Sven Stricker: Sörensen fängt Feuer

  • Sörensen macht süchtig


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    Nur nochmal kurz zur Klarstellung: Sven Stricker schreibt KEINE Regionalkrimis. Er schreibt großartige Romane über das Leben. Romane, die zuweilen in Nordfriesland spielen und in denen dann zufällig auch ein paar Morde passieren - und aufgeklärt werden.

    Vom Sörensen.

    Von wem auch sonst?

    Seit den Vorfällen in "Sörensen hat Angst" sind drei Monate vergangen. Der 42 Jahre alte und unter einer Angststörung leidende Kriminalist hat einen kurzen Abstecher in die alte Heimat, nach Hamburg, gemacht, aber er hat dabei schnell gemerkt, dass das nordfriesische Katenbüll hinterm Koog jetzt sein Zuhause ist, obwohl oder vielleicht auch gerade weil ihn dort nur wenige Leute mögen (aber mehr als in Hamburg), denn immerhin verdankt das trübe, verregnete Kaff seine zweifelhafte Popularität dem psychisch lädierten Kriminalkommissar und dessen rigoroser Aufklärungsarbeit. Seit dem Bekanntwerden der spektakulären Ermittlungsergebnisse besuchen immer wieder Katastrophentouristen den Ort, aber sonst kommt keiner mehr.

    Sörensen will seine Medikamente absetzen und sein Leben jetzt so richtig in den Griff bekommen. Dafür macht er auch eine Therapie, in einer psychotherapeutischen Praxis nicht weit weg vom Marktplatz, wo sich die Polizeiwache und der unvermeidliche Stand von Käse-Käthe befinden.

    Jette ist blind und vermutlich um die zwanzig - so ganz genau kennt sie ihr Alter selbst nicht. Denn sie lebt in einem Keller, und das schon so lange, wie sie denken kann, aber an diesem Abend ist etwas anders. Nachdem ihr der gottesfürchtige Papa das Abendessen gebracht und mit ihr gebetet hat, vergisst er nämlich erstmals, die Kellertür wieder abzuschließen. Nach einiger Zeit des atemlosen Abwartens bricht Jette auf, tritt die Flucht an, obwohl sie absolut nichts über die Welt draußen weiß. Nur mit einem Nachthemd bekleidet, rennt sie barfüßig hinaus in die nächtliche Dezemberkälte, stolpert über Wiesen und Äcker, bis sie auf eine Straße trifft, wo sie ausgerechnet von Ole aufgelesen wird, den wir schon aus dem ersten Sörensen-Roman kennen: Der freundliche, aber etwas verpeilte Siebzehnjährige mit den Rastalocken, der eigentlich Profigitarrist werden will, im Moment aber ganz andere Sorgen hat. Und Ole bringt die frierende, verängstigte junge Frau sofort zur einzigen Person, der er wirklich vertraut, nämlich zu Sörensen. Der am nächsten Tag tatsächlich Jettes Heim findet, und dort dann auch die erste Leiche des Romans.

    In "Sörensen fängt Feuer" geht es um den Glauben - Jettes vermeintlicher Vater lebte in einer sektenähnlichen Gemeinschaft -, um die eigene Position in der Welt, um Scheinheiligkeit, Macht, Schutzbedürfnisse und um Manipulation (und die, mit Verlaub, ziemlich lahme Mucke von Gil Scott-Heron). Es geht aber vor allem um den schrulligen, liebenswürdigen, irgendwie weisen, auf skurrile Art schüchternen, eigentlich aber schlagfertigen Sörensen, der sich eine ganze Menge Gedanken macht - und sie glücklicherweise mit uns teilt, was nicht selten zu Aha- beziehungsweise Das-kenne-ich-auch-Erlebnissen führt. Was sein direktes Umfeld anbetrifft, ist er allerdings nicht besonders mitteilsam, und so müssen wir beispielsweise auf die überfällige zaghafte Annäherung zwischen Kollegin Jenni Holstenbeck und ihm bis zum fulminanten und äußerst amüsanten Epilog warten. Aber dieses Warten lohnt sich, weil "Sörensen fängt Feuer" ein kluger, spannender, origineller, tragikomischer und fesselnder Roman über einen besonderen Typen - Sörensen - und dessen Entwicklung ist, eine tolle Geschichte über Selbstfindung und nicht nur nebenbei auch ein ziemlich guter Kriminalroman.


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