Da ich am Wochenende sicherlich nicht zum Lesen kommen werde, habe ich mir heute die Zeit genommen auszulesen.
Der Schlußabschnitt hat es dann in sich. Ich wußte, daß Fritz im Jahr 1902 (also dem Jahr, in dem die derzeitige Handlung spielt) gestorben ist. Aber wie, wußte ich
nicht.
Zunächst ist Margarethe zur Behandlung bei Prof. Binswanger. Ich bin über seinen Satz (S. 306) „(Sie sagten, Sie hätten immer das Gefühl, Sie müssten aufpassen.)
Es ist allein in Ihrem inneren Erleben.“ gestolpert. Ich denke, hier irrte der Professor, Margarethes Sorgen und Befürchtungen waren bis zu einem gewissen Grade real - wie real, zeigt der Tod ihres Mannes. Ich habe
dunkle Erinnerungen an den Schlaganfall meines Vaters; damals war ich neun Jahre alt. Man wußte zunächst nicht, wie schlimm es ist, aber letztlich war alles darauf ausgerichtet (zumindest ist so meine Erinnerung),
daß er überlebt (hat er auch).
Als Laie würde ich sagen, Prof. Binswanger hatte bis zu einem gewissen Grade recht - aber nur bis zu einem gewissen. Margarethe hätte sich für sich selbst durchaus etwas zurücknehmen
können. Aber sicherlich nicht so weit, daß sie ähnliche Freiheiten wir Fritz in Anspruch genommen hätte. Da wäre wohl alles den Bach hinunter gegangen.
Den Tod oder besser alles um den Tod von Fritz herum habe ich übrigens als sehr intensiv beschrieben empfunden.
Da es in früheren Abschnitten hieß, daß Thema komme noch, habe ich bisher nichts dazu geschrieben. So, wie es dargestellt wurde, hatte ich seit geraumer Zeit überlegt,
ob Fritz homosexuell war. An asexuell, wie es auf S. 336 angedeutet wird, hatte ich nicht gedacht. Ich denke auch, wäre er anders veranlagt gewesen, hätte das schon längst zum Vorschein kommen oder
in seiner nächsten Umgebung Ahnungen sein müssen, die gab es aber anscheinend nicht. Insofern ist das für mich schlüssig.
„Schon seltsam, dachte Margarethe bitter, wie schnell all das Gute aus den Augen de Menschen verschwindet, wenn sie lieber dem Skandal glauben wollen, der ihre reißerische Sensationslust
befriedigt.“ (S. 343)
Und das schon damals, so ganz ohne „soziale Netzwerke“ - manche Dinge ändern sich anscheinend nie.
Sehr gut die Ratschläge, die Margarethe ihrer Tochter gibt (S. 346).
Als sie die Idee mit der Wohnstadt hatte, mußte ich unwillkürlich an die Fuggerei in Augsburg denken.
S. 405. „Wohnungen ohne Bad und Toilette sollte man in unserer aufgeklärten Zeit gar nicht mehr bauen.“ Ähm, die hat man sogar nach dem 2. Weltkrieg noch gebaut. Wir
hatten das Glück, daß mein Vater eine Werkdienstwohnung hatte (da er oft Bereitschaftsdienst leisten mußte), die im Haus, da auch die Behörde, bei der er angestellt war, war. Da hatten wir ein Bad mit
Toilette. In den anderen Häusern der Straße wurden jedoch erst in den 60er Jahren Bäder eingebaut. Bis dahin gab es im Keller unseres Hauses eine öffentliche Badeanstalt, wo man baden konnte.
Im Nachwort heißt es (S. 412): „Ich wollte die Personen als leibhaftige Menschen mit Stärken und Schwächen darstellen und habe die Freiheit des Romans für meine
eigene Interpretation genutzt.“ Diese Darstellung als „leibhaftige Menschen“ ist ganz hervorragend gelungen! Ich hatte von Anfang bis Ende das Gefühl, mitten drin dabei zu sein und tatsächlich lebendige
Menschen vor mir zu sehen. Großartig, das ist nicht in allen Büchern so.
Insgesamt ein mehr als sehr gutes Buch, das zum Monats- oder auch Jahreshighlight prädestiniert ist. Vor allem möchte ich auch die geschliffene Sprache erwähnen, die das Lesen
zur wahren Freude werden ließ.
Übrigens sind heute die beiden Bücher von Diana Maria Friz über ihre Urgroßmutter sowie ihre Großmutter in meiner Bibliothek eingezogen. Wann ich allerdings zum
Lesen komme, ist noch nicht ausgemacht. Mal sehen, wie die Bücher im ZuB sich einigen, in welcher Reihenfolge sie gelesen werden s/wollen . . . 
Jetzt schon mal sehr herzlichen Dank an MelanieM
für die überaus engagierte Begleitung der Leserunde und die vielen Hintergrundinformationen! 