Delphine de Vigan: Loyalitäten

  • Delphine de Vigan: Loyalitäten

    DuMont Buchverlag 2018. 176 Seiten

    Sprache: Deutsch

    ISBN-10: 3832183590

    ISBN-13: 978-3832183592. 20€

    Originaltitel: Les loyautés

    Übersetzerin: Doris Heinemann


    Verlagstext

    Der 12-jährige Théo ist ein stiller, aber guter Schüler. Dennoch glaubt seine Lehrerin Hélène besorgniserregende Veränderungen an ihm festzustellen. Doch keiner will das hören. Théos Eltern sind geschieden und mit sich selbst beschäftigt. Der Junge funktioniert und kümmert sich um die unglückliche Mutter und den vereinsamten Vater. Um ihren Sohn müssen sie sich keine Sorgen machen. Doch Théo trinkt heimlich, und nur sein Freund Mathis weiß davon. Der Alkohol wärmt und schützt ihn vor der Welt. Eines Tages wird ihn der Alkohol ganz aufsaugen, das weiß Théo. Doch wer sollte ihm helfen? Hélène, seine Lehrerin, würde es tun, wie aber soll das gehen, ohne dass er die Eltern verrät? Mathis beobachtet das alles voller Angst. Zu gerne würde er sich seiner Mutter anvertrauen, allerdings ist Théo sein einziger Freund. Und einen Freund verrät man nicht. Außerdem würde er damit auch demjenigen in den Rücken fallen, der den Minderjährigen den Alkohol besorgt. Und der ist es, der das gefährliche Spiel in dem schneebedeckten Park vorschlägt, bei dem Théo bewusst den eigenen Tod in Kauf nimmt.

    Wer möchte nicht denen gegenüber loyal sein, die er liebt? In ihrem neuen Roman erzählt Delphine de Vigan von der manchmal gefährlichen Komplexität unserer menschlichen Beziehungen. Dabei erweist sie sich einmal mehr als unbestechliche Chronistin zwischenmenschlicher Missstände.


    Die Autorin

    Delphine de Vigan, geboren 1966, erreichte ihren endgültigen Durchbruch als Schriftstellerin mit dem Roman ›No & ich‹ (2007), für den sie mit dem Prix des Libraires und dem Prix Rotary International 2008 ausgezeichnet wurde. Ihr Roman ›Nach einer wahren Geschichte‹ (2016) stand wochenlang auf der Bestsellerliste in Frankreich und erhielt 2015 den Prix Renaudot. 2017 erschien ihr Debütroman ›Tage ohne Hunger‹. Die Autorin lebt mit ihren Kindern in Paris.


    Inhalt

    Théo und seinen Freund Mathis könnte man für Zwillinge halten, so nahe stehen die Zwölfjährigen sich. Eine raffinierte Symbiose verbindet einen Jungen, der Schutz sucht, mit einem, der ihm diesen Schutz im Tausch gegen Loyalität zu bieten hat. Theo ist ein Kofferkind, das zwischen seinen getrennt lebenden Elternteilen hin und her pendelt. In keiner seiner Welten findet Theó Rückhalt. Seine Mutter benutzt ihn als Pfand im Kleinkrieg gegen ihren Ex-Partner und Théos Vater gleitet in einer Beziehung zu einer komplizenhaften Partnerin zusehends in Alkohol und Gleichgültigkeit ab. In letzter Zeit haben Théo und Mathis begonnen, gemeinsam in einem Versteck Alkohol zu trinken. Théo will den Vater unbedingt schützen, damit seine Mutter keinen neuen Sorgerechtsstreit vom Zaun bricht. Der Schulkrankenschwester fällt zuerst auf, dass Théo schlecht aussieht, und sie nähert sich ihm zunächst sehr zurückhaltend. Lehrer und andere Betreuer denken inzwischen außer an übermäßiges PC-Zocken vermutlich an häusliche Gewalt oder Missbrauch, wenn Kinder in sich gekehrt wirken und ihnen so offensichtlich ausweichen wie Theó. Hélène, die Lehrerin des Jungen, ist durch eigene Erlebnisse sensibilisiert. Wie und warum Kinder sich aus Scham unsichtbar machen möchten, weiß sie nur zu genau. Leider findet Hélène keine Unterstützung bei ihrem Direktor, der die Dinge so sieht, wie er sie gern hätte, und sicher das Ansehen der Schule nach außen schützen will. Als ältere Jugendliche die Jüngeren zu einer gefährlichen Mutprobe verführen, liegt die ganze Verantwortung auf Mathis Schultern.


    Fazit

    Erzählt wird abwechselnd in der Ich-Form von Hélène und Mathis Mutter Cécile und aus der Sicht eines neutralen Erzählers in der dritten Person über Mathis und Théo. Nicht nur Mathis und Théo befinden sich in einem Loyalitätskonflikt, sondern auch die Erwachsenen und die Schule als Institution. Den Buchtitel finde ich daher ausgesprochen treffend gewählt. Delphine de Vigan kennt die Situation ihrer jugendlichen Figuren aus eigener Erfahrung. Sie weiß, wie Kinder versuchen, selbst erwachsen zu handeln, um ihre suchtkranken oder gewalttätigen Eltern zu schützen und die Familie irgendwie zusammenzuhalten. Falsch verstandene Loyalität ist de Vigans ganz persönliches Thema. In einem bewegenden, prägnanten Text, der beinahe zu kurz wirkt, blickt sie hinter die Fassade der betroffenen Familien und kritisch auf das System Schule, das einige Schüler durchs Raster fallen lässt.


    9 von 10 Punkten

  • Théo Lubin ist erst zwölfeinhalb Jahre alt und hat bereits ein Alkoholproblem. Seine Eltern haben sich scheiden lassen. Nun kümmert sich der Junge um die unglückliche Mutter und den vereinsamten Vater. Théos Lehrerin Hélène bekommt mit, dass etwas mit dem stillen Schüler nicht stimmt. Doch ihre Beobachtungen nimmt niemand so richtig ernst. Auch Thèos Freund Mathis Guillaume weiß nicht, was er tun soll, denn sein eigener älterer Bruder besorgt den Alkohol und plant ein gefährliches Spiel, das Théo das Leben kosten könnte…


    „Loyalitäten“ ist ein berührender Roman von Delphine de Vigan.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus einigen kurzen Abschnitten. Im Wechsel werden die Kapitel aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt: Lehrerin Hélène (Ich-Perspektive), Théo, Mathis und Cécile (ebenfalls Ich-Perspektive). Dieser Aufbau ist gut durchdacht.


    Der besondere Schreibstil ist eindringlich, einfühlsam und gleichzeitig intensiv. In sprachlicher Hinsicht tritt das ganze Können der Autorin zutage. Schnell entfaltet die Geschichte eine Sogwirkung, der ich mich nur schwer entziehen konnte, sodass ich das Buch nur ungern zur Seite gelegt habe.


    Die Charaktere wirken sehr lebensnah, haben sie doch alle ihre Ecken und Kanten. Durch den Perspektivwechsel kann man sich gut in sie hineindenken und ihr Verhalten nachvollziehen.


    Auch inhaltlich konnte mich der Roman überzeugen, denn trotz der eher wenigen Seiten mangelt es ihm nicht an Tiefgang. Eine Stärke ist es, dass gesellschaftskritische Komponenten nicht fehlen. Dabei geht es nicht nur um die Alkoholkonsum von Minderjährigen. Auch wichtige zwischenmenschliche Aspekte wie Liebe, Treue, Vertrauen, Schuld und andere Verflechtungen werden beleuchtet. Dabei dreht es sich um die Folgen der Loyalitäten, jene unsichtbare Verbindungen, die alle Personen betreffen. Dadurch regt die Geschichte zum Nachdenken an.


    Trotz der ernsten Themen wird die Handlung nicht langweilig, sondern bleibt bis zum Ende spannend und fesselnd. Zudem gelingt es der Autorin, mit der Geschichte zu bewegen und betroffen zu machen.


    Das schlichte, aber ansprechende Cover und der kurze, prägnante Titel, der sich stark am französischen Original („Les loyautés“) orientiert, passen nach meiner Ansicht dazu hervorragend.


    Mein Fazit:

    „Loyalitäten“ von Delphine de Vigan ist ein gelungener Roman über Themen, die uns alle angehen. Eine empfehlenswerte Lektüre, die nachdenklich macht und noch eine Weile bei mir nachklingen wird.


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