Nauru. Die verwüstete Insel - Luc Folliet

  • Wie der Kapitallismus das reichste Land der Erde zerstörte


    Nachdem ich dieses Buch gelesen hatte, musste ich erst mal googeln, ob es dieses dubiose Nauru überhaupt gibt, klingt doch diese Reportage wie eine haarsträubende Dystopie, wie eine Geschichte, die sich nur ein resignierter, ausgebrannter Bestsellerautorausdenken kann, dem sonst nichts mehr einfällt.


    Aber doch, dieses Land gibt es tatsächlich, ein 21 qkm großes Eiland mitten im Pazifik, mit 19 km asphaltierter Straße und 9000 Einwohnern die drittkleinste Republik der Welt. Einst britische Kolonie, später unter australischer Verwaltung, besitzt die kleine Insel keinerlei Rohstoffe außer einem: Phosphat. Die ganze Insel ist ein einziger Berg prähistorischer Vogelscheiße, die dann auch eifrig von Briten und Australiern ausgebeutet wurde. Mit der Unabhängigkeit Naurus bricht dann der Wohlstand über Nauru herein: Der Phosphatexport finanziert nicht nur das komplette Gemeinwesen, sondern auch den Lebensunterhalt der Einwohner. Plötzlich hat Nauru das zweitgrößte BIP der Welt, die Naruer verprassen hier Geld für Heimelektronik und Monsterjeeps, mit denen sie auf dem winzigen Straßennetz der Insel herumcruisen. Die korrupte Regierung wiederum gebärdet sich finanzkapitalistisch, finanziert Hochhäuser in Australien, Luxushotels in Fidschi und dubiose Banken, die Schwarzgeld aus der ganzen Welt waschen.
    Bis dann die ganze Blase platzt: das Phosphat der Insel geht zur Neige, die waghalsigen Auslandsinvestitionen entpuppen sich als Geldvernichtungsanlagen, schließlich brechen die Banken zusammmen, das Land ist bankrott. Zurückbleibt eine ruinierte Insel mit völlig verarmten Bewohnern, ein ökologisches und ökonomisches Desaster.


    Moment, das hat man doch schon einmal gehört! Größenwahnsinnige Banken, ruinöse Fluggesellschaften, eine Steueroase, die schmutziges Geld aus der ganzen Welt anzieht und eine Bevölkerung, die abends ihre Monsterjeeps durch die Gegend fährt. Eine Insel, die wegen eines märchenhaften Wirtschaftswachstums von der Welt bestaunt wird, und deren Traum vom schnellen Geld mit Pauken und Trompeten zusammenbricht: auch wenn vieles auf Nauru anders war, diese Geschichte hat mich an vielen Stellen ob der Ähnlichkeit mit dem Kollaps Islands erstaunt.


    Es ist ein Lehrstück, wie ein vorher einigermaßen intaktes Gemeinwesen durch individuelle Gier, aber auch Sorglosigkeit und grenzenlosen Konsumdrang zerstört wird. Wie Geld korrumpiert, wie Wachstum nur auf Kosten der Natur funktionieren kann.


    Trotzdem ist dieses Buch keine weinerliche Kapitalismuskritik, sondern eine immer wieder überraschende kleine Landeskunde, eine spannende Reportage vom Arsch der Welt, aber auch eine düstere Vision, was passieren mag, wenn Ressourcen ungehemmt verschleudert werden. Nauru ist weit, weit weg, winzig, die Entwicklung vollzog sich im Zeitraffer, aber dennoch besteht kein Grund zu glauben, dass uns so etwas nicht auch passieren könnte.


    Absolut empfehlenswert, die Bundeszentrale für politische Bildung sollte dieses Buch gratis verteilen!

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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  • Ah, vielen für die Rezi. Das Buch war mir schon aufgefallen. Du schreibst "spannende Reportage" – also wird es sich wohl gut weglesen lassen.
    Geht es denn hauptsächlich ums große Ganze oder werden auch Einzelschicksale geschildert?

  • Einzelschicksale werden, wenn überhaupt, nur nebenbei mal erwähnt. Es geht eher um die politischen Zusammenhänge, aber auch um die vielfältigen Effekte, die dieser Aufstieg und anschließende Zusammenbruch für die Bevölkerung hatte. Eine Draufsicht, sozusagen.


    Spannend fand ich es auf alle Fälle, gerade weil die Vorgänge dort unfassbar und trotzdem so zwangsläufig waren.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)