Der komplette Titel lautet: "NICHTS Was im Leben wichtig ist" und erschien im Jahr 2000 in Dänemark. Zuerst war es an dänischen Schulen verboten, dann wurde es 2001 mit dem Kinderbuchpreis des dänischen Kulturministeriums ausgezeichnet.
Das ringt mir schon das erste Fragezeichen ab. Wie kann etwas, das zuerst verteufelt wird plötzlich zum Hype hochstilisiert werden? Nun ja, selber lesen macht schlau, dachte ich.
Ich will es vorwegnehmen: Das Buch hat mich enttäuscht und wegen der ganzen Unlogik sogar verärgert. Aber der Reihe nach.
Pierre Anthon, Schüler einer siebten Klasse in Dänemark, steht von seinem Tisch auf, verkündet, dass nichts irgendeine Bedeutung hat und geht. Fortan hockt er im elterlichen Garten auf einem Pflaumenbaum und krakeelt seine "Weisheiten" auf seine Mitschüler herab, die auf dem täglichen Schulweg an ihm vorbei marschieren.
Da kommt mein zweites großes Fragezeichen auf. Wieso kann dieser Junge monatelang auf dem Baum sitzen? Warum lassen die Erwachsenen, angefangen von seinen Eltern, den Lehrern, der Polizei usw. ihn das tun? Das ist absurd.
Die ganze Klasse ist von Pierre Anthons Äußerungen verstört, verärgert und beunruhigt. Die ganze Klasse tut sich zusammen, um Pierre vom Gegenteil zu überzeugen. Das ist ebenfalls absurd. Bestenfalls ein Fünftel der Schulklasse würde sich die Äußerungen von Pierre zu Herzen nehmen. Der Rest würde es mit einem Schulterzucken abtun. Nach dem Motto: Jetzt ist er durchgeknallt, hätten seine Hippie-Eltern bei der Zeugung besser nicht so viel kiffen sollen! Sie hätten den Spinner einfach unbeachtet im Baum sitzen lassen.
Statt dessen tun sich wirklich alle zusammen, um Pierre vom Gegenteil zu überzeugen. Sie wollen ihm beweisen, dass es sehr wohl etwas gibt, was etwas bedeutet. Und was machen sie? Sie tragen Sachen zusammen, die für irgendwelche Leute irgendeine Bedeutung haben. Materielle Dinge. Wären die Kinder wirklich so sensibel diesem Thema gegenüber gewesen, hätten sie doch längst erkannt, dass Bedeutung doch nicht an Dingen hängt. Bedeutung hat doch höchstens der Besitz solcher Dinge.
Sich von diesen Dingen also unter Bedauern zu trennen, soll Bedeutung aufweisen? Damit wollen sie Pierre überzeugen? Mit Gegenständen, die Pierre selber gar nichts bedeuten? Wie naiv ist das denn?
Die Spirale, die diese Bemühungen in Gang setzt, ist für mich in dieser Ausgeprägtheit nicht nachvollziehbar. Diese Entwicklung, die die Autorin den Kindern unterschiebt, ist unglaubwürdig. Zumindest in der Art und Weise, wie sie es darstellt. Warum ist den Kindern es so wichtig, Pierre zu überzeugen? Mögen sie ihn so gerne? Ist er ein penetranter Angeber, der nicht rechtbehalten darf? Das erfahre ich als Leser einfach nicht.
Werden zunächst nur Gegenstände auf den "Altar der Bedeutung" gelegt, werden die verlangten Opfergaben zunehmend grausamer, unumkehrbar, makaber und fürchterlich.
ACHTUNG SPOILER!
Ein lebender Hamster, Zöpfe eines Mädchens werden abgeschnitten, eine Adoptionsurkunde, der Sarg des toten zweijährigen Bruders wird ausgebuddelt, einem Hund wird der Kopf abgeschnitten, ein Mädchen wird vergewaltigt, bzw. lässt sich freiwillig (!) vergewaltigen, einem Jungen wird der rechte Zeigefinger abgeschnitten. Nicht einer, der sich weigert, mitzumachen. Nur um einen depressiven Jungen auf dem Baum zu überzeugen? Das hinkt für mich so dermaßen, dass ich es mit zwei zugedrückten Augen nicht nachvollziehen kann.
Und dann kommt natürlich doch alles raus. Der Junge, der sich den Finger abschneiden lässt, verpetzt die anderen. Wieso lässt er sich erst noch den Finger abtrennen? Noch dazu, wo Musik und das Gitarre spielen seine große Leidenschaft ist? Ich verstehe auch das nicht.
Und es kommt noch doller. Was machen nun die Eltern und die Polizei? Bis auf ein wenig Hausarrest ... NICHTS! Was ist denn mit diesen Erwachsenen los? Ein Jugendstreich, jemanden zu vergewaltigen, jemanden den Finger abzuschneiden, einen Hund zu töten?
Und dann kommts, wies kommen muss, Pierre bleibt gänzlich unbeeindruckt. Das ärgert die anderen Kinder dermaßen, dass sie ihn umbringen. Sie prügeln ihn zu Tode und fackeln die alte Halle mitsamt ihrem "Bedeutungsberg" ab. Und alle Erwachsenen halten das für ein Unglück, ein Missgeschick, vielleicht auch Selbstmord.
Aus dieser ganzen verworrenen, unlogischen Erzählung lernen wir dann folgendes: Ich habe keine Ahnung!
Die Frage nach dem Sinn des Lebens, denn nichts anderes ist ja die Suche nach der Bedeutung, fand ich in dem Buch höchst unzulänglich dargestellt. Ich war enttäuscht von dem Buch.
Etwas seltsam empfand ich auch die "imperativen Dreiergruppen" der Autorin.
Hier ein paar Beispiele:
An der Zeit! Höchste Zeit! Im letzten Moment!
Schlechter Moslem! Kein Moslem! Niemand!
Ein winziges bisschen. Weniger. Nichts.
Durch die Gewaltspirale geht das Buch zwar an die Nieren, aber emotional bleiben einem die Protagonisten fern.