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Original von Lipperin
Nun also ein neuer Name. Wie sie sich wohl selber nennt, in ihren Gedanken, die sie niemandem anvertraut?
Das habe ich mich auch gefragt. Ganz, ganz vorsichtig würde ich die Mutmaßung anstellen: je nach Situation, je nach Umgebung jeweils anders.
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Original von Lipperin
Für mich hat es sich auf diesen Seiten (beispielsweise Seite 290 – 295) etwas fatal ausgewirkt, dass mir das weitere Schicksal Emilys bekannt war. Dadurch meine ich einen Ton wahrgenommen zu haben, dem eine arg düstere, schwere Melodie inne wohnte. Vielleicht war das Nicoles Absicht, vielleicht sollte der Leser auch am Ende des Buches sich erinnern an Begebenheiten wie diese als kleinen Hinweis auf ihr Schicksal?
Ich hatte für mich gehofft, dass sich die "Sprache" des Romans im weiteren Verlauf verändern würde, weil mir klar war, dass ich die Kapitel in Hamburg und die folgenden nicht im selben Stil würde schreiben können wie die Kapitel auf Sansibar; das hätte nicht gepasst. Aber da ich wusste, dass ich diese "Sprache" eines Romans nicht willentlich beeinflussen, nur "hören" und erspüren und letztlich aufschreiben kann, habe ich einfach nur die Daumen gedrückt, dass sich der Stil der Handlung entsprechend entwickeln würde.
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Original von Lipperin
Ach, ich wünschte, ich könnte das besser ausdrücken – ich glaube jedenfalls, ein Leser, der nichts von Emily Ruete weiß, wird das Buch komplett anders lesen als jemand, der um sie weiß.
Du drückst das sehr treffend aus!
Es macht sicher einen sehr großen Unterschied, ob man als Leser Salimas / Emilys Leben kennt oder nicht. Ich weiß nicht mal, ob das eine dem anderen vorzuziehen ist ...
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Original von Lipperin
Unter anderem Seite 300 pp.: Salima schweigt aus Scham, diese Formulierung kam das eine oder andere Mal vor. Ich frage mich und würde gar zu gerne wissen, was Emily für Heinrich war. Seine große Liebe – auf jeden Fall. Seine Frau – ohne jeden Zweifel. Eine Frau, der er vertraute, die er respektierte, die er einbezog in sein ganzes – auch berufliches – Leben (ja auch und gerade angesichts der damaligen Gegebenheiten)? War sie gleichberechtigte Partnerin, so es das zu dieser Zeit geben konnte? War sie für ihn Objekt/Subjekt, das er unter allen Umständen schützen wollte, nicht allein, weil sie sein „Eigentum“ war? Wie viel (an Kraft, Stärke) hat er ihr wohl zugetraut? Es ist gar zu schade, dass wir so wenig von ihm wissen. So schaue ich seine Fotos an und versuche, darin zu lesen. (Seite 367 hilft mir ein bisschen, ihn besser zu verstehen, beantwortet aber nicht alle meine Fragen.)
Ich finde es auch sehr schade, dass wir so wenig über Heinrich wissen. Andererseits verrät gerade dieses Fehlen an Wissen doch auch Einiges über ihn. Meiner Einschätzung nach war er niemand, der sein Herz auf der Zunge trug, sondern jemand, der lieber handelte als redete. Ein sehr nüchterner, eigentlich zurückhaltender und gar nicht schwärmerisch veranlagter Mensch, und trotzdem zu so viel Gefühl fähig.
Genauso wollte ich ihn zeigen, wie er sich aus den wenigen Quellen, die wir haben, zeichnet.
Ich denke schon, dass er sie sehr miteinbezog, mehr als damals üblich war, und gleichzeitig wollte er z.B. nicht, dass sie im Haus Aufgaben übernahm, die eigentlich Sache des Personals waren (s. später S. 376). Mein Eindruck war, dass er sie buchstäblich auf Händen trug, vielleicht dabei manchmal überfürsorglich war. Andererseits verständlich; er wusste ja, wie sehr sie Heimweh litt und wie groß ihr Schmerz um den Kleinen war.
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Original von Lipperin
Und die fast noch spannendere Frage: Wie sah sich eigentlich Emily an Heinrichs Seite? Definierte sich Salima ausschließlich als Heinrichs Frau, fern von Sansibar als Emily? Ich glaube nicht, dass Salima und Emily deckungsgleich waren, wie viel von Emilys Heimweh, das sie sicherlich gehabt hat, galt auch Salima?Ach, meine Güte, ich wünschte, ich könnte deutlicher zum Ausdruck bringen, worum es mir geht.
Für mich kommt das sehr deutlich rüber!
Ich habe oft gedacht: wäre die Reise anders verlaufen, hätte sie nicht ausgerechnet dieser Schicksalsschlag ereilt, dann hätte sie als Emily Ruete einen ganz anderen Start in Hamburg gehabt, ein anderes Leben dort. Leicht wäre auch das nicht gewesen, aber nicht derart schwer und beängstigend wie es letztlich war.
Was sie selbst über ihre erste Zeit in Hamburg schreibt, das ist nur schwer mit der tatkräftigen, eigensinnigen Salima oder Bibi Salmé in Einklang zu bringen, die wir in Sansibar erlebt haben.
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Original von Lipperin
Ich glaube nicht, dass Salima und Emily deckungsgleich waren, wie viel von Emilys Heimweh, das sie sicherlich gehabt hat, galt auch Salima?
Ich greif diesen Satz nochmal extra heraus - weil ich ihn so schön, so schmerzlich und so unglaublich treffend finde. 
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Original von Lipperin
Seite 305: „karstig vom Leben“ - wow Anbeten , das ist ein Ausdruck. Nicht zu vergessen, weil dazu immer ein Bild vor meinen Augen steht (der alte Fischer auf Kreta oder eine „Alters“zeichnung von Kätze Kollwitz).
Ich hatte das Glück, vor vielen, vielen Jahren selbst in Marseille gewesen zu sein; Salima / Emily hat wenig darüber geschrieben, aber ich konnte ein paar Bilder und Eindrücke, die ich all die Jahre in meinem Gedächtnis gehortet hatte, da einfließen lassen.
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Original von Lipperin
Seite 310/311: Einen so ungeheuren Schmerz auszudrücken, dafür Worte zu finden, um dem Leser eine Ahnung davon zu vermitteln, muss sehr, sehr schwer sein. Aber ebenso schwer ist es für mich als Lesern, auszudrücken, wie sehr mir diese Szene „gelungen“ erscheint, wie sehr sie meine Gedanken beherrscht hat.
Das ist auch ungeheuer schwer - eigentlich denke ich: unmöglich.
Emily selbst hat auch nie darüber gesprochen, nie darüber geschrieben, und sehr lange wusste man deshalb nicht einmal, dass es den kleinen Heinrich gegeben hat. Erst viel später ist die Taufurkunde aus Aden aufgetaucht, wurde die standesamtliche Eintragung seines Todes in Hamburg entdeckt - und die ist auch schon wieder vor einiger Zeit verloren gegangen.
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Original von Lipperin
Die Situation (hier wie in vergleichbaren Fällen) erinnert mich immer wieder an Batseba und David und ihr erstgeborenes Kind, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist.
Die ich sehr passend an dieser Stelle finde.
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Original von Lipperin
Eine Szene von alttestamentarischer Wucht, mag man es nun Schicksal nennen oder strafenden Gott. Und wieder einmal die Frage aufwirft nach dem Leid, das so unvermutet, oft (für menschliche Begriffe) so unverdient daherkommt. Salima war offensichtlich eine gläubige Frau, ich frage mich, wie sehr konnte sich Emily auf ihren Gott stützen. (Auch hier wieder: Mir fehlen einfach die Worte, um auszudrücken, was mir alles im Kopf herumgeht.)
Mir ging es beim Schreiben ganz ähnlich; ich habe bei keinem Buch davor und danach (gut ... ist erst eines seither entstanden) so oft das Gefühl gehabt, ich stoße an die Grenzen dessen, was ein Roman kann.
Darin haben auch die Zeilen im Prolog auf S. 11 ihren Ursprung:
"Worte, nichts als Worte. Wie konnten Worte auch nur annähernd vermitteln, was hinter ihr lag? (...) Umso mehr, als es Dinge gab in einem Menschenleben, die sich nur unvollkommen in Worte fassen ließen. (...)"
Da musste ich ganz auf das vertrauen, was zwischen den Zeilen steht, an Ahnungen, an Emotionen, an Gedanken und ja, an Fragen - und dann auch hoffentlich (durch die ganz eigene Magie des Erzählens) für den Leser spürbar wird.
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Original von Lipperin
Die Beobachtungen Emilys beispielsweise Seie 318 über Hamburg und die Hamburger, auch wieder 320/321 bzgl. der Sprache oder die Beschreibungen im Weiteren: Ich stelle es mir nicht wirklich einfach vor, als Schriftstellerin das eigene „Auge“, das das ja alles kennt, auszublenden und mit den Augen Emilys alles zu sehen, damit es beschrieben (und genau so wie geschehen) werden kann.
Ich hatte das unglaubliche Glück, dass Salima / Emily sehr viel von ihren Eindrücken niedergeschrieben hat. Aber tatsächlich war es für mich sehr schwer, meine eigenen Eindrücke, meine eigenen Bilder von Hamburg komplett beiseite zu lassen und Emilys Hamburg zu schildern. Einerseits, weil sich die Stadt in der Zeit, die seither vergangen ist, massiv verändert hat; vor allem aber, weil meine Wahrnehmung der Stadt eine ist, die sich sehr von der Emilys unterscheidet.
Das einzige, was ich meiner eigenen Erfahrung entnommen ist, findet sich auf S. 339 unten, S. 400 oben: der Vergleich mit der Ansammlung von Puppenhäusern, in der man sich gleichwohl sehr leicht verlaufen kann. So habe ich es selbst empfunden - aber aufgrund alter Stadtansichten denke ich, Emily könnte es sehr wohl ganz ähnlich empfunden haben, zumal sie sich tatsächlich nicht selten in der Stadt verirrte.
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Original von Lipperin
Und die Beobachtung Seite 359 zu Weihnachten: Tjaja, da kann man sich mal an die eigene Nase fassen.
Ich konnte es Emily sehr gut nachfühlen, nachdem ich während der Arbeit an diesem Buch aus Nordafrika wieder nach Deutschland zurückkam - ein paar Tage vor Weihnachten. Sonst bin ich ein absoluter Weihnachtssüchtel, aber all das Geglitzer und Gefunkel hat mich da komplett erschlagen, und ich kam nur schwer damit zurecht, dass die Menschen auf den Straßen herumhetzten und schlecht gelaunt waren. Da war mir Emily sehr, sehr nahe.
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Original von Lipperin
Denn ihre Heimat, ihr Zuhause, so scheint mir, ist Heinrich.
Absolut.
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Original von Lipperin
Dieser Abschnitt war für mich der bisher dichteste, ich hatte das Gefühl, Emily/Salima auf diesen Seiten am nahesten gekommen zu sein.
Das freut mich unglaublich zu lesen. 