Beiträge von Selim

    Zitat

    Original von Iris
    Ein "Blender" ist m.An. jemand, der vortäuscht, etwas zu sein, was er nicht ist, bzw. jemand, der etwas anderes bezweckt als er zu bezwecken vorgibt. Insofern geht mir das einen Tick zu weit, denn ich will ja andere zu etwas verführen, was ich selber mag. ;-)


    Na, vielen Dank für die Belehrung, aber genau das habe ich gemeint.
    Und ich bin überzeugt davon, daß 95 von 100 Menschen, die schon mal auf einer Bühne gestanden haben, irgendwo, sei es noch so verborgen, das Gefühl kennen, ein Blender zu sein. Wer ist man schon, daß man glaubt so vielen Fremden etwas bieten zu können. Ich könnte versuche es noch anders zu begründen, aber lassen wir das ...


    "Realität ist nicht mein Kriterium -- ich halte mich an Aristoteles (vgl. Poetik 9)." Da würde ich mich dann gerne belehren lassen, was ein Kriterium sein kann außer der Realität. Und wieso wir von einer Zeile auf die nächste Leben und Realität gleichsetzen? Ich habe meinen Aristoteles weder gelesen noch im Regal stehen.


    Und was diesen komischen Begriff der Authentizität angeht, der so übermäßig strapaziert wird und der wiederum für mich kein Kriterium ist, weil fast nichts authentisch ist, einem aber so verkauft wird. Literatur schon mal gar nicht, aber auch der Mensch nicht, außer in den wenigen Momenten, wo alle Masken von ihm abfallen, wo er sprachlos und ohne vorgefertigte Strategien dasteht.


    magali :
    Ja, ich meine diese Momente, in denen man weiß, man hat einen guten Satz geschrieben und man weiß nicht, wie man das hingekriegt hat, doch nun steht es da Aber es ist so viel mehr als das, weil mir die ganze Arbeit eine Freude ist, ich beschäftige mich gerne mit Worten. Man braucht doch nicht gelobt zu werden für etwas, das man sowieso schon gerne tut. Niemand erwartet Lob für das Wohlgefühl an einem kalten Wintertag ins Badewasser zu gleiten.


    Und ansonsten sagt Celine: Er hatte das Laster der Intellektuellen: Er hat zuviel gewußt und das hat ihn verwirrt.
    Oder wie man Yogalehrer sagt: Es gibt nur einen Weg - tun.
    Rutscht gut und Gesundheit und Glück und intensive Momente.


    Man hört ja immer nur die Leute, die von ihren 80 Bahnen auch erzählen, die anderen hört man ja nicht, weil sie nichts sagen. Klar, ist ne Leistungsgesellschaft und Menschen sind kompetetiv, aber es gibt doch immer Dinge, die man um ihrer selbst willen tut. Wenige brüsten sich mit wie gut ihnen etwas schmeckt. Es gibt immer Dinge, die man ohne ein bestimmtes Ziel tut. Es gibt jede Menge religiöse Bücher zum Thema, und in der modernen Psychologie nennt man das Flow, soweit ich weiß, eine Konzentration auf eine Sache, die das Ziel vollkommen vergessen lässt, ich vertiefe das mal nicht.
    Ne Zeitlang habe ich erzählt, daß ich einen Roman innerhalb von 48 Stunden auf Band sprechen kann. Das macht Leute wahnsinnig, gerade weil der Leistungsaspekt auf einmal fehlt, die Arbeit, das Leid, aber davon wird ein Buch ja nicht schlechter, nicht wahr?


    Zum anderen: Ja, man will, daß jemand zuhört, ja, man verführt auch, aber darum geht es einfach nicht, das ist nur die Verpackung. Der Weg, den man geht ist ein ganz anderer.
    Iris schreibt ja:
    "Stimmt. Rattenfänger sind wir alle irgendwie. Und jeder von uns spielt die Melodie, die ihm selbst am besten gefällt -- und wenn sie ihm nur deshalb gefällt, weil er überzeugt davon ist, daß sie die meisten dazu verführt, ihm nachzulaufen."
    Ich würde noch weitergehen und sagen, wir sind Blender, aber die Melodie, die ein Leben bestimmt, die kann man entweder in seinem Inneren erlauschen oder eben danach basteln, von dem man glaubt, daß es möglichst viele verführt. Du das Suchen innen ist kein Zufall und der Rest ist nur ein wenig Handwerk, das ist fast erlernbar.

    Hm, ich weiß nicht, ja schreiben macht auch Mühe, aber die steht ja nicht im Vordergrund. Wenn jemand regelmäßig schwimmen geht, dann macht er das ja nicht, weil es mühelos ist, sondern weil es ihm eine Befriedigung verschafft oder zumindest ein Wohlgefühl. Und niemand hat das Bedürfnis für seine 80 Bahnen die Woche gelobt zu werden, oder? Es ist nicht mehr als ein netter Nebeneffekt, wenn die Leute die Disziplin oder den Körper bewundern, aber darum geht es einfach nicht.


    Und ja, mir gefällt es, wenn ein Buch auseinandergenommen wird, weil dann die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, daß ich etwas sehen kann, was mir entgangen war. Es ist zum Beispiel einfach zu behaupten, Gül würde viel lesen, aber mit keinem Wort darauf einzugehen, wie sehr sie das Gelesene beeinflußt. Ist mir entschlüpft und erst aufgefallen, als es in einer Rezension erwähnt wurde.
    Aber es geht ja hier auch nicht darum, wie man über das Buch sprechen könnte, damit es meine Bedürnisse befriedigt. Also habe ich das auch nicht vermisst. Aber willkommen wäre es gewesen.
    Wie man über Bücher spricht: Ich kann Bücher, die ich mag, sehr gerne einfach abfeiern, ohne besonderen Tiefgang. Aber ich bin nicht gerne dabei, wenn jemand meine Bücher abfeiern möchte.
    Das schwierigste ist es den Applaus auszuhalten, habe ich mal gehört und da ist was dran. Wenn es sicher auch, wie alles andere, was sich erst mal gut anhört, nicht die Wahrheit ist.


    Aber um auf noch eine Frage einzugehen: Inwieweit also kann man LeserInnen dazu bringen, ein Stücks Wegs mit einer oder einem zu gehen?


    Keine Ahnung, aber das ist wohl auch nicht wichtig, so lange man selber nur geht und Ehrlichkeit, Freude, Verzweiflung, Trauer, Wut oder sonst irgend etwas ausstrahlt, was jemand anders ansprechen könnte. Der Rest geschieht ganz natürlich.

    Das Wort Zielgruppe suggeriert für mich immer, daß man weiß, was der Konsument möchte. Und ich weiß es nicht, möchte es auch gar nicht wissen. Ich gehe immer davon aus, daß sich Menschen finden, die auch berührt werden von dem, was mich berührt.
    Natürlich schreibt man nicht ins Blaue hinein, doch ich habe angefangen zu schreiben, weil ich schreiben musste. Ob das jemand liest oder nicht war erstmal zweitrangig. Und immer noch ist es für mich so, daß die größte Freude beim Schreiben das Schreiben selber ist und nicht irgend etwas, das hinterher passiert. Für mich war es ein größeres Erlebnis ein ganzes zusammenhängendes Manuskript geschrieben zu haben, als es später veröffentlicht zu sehen.
    Und klar, auch ich schreibe nicht für mich selbst, sonst würde ich es ja nicht veröffentlichen, ja, auch ich unterliege den Gesetzen des Marktes, doch ich wollte immer von Schreiben leben und heute ist es fast schon so, daß ich vom Schreiben leben muß, aber die Kompromisse waren für mein Empfinden geringfügig. Und ich habe nicht vor daran etwas zu ändern.
    Und ja, ich bin eitel wie alle und werde gerne mal gelobt, aber es ist immer auch seltsam für die Freuden gelobt zu werden, die man schon gehabt hat. Ganz so, als würde sich jemand vortrefflich und lustig betrinken und dann zollt man ihm Anerkennung dafür. Ist von Fallada, ich finde gerade den Wortlaut nicht.

    Zitat

    Original von Rosenstolz
    [
    Es war nur so, dass ich bei Selim manchmal das Gefühl hatte ( während der Leserunde ) er wird zu was gezwungen.


    Möglicherweise wäre es angebracht gewesen, etwas weniger distanziert zu sein, aber gezwungen habe ich mich in keiner Sekunde gefühlt. Und ich wiederhole es gern nochmal: Es war schön, daß ich bei der Leserunde dabei sein konnte, ich habe viel gelernt.



    @Babyjane
    Marktforschung interessiert mich leider nicht, noch weniger als die Verkaufszahlen. Man kann es nie jedem Recht machen und ich war auch noch nie darauf aus, von möglichst vielen gemocht zu werden. Ich mache halt das, was ich für richtig halte und was ich vor mir verantworten kann. Das heißt nicht, daß ich mich für etwas Besseres halte, aber wenn ich es mögen würde, mich Erwartungshaltungen und Vorstellungen anderer zu beugen, dann hätte ich einen anderen Beruf gewählt. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Welt schlechter geworden ist, seitdem es das Wort Zielgruppe gibt.

    Sterntaler
    "Zitat:
    Original von Selim
    Aber mich wundert hier diese Haltung Sachen überhaupt nicht negativ bewerten zu wollen.


    Ist die Frage, in welchem Zusammenhang du das meinst."


    Ich habe die Frage nach der gegenseitigen Bauchpinselei gestellt und die nach dem Unterschied zwischen Neugier und Interesse und beide Male war eine der Reaktionen, daß man das doch gar nicht negativ sehen müsse.


    "Zitat:
    Original von Selim
    Die Frage ist, könnten die Argumente, die man anbringt grundsätzlich für Klatsch und Tratsch sprechen, gegen den ich auch nichts habe. Und wenn ja, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen verwertbaren Informationen und dem Klatsch.
    Argumente in Hinsicht auf was? Bitte etwas genauer erläutern, ich verstehe grad nicht worauf du hinauswillst."


    Mit einer Begründung wie, wahllos herausgegriffenes Bespiel: Wer nicht fragt, bleibt dumm, kann man vieles rechtfertigen. Ohne jedoch den Kern der Sache zu treffen.



    Ikarus
    "An Deiner Person hätte mich am meisten Informationen, Sichtweisen etc. interessiert, nicht zuletzt, weil Du einem anderen Kulturkreis angehörst...ganz platt und oberflächlich gesagt: ich würde auch auf einen behinderten Menschen im Rollstuhl zugehen und - wenn es sich so ergibt, fragen, wie das denn kam...oder - als Gegenbeispiel, wenn Du so willst, auf Osama bin Laden, um zu erfahren, was in dessen Kopf so vorgeht...to be continued...


    Ich hoffe, es ist klar geworden, was ich meine?"


    Ja, es ist klar geworden, was du meinst. Aber abgesehen, daß beide Beispiele unglücklich gewählt sind, ich bin weder behindert noch Terrorist, noch habe ich sonst etwas an mir, das ein Ge- oder Verbrechen sein könnte: Gerade das möchte ich nicht. Und auch der Mensch im Rollstuhl möchte das nicht. Weil man von außen auf etwas reduziert wird. Die Aussage läuft für mich, und möglicherweise bin zu empfindlich, immer auf einen Satz hinaus: Mach uns doch mal den Türken. Und ich sage: Nein, danke. Ich keinen Bock immer nur der Kanake hier zu sein, der interessante Dinge aus seinem Kulturkreis berichten kann. Das ist nicht meine Aufgabe. Das kann man sicherlich dahingehend interpretieren, daß ich nicht auf die Leser eingehe.


    "Und ein anderer Aspekt noch: ihr Schriftsteller wollt doch etwas von uns, oder irre ich mich da? ... Und eher weniger ist es umgekehrt der Fall!"


    Ich denke, du irrst dich. Ich habe meinen Part des Jobs längst gemacht, ich habe ein Buch geschrieben. Der Verlag macht das Markting, sonst könnte ich es bei Books on Demand herausbringen. Ich will nichts weiter vom Leser, ich bin einfach nur glücklich, wenn sich Menschen finden, die meine Bücher lesen wollen, aber ich mache mich nicht krumm dafür. Wenn niemand den Kram lesen möchte, verdiene ich mein Geld halt anders. Was ich mache ist nur ein Angebot in Form eines Buches, ich versuche niemanden etwas aufzuschwatzen.


    Aber doch, ja, es war schön, daß ich bei dieser Leserunde dabei war. Ich habe viel gelernt. Ehrlich.

    Ich glaube ja, daß die guten Texte, die man irgendwie hinkriegt, schlauer sind, als man selber und somit einen auch überraschen können. Manchmal schreibt man mehr rein, als man vorhatte oder wollte oder einem bewußt war.
    Und gleichzeitig finde ich das nicht so wahnsinnig wichtig, auch deswegen, weil ich persönlich keine Bücher mag, die eine deutlich erkennbare Intention haben. Wenn es keine Absicht in Sinne einer Botschaft oder Lehre oder Moral oder sonstwie gibt, dann ist es nicht weiter tragisch, wenn der eine oder andere das eine oder andere nicht versteht. Autor mitinbegriffen.


    Aber mich wundert hier diese Haltung Sachen überhaupt nicht negativ bewerten zu wollen. Ich will ja gar nicht alles schlecht machen und ich stehe auch gerne Rede und Antwort, aber so einige Argumentationsketten könnte
    auch ein begeisterter Gala-Konsument für sich beanspruchen. Kontakt mit Menschen(wobei ich persönlich das Internet in jeglicher Ausprägung, die mir bekannt ist, immer nur als einen Kontaktersatz ansehen würde), Fragen, um Erkenntnisse zu gewinnen, Dinge besser verstehen. Aber warum will man eigentlich besser verstehen, wieso Bruce Willis Ehe gescheitert ist und wie das Leben an europäischen Fürstenhäuser abläuft und wie genau Boris Becker die Frauen angräbt, auf die er steht.
    Ich übertreibe, weil ich das Gefühl habe, daß ich mich vorher möglicherweise mißverständlich ausgedrückt habe. Die Frage ist, könnten die Argumente, die man anbringt grundsätzlich für Klatsch und Tratsch sprechen, gegen den ich auch nichts habe. Und wenn ja, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen verwertbaren Informationen und dem Klatsch.
    Naja, vielleicht führt das auch alles zu weit. War nun n Versuch.

    Eine Frage, die ich mir selber auch immer wieder stelle: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Neugier und Interesse?
    Das bezogen auf die sogenannten privaten Fragen. Oder etwas anders ausgedrückt: Wo hört Gala auf und fängt investigativer Journalismus an?

    Da die Leserunde ja weitgehend abgeschlossen scheint, darf ich vielleicht ein Fazit ziehen.
    Als ich zugesagt habe, hatte ich fast gar keine Ahnung, was es mit dieser Leserunde auf sich hat, wollte es aber einfach mal ausprobieren. Es war interessant zu sehen, wie jeder seine eigene Lesart hat und für mich, der ich mich nie in Foren rumtreibe war es auch interessant einen kleinen Einblick in so eine Gemeinschaft zu bekommen. Der Hang der Eulen zu einer Art Bücher, die ich als "genormte Unterhaltungsliteratur" bezeichnen würde, hat mich dabei etwas verwundert, aber die Geschmäcker sind halt verschieden.
    Und dann habe ich mich gefragt, was wohl die Idee von so einer Lesrunde mit Autor ist. Viele der Fragen hätte man sich selbst oder gegenseitig beantworten können. Unklarheiten die ausgeräumt werden konnten, fand ich auch nicht so wesentlich.
    Doch ich hatte die Gelegenheit den einen oder anderen Gedanken anzubringen, der nicht etwas mit Büchern und Schreiben zu tun hat. Der eine oder andere hat möglicherweise seine Neugier befriedigen können, gut. Aber ich hege auch so einen seltsamen Verdacht, daß das ganze einfach nur eine gegenseitige Bauchpinselei sein könnte. Ich freue mich über so viel Lob, ihr freut euch, daß ihr den Autor etwas exklusiver habt, als gewöhnlich.
    Wie seht ihr das?

    Zitat

    Original von Babyjane



    4. Selim, wann liest du wieder in Köln? :knuddel1


    Keine Ahnung, aber nächstes Jahr möchte ich insgesamt deutlich weniger lesen. Einfach ab und zu mal die Heimatseite nach Terminen checken oder sich für den Newsletter eintragen.

    Hallo Marlowe,
    mag sein, daß ich unprofessionell bin. Aber ich habe kein Problem damit, daß mich Sachen, wie der Wisperer aus dem Konzept bringen können. Wenn alles nur noch an dir abprallt, dann empfinde ich das als übermenschlich.


    Außerdem hat man als Publikum möglichweise auch eine Eigenverantwortung, soll heißen, man hätte auch eine Reaktion auf einen Störer zeigen können.


    Nein, es hat nicht jeder zu wissen und zu akzeptieren, wer ich bin und was ich kann. Dreh mir bitte nicht so billig das Wort im Mund herum. Das habe ich nicht geschrieben und nicht gemeint. Ich weiß für mich gewisse Sachen und lasse mich nicht durch jede Meinung verunsichern.


    Wie zum Beispiel die, daß ich schlecht vorgetragen hätte.


    Und was mit Allüren gemeint ist, weiß ich im Moment nicht so richtig, lasse mich aber gerne aufklären.


    Ich habe versucht offen und ehrlich deine Frage zu beantworten, und du läßt es im Gegenzug an den Grundregeln der Höflichkeit mangeln. Finde ich nicht richtig. Aber wie sagt mein Vater immer: Die Regeln der Höflichkeit gelten nur für höfliche Menschen.


    Aber so oder so, mail mir deine Kontonummer und ich überweise dir gerne das Geld.

    So etwas wie mit der Reporterin berührt mich so gut wie gar nicht. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Der lustlose Eindruck führt wohl daher, daß ich mich nicht besonders wohl gefühlt habe, in dem Rahmen. Da waren halt viele Autoren, für die Literatur etwas ganz anderes bedeutet als für mich. Und wenn dann noch direkt am Anfang jemand so penetrant wispert hat, ist es für mich sehr schwer, mehr Emotion hineinzupacken.

    Merci erstmal an euch, für die Zeit und Aufmerksamkeit.
    Die Liebe zu den Kühen ist rein platonisch.
    Die letzten 20 Seiten, ja ich weiß, aber es war mir lieber als ein abruptes Ende, das wäre eine Möglichkeit gewesen.
    Das Buch hört genau da auf, weil danach für mich ein der typischen Themen der Migrantenliteratur anfängt. Ich habe keine Lust über die Migrantenproblematik in diesem Land zu schreiben, das tuen und taten andere. Aber soweit ich weiß, hat bisher niemand das Leben vor der Migration beschrieben.
    Wenn ich meine Verweigerung gegenüber der Migranteliteratur gegenüber, als eine Einsschränkung von außen empfinde, statt eine selbstständige Entscheidung, wie ich es jetzt tue, dann gibt es möglicherweise eine Fortsetzung. Aber ich gehe nicht davon aus.
    Ähm, was ich sagen wollte, vielleicht in klarer. Im Moment denke ich, es ist meine freie Entscheidung, keine Migrantenliteratur zu schreiben. Aber vielleicht denke ich eines Tages, diese Entscheidung auch nur dazu beiträgt, die Migrantenliteraturschublade zu verfestigen, anstatt einfach ihre Existenz zu leugnen.

    Zitat

    Original von Trixi56Nun habe ich oft Kontakt zu türkischen Familien. Gerade hier in Bremen habe ich schon einige junge Frauen kennengelernt, denen es z. B. im Bezug zur gezwungenen Heirat, nicht anders wie Gül ergeht und einige sind schon Rat suchend, zu uns gekommen.
    .


    Uups, Achtung. Ich reagiere leider sehr empfindlich auf die Wortkombination "erzwungene Heirat". Erstens, weil es ein Modethema ist, das die Wahrnehmung dieser Sachen total verzerrt und in ein Licht rückt, als seien Zwangsheiraten bei Türken an der Tagesordnung. Zweitens, weil keine der Schwestern in dem Buch zu einer Heirat gezwungen wird.

    Zitat

    Original von Lilli
    Was ich mir nicht vorstellen kann, daß ein "richtiges Bett" eine Rarität war (in den 50ern?) und Timur jedem der geheiratet hat sein Bettgestell lieh. Wie sah denn der Transport aus - so ein Bett ist ja sicher kein Leichtgewicht und die Zimmer wo es stand nicht groß... :grin


    Das mit der Rarität ist halt so. Gab kaum Betten im ländlichen Zentralanatolien der 50er.
    Das Bett ist ja schmiedeeisern, man transportiert es also am Stück undzwar festgezurrt auf einem Pferdewagen.

    Zitat

    Original von Babyjane
    Dann frag ich jetzt mal ne Frage, von der ich die Antwort noch nicht mal erahne:


    Wie gefällt dir die Leserunde?


    Es ist interessant, weil man sich ein anderes Bild von einem Leser machen kann, es wird realer, greifbarer. Und gleichzeitig bin ich erstaunt, über einige Fragen und Lesarten, aber das liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache, da wir ja alle anders lesen.

    Zitat

    Original von Babyjane


    @ Selmin
    Mit so einer Antwort hatte ich schon gerechnet. (Warum stellt man Fragen, wenn man eh weiß, wie der andere vermutlich reagiert??) :lache


    Vielleicht bequemes Schubladendenken? Wenn man Fragen stellt, deren Antwort man ahnt, wird das Weltbild, das man hegt, nicht in Frage gestellt, sondern nur bestätigt. ?

    Zitat

    Original von Cabra
    Ich glaube, Trixi ging es da vielleicht wie mir, es passieren so viele "blöde" Dinge hintereinander. So viele "ach mann, das wär aber anders schöner gewesen"-Momente. Eben die Sache mit dem Los, dann ihre große Liebe, der sie nie richtig begegnen konnte... alles auf einmal, was beim Lesen "im Paket" erscheint und das du vielleicht (hast du ja auch schonmal gesagt) beim Schreiben gar nicht als so schlimm empfunden hast, da du ja länger schreibst, als so mancher Leser liest... vielleicht ist es ja das.
    und Gül habe ich eigentlich schon irgendwie clever in Erinnerung. Oder war es tapfer? Es war so viel. Eben: viel Gutes, so dass fehlende Cleverness gar nicht ins Gegengewicht fällt.


    Aber auch darauf kann ich nicht gut antworten. Wir sind ja nicht bei: Wünsch dir was. Dinge gehen schief. Ganz normal. Dabei habe ich nicht mal das Gefühl, daß Gül sonderlich viel Pech hat.

    Mas|sel, der; -s [jidd. massel < hebr. mazzal] (salopp): unverdientes, unerwartetes Glück: der hat einen unglaublichen M.
    Man sagt ja auch: Ich habs vermasselt.
    Aber das war das letzte Mal, daß ich versuche Worte zu erklären, die jeder nachschlagen oder googeln kann. Solche Wissenslücken dienen doch nicht in erster Linie der Kommunikation.
    Nix für ungut.

    Zitat

    Original von Trixi56
    An manchen Stellen wurde ich teilweise wütend. Wie kann in unserem Jahrhundert solch ein rückschrittliches Verhalten eigentlich noch existieren. Warum lässt Du eigentlich Gül das Neujahreslos wegwerfen, das kann ich nicht nachvollziehen?
    Hätte man Gül an manchen Stellen nicht etwas cleverer wirken lassen?


    Also mal wieder Gelegenheit zum Klugscheißern: Das ist nicht unser Jahrhundert, das ist das letzte. Ist jetzt 2005, richtig? Außerdem hat es das in den 50ern in Deutschland (letztes Jahrhundert) auch noch gegeben, daß man sich seinen Partner nicht frei wählen konnte. Wenn auch zugegebenermaßen nicht in dieser verschärften Form. Bei unseren Nachbarn, den Franzosen haben die Frauen erst 1944 das Wahlrecht bekommen. Das ist hier vorne, um die Ecke. Man vergißt manchmal, wie schnell die Welt sich dreht und was alles in den letzten Jahrzehnten erst passiert ist.


    Gegenfrage: Was hätte Gül mit dem Los denn machen sollen?


    Gül ist nicht clever. Und wieder die Gegenfrage: Warum sollte sie es sein? Sie hat für mich mehr als genug positive Eigenschaften, clever gehört halt nicht dazu.