focus auf das Elternpaar ein Szenario, in dem einige wohlhabende Eltern Schwangerschaft und erste Lebensjahre ihres Kindes so perfekt wie möglich optimieren, komplett an Hilfskräfte auslagern und dafür hohe Kosten zu tragen bereit sind. Ein Reproduktionstourismus scheint unausweichlich, ebenso die Ausbeutung von Frauen, die als Tragemutter ihren Lebensunterhalt verdienen. Yves ist es, der darüber nachdenkt, ob die Tragemutter, die sie gebucht haben, sich ihr Leben wirklich so vorgestellt hat. Wer Adas und Yves Weg zur Elternschaft folgt, könnte sich fragen, warum sie überhaupt ein Kind wollen. Weil sie es sich finanziell leisten können – oder ist es ein weiteres Lifestyleprojekt? Ihre Motive und die mit Kinderwunsch verbundenen Emotionen fand ich etwas zu karg dargestellt, so dass ich im Roman lange keine Spannungskurve ausmachen konnte. Der Auftritt von Nebenfiguren ließ die Spannung leicht anziehen; denn an Adas Arbeitsplatz muss auch darüber entschieden werden, ob Frauen im reproduktionsfähigen Alter eingestellt werden sollen. Lebensentwürfe, wie wir sie kennen, wirken in Adas Biotop altmodisch, sie werden bei Adas Schwester und dem Paar im Nachbarhaus angedeutet.


    Fazit

    Dittloffs Utopie lenkt den Blick auf die verschleiernde Wirkung von Euphemismen; z. B. mit den Begriffen Leihmutter/Tragemutter. Seine Sprache wirkt streckenweise sehr sperrig, wenn sich Figuren sogar in der wörtlichen Rede höchst gewählt ausdrücken. Diese Sprache verbirgt Emotionen, die wir in der Gegenwart von werdenden Eltern gewohnt sind, und rundet damit das Bild einer Generation im Optimierungswahn ab. Wer einige Titel aus Dittloffs Literaturverzeichnis kennt, wird nicht nur deren Einfluss auf den Roman erkennen, sondern auch die Grenze zwischen Utopie und Realität. Trotz des fehlenden Spannungsbogens fand ich in seiner Utopie eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit Mutterschaft, Elternschaft und den Grenzen des Möglichen.


    8 von 10 Punkten


    Das Buch habe ich bewusst nicht unter Science Fiction/Utopien gestellt, weil es nach meiner Einschätzung nichts darstellt, das heute nicht bereits medizinisch möglich ist, die Abläufe sind nur in Deutschland so nicht erlaubt.