Julian Barnes - Unbefugtes Betreten

  • Titel: Unbefugtes Betreten
    Titel der Originalausgabe: Pulse
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch, Köln
    Erscheinungsjahr: 2012
    Übersetzerin: Thomas Bodmer, Gertraude Krueger
    Seitenzahl: 292


    Also wirklich, diese Erzählungen oder Kurzgeschichten von Julian Barnes sind ungewöhnlich. Intelligent, meist in ruhigem Ton mit hier und da aufblitzendem Humor erzählt, hier und da auch in sehr saloppem Ton, oft verbunden mit hintergründigen Gedanken.
    Subtile, genaue Beobachtungen verschiedener Lebenssituationen, sehr fein ausgearbeitete Nuancen der Stimmungen, die die Figuren erleben, werden an ganz einfache, alltägliche Dinge geknüpft und so begreifbar. Thematisch gesehen ranken sich alle Erzählungen im ersten Teil um die Liebe zwischen Frau und Mann, und in jeder der kurzen Erzählungen steckt mehr dahinter, als es zunächst scheint.
    Die (großen) Fragen, die uns immer wieder beschäftigen werden - manchmal auf dem aktuellen politischen Hintergrund, manchmal verbunden mit einem Rückblick in vergangene Zeiten, manchmal nüchtern und manchmal melancholisch aufgeworfen. Die Antworten sind vielfältig, so vielfältig wie die Menschen selbst.


    Nicht unerwähnt lassen möchte ich den interessanten Aufbau des 1.Teils:


    Kurzgeschichte
    Intermezzo: Bei Phil und Joanna 1
    Kurzgeschichte,
    Intermezzo: Bei Phil und Joanna 2
    Kurzgeschichte
    Intermezzo: Bei Phil und Joanna 3
    Kurzgeschichte
    usw.


    Die Kurzgeschichten sind unabhängig voneinander, stehen jede für sich. Und doch sind sie jede eine Facette eines Panoramas. Die Intermezzi sind Gespräche im Freundeskreis beim abendlichen Essen bei Phil und Joana, und diese Gespräche sind ein lockeres Geflecht, das die Kurzgeschichten auf subtile Art verbindet.
    Da es sind immer dieselben Freunde sind, die zum Essen bei Phil und Joanna eingeladen sind, werden einige Themen, die schon aufgetaucht waren, beim nächsten Essen wieder aufgenommen. Neben kurzen poltischen und philosophischen Streifzügen stehen die Themen Liebe und Zukunft immer wieder im Mittelpunkt des Interesses. Das alles in lockerem Ton, oft ironisch, manchmal frech oder auch albern.
    Die Klammer, die diese Gespräche bilden, sorgen beim Lesen dafür, dass eine gewisse Grundspannung entsteht, eine Neugier darauf, wie die weiteren Kurzgeschichten sich wohl in das Ganze einfügen werden.


    Im zweiten Teil folgen 5 Erzählungen ohne Intermezzi hintereinander. Drei davon spielen in historischen Bezügen.
    Manchmal, wie z.B. in "Komplizen" werden weite Bögen geschlagen. Es ist, als ob der Autor sich völlig verzettelt, ja, als wenn es ihm vollkommen egal wäre, ob der Leser ihm noch folgen kann. Doch plötzlich wird der Erzählstrang wieder aufgegriffen, der das Geschehen trägt, die losen Enden werden in Nullkommanichts ganz natürlich hineingeflochten und führen zu einem Ende der Geschichte, das mich lächeln machte und im Rückblick verstehen ließ, wie schön und kunstvoll hier etwas erzählt wurde, das sehr schwer einzufangen ist.


    Fazit:
    Erzählkunst vom Feinsten - auch wer sonst nur selten Kurzgeschichten und Erzählungen liest, wird hier seine Freude haben.


    Julian Barnes ist ein meisterhafter Erzähler, der ohne Klischees auskommt und in ganz eigenwilligen Blickwinkeln und Wendungen von dem erzählt, was wir kennen und ähnlich vielleicht auch schon einmal selber erlebt haben. Mit seinem sympathischen humorvollen Erzählton nahm er mich mit auch in die Geschichten, auf die ich mich anfangs manchmal gar nicht einlassen wollte, die ich aber dann doch immer faszinierender fand. Der Ausgang der Erzählungen war - für mich - nie vorhersehbar.

  • Huch, eigentlich mag ich Julian Barnes sehr, aber dieses Buch ist mir glatt entgangen :yikes
    Danke für Deine schöne Rezension, das Buch wandert direkt in meinen Amazon-Einkaufswagen.


    Aber die Edit fragt: hast Du vielleicht eine falsche ISBN-Nummer angegeben?


    Hier müsste es eigentlich zum Buch gehen:


    LG

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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