Pascal Mercier - Der Klavierstimmer

  • Kurzbeschreibung:
    Die Zwillinge Patrice und Patricia werden überraschend aus Paris bzw. Chile nach Hause gerufen, da ihr Vater verhaftet worden ist. Ihm wird vorgeworfen, bei einer Opernaufführung auf offener Bühne den Tenor erschossen zu haben. Hat der besonnene, ruhige Mann, der ganz in seinem Beruf als Klavierstimmer aufging, und dem die Musik die Welt bedeutet, tatsächlich diese Tat begangen?


    Die Zwillinge wollen die ganze Wahrheit herausfinden und so beschließen sie, daß jeder seine Eindrücke in einem eigenen Tagebuch aufschreiben soll, das sie am Ende austauschen wollen.


    Für den Leser entwickelt sich in diesen Aufzeichnungen jeweils aus weiblicher und männlicher Sicht eine unglaubliche Spannung. Die verschiedenen Blickwinkel, die enge Beziehung der Zwillinge untereinander sowie zu ihren Eltern, geben Einblicke in ein grausames Familiendrama, das sich stückweise in seiner ganzen Dramatik enthüllt.


    Meine Meinung:
    Ein sehr vielschichtiges Buch mit mehreren Handlungssträngen. Das Thema Nähe und Abgrenzung habe ich noch nirgends so intensiv behandelt gefunden und an der tragischen Familiengeschichte hätte Hellinger seine Freude gehabt. Auch die Musik kommt nicht zu kurz, es wäre allerdings gut, wenn man ein bißchen Interesse und/oder Wissen mitbringt beim Lesen.
    Mein Lesefluss war sehr unterschiedlich, manche Seiten habe ich verschlungen, auf anderen musste ich wieder viele Sätze einzeln überdenken - man merkt, dass der Autor Philosophieprofessor ist.
    Alles in allem ein sehr spannendes Buch mit Tiefgang, das stellenweise ein wenig Geduld erfordert.


    (Außerdem war diese meine erste Buchrezension hier *schwitz*)

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • Danke, Taschenbuch, für die Rezension! Um dieses Buch schleiche ich ja schon seit Jahren jedes mal rum, wenn ich in der Musikhandlung Noten kaufe (ja, die haben da auch ein paar belletristische Werke und Biographien). Aber ich denke, beim nächsten Mal muß es mit!

  • Ich bin durch Toms Rezi zu "Nachtzug nach Lissabon" auf diesen Autor neugierig geworden, habe mich dann aber für dieses Buch entschieden, weil mir die Thematik "Musik" näher lag und ich mir dachte, wenn schon ein nicht ganz leicht zu lesendes Buch, dann eins zu einem Thema, mit dem ich etwas anfangen kann.


    Die Entscheidung war goldrichtig. Das Buch (und ich vermute, der Autor überhaupt) ist nichts, was sich mal eben so wegliest. Die ersten 50 oder 100 Seiten habe ich immer wieder etwas ängstlich geguckt, wie viele Seiten mich denn da noch erwarten, und mich gefragt, ob ich das wirklich durchhalte. Zumal das eigentliche Thema - der Mord an dem italienischen Tenor - anfangs überhaupt keine Rolle spielte, sondern es ging ewig um die Beziehung des Zwillingspäärchens untereinander und um die Grenzüberschreitungen, die zwischen den beiden stattgefunden haben. Eher unbequem zu lesen, muss ich zugeben.


    Mühsam fand ich zunächst auch, dass die ganze Geschichte von hinten aufgerollt wird und es eine ganze Weile dauert, bis sich die ersten Puzzlesteinchen zusammenfügen. Ich glaube, ich mag solche Bücher nicht so besonders... vielleicht, weil ich nicht sehr geduldig bin und es auch im RL nicht mag, wenn jemand mich hinhält und mir etwas nicht oder nur bröckchenweise erzählt.


    Aber irgendwann hatte mich das Buch in seinen Bann geschlagen, ich hatte genügend verstanden, um zu wissen, wo es ungefähr hin ging, und dann musste ich weiterlesen. Was aber ganz sicher maßgeblich auch an der fantastischen Sprache liegt. Die Sätze sind beileibe nicht einfach gebaut, die Absätze sind lang, und man hat wie bei knusprigem Vollkornbrot ordentlich was dran zu kauen, aber der Stil ist trotzdem gut verdaulich und eine Freude zu lesen.


    Dass ich die Welt der Musik ganz gut kenne, hat mir durchaus geholfen. Ich denke aber, dass man auch sonst gut mit dem Buch zurechtkommen kann - anders als z.B. bei Richard Powers, wo die Musik selbst noch stärker die Handlung und die Beschreibungen bestimmt. Froh war ich allerdings über meine Französischkenntnisse, denn manche recht entscheidenden Sätze und Wendungen standen lediglich in Französisch (da die Familie aus der Welschschweiz, sprich Genf, stammt), ganz ab und zu sogar in Spanisch (weil der Zwillingsbruder, Patrice, zeitweise in Chile lebt). Hätte ich die nicht verstanden, hätte ich mich doch gefragt, ob mir da nicht manches verloren ging. Andererseits ist das Buch so dicht... da sind so viele tiefgründige Überlegungen, Gedankengänge drin, die ich sicher nicht alle im Einzelnen nachverfolgt habe, und wenn jemand anders die versteht, dafür aber das Französische nicht, dann bleibt immer noch genügend übrig.


    Dass der Autor selbst Schweizer ist, merkt man seinem Deutsch praktisch nicht an, bis auf vielleicht zwei oder drei Stellen im ganzen Buch, an dem das Schweizerdeutsche durchschimmert.


    Also: Ich empfehle das Buch der schönen Sprache und der Sogwirkung der Handlung wegen, aber wer es in die Hand nimmt, sollte genügend Geduld/Muße mitbringen, um sich darauf einzulassen.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Dieses Buch ist auf alle Fälle lesenswert, wie auch Lea von Pascal Mercier.
    Dadurch, dass es in zwei Sichtweisen erzählt wird, ist es teilweise etwas verwirrend, jedoch gibt es genügend Zusammenhänge.
    :lesend
    lg
    Lina

  • Eines meiner letzten Bücher in diesem Jahr war zugleich eines der intensivsten und anspruchsvollsten, das meine Konzentration und Geduld ordentlich gefordert hat. Entgegen meiner Gewohnheit brauchte ich in diesem Buch spätestens nach 30 min eine Lesepause, um das Gelesene zu verdauen und wieder aufnahmefähig zu werden. Anfangs ist "Der Klavierstimmer" sperrig, wenn es vor allem um die intensive Beziehung der beiden Zwillinge geht, auch ist die Erzählweise fordernd und verlangt viel Aufmerksamkeit. Ab der Hälfte allerdings wird dieses Werk zugänglicher und für mich persönlich auch interessanter, wenn der Vater in den Mittelpunkt rückt und man überhaupt einiges über vergangene Familiengenerationen erfährt und die Puzzleteile langsam an ihren Platz rücken. Gerne hätte ich mehr über die Zeit im Waisenhaus gelesen, auch die problematische Beziehung der Mutter zu ihrem Vater war mir etwas zu kurz behandelt. Sprachlich ist das Buch wieder auf dem gewohnt hohen Niveau von Mercier, das mich immer wieder erstaunt und begeistert. Auch wenn ich inhaltlich nicht immer ganz begeistert war und mich die fehlende Übersetzung mancher französischer Sätze gestört hat, bin ich doch froh, dieses Werk gelesen zu haben und werde wohl noch in Gedanken eine Weile daran knabbern.

  • Ja, Mercier ist relativ anspruchsvoll. Aber es lohnt sich! Wenn man sich erstmal in seine Art zu schreiben und zu beschreiben reingefunden hat - was mir persönlich nicht schwer fällt - sind alle seine Roman absolut lesenswert.
    Dieser war der letzte den ich gelesen habe, und da ich Mercier schon kannte, konnte ich mir teilweise schon vorstellen, was mich erwartet. Dennoch: Es gibt so viele Überraschungen in diesem Buch. Am Anfang gibt es so viele Rätsel und Stück für Stück fügt sich alles immer mehr zusammen.
    Ich war erst etwas skeptisch, da es abwechselns von Patrice und Patricia geschrieben wird - aber die Doppelungen, die es gibt, sind nicht langweilig - im Gegenteil.
    Sehr einfühlsamn beschreibt Mercier die Beziehung der Zwillinge, aber auch die Beziehung der beiden zu ihren Eltern und auch, wie es zu dir Tat gekommen ist.
    Auf dem Buchrücken steht der Begriff "Buddenbrooks unserer Zeit" - und er passt auch denke ich. Die Geschichte einer ganzen Familie wird erzählt - nicht nur einer Generation.


    Für mich ist das Buch absolut lesenswert und ich würde es auf jeden Fall weiterempfehlen.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • "Der Klavierstimmer" gleicht einer schweren Kost. Ich las das Buch mit einigen Tagen Pause dazwischen und es fiel mir schwer, wieder in die Geschichte einzusteigen. Pascal Mercier hat einen ausgezeichneten Schreibstil und dennoch wirkt die Handlung verworren und in die Länge gezogen.
    Ich persönlich würde das Buch nicht weiterempfehlen.
    :rolleyes