Beiträge von Nicole

    Über das Buch
    (bei amazon.de ausgeliehen)


    Eigentlich wirkt der naturverbundene William Strachan sehr sympathisch - die neunjährige Tess betet den Liebhaber ihrer Mutter geradezu an. Doch schon bald zeigt das friedliche Leben auf Williams kleiner Farm dramatische Risse, steuert die scheinbar unbeschwerte und wilde Kindheit im ländlichen Suffolk der Katastrophe entgegen. Sehr einfühlsam erzählt Esther Freud von der Klugheit der Kinder in der verlogenen Welt der Erwachsenen.


    Über den Autor
    (dito)


    Esther Freud, eine Urenkelin Sigmund Freuds, wurde 1963 in London geboren. 1991 veröffentlichte die ausgebildete Schauspielerin ihren ersten Roman "Hideous Kinky" (dt. 1999, Marrakesch), der 1998 mit Kate Winslet verfilmt wurde. Ihr zweiter Roman, "Peerless Flats", erschien 1993 (dt. 1996, "Blaues Wunder"), 1997 folgte "Gaglow" (dt. 1998, "Sommer in Gaglow"). Die Kulturzeitschrift "Granta" zählte Esther Freud 1993 zu den besten britischen Jungautorinnen. Ihre Bücher wurden in 13 Sprachen übersetzt.



    Meine Meinung


    Nach der Trennung ihrer Eltern Victor und Francine sind die die Geschwister Tess und Jake mit ihrer Mutter auf das Land gezogen, während der Vater in London zurückbleibt. In einer Art Wohngemeinschaft leben die drei zusammen auf einem kleinen Gehöft zwischen Feldern und Wäldern (von den Kindern „the Wild“ getauft) mit dem alleinerziehenden William und dessen drei Töchtern, die im Alter von Tess und Jake sind, und während Tess William vergöttert, bringt Jake ihm nur Ablehnung entgegen. Es ist ein alternatives Lebensmodell, in dem die Kinder groß werden sollen, gewaltfrei, im Einklang mit der Natur und miteinander, eine krude Mischung aus antiautoritär-hippie- öko-bio-selbstversorgerischem Lebensstil, wie er auch in der Schule unterrichtet wird, die die Kinder besuchen und an der William unterrichtet. Einen großen Raum im Roman nehmen die nordischen Mythen ein, die Tess von ihrem Lehrer beigebracht bekommt und die herkömmlichere Lehrinhalte ersetzen sollen.


    Man ahnt es schon: die geplante Idylle ist nur eine Fassade und kann nicht lange gut gehen, besonders nicht, als Francine von William schwanger wird, ihre jeweiligen Ex-Partner auftauchen und Jake nichts unversucht lässt, um den Glorienschein, mit dem jedermann William umgibt, zu demontieren und Tess auf die in der Luft liegenden, aber unausgesprochen bleibenden Konflikte mit Bettnässen reagiert.


    Man ahnt als Leser überhaupt viel in diesem Buch; von der ersten Seite an bleibt wenig Raum für Überraschungen, und noch weniger Raum lässt das schmale Büchlein für die Charaktere des Buches oder deren Entwicklung. Der dürre Text trägt die komplexe Geschichte nicht; ich bin nur so durch die Seiten hindurchgerauscht, ohne dass allzu viel davon einen tieferen Eindruck in mir hinterlassen konnte, während mir Tess’ Lehrstoff in nordischen Mythen zu unnötiger Zähigkeit ausgewalzt vorkam.
    Dabei gefiel mir die Geschichte als solche sehr gut, ebenso wie die Aussage, die dahinter steht, und einmal mehr hat mich Esther Freud mit ihren Einsichten in Kinderköpfe und Kinderherzen restlos überzeugt – aber ich hätte mir sehr viel mehr Fleisch auf dem Gerippe des Textes gewünscht.

    Liebe Schnuckerle,


    Zitat

    Original von Schnuckerle
    Liebe Nicole, nun habe ich Dir über Facebook gerade eine Frage gestellt, die hier bereits beantwortet wurde. Sorry, habe gelesen, dass Du nicht in Indien warst.


    Macht doch nix! :knuddel1
    Antwort per facebook kommt trotzdem noch ... :zwinker


    Zitat

    Original von Schnuckerle
    Ich bewundere Deine Leistung für diese Buch noch mehr. Ich denke es wäre einfacher vor Ort alles gesehen zu haben, aber alles nur so zu recherieren, KLASSE so eine super Leistung.


    Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es eine solche Leistung ist. Über die Frage nach dem Besuch der Schauplätze gerade bei historischen Romanen habe ich erst neulich wieder ausgiebig nachgedacht, angestoßen einmal durch Schubis Posts hier in der Leserunde und weil ich gleichzeitig in meinem neuen Roman Schauplätze beschrieb, an denen ich selbst schon war.


    Tatsächlich finde ich es gar nicht so leicht, Schauplätze zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit zu rekonstruieren, wenn ich selbst Fotos und Eindrücke von dort mitgebracht habe - und noch weniger, wenn meine Empfindungen an einem Schauplatz andere sind als die eines meiner Protagonisten. Ganz extrem habe ich dies mit Hamburg erlebt, für "Sterne über Sansibar", denn Salimas / Emilys Empfindungen für die Stadt waren meinen eigenen völlig entgegengesetzt. Für mich persönlich war's dennoch unheimlich wichtig, ihre Wege durch die Stadt selbst gegangen zu sein.


    Schön ist es natürlich, wenn ich Dinge aus dem Alltagsleben, die ich beobachtet habe, oder eigene Erlebnisse mit in einen Roman aufnehmen kann - aber auch da muss ich erst mal nachrecherchieren, ob die zu der Zeit, in der der Roman spielt, auch glaubwürdig gewesen wären.


    Bei Romanen, die in der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit spielen, ist das sicher nochmal etwas ganz anderes. Ich habe ein solche Projekt in der Warteschleife, und allein schon das Exposé zu schreiben hätte ich mir nicht vorstellen können, ohne dort gewesen zu sein und alle Schauplätze abgeklappert zu haben.


    Zitat

    Original von Schnuckerle
    Nun lese ich weiter bin schon da, wo der Mrs. Carter aus Amiland kommt. Der Blödmann :lache Seite 305.


    :grin


    Zitat

    Original von Schnuckerle
    Ich hoffe noch ganz viel von Dir zu lesen, da ich Deinen Stil wirklich gelungen finden.



    Dankeschön. :knuddel1


    Zitat

    Original von Schnuckerle
    Ich freue mich immer total, wenn ich in einem Buchladen bin und Bücher sehe, deren Autoren ich persönlich kenne.


    Oh, das verstehe ich total gut - das geht mir ganz genauso ....


    Zitat

    Original von Schnuckerle
    Wir sehen uns in Hannover


    Da freu ich mich schon total drauf! :-]
    (drück auch bitte die Daumen, dass sich die Lokführer bis dahin wieder vom Streiken verabschiedet haben; die Meldungen heute lassen mich jetzt schon bangen .... :cry)

    @ bienchen69


    ich behelf mir gerade mit dem Clip auf youtube in Dauerschleife :lache
    Am 25. kommt das Album heraus - ich bin extremst gespannt und lauer schon drauf, bis man bei amazon reinhören kann. :-)

    Zitat

    Original von Schubi
    zu deinen anderen Romanen werde ich dann zu gegebener Zeit auch meine Kommentare abgeben.


    Sehr gerne, Schubi! :knuddel1


    Zitat

    Original von Schubi
    Freu mich jetzt erst einmal auf März und das Eulentreffen und darauf dich dann persönlich zu knuddeln und mein zerlesenes Buch zum Signieren rüberzuschieben.


    Oh, DA freu ich mich auch drauf! :-] Ist ja nun nicht mehr lange hin! :hop

    Zitat

    Original von Schubi
    Auch die Auflösung um Richard. Es passte dann für mich, dass er nach Helenas Abschiedbrief auch aus dem Roman verschwand und nicht mehr auftauchte. Ich überlege nur, ob ich das Medaillon nicht irgendwann mal Ian gegeben hätte, und wenn es erst Jahre später gewesen wäre. Allein wegen der Fotos. Aber das liegt wohl eher an meiner romantischen Ader.


    Das ist wiederum etwas, das man Richard zugute halten muss: so sehr er sich in den Kopf gesetzt hatte, Helena für sich zu gewinnen - er wusste, wann er geschlagen war und es keinen Sinn mehr hatte.
    Es ist Helena auch sehr schwer gefallen, das Medaillon zurückzulegen und es nicht Ian mitzunehmen - aber ihr war eben auch bewusst, dass sie damit nur weiteres Unheil heraufbeschwören würde.


    Zitat

    Original von Schubi
    Ich fand es toll, dass Helena nicht klein beigegeben hat und erst mal gegangen ist, um zu sich selber zu finden. Richards Geständnis gab dann den endgültigen Ausschlag. Gut so.


    Ja, ich glaube, in einer solchen Situation braucht man erst mal Abstand.
    Dass dieser Schlussteil quasi nur 24 Stunden Zeit einnimmt, war mir persönlich wichtig, weil ich solche kurze Zeitspannen, die so unglaublich viel verändern, aus eigener Erfahrung kenne - das sind solche dramatischen Tage und Nächte im Leben, die einen Wendepunkt darstellen, und mit einem solchen wollte ich auch das Buch abschließen, bevor es mit dem Epilog dann endgültig ausklingt.


    Ich freu mich riesig, Schubi, dass Dir das Buch so gut gefallen hat - ich sag danke dafür, und auch für Deine wunderbaren Beiträge hier in den Leserundenfreds! :knuddel1

    Zitat

    Original von Schubi
    Ich liebe die Charaktere von Ian und Helena. Helenas Geschichte haben wir am Anfang gelesen. Ian ist ein weitaus komplizierterer Charakter und daher finde ich es total schön, die Geschichte seines „Werdens“ hier so hautnah mitzuerleben .


    Ich glaube, es war hier in der Leserunde, dass geschrieben wurde, dies sei gar kein Buch über Helena, sondern vielmehr eines über Ian, und das trifft absolut zu. Helena ist eine Art Medium, über das Ians Geschichte erst ans Tageslicht kommt. Sie ist der Katalysator, der Prozesse in Gang setzt, an deren Ende Mohan es für richtig hält, ihr alles zu erzählen.


    Zitat

    Original von Schubi
    Mir hat es gut gefallen, dass die Geschichte von seinen Winston und Sitara so ausführlich war. Es ist ja kein einfacher Rückblick, sondern man versteht nun vieles mehr, vieles was das Verhalten von Ian geprägt hat, seine Stimmungen, seine Launen, seine Gefühle. Wundervoll und traurig zugleich.


    Das freut mich sehr zu lesen! :-)
    Als einfacher Rückblick war es auch nie gedacht, und ich wollte die Geschichte um Winston und Sitara auch weder voranstellen noch aufsplitten und häppchenweise in den Roman einflechten; die Form des Romans-im-Roman war von mir bewußt gewählt - nicht zuletzt, weil das eine traditionelle Erzählform in der indischen Literatur ist.

    Liebe Schubi,


    Du hast das Buch ja schon fertiggelesen - ich setz meine Posts trotzdem teilweise mal in Spoiler, für die, die später mal noch hier reinschnuppern ...



    Zitat

    Original von Schubi
    Die indische Hochzeit ging mir unter die Haut. Die vielen Rituale und dann natürlich die Hochzeitsnacht. Ich frag mich nur, warum Ian nicht vorher sein Recht eingefordert hat :gruebel . Aber ich glaube, dass er mehr für Helena empfindet als ihm lieb ist und das er es wirklich ehrlich meint.


    Er hat das schon ernst gemeint, als er sagte, er würde sie nie zwingen - und auch, dass er das ja nicht nötig habe. ( :grin ). Und er zwingt sie ja auch nicht, sie macht's ihm ja in dieser Nacht durchaus leicht.



    Zitat

    Original von Schubi
    Hat er ein Problem damit ein Mischling zu sein? Hier passt auch die Bezeichnung des Chamäleons sehr gut. Helena passt sich sehr gut an Indien an. Die Saris, die Sprache, die Bräuche … alles saugt sie auf. Das macht sie noch sympathischer


    ... und das nimmt auch Ian sehr für sie ein. :-]


    Zitat

    Original von Schubi
    Ich genieße jedenfalls das Auf und Ab zwischen Helena und Ian. Ich merke, sie sind zueinander hingezogen und können beide nicht über ihren Schatten springen. Wird er Helena sagen, woher er die Narbe hat? Ich hoffe, das erfahren wir noch. Ich liebe das Geplänkel, es ist für mich das, was dieses Buch ausmacht und mich so fesselt.


    Ich fand an dieser Geschichte selbst spannend, dass die beiden zwar am Anfang des Buchs heiraten - aber aufgrund ihrer jeweiligen Vorgeschichte große Probleme haben, miteinander umzugehen, geschweige denn ihre Gefühle zu erkennen bzw. sie zu äußern. Bei den beiden geht es viel um Macht; Macht, die Ian ausübt, weil er finanziell und rechtlich am längeren Hebel sitzt, während Helena sich genau gegen diese Machtausübung wehrt und ihrerseits versucht, sich einen kleinen Rahmen zu bewahren, in dem sie sich nicht gänzlich machtlos fühlen kann. Und sei es nur, in dem sie zickt und bockt und sich ihm zu entziehen versucht.

    Sodele, der Wüstensand der jüngst zu Ende gegangenen Buch-Reise ist weitestgehend abgeschüttelt, das entstandene Chaos beseitigt und Schlaf- und Futtermangel auch schon etwas ausgeglichen - und ich kann mal anfangen, meine Post-Schulden ( :schaem ) hier abzutragen ...


    Zitat

    Original von Schubi
    Es verfolgte mich auch das ganze Buch und immer auf auf neue Art und Weise, wie ich schon schrieb: einfach Augen schließen und daran denken, wo man gerade ist.


    Schön, dass es Dir mit dem Zitat so ging. :-)


    Zitat

    Original von Schubi
    Danke hier noch mal für die Erläuterungen zu Griechenland und England. Du hast dir sogar bei den Orten, die du ausgesucht, soviel Gedanken gemacht. Das hat bestimmt eine Menge Recherchen gekostet und Zeit. Aber es hat sich gelohnt.


    Hat es bestimmt - ich kann das immer schlecht genau beziffern, weil mir die überwiegende Zeit der Recherche gar nicht so sehr wie Arbeit vorkommt. Ich bin da von einer solchen Neugierde getrieben, dass ich von einem durchaus vergnüglichen Jagdfieber gepackt werde; wenn's sein muss, durchstöber ich vor dem Schlafengehen nochmal Bücher oder fahre den Läppie nochmal hoch, wenn mir während des Zähneputzens noch was in den Sinn kommt. :lache


    Zitat

    Original von Schubi
    Helena ist ein besonderer Mensch und gerade ihre glückliche Kindheit in Griechenland und dann die traurige Zeit in England, haben sie mir sehr schnell sehr nah gebracht und schließlich ist sie auch nicht dran zerbrochen. Sie ist sehr stark, auch wenn sie es noch nicht weiß, aber man merkt, dass sie zu kämpfen bereit ist und wenn es erst mal nur für ihren Bruder ist, gibt sie sich doch nicht auf.


    Ich freu mich sehr, dass Du sie so empfindest und so über sie denkst.
    Helena sollte in meiner Vorstellung ein Charakter sein, der zu Beginn der Geschichte zwar schon einiges durchgemacht hat, aber noch unfertig ist, es auch auf eine Art nie geschafft hat, zu sich selbst zu finden. Und das, was ihr bevorsteht im Laufe des Buches, lässt sie reifen und letztlich auch sie selbst werden.


    Zitat

    Original von Schubi
    Gefallen hat mir die Namensfindung von Mohan Tajid. Hätte mir genauso gehen können. Ich träume auch viele meiner Ideen.


    Ja, im Traum - gleich ob nachts oder im Tagtraum - ist man einfach näher an den kreativen Quellen, da wird man oft reich beschenkt. :-]


    Zitat

    Original von SchubiFür mich ist auch das geschichtliche „Warum“ gerade auch bei deinem Roman sehr wichtig und ich muss sagen, du hast es in sehr gut rüber gebracht, dass es nicht zu trocken und zu langweilig war, sondern spielerisch spannend. So hätte Geschichte in der Schule sein müssen, dann hätte ich auch was behalten :grin .


    Dankeschön.

    @ rienchen


    Zitat

    Original von rienchen
    Ich finde "Je veux" von ZAZ einfach zauberhaft. Mein Lieblingsradiosender spielt das rauf und runter...das ist so richtig schön lockerflockigfluffigfranzösischleicht. Ein bisschen angejazzter Pop, ein bisschen Chanson...ich finde das sehr schön.


    Das habe ich die Tage - nach langer Radioabstinenz - auch zufällig mal gehört und mag es seither auch supergerne! :-]


    Mein momentaner Lieblingssong und Gute-Laune-Garant ist seit ein paar Tagen "Hollywood Hills" von Sunrise Avenue. :hop

    O denk daran! Der Tod ist wie ein Kern
    In dir und deinem Tagewerk verborgen,
    Wie Haselnuss und heller Apfelstern,
    Wie Pflaumensamt ihn einhüllt bis zum Morgen,
    O denk daran, es nützt dir keine Flucht,
    Er lebt in dir wie in der süßen Frucht.


    aus: „Gedenke des Todes“ von Oda Schaefer



    Poll


    B, R: Chris Kraus
    D: Paula Beer, Edgar Selge, Tambet Tuisk, Richy Müller, Jeanette Hain




    Glück braucht der Mensch: ich hab's doch heute wirklich noch in die allerletzte Vorstellung hier am Ort geschafft .... :-]



    Über den Film


    Sommer 1914. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs reist Oda (Paula Beer), „so jung wie das Jahrhundert“, von Berlin an die Ostseeküste Estlands. Auf Poll, dem Besitz ihres Vaters Ebbo von Siering (Edgar Selge), soll Oda von nun an leben. Mit ihr reist der Sarg, in dem ihre gerade verstorbene Mutter, von Ebbo geschieden, liegt, die in Estland bestattet wird.
    Es ist eine seltsame Welt, die Odas neues Zuhause sein soll. Eine betörend schöne, aber auch auf wilde Art eintönige Landschaft, ein Landstrich, der zwar russische Provinz ist, in dem aber eine teilweise deutschstämmige und deutschsprachige Bevölkerung lebt und in dem russische Soldaten Jagd auf estnische Anarchisten machen. Seltsam ist vor allem Poll selbst: ein Haus im Wasser, die Anbauten auf Pfählen ruhend, trutzig und zerbrechlich zugleich. Im ehemaligen Sägewerk hat sich Ebbo von Siering ein Laboratorium eingerichtet, in dem er Leichen, die er von den russischen Soldaten kauft, seziert, Schädel vermisst und sammelt und in Einweckgläsern allerlei gruselige Absonderlichkeiten der Natur hortet. Wenig Verständnis für seine Forschung zeigt Ebbos zweite Frau Milla (Jeanette Hain), von porzellanener, ein wenig der Welt entrückter Schönheit, die erst in der Musik zu leidenschaftlicher Lebendigkeit erblüht. In diese Ehe hat Milla einen Sohn mitgebracht, Paul, dem Ebbo ein ebenso strenger Vater ist wie er Oda gegenüber Nachsicht zeigt.
    Oda fühlt sich in Poll, obwohl von Menschen umgeben, isoliert; die meiste Zeit verbringt sie damit, in ihr Tagebuch zu schreiben (oder wie sie es nennt: „zu schreien“) und wehrt Pauls zögerlich-unbeholfenes Werben um Freundschaft, vielleicht mehr, grob ab.
    In einer verfallenen Kapelle in der Nähe des Friedhofs, begegnet sie einem verwundeten estnischen Anarchisten (Tambet Tuisk), den sie „Schnaps“ nennt. Mit dem Wissen, dass sie sich von ihrem Vater angeeignet hat, verarztet Oda ihn und versteckt ihn auf dem Dachboden des Laboratoriums. Eine zaghafte, zarte Liebe keimt zwischen ihnen auf, umso mehr, als Oda ihm entlockt, dass er Schriftsteller ist, und als bei Ausbruch des Krieges „Schnaps“ schließlich von Poll fliehen will, wird daraus ein unheilbringender Funke …


    Meine Meinung


    In den Besprechungen und Ankündigungen zum Film wurde er als „Historiendrama“ bezeichnet; ein Etikett, das meiner Meinung nach auf „Poll“ nur bedingt zutrifft. Er ist zweifellos historisch, aber er hat darüber hinaus auch eine schauerliche, fast surreale Qualität. Es ist eine besondere Liebesgeschichte, die er erzählt, eine Coming-of-Age-Geschichte – und dennoch habe ich das Gefühl, dass keine dieser Bezeichnungen ihm wirklich gerecht wird.
    Von den ersten Bildern an liegt über diesem Film eine morbide Atmosphäre, der durch die Kuriositätensammlung und die Experimente Ebbo von Sierings noch verstärkt wird. Die Farbtöne des Films sind blass, fast ein bisschen ausgewaschen oder wie verblichene Photographien und erstaunlicherweise bewirkte gerade diese Farbwahl bei mir, dass mir die Szenen zum Greifen nah vorkamen. Von Anfang an war für mich spürbar, dass ich eine Welt sehe, die dem Untergang geweiht ist; Bedrohung, Gefahr, Unheil und Tod lauern die ganze Zeit über am Rande des Gesichtsfelds und stellen grundlegende Themen des Films dar.
    Und mittendrin Oda, früh gereift, die zwar schroff sein kann, aber auch mutig, die lügt und stiehlt und die trotzdem nichts anderes ist als die Verkörperung der Unschuld. Vielleicht hat mich dieses Thema des Films am meisten bewegt: wie Oda mit ihrer Unschuld in den Strudel aus Grausamkeit und Gewalt hineingezogen und schließlich selbst unwillentlich schuldig wird. Ein Strudel, der sowohl aus den Konflikten auf der Bühne der Weltpolitik besteht, zwischen Deutschland und Russland und Estland, der Armee und den Anarchisten, aber auch aus den Konflikten auf Poll selbst, allen voran dem zwischen ihrem Vater und Milla, die eine Art von Doppelleben führt.


    Mindestens ebenso berührt hat mich die zarte Liebe zwischen Oda und „Schnaps“, die eine so ungleiche, unmögliche Liebe ist und dennoch so stark, so zärtlich ist; die eine sinnliche Komponente enthält und dennoch nichts anderes ist als rein und einmal mehr voller Unschuld. Diese Liebe darzustellen – das hätte gehörig schief gehen können, aber Regisseur Chris Kraus und vor allem Paula Beer und Tambet Tuisk ist dieser schwierige Balanceakt großartig gelungen.


    Ich kann einfach nur schwärmen von diesem Film, angefangen vom Szenenbild und den Kameraeinstellungen, der Musik, der Geschichte an sich, dem Drehbuch inkl. der Dialoge, den Darstellern, die allesamt ihre Rollen mit Leben füllen und über den Film hinweg so viele Facetten aufzeigen.
    Ganz, ganz großes Kino, in jeder Hinsicht; für mich persönlich einer der besten Filme, die ich in meinem Leben gesehen habe. :anbet

    @ Lumos


    Zitat

    Original von Lumos
    Für uns dauert es dann ja noch ganz schön lange, aber ich freu mich schon mal :-]!


    Ach, für mich dauert das auch meist viel zu lange. :-)
    Ich bekomme das Manuskript ja noch einmal zur intensiven Bearbeitung aus dem Lektorat, danach gibt's die Fahnenkorrektur, bevor es endgültig in Druck geht - aber das Warten darauf, es als fertiges Buch in den Händen zu halten und dann zu erfahren, wie es den Lesern damit geht, das zieht sich für mich auch jedes Mal ganz fürchterlich. (Ganz schlimm: wenn ich lese, die ersten Eulen haben schon ein Buch und ich hab meine Belegexemplare noch nicht erhalten :cry )


    Zitat

    Original von Lumos
    Bedeutet es für dich eine ziemliche Erleichterung, das Buch beendet zu haben. Oder ist es eher schmerzlich, sich aus dem intensiven Kontakt mit Geschichte und Personen zu lösen?


    Wenn ich ein Buch lese, das mich total fesselt und begeistert kann ich es gar nicht schnell genug ausgelesen haben, aber wenn ich es dann zu klappe, bin ich total traurig, dass es jetzt fertig ist. Ich könnte mir vorstellen, dass man als Autor vielleicht ähnlich empfindet :gruebel .


    Das empfinde ich bei meinen Büchern tatsächlich ganz ähnlich.


    Einerseits ist es wirklich eine enorme Erleichterung, es vollbracht zu haben. Über Monate hinweg dreht sich in meinem Leben alles um dieses Buch, umso mehr in den letzten Wochen, in denen ich ganz darin abtauche; ich nenne diese letzte Zeit immer scherzhaft meine "Isolationshaft" und da ist schon der Wunsch sehr stark, mein "richtiges" Leben wieder zu haben, das in den letzten Wochen eines Manuskripts immer auf stand-by gefahren ist.
    Es kostet so viel Kraft und Konzentration, die ganzen Handlungsfäden zu einem Ende zu bringen, dass ich wirklich einfach erleichtert bin, wenn ich den letzten Satz geschrieben habe. Zumal ich bei jedem Buch Phasen habe, in denen ich ganz furchtbar an mir und der Geschichte zweifle, in denen ich keine Ahnung habe, wie ich das, was noch vor mir liegt, jemals meistern soll. (Mir ist es schon passiert, dass ich nach dem letzten Satz vor Erleichterung heulend in der Ecke gesessen bin, weil ich so furchtbar mit dem Text gerungen und lange Zeit nicht geglaubt hatte, dass ich das Buch je zu Ende bringen würde. :schaem )


    Andererseits habe ich ja sehr lange mit den Protagonisten in deren Welt zusammengelebt, und das die überwiegende Zeit sehr gerne - das fehlt mir dann natürlich sehr. Vergangenen Montag habe ich das Manuskript abgegeben, aber bis jetzt hänge ich gedanklich immer noch an manchen Szenen des Romans fest, spiele die in meiner Vorstellung immer wieder durch, genauso wie ich gedanklich und emotional noch im Leben meiner Protagonisten verweile, mir weiter Gedanken über sie und ihr weiteres Schicksal mache, weil sie mir allesamt einfach ganz fürchterlich fehlen. Und ich träume nachts auch gerade immer noch von ihnen ...


    Da ist es schon gut, dass es immer ein Abschied auf Raten ist - Manuskriptabgabe, Lektorat, Fahnen, fertiges Buch - und es hilft, im Augenwinkel schon das nächste Projekt in Sicht zu haben.
    Und so ganz gehen die Protagonisten auch nie - ein bisschen bleiben sie ja immer noch bei mir, auch viele Jahre später noch ... :zwinker


    Das ist einer der Gründe, weshalb ich so gerne Leserunden mache - da kann ich noch einmal ganz intensiv in die Welt eines Romans zurückkehren, nur dieses Mal nicht alleine, sondern mit euch zusammen, und das ist immer unglaublich schön. :-]



    @ Schubi


    so oder so - ich bin sehr gespannt, was Du dazu sagst! :wave

    @ Lumos


    Sagen wir mal so: das nächste ist just fertiggschrieben und auch schon im Lektorat; aufgrund verlagsinterner Programmplanung wird es aber leider erst im 1. Halbjahr 2012 erscheinen. Sobald ich einen definitiven Termin (und hoffentlich bald auch einen Titel) habe, schrei ich den pronto durch! :wave

    Bitte entschuldigt, dass ich mich erst jetzt hier wieder blicken lasse - ich tast mich gerade nach wochenlanger Schreibklausur im absoluten Off wieder langsam in die virtuelle wie sonstige Gegenwart zurück. :wave


    @ Schubi


    Da Du derzeit am Schluß der Liste bist und gerade niemand nach Dir die DVD gucken möchte, kannst Dir dann gerne ruhig Zeit lassen, sie Dir anzuschauen; bei mir würde sie auch nur gleich wieder zwischen das Sansibar-Material im Regal wandern. - Vielleicht hilft Dir das ein bisschen bei der Entscheidung, ob Du lieber zuerst guckst oder zuerst liest ... :zwinker

    .... endlich wieder Zeit und einen freien Kopf zum Lesen! :freude


    Da habe ich vor Monaten schon ein bisschen reingeschmökert, jetzt sind die übrigen Essays an der Reihe:


    Zadie Smith - Changing My Mind. Occasional Essays.


    Inhalt:
    (via amazon.co.uk)


    How did George Eliot’s love life affect her prose? Why did Kafka write at three in the morning? In what ways is Barack Obama like Eliza Doolittle? Can you be over-dressed for the Oscars? What is Italian Feminism? If Roland Barthes killed the Author, can Nabokov revive him? What does ‘soulful’ mean? Is Date Movie the worst film ever made? Split into five sections – ‘Reading’, ‘Being’, ‘Seeing’, ‘Feeling’ and ‘Remembering’ – Changing My Mind finds Zadie Smith casting an acute eye over material both personal and cultural. This engaging collection of essays – some published here for the first time – reveals Smith as a passionate and precise essayist, equally at home in the world of great books and bad movies, family and philosophy, British comedians and Italian divas. Whether writing of Obama, Katherine Hepburn, Kafka, Anna Magnani or David Foster Wallace, she brings a practitioner’s care to the art of criticism, with a style as sympathetic as it is insightful. Changing My Mind is journalism at its most expansive, intelligent and funny – a gift to readers and writers both. Within its covers an essay is more than a column of opinions: it’s a space in which to think freely.

    Zitat

    Original von Schubi
    ... alle Tees brav notiert ... klingen lecker ... vor allem der mit Amarettini .... hhmmmm


    Der ist auch sehr lecker; für mich ist das so ein richtiger kuscheliger Seelenwärmer-Tee. :-]
    (gibt's aber glaub ich auch nur während der Wintersaison ... )



    Zitat

    Original von Schubi
    Habe lange über den letzten Smiley nachgedacht :gruebel Gibt kein Grund ... Deine persönlichen Empfindungen während des Schreibens und wie du in deinen jeweiligen Büchern aufgehst ... sind kein Grund bescheiden sein ... im Gegenteil ... du schaffst damit immer wieder etwas wundervolles, weil du dich mit all deinen Sinnen und Gedanken reinhängst, abtauchst, deine eigene Realität zurückstellst, das merkt man (jedenfalls ich) als Leser und daher kann ich auch so gut versinken und träumen, lachen und weinen und dort sein. Danke dafür :knuddel1 .


    Ach, doch, das macht mich doch immer mal wieder recht verlegen - und ich freu mich ganz unglaublich über solches Feedback zu einem meiner Bücher. :schuechtern


    Ich möchte immer das Gefühl haben, alles gegeben zu haben, wenn ich ein Buch in die Welt hinausschicke - aber ob's aus Lesersicht "genug" war, weiß ich dann natürlich nicht.
    Und es ist so schön zu lesen oder zu hören, dass mein Büchlein dort draußen dann Freude macht; da bin ich ganz einfach glücklich und kann es dann doch nicht so recht fassen.


    Tut natürlich besonders gut, das zu lesen, wenn's - wie gerade wieder - eine kräftzehrende Zeit mit einem Manuskript ist und die noch zu erzählende Geschichte wie ein unüberwindlicher Berg vor mir liegt, von dem ich gar nicht so recht weiß, wie ich ihn je meistern soll. Deshalb ein ganz dickes Danke für Deine Worte, Schubi! :knuddel1

    Zitat

    Original von Lumos
    Vor allem Salimas Kindheit in Sansibar hat mich fasziniert und verzaubert. Die schwierigen Jahre in Deutschland und die Art und Weise wie sie für politische Machenschaften benutzt wurde, fand ich traurig. Es tat mir sehr Leid, dass sie ihren Platz im Leben irgendwie nicht mehr gefunden hat, sondern unzufrieden und unglücklich "herumgeirrt" ist.


    Wenn über Salima / Emily geschrieben oder berichtet wird, liegt der Fokus meist auf der Liebesgeschichte mit Heinrich, begleitet vielleicht noch von ein, zwei kurzen Sätzen zum "Davor" und "Danach". Dieses Davor und Danach auch zu erzählen, das war für mich mit ein Beweggrund, dieses Buch schreiben zu wollen - auch und gerade, da das Danach so unglaublich traurig und schmerzlich war; mir ging das bei der Arbeit an diesem Buch auch sehr an die Substanz.

    Ich muss noch einmal loswerden, wie unheimlich schön ich das finde, dass ihr den Film so gerne als Ergänzung zum Buch gucken mögt! :-]



    @ Lumos


    Zitat

    Original von Lumos
    Ich hatte den Eindruck, das sämtliche Fakten von Nicole in den Roman eingearbeitet worden sind


    Es gibt einige Kleinigkeiten - weitere ganz zauberhafte Anekdoten aus Salimas Kindheit z.B. -, da dauert's mich, dass ich die nicht auch noch mit in den Roman aufnehmen konnte, aber das hätte meinem Gefühl nach der Dramaturgie der Geschichte nicht gutgetan, und so habe ich schweren Herzens darauf verzichtet. Und mich damit getröstet, dass ich trotzdem noch so viel an historisch verbürgten Details darin unterbringen konnte, über die zentralen Eckpunkte der Geschichte hinaus. :-)


    Ich weiß nicht, ob Du es gesehen hast - auf meiner Website habe ich noch einiges über Salima zusammengetragen, darunter Bilder von Alt-Sansibar, von Hamburg und verschiedene Portraits:


    Bonusmaterial "Sterne über Sansibar"