Zitat
Original von Frettchen
(Ich bleibe ja immer noch bei meiner Deutung, dass Czentovic für den Nationalsozialismus steht und die Partie gegen ihn symbolisch gemeint war)
Und da verstehe ich überhaupt nicht, wie Du darauf kommst.
Wenn Czentovic tatsächlich symbolisch für den Nationalsozialismus stehen würde, warum hat Zweig ihn dann lediglich mit einer Eigenschaft (Dummheit) ausgestattet bzw. einer zweiten (Geldgeilheit), die aber m.E. aus der ersten resultiert? Der Nationalsozialismus war doch eher deshalb so gefährlich, weil seine Vertreten eben gerade nicht in erster Linie dumme Menschen waren.
Auch der Anlass der Verhaftung von Dr. B. ist von einem typisch nationalsozialistischen Motiv recht weit entfernt. Natürlich hatte Dr. B. unter der unmenschlichen Folter der Nazis zu leiden und hier würde ich eher eine Parallele zu Zweigs Biografie ziehen, aber Czentovic, der mir wie einer der unpolitischsten Menschen der Welt scheint, stellvertretend für das NS-Regime hinzustellen, geht mir persönlich zu weit. 
Letztlich kann ich Czentovic nicht einmal vorwerfen, dass er in den Partien mit Dr. B. die Regeln des Spiels ausgereizt hat. Genau das psychologische Element ist etwas, das sich sämtliche Großmeister zu eigen machen, wenn sie spielen. Dass Dr. B. diese Psychospielchen nicht ertragen hat, ist eine Konsequenz der Folter, die er erlitten hat. Er steigert sich in seinen Wahn und droht, daran zu zerbrechen.
Als negativen Gegenpart zum Ich-Erzähler und zu Dr. B. sehe ich in der Erzählung eigentlich vielmehr McConnor, den erfolgsbesessenen, machthungrigen Menschen, der auch durch eine Niederlage nichts dazu lernt.
Es kann natürlich sein, dass Zweig es damals so gemeint hat, wie Du es interpretierst, aber für mich ergibt sich aus heutiger Sicht einfach ein anderer Blickwinkel auf die Geschichte. Früher hat man noch keine Ahnung von Autismus, von Inselbegabungen gehabt. Im Gegenteil, derartige Menschen wurden als Untermenschen klassifiziert und gerade unter den Nationalsozialisten genauso verfolgt, gefoltert und getötet wie der intellektuelle Widerstand. Die Abwertung eines Menschen einzig aufgrund einer geistigen Minderleistung erscheint mir gerade im Hinblick auf die NS-Vergangenheit überhaupt nicht angebracht. Und wie oben schon erwähnt, ist die geistige Zurückgebliebenheit das einzige, was Zweig nur negativen Einordnung von Czentovic anführt und diese Einordnung wird durch die Bank durch intellektuell überlegene Menschen vorgenommen.
Gerade auch Czentovics Reaktion auf das verlorene Spiel (Umwischen sämtlicher Figuren statt sich stolz geschlagen zu geben, indem er den König liegt), zeugt für mich von einem schlichten Gemüt, von fehlender geistiger Reife. Aber kann man Czentovic das wirklich zum Vorwurf machen? Kann man ihn deshalb als personifizierten Nationalsozialismus darstellen? Das fällt mir schwer.