Beiträge von Zefira

    Wachis' Szene am Ende ist großartig, und wenn das Buch zeitgenössisch wäre, dann würde eben diese Szene mit Sicherheit weit breiter ausgeführt. Wachis ist der Mann der Zukunft.


    Aber was ich eigentlich sagen wollte: ich denke immer wieder darüber nach, dass Cethegus und Teja ein ganz ähnliches Schicksal haben - beide töten irrtümlich den Menschen, den am meisten lieben, weil er bzw. sie die Maske des Feindes trägt. Ich frage mich, ob Dahn diese Parallele bewusst eingesetzt hat.

    Ich kann dazu sagen, dass Gothelindis' Schicksal - als ich im Alter von etwa elf das Buch zum ersten Mal las - mich bewegt und gerührt hat. Amalaswinthas mutwilliger Wurf der Schere hat ihr Leben auf einen Schlag zerstört; Amalaswintha hat ihr alles genommen, und außer Eutharich, den sie nicht behalten durfte, hat nie jemand Mitgefühl für sie empfunden. Mir hat sie einerseits leid getan, andererseits empfand ich eine gewissen Achtung vor ihr. Mit ihreer kompromisslosen Rachsucht, die sogar Theodahad Angst einflößt, ist sie letztlich kaum weniger standhaft als die gotischen Helden, nur ist ihr Heldentum fehlgeleitet.

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    erhalten aber immerhin ein Ende, das ihnen eine gewisse Würde lässt,


    ... nur ganz kurz: Kann man das von Gothelindis wirklich sagen?
    Ich muss hier gestehen, dass ich das Buch nicht wirklich von vorne bis hinten genau lese; da ich es seit meiner Kindheit mehrmals gelesen habe (mindestens dreimal), überfliege ich jetzt einige Kapitel nur. Nach meiner Erinnerung war es aber so, dass Gothelindis irgendwo in den Katakomben jämmerlich verdurstete, als sie nach Gold suchte, um ihre Söldner zu bezahlen. An Tejas Bemerkung erinnere ich mich noch: "Sie fand ein schreckliches Ende!" sprach er schaudernd. Wohlgemerkt, schaudernd, und das von Teja!


    Amalaswintha hat dagegen wirklich einen starken Abgang. Die Szene im Bad, die mich schon als kindliche Erstleserin stark beeindruckt hat, verrät Dahns Talent für filmreife Schilderungen.

    Dass Rauthgundis nicht an den Hof wollte, sagte sie ja ausdrücklich selbst. Mir kommt es aber komisch vor, dass offenbar kaum jemand überhaupt weiß, dass Witichis verheiratet ist. Teja scheint aus dem Blutsbrüderkreis der einzige zu sein.


    Aber vielleicht war so etwas damals normal ...

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    Ist die Handlungsweise von Rauthgundis und Witichis edel oder (psychisch) ungesund?


    Schwer zu sagen. Die Frage ist m.E. schon früher zu stellen, denn Witichis wollte ja nicht König werden. Er hat, würde man heute sagen, für das Amt nicht kandidiert.


    Wenn er sich aber entschließt, das Amt anzunehmen, hätte er seine Frau mit an den Hof nehmen sollen, und zwar sofort. (Wobei man auch fragen muss, wieso so wenige Menschen überhaupt von seiner Ehe wissen. Diese ganze geheimnisumwitterte Privathaushaltung ist psychisch ungesund - damit geht's schon mal los.)


    Und damit, dass er Mataswintha zwar heiratet, ihr aber die Brautnacht verweigert, setzt er die Liste seiner m.E. ungesunden Halbheiten fort.
    Anscheinend denkt er ja, ihr damit etwas Gutes zu tun - er sagt "du liebst mich nicht, kannst mich nicht lieben" - wieso eigentlich meint er, sie könne es nicht? Wieso verschließt er die Augen vor ihrem Jammer und nennt ihn "eine kleine mädchenhafte Schwäche"? Das ist in der Tat psychisch ungesund, aber vermutlich menschlich. Jeder denkt, sein Schicksal sei das Schlimmste auf der Welt und die Nöte seiner Mitmenschen seien Kleinkram.


    Witichis' Heldenhaftigkeit bröckelt an dieser Stelle gewaltig. Das habe ich auch bei der Erstlektüre als Kind schon so empfunden. Er mag ein toller Kerl sein, aber in punkto Empathie hapert's.

    Diese plötzlichen Auftritte auf Totilas Verlobungsfeier wirken sehr märchenhaft und lassen die ganze Geschichte fast in Richtung Fantasy abdriften. Zuerst diese "Erscheinung" Gotho, dann die merkwürdigen Gestalten Harald und Haralda, letztere auch noch mit Harfe über der Schulter - da hätte Wagner 'ne feiner Oper draus gemacht.



    Edit bessert Tippfehler aus.

    Cethegus ist eine Erfindung des Autors, habe ich mal irgendwo gelesen, und zwar lange vor Internetzeiten - vielleicht in einem Romanführer oder so.
    Bei Teja stelle ich mir übrigens immer Alan Rickman vor. Als er noch jünger war. :wave

    Zur historischen Amalaswintha hier ein kleiner Artikel, der die Eckdaten im "Kampf um Rom" bestätigt.


    Und dann gab es mal ein kalauerndes Lied von Schobert & Black mit dem Titel "Amalaswintha". Der Name wurde dort immer weiter verballhornt, bis "altes Swin" herauskam. Leider habe ich den Text nicht online finden können.


    Grüße von Zefira (liest weiter)

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    einige Varianten wurden später an den moderneren Zeitgeschmack angepasst.


    Ich habe eine Ausgabe vom Gondrom-Verlag von 1995. Meine Erstlektüre war ein noch in Fraktur gedrückter Schmöker; irgendwo auf dem Speicher muss er noch liegen, aber ich mag jetzt nicht mit Suchen anfangen. Leicht modernisiert ist die Gondrom-Ausgabe auch schon. Da ich bei Büchern, die ich intensiv gelesen habe, ein fotografisches Gedächtnis ausbilde (ist mehr ein Fluch als ein Segen!), erinnere ich mich deutlich: Hildebrand sagt über Theoderichs Geburt, er habe den Kleinen seinem Vater "als ein zappelndes Kind" gebracht. In der alten Ausgabe steht dort "als ein zappelnd Knäblein".


    Siebtes Kapitel, ziemlich am Schluss, da sagt der Gesandte der Awaren über die angeschleppten Waffen: "Dort hängen sie" - in meiner alten Ausgabe "hangen sie". Ich weiß es noch genau! Ich sehe das Druckbild vor mir!


    Dass Theoderich im Anschluss daran als letzten Trunk "ungemischten" Wein "nach Germanen Art" verlangt, macht ihn sehr sympathisch. Ich werde es genauso machen, wenn es bei mir soweit ist.


    Freue mich aufs Weiterlesen!
    Grüße von Zefira


    ps. Dass die jungen Goten schwören sollen, ihre Schwestern zu ermahnen, dass sie keinen Römer umarmen, klingt besonders pikant, wenn man weiß,

    Hach, die Sprache. Ein kecker Knabe und ein markiger Mann! Und dann diese seltsame Marotte, die Sätze mit Doppelpunkt statt mit Punkt zu beenden (siehe Hildebrands Rede im ersten Kapitel, die beginnt mit "Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk").


    Als Kind habe ich mich an diesem Buch berauscht, jetzt stößt mir manches sauer auf, wie zum Beispiel der Beschluss am Ende des ersten Kapitels: "Den Männern zeigt die drohende Gefahr und wie nur das Volkstum unser Schild: (da ist der Doppelpunkt wieder!) eure Schwestern ermahnt, dass sie keinen Römer umarmen und keinen Römling: eure Bräute, eure Weiber lehrt, daß sie alles, sich selbst und euch opfern dem Glück der guten Goten ..." Eure Schwestern ermahnt, eure Weiber lehrt. Da droht von ferne schon der Ehrenmord.


    Was mir aber nach wie vor sehr gefällt, ist dieser präzise Beginn. Es geht los ohne Andeutungen und dumpfe Drohungen, wie heute im Historygenre üblich. Man weiß sofort, woran man ist, und es kann weitergehen.

    Viola und Isolte, genannt Issy, sind „zertrennte“ Zwillinge. Als Kinder haben sie sich als zwei Hälften eines einzigen Menschen empfunden: Ihre Kindheit haben sie in einem Landhaus in den Wäldern von Suffolk verbracht, zusammen mit ihrer Mutter, einer Aussteigerin der Hippiegeneration. Ihre einzigen Freunde sind zwei Jungs, John und Michael, Zwillinge wie sie. Die unbehütete Kindheit steckt voll Magie und selbst erdachter Dämonen. Als Erwachsene gehen sie völlig verschiedene Wege: Isolte ist Modejournalistin, unsicher und wenig glücklich verliebt; die lebensbedrohlich magersüchtige Viola befindet sich in Dauerbehandlung.


    Was in der Kindheit der Zwillinge geschehen ist, das zu ihrer Entfremdung und Violas schwerer Krankheit führte, ist das Thema des Romans. Dabei nähert sich das Geheimnis seiner Auflösung auf großen Umwegen. Dass die Mutter der Mädchen nicht mehr lebt, sie später bei einer Tante aufwuchsen, dass auch mit ihren Freunden John und Michael einiges schief gelaufen ist, wird erst nach und nach in Rückblenden enthüllt, die aus der Sicht Violas erzählt werden. Dazwischen eingeschoben sind auch Retrospektiven der Schwester Isolte über das Londoner Leben bei der Tante Hettie. Lange Passagen handeln von Isoltes Liebesgeschichte mit ihrem Kollegen Ben, andere berichten über Kindheitserlebnisse, ohne dass der eigentliche Plot so recht vorankäme.


    „Zertrennlich“ ist kein Thriller oder Psychokrimi. Der rote Faden der Geschichte fasert immer wieder auseinander und verliert sich in Seitensträngen, die nur den Zweck haben, die Atmosphäre zu steigern. Das muss jedoch die Lesefreude nicht unbedingt schmälern. Während man auf den Fortgang der Geschichte wartet, kann man sich an Satzschöpfungen berauschen wie die folgende, zufällig herausgegriffene: „Ich hörte das Murmeln der Erde unter meinen Füßen, in der sich langsam die Schichten aus Vorher und Nachher verschoben. Und ich sah uns, mit unserer Menschenhaut und unseren dünnen Gliedmaßen. Ich konnte das schwache Pulsieren unserer Zwillingsherzen wahrnehmen.“ Oder: „Ich stellte mir vor, die freundlichen Bäume hätten ihre Wurzeln aus der Erde gezogen und schlitterten nun über das Moos, ihre Zweige hinter sich herschleifend, während unter ihnen das Farnkraut raschelte.“


    Die Sprache der Autorin ist prägnant, bildhaft und den Kindheitspassagen oft magisch. Das Ende des Romans birgt jedoch eine gewisse Enttäuschung. Die Auflösung des Geheimnisses ist akzeptabel, wenn auch nicht so überraschend, wie man es gern hätte; aber als Motor für den Zerfall der kleinen Familie mag die Lösung durchgehen. Doch das angedeutete Happy-End wirkt aufgesetzt, wenig glaubwürdig und wird überdies durch ein seltsam überdramatisiertes Schlusskapitel eingeleitet. Ich würde trotzdem acht von zehn Punkten geben, denn über acht Zehntel des Buches hatte ich wirklich Spaß. Man darf nur keinen Thriller erwarten.

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    Ich weiß nicht, ob das Buch den Anspruch hat spannend, lustig oder schön zu sein.


    Das denke ich auch ... Ês geht um der Verarbeiitung von Geschehnissen in der Kindheit, auch um kindliche Wahrnehmung, erwachende Sexualität, Umgang mit Verlusten. Eine besonders angenehme und entspannende Lektüre ist es jedenfalls nicht.


    (Ich habe neulich in meiner Schreibgruppe die Lektüre von "Wir müssen über Kevin reden" als "quälend" bezeichnet. Daraufhin fragte mich einer der Teilnehmer: "Warum liest du das dann, wenn es dich quält?"Ich habe einen Moment über die Antwort nachdenken müssen ... Mir ist nichts anderes eingefallen, als dass ich kein Buch lesen mag, das mich unberührt lässt.)

    Vielleicht kann mir jemand helfen. Ich grüble, seit ich das Buch ausgelesen habe, wo ich schon mal dieses Thema in einem Roman gefunden habe: Zwei ältere Mädchen, die ein jüngeres, nerviges Kind hüten müssen, was mit einer Katastrophe endet.


    Mir fällt im Moment nur Alex Marwoods "Im Schatten der Lüge" ein, übrigens ein sehr lesenswertes Buch meiner Meinung nach. Da sind die beiden älteren Mädchen inzwischen erwachsen und haben ihre Strafe abgesessen.
    Ich bin aber sicher, schon früher mal ein Buch mit diesem Thema gelesen zu haben. Es will und will mir nicht einfallen.


    Jetzt, wo ich etwas Abstand zu "Zertrennlich" habe, finde ich einiges nicht mehr ganz einleuchtend.
    Dazu gehört vor allem diese überdauernde Liebe von Viola zu John. Viola scheint in einer Zeitkapsel gelebt zu haben. Das Buch endet ja gerade noch rechtzeitig; ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass aus diesen beiden ein Paar werden kann. Sie werden nur ihre Probleme aneinander abarbeiten, bis beide zusammenklappen. Das geht nicht gut aus.

    Mich lässt das Buch ein wenig zwiegespalten zurück. Einmal zunächst ein Riesenkompliment für die Ausdrucksfähigkeit, den bildhaften und einfühlsamen Stil, das ist für mich schon mal das Wichtigste an einem Buch.
    Was den Plot angeht, habe ich aber auch meine Mühen.
    Die überstürzte Einführung der Ben-Familie am Schluss ist für mich unmotiviert, genauso wie diese bemühte Sturmszene - mir ist schleierhaft, welchen Sinn das haben soll. Nur den, dass es noch mal richtig kracht? Warum?
    Zeitweise dachte ich, das verschwundene Mädchen taucht plötzlich auf und das ist der Sinn dieser Familienparty. Das hätte ich zwar blöd gefunden und bin froh, dass es nicht passierte. Aber welchen Sinn hat dieses Kapitel sonst? Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich da etwas Wichtiges überlesen habe oder nicht verstehe. Was soll das mit der Kleinen, die meinte, sie wäre zu dick fürs Modegeschäft? Warum noch solche bemühten Einzelheiten, wenn das Buch schon ausklingt? Verstehe ich nicht.


    Trotzdem ist mein Eindruck insgesamt positiv - ich werde in diesem Sinn rezensieren.

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    Der zweite Abschnitt bringt die Geschichte in meinen Augen nicht nach vorn, aber es geht in die Tiefe.


    Das ist sehr treffend ausgedrückt.
    Der Plot ist eher dünn, nach wie vor scheint ein dunkles Geheimnis in der Vergangenheit im Spiel zu sein, aber die Aufklärung geht nicht recht voran.
    Die Kindheitsschilderungen (durch Viola) hinterlassen bei mir einen seltsam zwiespältigen Eindruck. Einerseits hatten die beiden Mädchen anscheinend eine weitgehend unbehütete Kindheit, wie sie auch zum Beispiel bei Astrid Lindgren beschrieben wird (die Lindgren spricht zb in "Ferien auf Saltkrokan" vom "geheimen und wilden Kinderland"). Bei A. Lindgren ist eine solche Kindheit eine Quelle des Glücks. Im Prinzip scheint das auch bei den Zwillingen in "Zertrennlich" der Fall zu sein. Erst der Erwachsenenblickwinkel offenbart die Abgründe, die die Kinder anscheinend nicht richtig erkennen. Dieses Gefühl hatte ich vor allem bei der Schilderung der Familie von John und Michael, und auch bei den Andeutungen in Violas Kindheitsschilderungen, dass sich die Familie aus Geldmangel immer mehr einschränken muss.


    Diese zwiespältige Schilderung macht das Buch für mich sehr interessant. Der Plot geht zwar nicht recht voran, aber mir hat selten ein Buch so viele Gedankenwelten geöffnet, auch den Blick in die eigene Kindheit geschärft.


    Grüße von Zefira

    Ich habe das Buch bereits durch - habe gerade sehr viel Lesezeit und wollte mir das Buch auch nicht rationieren, weil ich Angst hatte, den Faden zu verlieren.


    Übrigens ist das schon symptomatisch: ich habe das Buch zwar sehr gerne gelesen und mich besonders an der leicht gruseligen Atmosphäre und der bildhaften Sprache gefreut, aber der Plot kam für mich immer wieder so rüber, dass ich das Gefühl hatte, unter Wasser eine Qualle greifen zu wollen.


    Es gibt Unmengen von Einzelheiten in der Schilderung, und ich wusste nie, was wichtig ist und was nicht. Alles weist auf ein dunkles Geheimnis in der Vergangenheit hin, besonders der Tod der Mutter.


    Das Titelbild - das noch vorab - fand ich nicht passend. Es ist zwar hübsch, aber für meinen Geschmack (und für den Inhalt des Buches) zu romantisch. Ich hätte da ein ganz anderes Genre hineininterpretiert und das Buch eher nicht gekauft.