Mein lieber Schwan, äh, mein lieber Steve Stern - das ist ja ein ganz schöner Brocken, den Sie uns Lesern hier zumuten. Nicht einmal von der Länge her - aber Sie haben sich inhaltlich und stilistisch einfach sehr viel vorgenommen. Ich weiß Ihre Fabulierfreude und erzählerische Experimentierlust zu schätzen, denke aber trotzdem, dass dieses Buch an europäischen Lesern weitestgehend vorbei geht. Wissen Sie, es ist ja schön und gut, wenn Sie gleich haufenweise auf (amerikanische) jüdische Autoren und Versatzstücke jüdischer Kultur anspielen - doch das alles ist im kulturellen Gedächtnis Europas, und insbesondere Deutschlands, nicht gerade im guten Sinne hängen geblieben, wenn Sie verstehen, was ich meine.
In Amerika ist das anders, da ist man herrlich unbefangen, was die Mischung von Stilen und die Verwendung von Anspielungen angeht. Zudem sind die Autoren, auf die Sie hier anspielen und die sich wie ein roter Faden durch ihr Werk ziehen, hier bei uns einfach nicht so präsent - zwar oft gelobt, aber kaum gelesen.
Sie werden doch wohl kaum bestreiten wollen, dass Sie hier nach Herzenslust Philip Roth ("Portnoys Beschwerden") , Jonathan Safran Foer ("Alles ist erleuchtet"), Leon Uris ("Exodus") und noch etliche andere durch den Kakao ziehen? na also! Und Barbara Streisand dürfte sich auch wundern, dass ihr "Yentl" in diesem Buch wieder zu Ehren kommt (oder war das auch vorher ein Buch? Sehen Sie, hier weiß man so etwas nicht!). Ich sitze wirklich zwischen sämtlichen Stühlen, Herr Stern. Ich sehe ja durchaus, wie reichhaltig Ihre Inspirationsquellen waren, dennoch will sich für mich - ich bin halt auch Europäer - kein wirklich einheitliches Gesamtbild ergeben.
Es fing ja noch sehr gut an. Sie kontrastieren hier zwei Handlungsstränge; einen um einen eingefrorenen Rabbi in der Vergangenheit, voller jiddischem Witz und "magischem Realismus". (Gabriel Garcia Marquez und Günter Grass wären stolz auf Sie!) Und den anderen Handlungsstrang in der amerikanischen Gegenwart, der sich um einen (seelisch) heimatlosen Jugendlichen dreht, der seine literarische Verwandtschaft mit dem berühmt-berüchtigten Alex Portnoy nun wirklich nicht bestreiten kann. Beide Stränge bewegen sich durch das ganze Buch hindurch aufeinander zu, um sich am Ende höchst unerwartet und herrlich abgedreht wieder zu verquicken. Das ist ja schon witzig erdacht von Ihnen! Im Grunde beginnt es mit Sex (Bernie auf der Suche nach einem Objekt der Begierde), und es endet eben auch mit Sex - mit einem Höhepunkt der besonderen Art. Aber ich will neuen Lesern nicht zuviel erzählen.
Aber, Herr Stern, ist denn dann nicht der Titel des Buches falsch gewählt? Im Grunde geht es in dem Buch gar nicht großartig um den Rabbi. Der taucht höchstens drei- bis viermal am Rande auf. nein, es geht um nichts weniger als "die Juden", um eine jüdische Familiengeschichte über mehrere Generationen, die wiederum mehrere Untergeschichten enthält (Assimilation in Amerika, Guerrillakrieg in Palästina...). Das ist zwar alles durchaus ansprechend miteinander verstrudelt, dennoch letzten Endes aber ein wenig viel. Erst recht für hiesige Leser.
Aber ich will Sie beruhigen, das Buch hatte für mich auch durchaus ansprechende Seiten. Den herrlich lakonischen Sprachwitz zum Beispiel, der sich in einem unaufgeregten Erzählton und vielen kleinen Seitenhieben offenbarte. Wer würde denn schon eine alte Schindmähre "Bat-Scheba" nennen? Hier habe ich herzhaft gelacht! (Bat-Scheba war, laut Bibel, ja die Frau, die König David mit ihrer Schönheit um den Verstand brachte, gell?) Ach, es waren schon viele Kleinigkeiten, die die Würze des Buches ausmachten. Die missglückten Erfindungen von Schmerl Karp beispielsweise. Oder die bärbeißige Ehefrau von Salo. Und erst diese ganzen Familiennamen! herrlich! Auch hat mir gefallen, dass Sie uns Lesern schon einiges an Intelligenz zutrauen. Denn das Buch platzt ja beinahe vor jiddischem (Sprach-) Kolorit.
Den sehr ausgeprägten mystischen Anteil des Buches hätte ich fast vergessen. Das liegt eben daran, dass diese "jiddische Wundertüte" fast zu viel Inhalt hat. Da verliert man als Leser schon mal den Überblick. Jedenfalls: auch die zu Dutzenden genannten und zitierten mystischen und spirituellen Autoren, wie James Redfield, Norman Vincent Peale, Eckart Tolle (ein Deutscher! Danke!) usw. haben mich in ihrer Vielfalt durchaus beeindruckt. Mein Respekt, was Sie nicht alles kennen!
Nur, mein lieber Steve Stern: das nächste Mal bitte ein wenig weniger Wundertüte, und mehr allgemein verständlichen Roman. Jedenfalls dann, wenn Sie auch in Europa Erfolg haben wollen.
Is sich das ein Buch, geschrieben von Shmock für andere Shmock. Nix für Goys. Nu.