Beiträge von rumble-bee

    Mein lieber Schwan, äh, mein lieber Steve Stern - das ist ja ein ganz schöner Brocken, den Sie uns Lesern hier zumuten. Nicht einmal von der Länge her - aber Sie haben sich inhaltlich und stilistisch einfach sehr viel vorgenommen. Ich weiß Ihre Fabulierfreude und erzählerische Experimentierlust zu schätzen, denke aber trotzdem, dass dieses Buch an europäischen Lesern weitestgehend vorbei geht. Wissen Sie, es ist ja schön und gut, wenn Sie gleich haufenweise auf (amerikanische) jüdische Autoren und Versatzstücke jüdischer Kultur anspielen - doch das alles ist im kulturellen Gedächtnis Europas, und insbesondere Deutschlands, nicht gerade im guten Sinne hängen geblieben, wenn Sie verstehen, was ich meine.


    In Amerika ist das anders, da ist man herrlich unbefangen, was die Mischung von Stilen und die Verwendung von Anspielungen angeht. Zudem sind die Autoren, auf die Sie hier anspielen und die sich wie ein roter Faden durch ihr Werk ziehen, hier bei uns einfach nicht so präsent - zwar oft gelobt, aber kaum gelesen.


    Sie werden doch wohl kaum bestreiten wollen, dass Sie hier nach Herzenslust Philip Roth ("Portnoys Beschwerden") , Jonathan Safran Foer ("Alles ist erleuchtet"), Leon Uris ("Exodus") und noch etliche andere durch den Kakao ziehen? na also! Und Barbara Streisand dürfte sich auch wundern, dass ihr "Yentl" in diesem Buch wieder zu Ehren kommt (oder war das auch vorher ein Buch? Sehen Sie, hier weiß man so etwas nicht!). Ich sitze wirklich zwischen sämtlichen Stühlen, Herr Stern. Ich sehe ja durchaus, wie reichhaltig Ihre Inspirationsquellen waren, dennoch will sich für mich - ich bin halt auch Europäer - kein wirklich einheitliches Gesamtbild ergeben.


    Es fing ja noch sehr gut an. Sie kontrastieren hier zwei Handlungsstränge; einen um einen eingefrorenen Rabbi in der Vergangenheit, voller jiddischem Witz und "magischem Realismus". (Gabriel Garcia Marquez und Günter Grass wären stolz auf Sie!) Und den anderen Handlungsstrang in der amerikanischen Gegenwart, der sich um einen (seelisch) heimatlosen Jugendlichen dreht, der seine literarische Verwandtschaft mit dem berühmt-berüchtigten Alex Portnoy nun wirklich nicht bestreiten kann. Beide Stränge bewegen sich durch das ganze Buch hindurch aufeinander zu, um sich am Ende höchst unerwartet und herrlich abgedreht wieder zu verquicken. Das ist ja schon witzig erdacht von Ihnen! Im Grunde beginnt es mit Sex (Bernie auf der Suche nach einem Objekt der Begierde), und es endet eben auch mit Sex - mit einem Höhepunkt der besonderen Art. Aber ich will neuen Lesern nicht zuviel erzählen.


    Aber, Herr Stern, ist denn dann nicht der Titel des Buches falsch gewählt? Im Grunde geht es in dem Buch gar nicht großartig um den Rabbi. Der taucht höchstens drei- bis viermal am Rande auf. nein, es geht um nichts weniger als "die Juden", um eine jüdische Familiengeschichte über mehrere Generationen, die wiederum mehrere Untergeschichten enthält (Assimilation in Amerika, Guerrillakrieg in Palästina...). Das ist zwar alles durchaus ansprechend miteinander verstrudelt, dennoch letzten Endes aber ein wenig viel. Erst recht für hiesige Leser.


    Aber ich will Sie beruhigen, das Buch hatte für mich auch durchaus ansprechende Seiten. Den herrlich lakonischen Sprachwitz zum Beispiel, der sich in einem unaufgeregten Erzählton und vielen kleinen Seitenhieben offenbarte. Wer würde denn schon eine alte Schindmähre "Bat-Scheba" nennen? Hier habe ich herzhaft gelacht! (Bat-Scheba war, laut Bibel, ja die Frau, die König David mit ihrer Schönheit um den Verstand brachte, gell?) Ach, es waren schon viele Kleinigkeiten, die die Würze des Buches ausmachten. Die missglückten Erfindungen von Schmerl Karp beispielsweise. Oder die bärbeißige Ehefrau von Salo. Und erst diese ganzen Familiennamen! herrlich! Auch hat mir gefallen, dass Sie uns Lesern schon einiges an Intelligenz zutrauen. Denn das Buch platzt ja beinahe vor jiddischem (Sprach-) Kolorit.


    Den sehr ausgeprägten mystischen Anteil des Buches hätte ich fast vergessen. Das liegt eben daran, dass diese "jiddische Wundertüte" fast zu viel Inhalt hat. Da verliert man als Leser schon mal den Überblick. Jedenfalls: auch die zu Dutzenden genannten und zitierten mystischen und spirituellen Autoren, wie James Redfield, Norman Vincent Peale, Eckart Tolle (ein Deutscher! Danke!) usw. haben mich in ihrer Vielfalt durchaus beeindruckt. Mein Respekt, was Sie nicht alles kennen!


    Nur, mein lieber Steve Stern: das nächste Mal bitte ein wenig weniger Wundertüte, und mehr allgemein verständlichen Roman. Jedenfalls dann, wenn Sie auch in Europa Erfolg haben wollen.


    Is sich das ein Buch, geschrieben von Shmock für andere Shmock. Nix für Goys. Nu.

    Es ist was faul im Staate Israel...



    Schon in meinem ersten Leseeindruck hatte ich es geahnt, und nun, nach der Lektüre des Buches, kann ich dies nur bestätigen: "Das Haus der Rajanis" von Alon Hilu ist ein durch und durch ambitioniertes Projekt, ein mutiges und gelungenes Buch! Mir hat sehr gefallen, wie beherzt der Autor ein schwieriges Thema aufgegriffen hat, und mit wie vielen Stilmitteln und Kniffen er es angegangen ist. Fürchterlich schade ist bei der ganzen Sache nur, dass manche dieser Kniffe für den Durchschnittsleser nicht ersichtlich waren. So bestand die Gefahr, dass man rein an der Oberfläche der Sachinformation entlang liest, dass man nur die Story beurteilt - und infolgedessen musste eine solche Rezension natürlich am Sinn vorbeigehen, den der Autor - meiner Meinung nach - eigentlich verfolgt hat. Ich möchte das gerne genauer erläutern.


    Ich bin ja auch erst in der Mitte des Buches darauf gekommen. Da dämmerte mir so langsam, was der Autor eigentlich vorhatte. Da hatte ich seine Anspielungen entschlüsselt, und es wurde mir klar, worauf dieses Buch eigentlich aufbaut. Kurz und gut: er schildert eben "nicht nur" den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aus historischer Sicht, anhand einer Romanhandlung. Nein, er bezieht sich ausdrücklich auf ein großes Vorbild aus der klassischen Literatur, und zwar - auf Shakespeare! Ich habe nachgeschlagen, und bin mir nun absolut sicher. Nahezu das gesamte Handlungsgerüst geht auf den "Hamlet" zurück (Ermordung des Vaters durch einen Rivalen, Enthüllung der Schandtat durch Vorspielen, Geistererscheinung, Versuch der "Verschickung" des Sohnes, etc. pp.), und etliche zusätzliche Motive, wie Wahnsinn, Prophezeiungen, und der "laufende Wald", stammen aus "Macbeth". Das lässt natürlich das gesamte Buch in einem anderen Licht erscheinen, und eigentlich müsste man es sofort noch einmal von vorne lesen. Doch dazu fehlt mir im Moment leider die Zeit.


    Shakespeare steht für mich für eine ganz bestimmte Haltung, was Literatur kann und soll. Insofern kann ich nur vermuten, Alon Hilu hat sich gewünscht, auch im Lichte dieses Meisters beurteilt zu werden. Shakespeare hat ja immer klassische Leidenschaften und Laster der Menschheit gegeißelt; er hat seine Zeit schonungslos porträtiert, und wollte dadurch die Menschen wachrütteln. Ergo folgere ich, Alon Hilu hat durch die Wahl dieses Bezugsrahmens zeigen oder unterstreichen wollen, dass der Nahost-Konflikt eben ein klassisch "menschlicher" Konflikt ist. So etwas kam und kommt - leider - immer wieder vor. Und, auch das zeigt uns Shakespeare, ein Konflikt, auch ein schwerer mit politischen Folgen, geht meistens nur von einigen wenigen irregeleiteten Zeitgenossen aus. Die allgemeine "Schuldfrage" kann somit nur schwer oder gar nicht beantwortet werden, wenn nämlich die ursprünglichen "Anstifter" längst verstorben oder verschwunden sind. Und gerade deshalb bin ich so begeistert von diesem Buch! Es macht die moralische Beurteilung des Geschehens dem Leser wirklich nicht leicht - WENN er denn diesen Bezugsrahmen erkannt hat. Es stellt ganz bewusst krasse Klischees, sowohl gegenüber Arabern als auch gegenüber Juden, nebeneinander, es spitzt zu und regt auf. Das geschieht mit voller Absicht, eben um zu zeigen, he Leute, so ist die Welt, aber wir alle könnten unter den entsprechenden Umständen ebenso reagieren.


    Doch dies soll keine sozialwissenschaftliche Abhandlung werden. Noch einige Bemerkungen zum Buch an sich.


    Alon Hilu hat sich wirklich Mühe gegeben, seine Botschaft zu entschärfen und zu verschachteln. Erstens: er verlegt die Handlung um über hundert Jahre zurück, in das Jaffa des späten 19. Jahrhunderts. So konnte er nach Herzenslust in den Vorurteilen schwelgen, welche die damaligen Araber und Juden gegeneinander hegten.


    Zweitens: er wählt ganz bewusst eine altertümliche Sprache, die dem Hebräisch der Bibel nachempfunden ist. Darin ist er sehr konsequent, und größtenteils gelingt es ihm auch wunderbar. Gerade durch diese Sprache entsteht für mich oft eine sehr feine Ironie, die umso tiefer trifft. Ein wenig schade ist nur, und da muss ich manchen Rezensenten zustimmen, dass sich der Erzählton des Erwachsenen, Isaac, und des Jungen, Salach, nicht allzu sehr unterscheidet.


    Drittens: Er schaltet dem Buch eine - offenbar fiktive - Vorbemerkung eines "Herausgebers" vor, um das Geschehen realistischer wirken zu lassen. Ebenso gibt es ein Nachwort, in dem vom weiteren "Leben" der Hauptpersonen berichtet wird.


    Viertens: Er schreibt sein konfliktreiches Drama in Tagebuchform. Sowohl der israelische Agronom Isaac Luminsky, als auch der arabische Junge Salach Rajani, vertrauen ihren Tagebüchern ihre Erlebnisse mit dem jeweils anderen an. Das wirkt wiederum sehr unmittelbar, und bezieht den Leser mit ein.


    Fünftens: Er geht auch noch absichtlich so weit, die Tagebucheinträge der beiden Protagonisten sich ständig widersprechen zu lassen! Das beginnt erst ganz allmählich, doch spätestens ab der Mitte des Buches beginnt der Leser offen zu zweifeln. Schildert Isaac eine Episode eben noch aus seiner Sicht, sagt zwei Seiten später Salach etwas komplett anderes. Man kann einfach nicht entscheiden, wer "Recht hat". Man ist gezwungen, sich seine eigene Meinung als Leser zu bilden. Auch das finde ich, innerhalb der Gesamtaussage des Romans, genial gemacht! Ein wenig verwirrend wird diese Technik nur am Ende, weil nämlich für den Leser letztlich offen bleibt, ob der Kampf zwischen Isaac und Salach tatsächlich stattgefunden hat. Doch mir machte das nichts aus - ich finde Spielräume für die Imagination wunderbar.


    Wenn wir nun alle diese Kniffe, Verschachtelungen und "Rahmen" zusammen betrachten, dann liest sich der reine Plot doch schon ganz anders: Ein studierter junger Israeli, Isaac Luminsky, reist mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Esther ins heutige Israel ein, um Land zu besiedeln. Offenbar sind die beiden von einer internationalen Organisation, den "Chowewei Zion", dafür geködert worden. Doch Isaacs Frust steigt schon bald an. Seine Ehefrau weist ihn sexuell ab, und das ist für einen Juden eine Katastrophe! Denn im Judentum ist Sex etwas Heiliges, sozusagen eine spirituelle Disziplin, ganz ähnlich dem tibetischen Tantra. Hinzu kommt, dass die Versprechungen der Chowewei offenbar falsch waren. Das einzige fruchtbare Land wird von Arabern bewohnt, und so ist Isaac letztlich nur glücklich, durch eine zufällige Begegnung auf der Straße Salach und seine Mutter Afifa kennen zu lernen. Denn diese besitzen ein wunderbar großes, wenngleich ein wenig verfallenes Landgut, samt herrlichsten Böden. Nicht nur dadurch wird Isaacs Begehrlichkeit geweckt. Afifa ist reizend, Strohwitwe, und auch der Junge ist durch sein Leben unter Frauen und die lange Abwesenheit des handelsreisenden Vaters ein wenig seltsam geworden. Beide, sowohl Afifa als auch Isaac, benutzen nun in Folge den Jungen als Vorwand und Schutzschild, um ihre jeweils eigenen Interessen verfolgen zu können. Es kommt, wie es kommen muss: die Situation spitzt sich immer mehr zu, bis Salach dahinter kommt, dass er nur benutzt wurde. Als dann auch noch der Vater zurückkehrt, ist die Katastrophe vorprogrammiert...


    Ja, im Rückblick merke ich erst, dass das Buch nicht nur politisch gewichtig, sondern auch spannend war. Sicher, man musste sehr aufmerksam lesen, um den Bezug zum "Rahmen" nicht zu verlieren. Doch hatte man sich erst einmal daran gewöhnt, konnte man mit der Lektüre kaum aufhören. Ich vergebe also völlig verdiente fünf Sterne für dieses anspruchsvolle und ansprechende Lese-Erlebnis!

    Die kleine Schwester von Siri Hustvedt


    Wirklich, ich kann mir den Vergleich nicht verkneifen - zu offensichtlich sind die Parallelen zwischen diesem Buch hier, Lauren Grodsteins "Die Freundin meines Sohnes", und seinem literarischen Seelenverwandten, Siri Hustvedts "Was ich liebte". Doch Lauren Grodstein geht in manchen Punkten anders vor, sie verwendet andere Erzähltechniken, sie fasst sich wesentlich kürzer, und sie gestaltet das Ende anders. Und genau aus diesen drei Gründen gefällt mir diese Version des großen Themas "geplatzter amerikanischer Traum" wesentlich besser!


    Seien wir ehrlich, was Kritiker manchmal als "große Literatur" bezeichnen, geht an uns Lesern schlicht vorbei. So erging es mir mit Siri Hustvedt. Man erlaube mir die Formulierung, aber deren Epos fand ich strunzlangweilig und ausgewalzt. Ganz anders hier! Na bitte, es geht doch. Lauren Grodstein schafft es, dasselbe Thema mit Frische und liebenswerten Details umzusetzen, in einer Sprache voller Warmherzigkeit und Witz.


    Thema: Ein Mann mittleren Alters, vorzugsweise aus gehobener Gesellschaftsschicht, erzählt in Rückblenden aus seinem Leben. Er steht an einem Punkt, an dem alles verloren scheint - sowohl die Partnerschaft, als auch die Beziehung zum eigenen Kind. Mit in das eigene Leben verwoben ist ein anderes, befreundetes Ehepaar, nein, nicht irgendeines: der beste Freund samt seiner Frau. Man hat sich schon früh kennengelernt, und insgeheim war man damals (teils auch noch heute) scharf auf die Frau des Anderen. Doch es hat nicht sollen sein. Man blieb auf freundschaftlicher Ebene, bekam Kinder, fuhr gemeinsam in den Sommerurlaub. Doch irgendwann kippte die Idylle langsam, aber sicher, als nämlich die Elemente "Tod" und "Kriminalität" in Bezug auf eines der Kinder Einzug halten in die Familien. Ab jenem Zeitpunkt beginnt das schöne Bild zu zerbröseln, und es fehlt nur noch ein winziger Fehltritt des Protagonisten, um seinen persönlichen Abstieg "perfekt zu machen"...


    Bis zu genau diesem Punkt könnte die obige Beschreibung für beide (!) von mir oben erwähnten Bücher gelten. Doch Lauren Grodstein geht meiner Ansicht nach wesentlich geschickter vor, um den Leser auch wirklich "bei der Stange zu halten".


    Erstens einmal verteilt sie die Anteile zwischen "Rahmenhandlung im Jetzt" und "Rückblenden" anders. Ich habe nicht nachgezählt, aber die eigentliche Rahmenhandlung nimmt nicht viel mehr als ein halbes oder fast ein ganzes Kapitel ein. Zu Anfang des Buches liegt der größere Anteil des Rahmens, und er ist voller Andeutungen, die erst im Laufe des Buches aufgelöst werden. Spannend und geschickt gemacht! Mitten im Buch sind es vielleicht ein- oder höchstens zwei Sätze im "Jetzt", mit denen ein Kapitel beginnt; doch unmerklich leitet die Autorin immer wieder in die Vorgeschichte über. Sehr sanft sind diese Überleitungen, und immer vollkommen logisch. Ganz zum Ende des Buches liegt dann der verbleibende, zweite größere Teil des "Rahmens", und damit wird das Buch auch sehr rund abgeschlossen. Es begann im Jetzt, und endet auch im Jetzt. Der weitaus größte Teil des Buches spielt jedoch in der Vergangenheit, dem Leser wird mit der Verortung im "jetzt" lediglich ein Anker geboten. Das macht die Lektüre leicht und schwebend, und dennoch nicht ziellos - denn man weiß bzw. ahnt ja, dass alles auf ein Ende hingeführt wird.


    Was die Erzähltechniken betrifft, fiel mir auf, dass Lauren Grodstein zwar konsequent die Perspektive des Protagonisten, Pete Dizinoff, einhält, aber erfrischend viele, lebendige Dialoge vorkommen lässt. Und zwar fast ohne lästige "Redebegleitsätze". Ja, so hätten lebende Personen tatsächlich sprechen können! Das nimmt man ihr ab. Daran nimmt man Anteil. Das liest man gern.


    Der Titel "Die Freundin meines Sohnes" ist erfrischend direkt, und bezeichnet im Kern schon genau, worum es geht. ( Der Originaltitel ist da ein wenig neutraler: "A friend of the family".) Ganz ähnlich wie bei Hustvedt, geht es auch hier um eine Freundschaft zwischen den Kindern der befreundeten Väter, doch um eine Freundschaft, die letzten Endes nicht gut geht. Laura (Joes älteste Tochter) ist zehn Jahre älter als Alec (Petes einziger Sohn), und sie hat als Teenager ungewollt ein Kind geboren und es sogar getötet! Wie kann Pete da nicht entsetzt sein, als sich die beiden ineinander verlieben? Man kann den Mann verstehen. Was aber den wirklichen "Thrill" in diesem Buch ausmacht, ist die ständige erotische Spannung, der verwirrende Unterton, der sich immer dann einschleicht, wenn Pete die "böse Laura" beschreibt, oder mit ihr in Kontakt kommt. Man ahnt es als Leser schnell, hier wirkt noch immer die einstige Enttäuschung in Pete fort, die Enttäuschung, schon bei Lauras Mutter nicht landen zu können. Doch Laura gleicht ihrer Mutter fast aufs Haar...


    Lauren Grodstein belässt es aber nicht bei dieser an sich schon heiklen Konstellation. Nein, sie lässt Pete Dizinoff, der nämlich erfolgreicher Arzt ist, auch noch einen Beinahe-Kunstfehler begehen, was Petes private Situation zusätzlich verschärft. Nicht genug damit, dass er bei seinem Sohn und seiner Frau an Ansehen verloren hat, weil er die Beziehung zu Laura gewaltsam hintertrieb - nein, jetzt hängt auch noch das berufliche Damokles-Schwert über seinem Haupt. Und das ist nun wirklich kunstvoll gemacht: nahezu das ganze Buch über wird dieses zweite Drama nur angedeutet, in der Schwebe gehalten. Erst im allerletzten Kapitel erfährt der Leser die Auflösung.


    Zur Schreibweise insgesamt möchte ich anmerken, dass Lauren Grodstein es einfach versteht, einzelne Szenen lebendig zu gestalten. Ihre Schreibweise ist nicht so akademisch oder episch wie in anderen Büchern, die einem als "große amerikanische Literatur" verkauft werden. Nein, sie ist einfach menschlich, wunderbar detailgetreu, und nachvollziehbar. Manche Szenen sind derart gelungen, dass man sie auch einzeln nachlesen könnte - wie beispielsweise der gemeinsame Museumsbesuch, oder der Besuch bei Petes sterbendem Vater. Wunderbar beobachtet, und unverkrampft geschildert!


    Mein einziger Kritikpunkt, der auch der Grund dafür ist, dass ich "nur" vier Sterne vergebe, ist das Ende, in Verbindung mit der Motivation einzelner Personen. Ich möchte nicht zu viel verraten - daher nur soviel: hätte die Autorin die Charakterisierung ihrer Figuren konsequent durchgehalten, so, wie sie am Anfang vorgestellt wurden, hätte es am Ende eigentlich anders ausgehen müssen. Mir ist da manche Verhaltensweise nicht ganz ersichtlich. Doch insgesamt haben mich der Spannungsbogen, die Wärme des Buches, und die erfrischenden Dialoge wieder versöhnt. Ich kann das Buch wirklich nur jedem empfehlen, der ansonsten vom "amerikanischen Roman" ein wenig gefrustet ist - denn es gibt sie noch, die schnörkellose und lesbare Literatur!

    Literarisches Labyrinth



    Beginn der ersten Lektüre. Ich begegne Boris in seinem merkwürdigen Geschäft für "verworfene Ideen". Ich erschnuppere seine Gedankenwelt, die zwar ein wenig fremd, aber doch hintersinnig und tiefgründig scheint. Eine Frau betritt seinen Laden, eigentlich aus Versehen. Auch sie schnuppert, und was sie findet, scheint ihr zu gefallen. Denn sie kommt wieder, um sich mit Boris näher zu befassen. In ihren Gesprächen tauschen die zwei allerlei philosophische Spitzfindigkeiten aus, und ich als Leser entwickele eine Art Faszination. Es werden immer mehr Gedankensplitter in den Raum gestellt, jeder für sich ein wenig skurril, alle zusammen jedoch wunderbar kauzig.


    Doch dann schlägt das Buch eine andere Richtung ein. Boris lüftet für seine schöne Besucherin sein größtes Geheimnis: er erzählt ihr von den verworfenen Roman-Anfängen, die er ebenso sammelt. Mit anderen Worten, jetzt wird das Buch zu einer Art "Babuschka", diese russischen Puppen, bei denen immer noch eine weitere, kleinere Version in der größeren wartet. Mit Boris und Rebecca öffnet der Leser so nacheinander drei Geschichten, um sie anschließend genauso wieder ineinander zu stapeln. Nachdem man so wieder in der Gegenwart angelangt ist, ist das Buch fast sofort zu Ende. Nur noch zwei, drei Seiten, und aus. Rebecca und Boris haben anscheinend den ganzen Tag verplaudert, und verabreden sich nun zum gemeinsamen Abendessen. Das war's.


    Ich gebe zu, im ersten Moment wollte sich ein wenig Frustration einstellen. Denn den Sinn des Ganzen bekommt man in diesem Buch gewiss nicht auf dem Silbertablett serviert. Nein, erst im Nachhinein wird mir klar, dass dieses Buch sozusagen eine Baustelle ist. Nichts ist fertig, alles lädt den Leser ein, sich sein eigenes Gedankengebäude zu errichten. Und genau das fasziniert mich ungemein! Ich habe lange nach einem Vergleich gesucht, um dieses Buch zu deuten. Mir fällt lustigerweise nur ein Film ein, kein Buch: "Mulholland Drive" von David Lynch. Bei diesem Film war es genauso. Man kann ihn sich unzählige Male ansehen, und wird doch nie zu einer endgültigen Deutung kommen. Das Ganze ist ein Rätsel, ein schillerndes Kaleidoskop, surreal und schräg. Man mag sich fest vornehmen, die "Handlung" sozusagen durch eine bestimmte Tür zu betreten - und doch wird man immer wieder durch eine andere Tür ins Freie gelangen. Das ist so gewollt, und letztlich auch sehr spannend.


    Sicher, ich könnte mich jetzt daran setzen, und dieses schillernde Buch auf Querverweise und Anspielungen untersuchen. So kommen gewisse Themen in den verschiedenen Rahmenhandlungen immer wieder vor, wie z.B. Getränke (Tee und Kaffe), sinnlose soziale Gepflogenheiten, aus Idealismus geführte Geschäfte, oder die Suche nach dem Sinn des Lebens. Auch könnte man vermuten, Boris habe sich in den Romananfängen, die er vor Rebecca ausbreitet, im Grunde selber dargestellt. Er ist sowohl der Sanitäter in der Handlung um Sophia, als auch der blinde Gelehrte, als auch Heiner in der letzten Geschichte. Auch literarische Verweise gibt es. Zumindest in der letzten Geschichte. Hier wird deutlich, dass Jakob Hein sich eine moderne Version des "Faust" ausgedacht hat. Und in der mittleren Geschichte um Sophia meine ich, deutliche Anklänge an Haruki Murakami zu erkennen.


    Aber wird man damit diesem Buch wirklich gerecht? Ich meine, nein. Man muss sich auf dieses Abenteuer einlassen, man muss sich hindurchtasten durch dieses Labyrinth, und man sollte es möglichst mehrmals lesen. Man wird immer Neues daran entdecken, und man wird bezaubert sein vom schillernden Ideenreichtum dieses zwar ungewöhnlichen, aber farbigen literarischen Kleinods. Nur eines wird man niemals schaffen: es in eine Schublade zu stecken.

    So unselig deutsch


    Die Leseprobe hatte mein Interesse geweckt, weil sie für einen Kriminalroman Ungewöhnliches versprach: viele graphische und optisch detailliert beschriebene Details, einen geruhsamen Erzählstil, und eine sympathische Nebendarstellerin. Allerdings wurde ich schon in der Leseprobe mit dem eigentlichen Helden, Kommissar Dühnfort, nicht so richtig warm. Dementsprechend war meine Erwartungshaltung, als ich mir das Buch schließlich kaufte, gemischt.


    Auch nach der Lektüre bleibt mein Eindruck durchaus zwiespältig, so dass ich nicht über drei Sterne hinausgehen mag. Alle Ahnungen, welche die Leseprobe bei mir weckte, haben sich bestätigt: der Erzählstil bleibt gemächlich, viele Schilderungen sind ungewöhnlich "farbig" und optisch ansprechend, und Dühnfort wird dem Leser nicht wirklich näher gebracht. Positiv vermerkte ich allerdings, dass die vermeintliche Nebendarstellerin Vicki Senger zur heimlichen Heldin avanciert - eigentlich ist sie es, die den Roman zum großen Teil vorantreibt, auch wenn sie den Fall letztlich nicht löst. Man merkt aber auf jeden Fall, dass sich die Autorin hier mehr Mühe in der Charakterisierung gegeben hat - Vicki wirkt einfach lebendiger als Dühnfort, und im Gegensatz zu ihm bekommt sie auch eine ganz eigene Sprache und Ausdrucksweise zugeordnet.


    Vermutlich kann ich Kommissar Dühnfort auch deshalb weniger beurteilen, weil ich die Vorgänger-Bände nicht kenne (die Wahrscheinlichkeit diese zu lesen, ist aber, nach diesem Buch, auch nicht wesentlich gestiegen). So kann ich nur anhand dieses Buches urteilen. Ein merkwürdiger Mensch ist er ja schon. Er flucht die ganze Zeit auf Französisch ("merde!"), und scheint schwarze Schokolade zu lieben - denn immerzu vergleicht er die Augenfarbe seiner Kollegin mit "noir", eine Bezeichnung, die auch für Süßwaren Verwendung findet. Er hat eine Vorliebe für Delikatessen und Weine (wobei mir diese Schilderungen aber mit der Zeit aufgrund ihrer Häufung auf die Nerven gingen!). Ein merkwürdiger Segel-Unfall überschattet sein Leben, sowie seine Unfähigkeit, sich zwischen zwei Frauen zu entscheiden. Insgesamt wirkt es so, als habe sich die Autorin krampfhaft bemüht, Wallander einen deutschen Kollegen an die Seite zu stellen. Wie man sich das als deutscher Autor eben so denkt - eine Prise Privatleben, eine Prise verschrobener Charakter, eine Prise Zwist mit den Kollegen. Und doch - man merkt diesem Charakter halt das "Rezept" an. Er wirkt auf mich nicht wie eine Figur, die so wirklich gelebt haben könnte. Etwas schablonenhaft, könnte man sagen. Und mal ehrlich, welcher normale Mensch denkt denn mitten in der Nacht, wenn er von einem Tatort kommt, noch an Antipasti und Soave?? Da hörte es bei mir auf.


    Der Fall an sich war schon recht originell geschildert. Der Prolog war packend und griffig-kurz, und die Spannung wurde in den häufigen Einschüben, auch aus der Sicht des Täters, größtenteils gehalten. Ansprechend fand ich die Idee, dass der Täter durch seine Taten versucht, ein Gemälde nachzustellen, bzw. zu erschaffen. Auch die zahlreichen in die Handlung gestreuten Details und Informationen zur Bedeutung von Stilleben haben mir gefallen. Ausgesprochen geglückt war der Kniff der Autorin, immer mal wieder einen einzigen (!) Satz einzustreuen, der durch eine Detailinformation den Verdacht des Lesers auf eine bestimmte Figur lenkte - und zwar meistens falsch! Erst am Ende des Buches weiß man, welche Details man überlesen hat, welche wirklich entscheidend waren. Das war sehr gut!


    Allerdings verliert das Buch eben eine gute Portion an Elan durch die Tatsache, dass sich die Autorin nicht so recht hat entscheiden mögen, wer denn nun der Held des Buches ist. Offizieller Ermittler ist Kommissar Dühnfort, aber er ermittelt eigentlich kaum etwas. Die Kommunikation mit seinen Untergebenen stimmt oft nicht, und vieles setzt sich bei den Ermittlungen erst sehr verspätet zusammen. Dühnfort ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um diesem Fall wirklich seine Aufmerksamkeit zu widmen. Nein, Vicki Senger, die junge Rebellin und Hobby-Fotografin, ist die eigentliche Sympathieträgerin dieses Buches. Sie geht auf eigene Faust einem Hinweis nach, den sie auf einem heimlich geschossenen Bild des Tatortes entdeckte. Bis zur Mitte des Buches verlaufen so ihre Ermittlungen parallel zu denen Dühnforts - wobei für mich schon wieder ein unglaubwürdiger Punkt erreicht ist. Bitteschön, welcher Kommissar ruft denn eine Zeugin per Handy (!!) an, um ihr eigenmächtiges Handeln zu tadeln?? Überhaupt wird die persönliche Kommunikation in diesem Buch eher vermieden. Alles schreiben sich Mails, oder SMS, oder rufen per Handy an. Ich kann ja nicht beurteilen, ob das heute tatsächlich so läuft. Es wirkte aber auf mich sehr gestellt.


    Im letzten Drittel scheint die Autorin gemerkt zu haben, dass sie nun die Spannung wieder etwas anziehen muss, und so kommt es zwar zu einem spannenden Showdown, doch werden nicht alle Fäden logisch völlig befriedigend verknüpft. manche Erklärung wirkte ein wenig "hinterhergeschoben". Großartig allerdings der Abgang Vicki Sengers aus der Handlung: sie nutzt die dramatischen Ereignisse zur persönlichen Weiterentwicklung, was mir sehr gefiel.


    Ja, ich kann nur wiederholen, was ich weiter oben schon andeutete. Das wirkte auf mich im Rückblick alles ein wenig "nach Plan" erstellt, bemüht deutsch, so wie man eben als deutscher Autor denkt, dass ein Krimi zu sein habe. Gute Ideen waren vorhanden, vor allem im Streuen von falschen Verdachtsmomenten, und in der Charakterisierung der weiblichen Neben(?)-Darstellerin. Sehr schön auch immer wieder die optischen Schilderungen. Zur Bremse des Romans entwickelte sich allerdings der phlegmatische Kommissar Dühnfort, dessen Probleme mit dem weiblichen Geschlecht ich nun wirklich nicht nachvollziehen konnte - und dessen Umgang mit seinem Team man nur "verfahren" nennen kann. Wollen wir hoffen, dass die Autorin in Zukunft den Mut findet, sich eindeutiger für eine Person und / oder Perspektive zu entscheiden!

    Seien wir ehrlich - ein Roman-Autor ist James Redfield sicher nicht. Denn obwohl er auch sein neuestes Buch über Spiritualität in eine Handlung kleidet, so merkt man doch genau, dass dies nicht seine eigentliche Stärke ist. Eher halbherzig wird hier versucht, möglichst viele Erkenntnisse in möglichst ebenso viele actionreiche Episoden zu pressen, wobei aber fast zwangsläufig einer der beiden Aspekte zu kurz kommen muss.


    Das merkt man schon daran, dass Redfield sein "Erfolgsrezept" seit dem allerersten Celestine-Band nicht verändert hat: ein namenloser Erzähler, der auch im Laufe des Buches nicht näher beleuchtet wird, macht sich auf zu einem Treffen mit einem alten Freund an einem öffentlichen Ort - dort erwartet er, vom Freund Informationen über ein Dokument zu erhalten - schon auf dem Weg zum Treffpunkt ereignen sich Dinge, die zu den späteren Erkenntnissen passen - sobald der Erzähler seinen Freund getroffen hat, brechen beide auf zu einer abenteuerlichen Reise - die Reise verläuft eher planlos, und wird von Zufällen vorangetrieben - auf jeder Station ereignen sich zahllose wundersame Begebenheiten - etliche Zufallsbekanntschaften kreuzen den Weg der Protagonisten - man wird getrennt, und gerät in Gefahr - und am Ende hat man nicht nur, oh Wunder, wie auf einer Schnitzeljagd das Dokument komplett beisammen, sondern auch neue Freunde und Einsichten gewonnen. So weit, so gut, und auch so bekannt.


    Ich persönlich kannte diese "Redfield-Masche" schon, und war insofern vorbereitet. Ich kann aber sehr gut verstehen, warum manche Leser von diesem Werk eher abgeschreckt waren, und einen erschwerten Zugang hatten. Denn in der Tat hat sich Redfield hier Besonderes vorgenommen. Erstens geht es in diesem Band nicht nur um Spiritualität allgemein, sondern es werden gleich alle großen Weltreligionen angesprochen und näher beleuchtet. Hinzu kommt zweitens eine weltpolitische Dimension, indem nämlich der Erkenntnisgewinn sowohl durch Links- als auch Rechtsextremisten bedroht wird. Die Protagonisten bewegen sich, besonders in den letzten Kapiteln, also zwischen zwei - jeweils bewaffneten - Fronten. Drittens finden im Laufe der Handlung Menschen unterschiedlichster Nationen und Konfessionen zueinander, um gemeinsam eine Gruppe zu bilden, welche die Erkenntnisse des Dokumentes nicht nur empfangen, sondern auch gleich noch für die ganze Menschheit zugänglich machen soll. Und als wäre das noch nicht genug, wird viertens eine Redfieldsche Interpretation des Maya-Kalenders und seiner Aussagen über die "Endzeit" mit eingeflochten. Ein pralles Pensum also. Man muss schon geübter Redfield-Leser sein, um sozusagen durch die eher kümmerlich ausgestaltete Handlung "hindurchzulesen", um alle diese Fäden nicht aus den Augen zu verlieren.


    Und genau hier liegt auch für mich der sprichwörtliche Hase im Pfeffer. Es war selbst mir schon fast zu viel des Guten. Redfield hatte überhaupt keine Zeit mehr, seine Charaktere gründlich zu porträtieren, oder sie insofern auszubauen, als es für einen "Roman" erwartbar wäre. Nein, Menschen tauchen einfach auf, sie sind eben, wer sie sind, sie wechseln wenige Sätze, und sind gleich mittendrin. Jede Episode geht in die nächste über, ohne sich auch nur im Geringsten um Dinge wie Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität zu kümmern. Besonders in den Szenen, die auf einer Wanderung oder im Gebirge spielen, wurde das deutlich. Immerzu geht es um gefährliche Ecken, und um Aussichtspunkte auf Plateaus. Ich habe es irgendwann aufgegeben, nachzuprüfen, welchen Weg sie jetzt gerade gegangen sind, und ob das Sinn macht. Als ich mich dann einfach von den geschilderten spirituellen Erkenntnissen treiben ließ, wurde mein Lesegefühl besser, aber eben immer noch nicht recht "rund". Mir will einfach nicht einleuchten, warum jemand sein Zelt ins Gebirge schleppt, nur um es nach einer gefährlichen Begegnung mit dem Militär gleich wieder abzubauen. Doch das war nur ein Beispiel.


    Doch die ein wenig blutarme, weil gekünstelte, Handlung könnte ich ja noch verschmerzen. Was mich wirklich wurmt, ist die Inkonsequenz in einem wichtigen inhaltlichen Punkt. Redfield hat sich augenscheinlich vorgenommen, in diesem Buch alle Weltreligionen miteinander zu versöhnen - weil sie alle zusammenarbeiten müssen, um die zwölfte Prophezeiung umzusetzen. Gut, Judentum, Christentum, Islam, und indigene Religionen wie die Maya kommen vor. Doch was ist mit dem östlichen Gedankengut? Was ist mit Buddhismus und Hinduismus?? Ganz zu schweigen von den spirituellen Traditionen Japans und Chinas, wie Shinto und Taoismus/Konfuzianismus. Es ist erbärmlich - nur in einem einzigen Nebensatz erwähnt unser namenloser Hauptdarsteller, "er habe sich mal mit östlichem Gedankengut beschäftigt". Doch das wird nicht weiter in der Beschäftigung mit der zwölften Erkenntnis berücksichtigt. Und das ärgert mich! Und zwar nicht etwa deshalb, weil nun etwas fehlt, sondern weil es sich schlicht und ergreifend logisch widerspricht. In der Prophezeiung heißt es doch ganz deutlich, alle (!) Religionen müssten miteinander zu einer neuen Spiritualität finden. Und man kann doch nun wirklich nicht ganz Asien außen vor lassen.


    Ich kann nur vermuten, dass gerade der Buddhismus Redfield nicht ins Konzept gepasst hat - weil er eben nicht von einem Schöpfergott ausgeht, weil das Konzept "Gott" nicht vorkommt. Und gerade das Wort "Gott" taucht ja in den letzten Kapiteln oft auf - die "Gegenwart Gottes" wird für die Gruppe auf dem Berg Sinai spürbar. Eine andere Interpretation wäre, Redfield hat entweder nichts oder zu wenig über den Buddhismus gewusst, oder er hat ihn nicht als Religion gelten lassen. Doch wie es nun auch wirklich gewesen sein mag, das ist alles nicht befriedigend, und für den Autor nicht wirklich schmeichelhaft.


    Ein weiterer Punkt, der mir diesmal ein wenig aufgestoßen ist, wäre die Sprache. Ich würde doch dem Übersetzer raten, nicht allzu wörtlich vorzugehen. Sicher ist Redfields Stil schon im Original nicht gerade "literarisch". Aber muss man sich dann auch im Deutschen so verrenken, dass ein Unwort wie "Bewusstseine" (!!) dabei herauskommt?? Ich finde auch den Ausdruck "Schablonen-Gruppe" nicht recht geglückt, und frage mich, was im Original wohl gestanden haben mag. Und diese ständigen Satzanfänge mit "Hören Sie,..." oder "Sehen Sie,..." gingen mir nach ein paar Kapiteln gründlich auf die Nerven. Ich hätte dafür das schlichte deutsche "Nun..." verwendet. Oder ähnliches.


    Man mag sich wundern, warum ich nach all diesen Punkten trotzdem drei Sterne verleihe. Ich möchte es so formulieren: es war zwar ein wenig anstrengend, aber man konnte sich doch durch die ein wenig verquere Handlung hindurchlesen, und die Gedanken und Ideen "an sich" erspüren. Das, WAS Redfield sagt und meint, ist an sich gar nicht so dumm. Viele schöne Gedanken sind dabei, über Integration, über den Frieden zwischen den Religionen, über die Macht von Gebeten, über das Erkennen der Schönheit, über die Bedeutung des Todes. Und auch die Redfieldsche Deutung des Maya-Kalenders hat mir gefallen, weil sie eben nicht auf der handelsüblichen Panikmache beruht. Ja, man muss Redfield wohl eben nehmen, wie er ist. Viele andere spirituelle Autoren, ja eigentlich die meisten, entscheiden sich eher dazu, rein sachliche Bücher zu schreiben, wie Essays, Dialoge, oder Biographien. Eben keine Romane oder Abenteuergeschichten. Dass Redfield es dennoch versucht, mag seine persönliche Marotte sein.

    Schon seit dieses Buch vor Kurzem hier ankam, lag es irgendwie lockend in der Ecke - so als werfe es seine Fangnetze nach mir aus. Immer wieder streifte der Blick zum düsteren Cover, bis ich es nicht mehr aushielt, und halb widerwillig, halb fasziniert mit der Lektüre begann. Von da ab gab es kein Entrinnen mehr. Genau wie die Protagonisten in diesem Buch, sollte und wollte ich Hemmersmoor nicht mehr entkommen. Einen ganzen Tag lang litt, rätselte und verschlang ich, bis ich nach den gut 200 Seiten erschöpft wieder ans Tageslicht taumelte.


    Doch eines will mir nach wie vor nicht gelingen: dieses Buch in eine auch nur irgendwie geartete Schublade zu stecken. Schauerroman? Nur bedingt. Schaurig sind die Geschehnisse zwar, doch ist die Handlung, insofern man überhaupt von einer solchen sprechen kann, viel zu schlaglichtartig. Man erhält als Leser ein Porträt einer Dorfgemeinde, das ja, und man versteht auch ansatzweise die seelischen Verstrickungen der vier Erzähler Martin, Christian, Linde und Anke. Aber um es wirklich als "Roman" zu bezeichnen, nun ja, da fehlt einfach das vereinende Moment. Sicher, alle vier haben in diesem Dorf gelebt und gelitten, aber letztlich hat jeder sein eigenes grausames Schicksal und Geheimnis durchlebt.


    Auch die Bezeichnungen "Thriller" oder "Gruselgeschichte" wollen nicht so recht greifen. Zwar gibt es Geschehnisse, die nach außen hin totgeschwiegen werden - aber innerhalb des Dorfes ist eigentlich alles mehr oder weniger bekannt, der "Thrill" spielt sich also nur im Kopf des Lesers ab. Gruselgeschichte - nun ja, diese Bezeichnung lasse ich noch am ehesten gelten. Wobei die Bezeichnung "Geschichte" mit Vorsicht zu genießen ist. Es wird hier ein Motivteppich gewoben, und der Autor scheut sich dabei nicht, auch auf Eindrücke von berühmten Kollegen zurückzugreifen. Ich würde nicht sagen, dass es ganz bewusste Anspielungen sind - aber es gibt immer wieder Anklänge, Farben, Reminiszenzen, die sich fast unmerklich in diesen Teppich weben. Der Autor sammelt dabei von Autoren wie Stephen King, Shirley Jackson ("The Lottery"), Wilkie Collins, E. T. A. Hoffmann, Ottfried Preußler ("Krabat") und Lewis Carroll ("Alice im Wunderland"); ja, sogar filmische Anklänge gibt es ("Pans Labyrinth"). Doch all dies Material wird von Stefan Kiesbye zu einem völlig eigenständigen Werk verarbeitet, und dafür gebührt ihm Hochachtung!


    Ein wenig flapsig könnte man dieses Buch als "Ring der Niederungen" bezeichnen. Denn das Buch schließt einen erzählerischen Kreis: Es beginnt mit einem Prolog, in dem sich Martin, Alex, Christian und Linde auf der Beerdigung von Anke treffen. Danach streift es abwechselnd durch die Kindheiten der Beteiligten, wobei merkwürdigerweise nur Alex als Erzähler nicht auftritt. Wir begleiten diese fünf verdammten Charaktere von ihrer Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter, und landen am Ende in einem Epilog, der wieder in der Gegenwart spielt. Christian ist hierbei derjenige, der die Fäden in der Hand zu halten scheint - mit ihm beginnt und endet das Buch.Ich würde jedem Leser dringend dazu raten, nach Beendigung des Buches zumindest den Prolog noch einmal zu lesen - denn dann erschließt sich einem erst so manche Anspielung!


    Seine besondere Bedeutung erhält das Buch durch eine Entdeckung, die Christian (es war doch Christian...?) im letzten Drittel der Geschichte macht. Denn die alten Bahngleise führten eben nicht nur bis zu Brümmers Fabrik, nein, dahinter lag noch etwas anderes, etwas, was erklärt, warum diese Dorfgemeinschaft immer zusammenhielt, und lieber von sich ablenkte, als zu viel Aufhebens zu machen... Das möchte ich nicht näher erläutern, weil es wirklich für mich DER absolute Knalleffekt des Buches war. Ich sage nur, dass es unmittelbar mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte, kurz nach dessen Ende die Handlung ja auch beginnt...


    Auf einzelne Erzählstränge oder Motive möchte ich gar nicht näher eingehen, weil ich das voyeuristisch fände, und weil man dem Buch damit auch nicht gerecht wird. Man stelle sich in etwa vor, die Schlagzeilen der "Bild"-Zeitung über einen längeren Zeitraum zu sammeln, dann hat man in etwa alles, was sich in diesem Buch so abspielt - fast jede Grausamkeit, die man sich rund um Kinder und Familien so vorstellen mag. Dennoch wirkt es nicht übertrieben, weil es der Autor eben versteht, alles kunstvoll in der Schwebe zu halten. Dazu noch das, was hinter Brümmers Fabrik lag, und fertig ist der perfekt gestaltete, düstere Mikrokosmos.


    Aber wem würde ich dieses Buch empfehlen? Sicherlich nicht einem zart besaiteten Leser. Auch keinem Thriller-Fan, weil es dafür zu gemächlich daher kommt. Sicherlich aber einem literarisch interessierten Leser, der Freude daran hat, die Originalität dieses Werkes auszukosten, und der den vielen Anklängen nachspüren mag. Ich persönlich kann mich nur bei Verlag und vorablesen für dieses herausragende Lese-Erlebnis bedanken!

    Der entscheidende Knackpunkt bei diesem Buch scheint mir zu sein, mit welchen Erwartungen man an die Lektüre herangegangen ist. Die Leseprobe ließ eine spannende Tiergeschichte erwarten, gespickt mit ein paar romantischen Verwirrungen. Doch schon relativ bald wurde klar, dass die Tiergeschichte nicht viel mehr als ein Aufhänger für dieses Buch ist, und keineswegs im Zentrum steht.


    Dafür spricht schon allein die Tatsache, dass es gleich in den ersten beiden Kapiteln zum entscheidenden dramatischen Auslöser kommt, was beinahe einem Krimi gleichkam. In einem Sprachlabor für Bonobos, einer Menschenaffen-Art, geleitet von Isabel Duncan, kommt es zu einer Explosion. Isabel wird schwer verletzt, die Affen entweichen und sind kurz darauf verschwunden. Nach mehreren eher dahinplätschernden Kapiteln wird klar, dass sie an einen Fernseh-Sender verkauft wurden, um dort in einer Art "Truman-Show" rund um die Uhr gefilmt zu werden. Und ab genau diesem Punkt wird das Buch durch und durch amerikanisch, zumindest für mein Empfinden. Wir verfolgen hautnah mit, welcher Medienzirkus sich rund um ein solches Projekt entzünden kann, welche Interessen darin verquickt sind, und wie sich alle möglichen Gruppierungen rund um den Dreh-Container aufspielen, um auf sich aufmerksam zu machen. Und das sind eben nicht nur Tierschützer, sondern beispielsweise auch militante Veganer, Schwulenhasser, Endzeit-Propheten, und so weiter und so fort.


    Was die meisten Leser wohl enttäuscht haben dürfte, ist die Tatsache, dass es die Autorin auch nicht bei dieser Konstellation rund um die umstrittene Fernseh-Sendung belässt. Es werden mehrere Handlungsstränge rund um die Affen im Container fortgeführt, mit mehr oder weniger Erfolg. Da wären zum einen der Journalist John Thigpen und seine Frau Amanda. John durfte Isabel noch kurz vor dem Unglück interviewen. Er hat also teils ein persönliches Interesse daran, die Geschehnisse aufzuklären, zumal er und Isabel sich sympathisch waren. Doch dieser Strang wirkt schon allein dadurch ein wenig über-ambitioniert, weil zusätzlich in aller Breite die Beziehungsprobleme von John und Amanda eingeflochten werden. Zu allem Überfluss verliert John durch innerbetriebliche Intrigen auch noch seinen Job bei der alten Zeitung, und muss sich nun bei einem Revolver-Blatt verdingen. Er hofft verzweifelt, anhand der Affen-Story seinen Ruf wieder zu retten.


    Eine zweite Handlungsebene widmet sich Isabel, und ihrem Leben nach dem schrecklichen Unfall. Sie muss mehrfach operiert werden, sieht sich journalistischer Verfolgung ausgesetzt, zweifelt an den Ursachen für die Explosion, verliert das Vertrauen zu ihrem Verlobten (der am selben Institut forschte) - und sucht natürlich nach "ihren" Affen. Dabei wird sie tatkräftig unterstützt von der recht unkonventionellen Praktikantin Celia, tätowiert und mit wechselnden Haarfarben. Dieser Aspekt des Buches hat bei mir für gute Unterhaltung gesorgt - besonders Celias Rachefeldzüge gegen Peter, Isabels (Ex-) Verlobten. Allerdings ist die Schilderung der Suche nach den Affen, und der Maßnahmen zu ihrer Befreiung, eher beiläufig in das Buch eingeflochten. Was anfänglich wie ein Krimi aussah, verplätschert sich im Laufe des Buches zu einem weiteren, recht nett wirkenden Teil-Aspekt.


    Die dritte Ebene, die meiner Ansicht nach am überzeugendsten gelungen ist, ist eben die der Medien, der Fernseh-Redaktion, der Zeitungen, des Mobs um den Container herum. Hier geht es um allerlei Entscheidungen und Strömungen des Medienzeitalters, perfekt auf amerikanische Verhältnisse abgestimmt. wie bekommen wir möglichst hohe Quoten? wie schreiben wir den reißerischsten Artikel? Wie können wir die Stimmung vor dem Container für uns nutzen? Und so weiter und so fort. Ein wenig geärgert hat mich hier nur, dass die "Lösung" schließlich ein wenig zufällig wirkte, und wenig glaubwürdig. Eine der Affen-Damen bekommt vor laufender Kamera ein Baby, und ein anderer Affe identifiziert (ebenfalls vor der Kamera) durch Gebärden-Sprache einen der Männer, die an der Explosion beteiligt waren. Gleichzeitig gelingt es John und Isabel im "Außen", sich in diverse E-Mail-Konten einzuhacken, und so die perfide Planung für das Affenhaus aufzudecken. Es wird dem Leser nicht ganz klar, mir zumindest nicht, WELCHER dieser drei Punkte nun dafür entscheidend war, dass die Affen freikommen. Überhaupt wirkt die Handlung am Ende seltsam gerafft; auf einmal heißt es nur noch "6 Monate später", und da haben wir schon das handelsübliche Friede-Freude-Eierkuchen, samt laufendem Gerichtsverfahren und neuem Affengehege. Prost Mahlzeit.


    Dennoch verleihe ich diesem bunten Etwas, das sich nicht ganz entscheiden kann, ob es lieber Roman, Abenteuer, Liebesgeschichte, Krimi oder Mediensatire sein will, vier Sterne, was mich selbst am meisten verwundert. Letztlich liegt das wohl, so denke ich mir, am erfrischenden Schreibstil der Autorin, und an der Fähigkeit, immer wieder liebenswerte Episoden einzuflechten. Schreiben kann sie, da besteht überhaupt kein Zweifel. Und obwohl die Perspektive immer wieder wechselt, je nachdem, welchen Strang wir gerade verfolgen, wirkt die Stimmung jedesmal absolut echt. Und sie versteht es, die Handlung zu würzen. Sei es durch nervenaufreibende Schwiegermütter, durch militante Veganer, die im Restaurant mit Schinken um sich werfen, oder durch herrenlos gewordene Pitbulls, die plötzlich in Hotelbetten liegen. Ja, das Ganze hatte schon was! Und die letztlich viel zu raren Episoden mit und um die Affen waren natürlich absolut unübertrefflich. Man stelle sich vor, ein Affe, der aus einigen wenigen erlernten Zeichen selbst ein neues Schimpfwort erfindet - "schmutzig böse Klo"...! Doch, es gab etliche köstliche Stellen. Und die ließen mich letzten Endes über das ein wenig unausgegorene Gesamtkonzept hinwegsehen. Bleibt abzuwarten, ob die Autorin in künftigen Büchern eindeutiger für ein Konzept entscheidet.

    Wer ist eigentlich Liz Murray? Eine scheinbar leicht zu beantwortende Frage. Zunächst einmal ist sie eine junge und heute erfolgreiche Amerikanerin, die ein Buch geschrieben hat. Keinen Roman, und auch keinen Ratgeber, nein, nicht weniger als die Geschichte ihres Lebens hat sie zu Papier gebracht: ein Leben, das in schwierigsten, drogenverseuchten Verhältnissen begann, das sich durch Phasen des Schuleschwänzens und der Obdachlosigkeit schlängelte, um schließlich doch noch mit Hilfe von Freunden und eines Stipendiums in Harvard zu landen.


    Das ist packend zu lesen, und aufgrund der völlig ungeschönten und dramatisch geschickten Schreibweise beschämenderweise sogar fast unterhaltsam. Dennoch habe ich kein ganz eindeutiges Verhältnis zu Liz Murray als Person. Ich habe sehr genau gelesen, und dabei habe ich sie als zerrissene Persönlichkeit kennengelernt, als jemanden, der sich durchaus auch vor Unangenehmem drückt, der Details auslässt, und der sich von einer schicksalhaften Konstellation zur nächsten fallen lässt. Ich möchte hiermit einfach nur betonen, dass es sich sowohl deutsche als auch amerikanische Kulturschaffende viel zu einfach machen, wenn sie Liz in eine Schublade stecken - wie auch immer die aussehen mag.


    Sicher, in das amerikanische Konzept einer Lebensgeschichte passt Liz wunderbar hinein. Wie sie ja selbst in den letzten Kapiteln beschreibt, haben sich bei Bekanntwerden ihres Stipendiumsgewinns alle möglichen Leute auf sie gestürzt, sie bemitleidet und bejubelt, ohne sie zu kennen. Auch verfilmt wurde die Geschichte schon, unter dem beziehungsreichen Titel "From Homeless to Harvard" - "from rags to riches", könnte man auch sagen. Ach so typisch amerikanisch.


    Der deutsche Verlag geht gleich noch ein paar Schritte weiter. Erstens einmal wird der Titel des Buches völlig umgedeutet. Der Originaltitel lautet "Breaking Night", was soviel bedeutet wie "Bei Anbruch der Nacht". Doch im Deutschen erhalten wir genau das Gegenteil: "Als der Tag (!) begann". Zweitens wird die Geschichte im Klappentext schlicht und ergreifend falsch zusammengefasst - vielleicht, um die Geschichte und die Person Liz Murrays so dem deutschen Publikum zugänglicher zu machen...? Der deutsche Klappentext sagt zum Beispiel, beim Anblick des Sarges ihrer Mutter habe sie begonnen, umzudenken. Das ist ganz einfach nicht richtig. Sie hat sich vor dem Sterben ihrer Mutter eindeutig gedrückt, und nach der Beerdigung folgten erst einmal viele, viele Monate des waghalsigen Umherstreifens mit einem dubiosen Latino, Carlos. Es war nicht (!) der Tod der Mutter, sondern die gewalttätigen Ausbrüche und die Abhängigkeit von diesem Carlos, welche Liz dazu veranlassten, doch endlich auf eigenen Füßen stehen zu wollen. Ferner sagt der deutsche Verlag, sie habe ein Harvard-Stipendium gewonnen. Schon wieder falsch. Ein Harvard-Stipendium kann man nicht gewinnen. Ein Stipendium bedeutet lediglich eine gesicherte Finanzierung. In Harvard musste sich Liz immer noch bewerben, und hätte auch abgelehnt werden können.


    Doch ich will hier nicht des "Korinthenkackertums" bezichtigt werden. Worauf ich aufmerksam machen möchte, ist die Tatsache, dass Liz selber sich im Text, und in ihrem Leben, immer gegen jedwede Vereinnahmung und Bevormundung gewehrt hat. Man gerät so leicht in die Versuchung, dieses Buch oberflächlich zu lesen, und zu sagen, ach ja, die Arme. Doch ich glaube, das hätte Liz ganz sicher nicht gewollt.


    Zunächst einmal bewundere ich ihren Mut, dieses Buch scheinbar ohne die heute so moderne und beliebte Unterstützung durch einen prominenten Co-Autor geschrieben zu haben. Dennoch liest sich das Buch sehr gut strukturiert. Es beginnt sogar mit einem Prolog, in welchem sie als bereits obdachlose Jugendliche versucht, nachts ihr eigenes Gesicht mit einem Foto ihrer Mutter zu vergleichen - dem einzigen Foto, das sie von ihr noch hat. Das setzt gleich einen sehnsuchtsvollen Grundton für dieses Buch fest, und steigert die Erwartungen des Lesers.


    Danach beginnt Liz ganz ausführlich und sehr plastisch mit ihrer Kindheit als zweite Tochter drogensüchtiger Hippie-Eltern. Sie wählt einen sehr beeindruckenden Erzählstil. Denn einerseits behält sie durchgehend überzeugend die Perspektive des Kindes bei, das Vieles noch nicht versteht. Und doch schafft sie es gleichzeitig, unglaublich viele Punkte einzuflechten, die aus heutiger Sicht als Erwachsene interessant sind: welche Strategien sie entwickelt hat, um in dieser Umgebung seelisch zu überleben. Wie sie mit ihrer Schwester Lisa um die Aufmerksamkeit der Eltern kämpfte. Wie sie mit dem ständigen Hunger zurecht kam. Wie sie viel zu früh Verantwortung übernahm, ja übernehmen musste. Und noch vieles mehr.


    Für mein Verständnis dauert es unglaublich lange, bis das Sozial- und Jugendamt eingreift. Erst als Liz 12 Jahre alt ist, ihre ständig von schizoiden Anfällen geplagte Mutter mit Lisa zu ihrem neuen Freund zieht, und als Liz gemeinsam einsam mit ihrem Vater in der Universitiy Avenue versauert, da erst wird sie diesem unheilvollen Umfeld entrissen, und kommt ins Heim. Aber ganz sicher bin ich mir bei dieser Datierung nicht. Das ist überhaupt ein Kennzeichen dieses Buches. Zeitliche Angaben fehlen entweder völlig, oder bleiben in Andeutungen stecken. Und nur gelegentlich erleichtert dem Leser die Erwähnung von Jahreszeiten die Einordnung des Geschehens.


    Im Heim durchläuft Liz eine Phase zwangsweiser "Resozialisierung", und wird danach von Mas neuem Freund aufgenommen. Doch mittlerweile ist Liz bereits gebrochen, und kann sich Autoritäten nur schwer unterordnen. Schule, Mutters neuer Freund, und die ausbrechende schwere Aids-Erkrankung der Mutter, das alles ist zu viel für sie. Eines Tages haut sie einfach ab, zusammen mit ihrer ersten echten Freundin, Sam. Man sieht also: es war durchaus nicht die materielle Not, wodurch Liz auf der Straße landete! Nein, im Gegenteil. Es war eine absolute Nacht-und-Nebel-Aktion, eine Augenblicksentscheidung. Sicher wird auch der eher unkonventionell orientierte Freundeskreis rund um Liz und Sam zu dieser Entscheidung beigetragen haben. Wie dem auch sei: ihre Obdachlosigkeit war ihre eigene (!) Entscheidung.


    Die weitere Handlung möchte ich nur kurz skizzieren. Liz hätte eigentlich schon viel früher in ein geregeltes Leben zurück finden können, doch sie ließ sich immer wieder einfach treiben. Immer ließ sie sich von Anderen anstecken, so zum Beispiel von Carlos. Im Nachhinein wissen wir Leser: er war ein autoritärer Blender, wahrscheinlich ein Dealer. Aber immerhin zeigte er Liz, wo es lang ging, und das brauchte sie wohl. Erst als Carlos "auszuticken" beginnt, und Sam in die Flucht schlägt, da setzt eigenständiges Denken bei Liz ein - zumal ja inzwischen ihre Mutter verstorben ist. Noch während ihrer Obdachlosigkeit macht sie ihren Schulabschluß nach, und gewinnt zu guter Letzt auch noch ein Stipendium, womit sie selber am wenigsten gerechnet hätte.


    Das alles liest sich unglaublich fesselnd - streckenweise konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Besonders die Phase mit Carlos hat mich emotional sehr gepackt. Es war fast spannend wie ein Krimi, mitzuverfolgen, wie Liz so langsam aber sicher hinter die Fassade dieses halbseidenen Typen blickte. Dennoch, bei mir bleiben so viele Fragen einfach offen - und ich kann ganz einfach nicht sagen, ob mir Liz wirklich sympathisch ist. Die zeitliche Un-Eindeutigkeit hatte ich ja schon erwähnt. Außerdem ist Liz ganz geschickt darin, ihre eigene Beteiligung an Entscheidungen herunterzuspielen. Sehen wir den Tatsachen ins Auge, wenn es brenzlig wurde, hat sie oft auch Menschen verlassen. Und besonders im letzten Drittel des Buches wurde die Handlung streckenweise arg gerafft. Warum sollte die Handlung eigentlich mit dem Gewinn des Stipendiums aufhören? Wie kam sie überhaupt dazu, dieses Buch zu schreiben? Wie kam sie überhaupt an diesen Freundeskreis, der sie monatelang, ja jahrelang heimlich beherbergte? Was wurde eigentlich aus James, ihrem zweiten Freund?? Und wer, bitte, war nun dieser Ed, der gemeinsam mit Liz ihren Vater bis zu dessen Tod pflegte?? Manches ging gegen Ende des Buches sehr schnell, und wird nicht wirklich erklärt. Doch das mag auch auf das Betreiben eines Lektors zurückzuführen sein - ich weiß es nicht.


    Ja, ich habe mit mir gerungen. Doch zu guter Letzt verleihe ich dem Buch wohlverdiente 5 Sterne. Denn man spürt doch in jeder Zeile, dass hier eine authentische Stimme spricht. Nichts ist gekünstelt, immer stellt sie alles so dar, wie es wirklich war. Sie versteht es, emotionale Zwangslagen zu schildern - zu wessen Gunsten auch immer. Und hier liegt auch die einzige Einschränkung, die ich zukünftigen Lesern mit auf den Weg geben möchte: Man kann, ja man soll sich unbedingt auf diese emotionale Achterbahnfahrt einlassen - aber eines sollte man niemals tun: sich ein allzu wohlfeiles Bild von Liz Murray machen.

    Nä, wat war det schön. Fast hätte ich dieses entspannte und entspannende Buch an einem einzigen Tag in mich aufgesogen - nur aus Termingründen wurden zwei Tage daraus.


    Doch eine Einschränkung muss ich von vornherein machen. Ich finde die Bezeichnung als "Krimi" gleich auf dem Umschlag ein wenig unglücklich. Es stimmt zwar, dass die Heldin unabsichtlich in kriminelle Geschehnisse stolpert, doch ein Krimi im eigentlichen Sinne ist es doch nur halb. Erstens einmal braucht das Buch geschlagene 100 Seiten, bis es überhaupt zu einem Zwischenfall kommt. Und weiterhin ermittelt Pippa Bolle nicht wirklich. Sie bewegt sich nur mit lauter Fragen im Kopf durch die Geschichte, mehr oder weniger wie die anderen Figuren. Erst ganz am Schluss hat sie eine Art "Erleuchtung", und bringt den Täter dazu, sich zu verraten.


    Ich würde das Buch eher als eine Art "Berliner Komödie" mit erfrischenden Krimi-Einsprengseln bezeichnen. Und unter diesem Aspekt, dem hauptsächlich humoristischen, ist das Buch auch sehr gelungen!


    Das wird ja schon allein durch den Titel des Buches, und die witzig gewählten Pseudonyme der Autorinnen deutlich. "Unter allen Beeten ist Ruh" ist eine Anspielung auf ein Goethe-Gedicht, und "Auerbachs Keller" war ja bekanntlich eines von Goethes Lieblingslokalen. Dann gab es auch noch ein einleitendes "Dramatis Personae", also eine Aufzählung aller teilnehmenden Figuren, mit sehr lustigen Beschreibungen. Nachgerade wie in einem Theaterstück - vielleicht wiederum eine sehr ironische Hommage an Goethe.


    Das Buch besticht insgesamt durch viele liebevoll gestaltete Einzelheiten. Es ist sehr warmherzig geschrieben, man versank förmlich in der Atmosphäre auf dieser Schrebergarten-Insel zwischen lauter skurrilen Figuren mit viel Lokalkolorit. Und gerade dadurch gerieten für mich persönlich die Krimi-Elemente eindeutig ins Hintertreffen. Besonders nett fand ich, dass immer mal wieder auch bekannte Krimis veralbert werden. Der geübte Leser wird das schnell erkennen - gewisse Szenen wirken wie frisch aus der Feder von Agatha Christie oder anderen! Besonders die Auflösung am Schluss. Man meinte förmlich Margaret Rutherford als Miss Marple vor sich zu sehen. Das hat mich sehr erheitert. Und Luis Krawuttke, den ständig eifrig berlinernden Grantler, habe ich auch ins Herz geschlossen. Zwar wirkt er - wie manche Figuren hier - streckenweise ein wenig überzeichnet, doch das war wohl gerade die Absicht der Autorinnen.


    Man darf sich auf weitere Bücher mit Pippa Bolle freuen. Denn mit großer Freude las ich gleich im Vorsatzblatt des Buches ein fiktives "Interview" mit Pippa, in welchem sie andeutet, dass Auerbach und Keller gerne weiter von ihr berichten dürfen. Wirklich sehr nett gemacht. Allerdings hoffe ich, dass die Autorinnen sich in Zukunft eindeutiger für ein Genre entscheiden werden - Krimi oder Komödie. Denn auf Dauer könnte das sonst leicht zu einer unverdaulichen Mischung geraten. Insgesamt aber sage ich: Daumen hoch!

    Ach ja - ich denke, an diesem Buch lässt sich wunderbar zeigen, wie "vermint" das Feld um die allgegenwärtige Integrationsdebatte in Deutschland ist. Wir gehen mittlerweile dermaßen verkrampft mit dem Thema um, dass wir selbst von reiner Unterhaltungslektüre verlangen, tiefgründige und vielschichtige Themen aufzugreifen - und dann auch noch, bitteschön, politisch korrekt. So kommt es mir zumindest vor, wenn ich viele Rezensionen hier lese.


    Doch was will und wollte eigentlich der Autor? Schließlich ist er selber Türke, und zwar einer der jüngeren Generation, die bereits hier aufgewachsen ist. Er ist gelernter Journalist, und hat für WDR und ARD gearbeitet. Und da sollte man doch meinen, dass er eine recht zutreffende und vor allem abgeklärte Haltung entwickelt hat. Was tut er also? Er erfindet kurzerhand einen türkischen Geistlichen, Nuri Hodscha, sowie eine deutsche Politikerin, Ursel Piepenkötter (herrlicher Name!), mit ziemlich unverhohlenen Anklängen an Angela Merkel. Und diese beiden lässt er nun symbolhaft für Deutschland die ganze Handlung über gegeneinander in den Ring steigen.


    Schon allein die Gestaltung dieses Bandes, sowie Titel und Inhalt, machen überdeutlich, worum es Birand Bingül hier geht. Er will ja gar nicht politisch korrekt sein, und auch keinen realistischen Roman schreiben. Ich vermute: er hat diese ganzen verbissenen Debatten herzlich satt, und versucht, die Leser mit Humor durch ein vermintes Feld zu führen - um somit BEIDEN Seiten den Spiegel vorzuhalten. Und genau das gelingt ihm hervorragend!


    Das Cover und die Kapitelüberschriften sind im Comic-Stil gehalten. Auf dem vorderen Einband sehen wir den Hodscha und die Piepenkötter, die sich verbissen den Rücken zukehren. Sehr symbolträchtig: jeder ist vor dem Hintergrund des religiösen Gebäudes der jeweils anderen Person abgebildet.


    Die Überschriften haben einen sehr heiteren Ton, und erinnern den Leser an klassische humoristische Romane. "Wie der Hodscha und die Piepenkötter sich das erste Mal trafen", "Wie der Hodscha und die Piepenkötter um das riesengroße Kreuz stritten", "Wie der Hodscha und die Piepenkötter wegen der Rolle der Frau im Islam aneinander gerieten" - das klingt schon fast wie eine Moritat oder ein Märchen, und es zeigt dem Leser vor allem, dass dies alles beispielhaft gemeint ist. Man soll sich darin wiedererkennen - und lachen!


    Ferner finde ich auch die zeitliche Konstruktion pfiffig gemacht. Innerhalb der Kapitel gibt es - szenenweise - wiederum einzelne Abschnitte, die mit Datum versehen sind. Alles wird rückwärts gezählt, bis hin zur ersehnten Wiederwahl von Ursel Piepenkötter. Wie eine kleine Bombe tickt das Buch vor sich hin, bis zum Tag der Wahl. Und da ist es doch logisch, dass es auch hin und wieder einmal "krachen" darf!


    Auffällig ist bei genauem Hinlesen auch, wie gleichmäßig und "gerecht" der Autor die beiden Figuren angelegt hat. Beide Protagonisten haben a) einen Assistenten, der ihm/ihr blind vertraut und alles tut, b) ein pubertierendes Kind, c) eine Organisation hinter sich, die Druck macht, d) einen politischen oder religiösen Gegenspieler, und e) ein Geheimnis, einen Fehltritt, den die Öffentlichkeit besser nicht kennen sollte. Das zeigt mir ganz deutlich, dass der Autor weder Partei ergreift, noch dem Leser die Bewertung in irgendeiner Weise abnimmt. Nachdenken soll man selber.


    Sicher sind die hier ausgewählten Themen, an denen sich die Ringkämpfe von Nuri Hodscha und der Piepenkötter entzünden, ganz typische Vorurteile. Moscheebau, Schwimmunterricht, Kopftuch, Islamismus. Doch das Buch endet ja mit einem "Machtwort" Allahs, worin angedeutet wird, dass "Er" mit Nuri Hodscha noch viel Ärger voraussieht. Daraus lässt sich schließen, dass es noch weitere Bände geben wird, ja, geben muss. Und dann werden sicher auch die Themen noch vielfältiger. Für einen ersten Einstieg aber fand ich die Auswahl recht gelungen.


    Ich habe an diesem Buch vorrangig den Witz genossen. Und der steckte wirklich in vielen Details. Die Beschreibung der deutschen Kleinstadt, der eifrig scharwenzelnde Referent "Meierlein" (köstlich!!), Nuri Hodscha mit seinen heimlichen Lüsten (Plakate beschmieren, Tore schießen üben, und und und), der heimlich schlaue Assistent Osman, der mitternächtliche Schlagabtausch zwischen Hodscha und Piepenkötter in einer Gartenlaube, die Frauenunion, die selbstgerechten Reden anlässlich einer Podiumsdiskussion- ach, es waren fast zu viele Stellen, die ich genossen habe. Und nicht zu vergessen: die Gespräche des Hodscha mit Allah. In diesen Gesprächen wurde auch deutlich, dass sich der Autor kräftig bei Giovanni Guareschi und seinem "Don Camillo" inspiriert hat.


    Muss ich da wirklich noch Haare spalten und anmerken, dass - selbstverständlich - noch die Kinder der Protagonisten mit hineingezogen werden? Dass sowohl Hodscha als auch Piepenkötter recht verbohrt und überzeichnet sind? Dass der Lokalreporter allen gängigen Klischees entspricht? Dass es am Ende denkbar knapp ausgeht? Nein, das muss ich nicht wirklich. Daran bemisst sich nicht der Wert dieses Buches. Nein, der liegt woanders. Nämlich darin, über Sarrazin & Co. endlich einmal hinweg zu sehen. Zu lachen und sich selber nicht mehr so wichtig zu nehmen. Und sich auf weitere Bände zu freuen.

    Lieber dtv-Verlag, warum nur haben Sie dieses Buch auf dem Umschlag als "Roman" bezeichnet? Damit es möglichst viele Menschen kaufen? Damit man es, aus verkaufstechnischen Gründen, in eine bequeme Schublade stecken kann? Weil "Romane" eben immer noch am besten laufen? Ich denke jedenfalls, das war eine reichlich unglückliche Entscheidung.


    Für mich ist dies auf gar keinen Fall ein "Roman" im klassischen Sinne. Und ich denke auch, dass daher die doch recht zahlreichen leicht enttäuschten Leserstimmen stammen. Man erwartet als deutscher Leser einfach etwas anderes, wenn man einen "Roman" kauft. Ich persönlich würde dieses Buch als "Buch gewordene Seifenblase" bezeichnen. Denn Seifenblasen sind schön, sie schillern, sie erfreuen - und irgendwann platzen sie einfach, sie verschwinden. Zurück bleibt nur ein vager Eindruck. Klingt das negativ? So ist es nicht gemeint. Es ist nur mein persönlicher Versuch, sich diesem doch so ungewöhnlichen Buch zu nähern.


    Was hat dieses Buch dem Leser eigentlich zu bieten? Auf jeden Fall eine liebenswerte Hauptfigur, Salvador. Er ist schon seit 30 Jahren Putzkraft auf einem spanischen Flughafen, der jedoch nicht näher benannt wird. Doch eigentlich ist Salvador viel mehr: er ist der "gute Geist" dieses Ortes. Er hat sogar schon so etwas wie eine gewisse Bekanntheit erlangt. Man kennt ihn, und weiß, dass er mit Vorliebe alle möglichen Menschen in ein Gespräch verwickelt - seien es nun Passagiere oder Angestellte, wie die Dame vom Kiosk, oder von der Cafeteria.


    Diese Gespräche sind eigentlich gar keine. Denn Salvador spielt darin doch die Hauptrolle. Er will die Menschen unterhalten und verblüffen - indem er sie teils analysiert, und ihnen teils haarsträubende Geschichten über ihre Reiseziele erzählt.Diese Geschichten sind nur teilweise durch einen logischen Erzählfaden verbunden - und zwar immer nur dann, wenn er das Gespräch unvorhergesehen unterbrechen muss, um es später fortzuführen. Sei es, der Reisende wird aufgerufen, sei es, Salvador wird abgelenkt. Das kommt im ganzen Buch zwei oder drei Mal vor. Der größere Teil dieser Gespräche/Erzählungen/Geshichten ist also eher unzusammenhängend und episodisch aufgereiht.


    Inhaltlich möchte ich diese Geschichten gar nicht näher beschreiben, weil man damit das Buch nur zerreden würde. Und weil es oft durchaus fraglich ist, wie ernst Salvador das Erzählte eigentlich meint. Das, was er den Menschen da unterbreitet, bewegt sich haarscharf auf der Grenze zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wahrscheinlichkeit und Märchen, zwischen Poesie und Albtraum. Und das spricht aus meiner Sicht noch mehr dagegen, das Ganze als "Roman" zu bezeichnen! Aber schön ist es. Eben wie eine Seifenblase - es schillert in allen möglichen Schattierungen. Nur sollte man, genauso wenig wie bei einer Seifenblase, nach dem größeren "Sinn" suchen.


    Auch das Ende des Buches erhärtet meiner Meinung nach noch mehr den Vergleich mit der Seifenblase. Denn das Ende ist ein wenig surreal, sehr überraschend, und man fragt sich danach noch mehr, was man von dem Ganzen nur halten soll. Ja, man fragt sich sogar, ob es diesen Salvador wirklich gegeben hat - oder war auch er nur eine Spiegelung? Ich muss wirklich sagen, dass dies eine nicht unerhebliche Faszination auf mich ausübte. Und erst im Rückblick konnte ich dann auch die Erwartungen an einen "Roman" fallen lassen. Eigentlich müsste man das Buch gleich noch einmal lesen - beim zweiten Mal wesentlich entspannter, und ohne "Sinnsuche".


    Aber fünf Sterne mag ich nun doch nicht vergeben. Weil mir einfach zu wenig deutlich wird, was der Autor mit diesem Buch bezweckt hat. Das hätte man konsequenter ausarbeiten können. Entweder noch surrealer, oder realistischer. So aber ist es immerhin ein "erfrischend anderes" Buch, das ich guten Gewissens allen Lesern empfehle, die sich einmal zwischen bunt schillernden Erzählungen treiben lassen wollen.

    Ich bin fast ein wenig "erschlagen" nach der Lektüre. Ich bin so voll von Eindrücken, meine Gedanken schlagen Purzelbaum, und am liebsten würde ich gleich wieder von vorne beginnen. Selten hat mich ein Buch dermaßen beschäftigt, das zuerst doch so harmlos als Unterhaltungsliteratur daherkam. Doch es ist weitaus mehr.


    Nein, es ist kein Philip Roth - obwohl sich hier jemand in seine Putzfrau verliebt. Es ist auch keine russische Weltschmerz-Literatur à la Dostojewski oder Tolstoi - obwohl es hier um nichts weniger geht als das Schicksal in Aktion. Und es ist auch keine reine Pop-Literatur - obwohl die Schreibweise in ihrer ganzen Art sehr frisch und modern ist, und sich etliche stilistische Experimente erlaubt. Aber was ist es dann?


    Man wird dem Buch ganz sicher nicht gerecht, wenn man sich zu sehr auf den Inhalt bezieht. Wie so oft im Leben, ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Ich glaube, man beschreibt das Buch am besten, wenn man sich die Absicht vor Augen führt, die der Autor offenbar verfolgt hat. Er hat ein Gedankenexperiment aufgestellt, und dieses dann anhand von 11 auserlesenen Charakteren durchgespielt. Was ist eigentlich Schicksal? Was kann eine Handlung bewirken, bzw. eine unterlassene Handlung auslösen? Sind wir alle Einzelgänger, oder doch miteinander verbunden? Rund um diese Fragen entwirft der Autor eine Handlung, die das ganze Buch über immer wieder spiralförmig verläuft, deren Fäden sich immer wieder kreuzen - und die am Ende genau zu ihrem Ausgangspunkt zurückläuft. Dennoch bleibt das Ende angenehm offen und nicht-moralisierend. Es bleibt herrlich viel Raum für eigene Gedanken und Interpretationen des Lesers.


    Dieser "Ausgangspunkt" der Handlung ist ein Londoner Radio-Moderator namens Xavier Ireland. Ein komischer Name? Nein, ein bedeutsamer. Denn er hat ihn sich selbst gegeben: seine Initialen, XI, ergeben die römische Zahl 11, zu der der Held ein besonderes Verhältnis hat. Er wohnt auch noch in einem Haus mit der Nummer 11! Zunächst begleiten wir Xavier einige Kapitel lang durch sein relativ kontaktarmes und zurückgezogenes Leben. Seine Nachbarn kennt er zwar, mischt sich aber nicht in deren (offensichtliche) Probleme ein. Und auch das Verhältnis zu seinem Co-Moderator Murray könnte persönlicher sein, da dieser sich ganz offensichtlich mehr erhofft. Das einzig Außergewöhnliche sind die Scrabble-Turniere, an denen Xavier regelmäßig teilnimmt. Doch alles beginnt sich zu ändern, als Xavier bei einem Speed-Dating Piippa, seine spätere Putzfrau, kennenlernt. Und als er eines Tages auf der Straße Zeuge eines Zwischenfalls wird, der im Laufe des Buches Auswirkungen auf die besagten "11 Leben" hat...


    Man sollte sich aber wirklich nicht allzusehr auf diesen Plot konzentrieren und versteifen. Das Besondere an diesem Buch sind vielmehr viele, viele scheinbar nebensächliche Kleinigkeiten und liebevoll ausgeführte Porträts. Grandios authentisch geschildert ist z.B. die Arbeit Xaviers im Radio-Studio. Er ist Moderator einer Late-Night-Sendung, und man sitzt förmlich neben ihm und ergötzt sich an den ganzen Geschichten, die in dieser Sendung zusammenlaufen. Man merkt sofort, dass der Autor selber beim Radio gearbeitet hat! Seine Erfahrungen hat er hier überzeugend umgesetzt.


    Zweitens finde ich vor allem die Liebesgeschichte um Pippa und Xavier herzerwärmend! Es geht eben nicht um rasende Leidenschaft vom ersten Augenblick an. Nein, es ist eher ein wenig wie bei "My Fair Lady" - Pippa hat einen starken Unterklasse-Akzent (der nur leider in der deutschen Übersetzung nicht wirklich rüberkommt), redet ununterbrochen, ist zupackend, und bringt Xaviers Leben erstmal gehörig durcheinander. Sie rührt an seine tiefsten Tiefen - von Kapitel zu Kapitel wird dem Leser klarer, dass da etwas in Xaviers Vergangenheit in Australien gewesen sein muss. Die Situation eskaliert schließlich in einem Streit zwischen Pippa und Xavier - woraufhin Xavier sich endlich seinen lange verdrängten Erinnerungen zuwendet...und sich eventuell sogar wirklich zu ändern beginnt.


    Drittens hat mich die Figurenzeichnung wirklich berührt und begeistert! Sicher ist die Versuchung groß, bei einem Roman, der auf 11 Schicksale gleichzeitig angelegt ist, vieles eher flüchtig zu behandeln. Doch weit gefehlt! Auch wenn manche dieser 11 Personen jeweils nur wenige Seiten lang in dem Buch auftauchen, so hat Mark Watson doch große Sorgfalt darauf verwendet, sie lebendig werden zu lassen. Jeder hat so seine Macken und Schwierigkeiten, die jedoch nie überzogen sind. Außerdem werden diese Episoden so kunstvoll und ausgeglichen "geplottet", so regelmäßig über das Buch verteilt und mit Xavier verknüpft, dass es eine wahre (Lese-)Freude ist. Zu keinem Moment kommt Langeweile auf; immer wieder fragt man sich, was die nächste Verzahnung für Verwicklungen mit sich bringen wird. Das steigert die Spannung ungeheuer.


    Ungeheuer beeindruckt hat mich auch der Kunstgriff des Autors, eben ausdrücklich nicht an der Stelle den Roman zu beenden, an der man es erwartet hätte. Nicht bei der Versöhnung Xavier/Pippa, oh nein! Und er schreibt es auch noch ganz deutlich: "Hier könnte die Geschichte enden." Doch das tut sie nicht. Das Leben ist eben kein Scrabble-Turnier, es gibt vielmehr jedem das zurück, was er (mehr oder weniger) verdient. Alle 11 Schicksalsfäden werden aufgelöst und zusammengeführt, alles kulminiert in einer einzigen Szene, mit der das Buch dann schließlich endet. Ich war sprachlos, geplättet, und begeistert. Das war ein Ende ganz nach meinem Geschmack! Nichts wird in Friede, Freude und Eierkuchen aufgelöst. Nein, vielmehr werden dem Leser die Zutaten präsentiert - was man daraus macht an "Sinngehalt", ist jedem Leser selbst überlassen. Grandios!


    So ist das Leben. Das ist wirklich gute Literatur. Das ist ein Buch, das aufrüttelt, und gleichzeitig unterhält. Das ist eine Sprache, die ich als Leser auch verstehe, und die ich teilen kann. Das sind Menschen, die es tatsächlich so geben könnte. Und das ist ein Autor, den ich im Auge behalten werde. Danke, Mark Watson, für diesen Geniestreich!

    Zuerst einmal: ich habe dieses Buch durchaus gerne, und vor allem ausgesprochen flott, an nur zwei Tagen gelesen. Es hatte etliche "Zutaten", die für ein flüssiges und spaßiges Lese-Erlebnis sorgten: Erstens, einen sympathischen Helden (einen hochbegabten Koch, der dennoch lieber sein eigenes, gemütliches Restaurant betreibt, anstatt Sterne zu scheffeln). Zweitens, liebevoll recherchierte Örtlichkeiten - so ganz nebenbei lernte man einiges über Luxembourg, sowie etliche französische Landschlösser. Drittens, eine Handlung, die gänzlich unangestrengt Spannung mit Information verband - vorgeblich ein Krimi, der den Leser dennoch mit einer Fülle an hoch interessanten Details aus Küche, EU-Bürokratie und Lebensmittelchemie versorgte. Viertens, eine Grundthese, die hochaktuell ist und jeden Leser aufrütteln sollte - die Machenschaften internationaler Lebensmittel-Konzerne Fünftens, eine Handvoll verschrobener Nebencharaktere - besonders der trinkfeste Finne, ein Freund unseres Protagonisten, hat mir gefallen. Aber auch der Starkoch Esteban hatte es in sich!


    Dennoch, ein kleiner Nachgeschmack bleibt - das Rezept ist gut, die Stimmung des Lesers am Ende auch, aber die Würzung und tatsächliche Ausführung dürften demnächst gerne noch ein wenig professioneller sein. Denn ein Krimi ist das Buch dann doch nur zum Teil. Unter "Krimi" würde ich vor allem eine ausgeklügelte Ermittlung mit vielen Überraschungen verstehen. Doch hier haben wir es eher mit einer Art "unfreiwilligen James Bond" zu tun. Denn der Protagonist stolpert eher durch eine Handlung, die es am Ende ein wenig mit Knalleffekten übertreibt.


    Der Koch Xavier Kieffer hat weder wirkliches Ermittlungsgeschick, noch Kombinationsgabe, noch geht er wirklich planvoll vor. Im Gegenteil - so bricht er beispielsweise zur entscheidenden Phase seiner Nachforschungen nach Genf auf, ohne vorher zu wissen, ob er überhaupt irgendwo am Ort des Geschehens unterkommen wird. Erst von unterwegs ruft er per Handy seinen alten Kumpel Esteban an, und - nein tatsächlich - er bekommt einen Job. Na sowas! Auch hat mich gewundert, dass der Betreiber eines kleinen, angeblich eher unbekannten Lokals in der Luxemburger Altstadt angeblich so viel Geld haben soll, um ständig die unvorhergesehenen Wendungen der Handlung mitzumachen. Auch kommt für meinen Geschmack der eigentliche Ermittler, Kommissar Manderscheid, ein wenig tumb daher, und vor allem kommt er erst viel zu spät im Buch darauf, dass Xavier auf eigene Faust ermittelt. Das wirkt unglaubwürdig, und hat ja auch komischerweise kaum Konsequenzen.


    Mir kommt es so vor, als sei die Handlung quasi vom Autor zuerst erfunden worden - und dann wurde sie nur noch um den gewünschten Helden "herum gebaut". Das soll nicht allzu negativ klingen - doch Tatsache bleibt, dass "echte Krimis" wesentlich logischer begründen, warum der Held aufbricht, dass sie wahrscheinlicher geplottet sind, und auch nicht in einem James-Bond-Finale enden. Das hätte eben zu James Bond gut gepasst, stimmte aber nicht so recht mit der Charakterisierung dieses liebenswerten Provinzkochs überein.


    Am Ende relativiert sich mein Eindruck dann doch dadurch, dass ich von der Fülle der gereichten Informationen aus Küche und Keller doch sehr angetan war. Obwohl ich Vegetarier bin, konnte ich die Liebe zum Kochen spüren, die aus dem ganzen Buch spricht. Und über die Verrenkungen der EU-Bürokratie musste ich herzlich lachen! Auch hier wird die persönliche Sachkenntnis des Autors Tom Hillenbrand deutlich. Er ist zweifellos ein guter Koch, und ein Kenner internationaler Bürokratie. Nur eines ist er noch nicht: ein wirklich gewiefter Krimi-Autor.

    Ach, ich sehe sie förmlich vor mir, die gute Joanne Harris. Da sitzt sie an ihrem Schreibtisch und reibt sich die Hände, wie schön sie doch dieses Buch ausgetüftelt hat. Zugegeben, das "Getüftelte" merkt man dem Buch auch an: Lauter doppelte Böden, lauter Spiegelungen, lauter Halbwahrheiten, lauter Identitätswechsel. Aber vor lauter Tüfteln ist ihr dabei der Kontakt zum Leser verloren gegangen - zumindest der Kontakt zu mir.



    Vieles hat mich einfach nicht erreicht. Da ist zum Beispiel die Grundidee für die Handlung, das "Setting". Wenn man mal alle falschen Rahmen beiseite lässt, dann ging es im Grunde um Folgendes: eine englische Kleinstadt, und diverse Gestalten, die in ihrem Mief festhängen. Auf der einen Seite eine tyrannische Mutter mit drei (farblich getrennten) Söhnen, scheinbar frisch aus "Grimms Märchen" entsprungen. Auf der anderen Seite zwei kleine Mädchen, jede auf ihre Weise beschädigt, und ebenfalls aus dysfunktionalen Familien. Mindestens zwei der Kinder haben ungewöhnliche Fähigkeiten, die im Fachjargon "Synästhesie" (das Verschmelzen mehrerer Sinneseindrücke) genannt werden. Und mit diesen Fähigkeiten konkurrieren sie um die Aufmerksamkeit des ortsansässigen Wissenschaftlers. Verkompliziert wird das Ganze dann noch durch die überdreht ehrgeizigen Mütter. Tja - tut mir leid, aber diese "Mischung" geht einfach an mir vorbei. Ich verstehe einfach nicht, wie daraus lebenslängliche Verstrickungen und gar Animositäten entstehen können. Ich fand diese Grundhandlung schlicht uninteressant - um nicht zu sagen, streckenweise ausgesprochen langweilig (besonders im mittleren Drittel des Buches).



    "Aufgepeppt" wird diese Idee allerdings durch die Schreibweise in Form eines Blogs. Das Buch wird geschrieben aus der Sicht eines der drei Söhne, der zum Schluss noch mit seiner teuflischen Mama in deren (Hexen-)Häuschen übrig bleibt. Er ist mittlerweile im mittleren Alter, und in seinen Blog-Einträgen versucht er wohl, das Erlebte Revue passieren zu lassen - wobei er aber offensichtlich genauso viel schönt und erfindet, wie er zugibt. Ab der Mitte des Buches kommen noch die Einträge einer anderen Bloggerin hinzu, Albertine. Ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich beim Lesen zumindest ansatzweise Interesse, da die Einträge der beiden Personen sich ständig widersprechen, spiegeln, dann wieder ergänzen. Es ist ein wenig wie bei einem Tennismatch - die Aufmerksamkeit des Lesers fliegt ständig hin und her, und kann sich doch nie zur Ruhe setzen. Das ist zumindest gut gemacht.



    Doch dieser an sich nette Gedanke wird wiederum dadurch zunichte gemacht, dass es die Autorin nicht dabei belassen konnte. Nein, es geht nicht nur um zwei Blogger, die sich gegenseitig belauern. Jetzt kommen auch noch die geheimen Identitäten ins Spiel. Im letzten Drittel des Buches herrschte bei mir nur noch Verwirrung. Etliche vermutete Identitäten stellen sich als falsch heraus, und bis zum Schluss war ich mir bei manchen Schlussfolgerungen nicht sicher. Eigentlich müsste man das Buch sofort noch einmal von vorne lesen, aber aufgrund des zähen Kaugummi-Feelings in der Mitte, und aufgrund der für mich an sich völlig belanglosen Handlung um zwei verhinderte Wunderkinder, werde ich das ganz sicher nicht tun!



    Es war einfach ein wenig "too much". Zu viel gewollt, zu viel gespiegelt, wie ein Spiegelbild im Spiegel im Spiegel im Spiegel... da wurde mir richtig schwindelig! Eindeutig zu viel "Schwindel", und das in mehr als einem Sinne des Wortes. Da konnte das - zugegeben - dann wieder rasante Ende, der Showdown, auch nichts mehr reißen. Denn er begann viel zu spät, und dauerte auch nur 30 bis 50 Seiten.



    Ich vergebe dennoch drei Sterne von fünf, da ich anerkenne, dass die Autorin grandiose Fähigkeiten, und auch interessante Ansätze, hat. Sehr gut gelungen ist es ihr, die Verführbarkeit und Scheinheiligkeit im Internet zu zeigen. Jeder kann sich als jeder ausgeben, und immer wird es etliche verlorene Seelen geben, die darauf hereinfallen. Zweitens hat mich der Ansatz interessiert, etliche Elemente aus bekannten Märchen einfließen zu lassen. Teilweise werden bekannte Passagen sogar wörtlich erwähnt - wie zum Beispiel aus "Rotkäppchen" (roter Mantel und Körbchen am Arm, also bitte!), "Rapunzel" (die böse Zauberin, die jemanden im oberen Stockwerk festhält), die böse Stiefmutter, die drei Söhne, und und und. Aber das wirkte viel zu "unorganisch" mit der Internet- und Blog-Handlung verquickt. Schade.



    Ja, letztlich weiß ich einfach nicht, was ich aus diesem Buch ziehen soll. Dass das Internet mit Vorsicht zu genießen ist, wusste ich schon vorher. Das Joanne Harris im Prinzip gut schreiben kann, auch. Vermutlich ist es dies: dass auch die interessanteste Leseprobe noch keinen Aufschluss über das Gesamtkonzept eines Buches gibt. Okay, hier habe ich dazugelernt!
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    Außerdem kann ich Babyjane nur zustimmen. Danke, dass Du den Mut hattest, dieses Buch kritisch zu betrachten!