Beiträge von Josefa

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    Original von Minusch
    Aber gleich das Buch in die Ecke pfeffern? So schlecht ist es nun auch nicht.


    Oh, technisch so schlecht geschrieben fand ich's gar nicht. Nicht unbedingt meins, aber ich habe mich schon durch viel schlimmere Sachen gekämpft. In diesem Fall ging's wirklich um diese eine Szene. Da wurde mir klar, daß die Autorin und ich offenbar diametral entgegengesetzte Einstellungen zum Leben haben. :grin


    Bellas Verhalten in dieser Cafeteria-Szene ist aus meiner Sicht völlig unverzeihlich. Das ist - gegenüber ihrer Freundin - ein moralisches Versagen und ein Vertrauensbruch erster Güte. Was nicht schlimm wäre, wenn die Autorin das auch so sehen würde. Wenn das im Roman thematisiert würde. Wenn irgendwann klar würde: Liebe Bella, hier hast du dich verhalten wie ein großes, fettes A... Aber genau das scheint nicht zu passieren. Bella soll offenbar eine charakterlich/moralisch positive Figur sein. Und da stelle ich dann fest, daß Frau Meyers und meine Einschätzung dessen, was ein netter Mensch ist, sehr sehr weit auseinander gehen. So vollkommen ich-bezogen, wie Bella sich die meiste Zeit verhält, möchte ich sie wirklich nicht unter meinen Freunden wissen.


    Hier zieht eigentlich auch die Ausrede "Blind vor Liebe" nicht. Sie benimmt sich gegenüber ihren normalsterblichen Freunden ja schon so eigensüchtig, bevor sie Edward trifft. Es wird später nur überdeutlich.
    Und selbst wenn: wäre das denn, was man aus dem Buch mitnehmen soll? Wenn du nur richtig verliebt bist, hast du das Recht, alles und jeden mit Füßen zu treten und auf den Rest der Welt zu spucken? Na, danke bestens.


    Selbst wenn dieses Verhalten für Teenager normal wäre (was ich nicht hoffe und nicht glaube), wird es davon ja nicht erträglicher. Und wenn mir in einem Buch ein Mensch, den ich aufgrund seines Verhaltens ablehnen muß, permanent als toller Hecht hingestellt wird, ist das sehr frustrierend zu lesen. Daher habe ich lieber abgebrochen, als mich Seite für Seite zu ärgern.
    (Wobei ich dazusagen sollte, daß ich ein ähnliches Problem mit der Heldin der Sookie Stackhouse-Reihe hatte, die ja nun einen ganz anderen Tonfall anschlägt. Auch die war mir sehr unsympathisch, wenn auch auf andere Art. Kann also durchaus auch an mir liegen ^_^.)


    Zu Edward möchte ich eigentlich gar nicht viel sagen. Bei dem war ich schon nach seinem ersten Auftritt sicher, daß er ein A... ist. Allerdings bin ich davon ausgegangen, daß er sich, für Bella, im Laufe des Buches ändern und netter werden würde. Was meinem inneren Romantiker ja nun wieder sehr gefallen hätte. Allerdings mußte ich abbrechen, bevor ich hätte rausfinden können, ob dem so ist.

    Ich weiß nicht, ob euch meine Meinung interessiert. Ich hab, muß ich dazu sagen, nur den ersten der Biss-Bände mal gekauft, weil ich wissen wollte, worüber die Kiddies sich heutzutage denn so unterhalten ^_^. Etwa auf Seite 220 hab ich das Ding wutentbrannt gegen die Wand gefeuert. Ich bin mehr als doppelt so alt wie die vermutlich angepeilte Zielgruppe, insofern ist es nicht verwunderlich, daß ich es nicht mochte. Daß ich mit derart heftiger Abneigung reagieren würde (gegen beide Hauptcharaktere), hat mich allerdings auch verblüfft.


    Was Bella betrifft, da sehe ich zwei Gründe, warum ich sie nicht mochte. Einen laste ich der Autorin und ihrer Art zu schreiben an. Von der ersten Seite weg hatte ich das Gefühl, da wird mir eingehämmert, daß ich dieses Mädel mögen soll. Scheidungskind, verantwortungslose Mutter, muß gegen ihren Willen in ein Kuhkaff, in dem sie niemanden kennt, unheimlich tolpatschig ... das schreit alles: "Siehst du, lieber Leser, ich bin ein Loser, ein Außenseiter, unsicher und unverstanden, ganz so wie du. Hab mich lieb."
    So weit, so normal. Aber dann hört Miss Meyer irgendwie auf. Genau da, wo es losgehen müßte und wo es (auch das Schreiben, denke ich) weh täte. Bevor der edle Prinz (oder in diesem Fall Vampir) auftreten und Aschenputtel aus ihrem Elend holen kann, muß Aschenputtel erst mal rein ins Elend. Aber das bleibt Fräulein Bella komplett erspart. Sie ist unheimlich beliebt bei allen, denen sie über den Weg läuft (was sie nicht hindert, ihre neuen Freunde lästig oder nervig zu finden), niemand lacht sie aus wegen ihrer Unsportlichkeit, sie hat alle Hände voll zu tun, ihre Verehrer abzuwimmeln. Und beim Lesen habe ich mich gefragt: worüber jammert die Frau eigentlich dauernd?


    Der zweite Grund liegt im Verhalten der Figur selbst. Es gab ein paar (für die Handlung sonst wohl belanglose) Szenen, die mir mehr über den Charakter der Hauptfiguren verraten haben, als ich wissen wollte. In erster Linie betrifft das, wie sie ihre "Freunde" (also jeden außer Edward) behandelt. Bella findet ja fast alles und jeden an ihrem neuen Wohnort oberflächlich, langweilig, aufdringlich, bauernhaft oder sonstwie unzulänglich. Aber "anfreunden" will sie sich schon mit ihnen, auf Parties und zum Shoppen fahren oder sonstwie abhängen kann man ja. Ich vermute mal, die "Normalo"-Freunde werden, sobald Edward mal wirklich im Spiel ist, sehr schnell abgesägt? Das nennt man gemeinhin: "jemanden ausnutzen". Und genau das tut Bella.
    Symptomatisch war die Szene, bei der ich das Buch dann endgültig zur Seite geworfen hab: Edward und Bella sitzen in der Cafeteria, und Edward kündigt ganz lässig an, daß er, da er die Bellas nicht lesen kann, einfach die Gedanken von Bellas "bester Freundin" abhören wird, um rauszufinden, wie Bella über Edward denkt. - Und Bella findet das "lästig".
    Lästig. Für sich natürlich. Da ist das Buch dann geflogen ^_^. Ihr untoter Angebeteter kündigt gerade einen Übergriff auf ein völlig unbeteiligtes, ahnungsloses Mädchen an, das sich nicht im geringsten gegen diese geistige Vergewaltigung (denn das ist es, letztlich) wehren kann. Ein Mädchen, mit dem Bella angeblich "befreundet" ist. Und alles, was Fräulein Bella dazu einfällt, ist, daß sie das "lästig" findet. Kein Gedanke, nicht einmal ein Wort des Bedauerns für diejenige, der tatsächlich ein Unrecht zugefügt wird.
    Und damit war mein Eindruck von dieser Figur, fürchte ich, geprägt. Bella ist - aus meiner Sicht - eine weinerliche, oberflächliche Egoistin, die mir von der Autorin aber permanent als sympathisch verkauft wird, ohne daß es dafür im Verhalten der Figur irgendwelche Anhaltspunkte gäbe.


    Aber wie gesagt. Alles nur Eindrücke bis crica Seite 220. Vielleicht ändern sich die Figuren im Laufe der Zeit noch. Buchseiten wären ja genug vorhanden.

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    Original von Shadow91
    Es ist einfach eine akute Leseunlust die ich nicht begründen kann


    Ich fände es auch schlimm, wenn man sich für so etwas entschuldigen müßte. Ich kenne das auch. Ich vermute, jeder kennt solche Phasen. Manchmal "fresse" ich die Bücher, manchmal, z.B. jetzt, fasse ich wochenlang kaum eins an. Ohne besonderen Grund, einfach nur, weil mich andere Dinge in meiner freien Zeit mehr interessieren, Handarbeiten, Schreiben oder der PC. Geht mir mit dem Fernseher auch nicht anders: wenn nichts läuft, das ich wirklich sehen will, bleibt die Glotze eben aus. Und wenn da gerade kein Buch ist, das ich lesen will, lese ich nicht.

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    Original von SiCollier
    Später zumindest gab es ja die sog. „Buccaneers“, also junge reiche Frauen aus Amerika, die nach England kamen um sich einen Adeligen zu „angeln“.


    Jetzt, wo du's sagst ... ich meine, daß in Thackerays "Jahrmarkt der Eitelkeiten" auch schon eine (sogar farbige!) junge Dame aus den Kolonien auftrat, die in London am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Thackeray ist zwar später als Jane Austen, aber der Roman spielt zur Zeit Napoleons.


    Von Edith Wharton habe ich noch nie etwas gelesen - ihrem Wikipedia-Eintrag nach könnte das aber sehr interessant sein.

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    Original von SiCollier
    Bei den drei Schwestern hat mich überhaupt überrascht, wie verschieden deren Leben verlief. Die eine heiratet in den Hochadel ein - und auf die anderen hat das praktisch keinen Einfluß. Und vor allem auch, daß die so einfach in den Adel einheiraten konnte hat mich überrascht.


    Das stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Man sollte annehmen, daß sich ein Sir Thomas schon aus purem Selbstschutz darum bemüht hätte, seine angeheiratete Verwandtschaft in angesehene Positionen zu hieven, um sich nicht dem Spott der Standesgenossen auszusetzen.
    Wobei zu Fannys Mutter ja der Kontakt ohnehin lange Zeit abgebrochen war. Die war wohl einfach außerhalb des Blickfelds von irgendjemandem.


    Kann es sein, daß hier einfach schon ein zeitlicher Unterschied zu den früheren Werken Jane Austen besteht, daß die sozialen Verhältnisse vielleicht in einigen Details schon ein bißchen lockerer waren und man über die schwarzen Schafe in der Verwandtschaft leichter hinwegsehen konnte? Mir fiel das auch auf, daß Jane Austen in diesem Buch immer wieder auf die Londoner Bohème und ihre freizügige Lebensführung anspielt (zu der ja Mary und Bruder offenbar gehören). Von so etwas war in "Stolz und Vorurteil" noch keine Rede.


    Ein Baronet ist, glaube ich, allerdings kein Hochadel. Da gibt's wohl etliche Unterschiede. Sir Thomas kann zwar, anders als Sir William Lucas in "Stolz und Vorurteil", seinen Titel an den ältesten Sohn weitervererben, er steht also eine Stufe über den nur für eine Generation geadelten "Rittern" (sowas Ähnliches gibt's ja heute noch, Elton John z.B. wird wohl sowas sein). Hochadel fängt aber offiziell, soweit ich mich erinnere (ich hab das vor einiger Zeit mal nachgelesen) erst beim Viscount an. Da gab es doch in "Persuasion" diese verwitwete Viscountess mit ihrer Tochter, deretwegen in Bath Annes Vater Handstände gemacht hat, um sich bei ihr einzuschmeicheln.

    Ich sag', wie's ist: der Romantiker in mir hätte unheimlich gerne gesehen, wenn Henry Crawford sich wirklich für Fanny geändert und ihr den Rest ihres Lebens zu Füßen gelegen hätte. Aber Jane Austen sieht das realistisch. Kein Mensch kann aus seiner Haut, und daß Henry Crawford noch nicht weit genug über sich und Fanny nachgedacht hatte, um tatsächlich sich selbst und nicht nur kurzfristig sein Verhalten zu ändern, das kam ja auch an verschiedenen Stellen des Romans raus.


    Daß ihm das Ganze hinterher leid tut, spricht für ihn. Er weiß, daß er eine Chance verpaßt hat, wenn ihm wahrscheinlich auch gar nicht ganz klar ist, wofür.


    Ein bißchen zu rasch ging mir die letzte Wendung auch. Weniger, was Henry Crawfords Untreue angeht, als vielmehr was die Schwestern Bertram betrifft. Die waren während der letzten Kapitel so ziemlich vergessen und tauchen jetzt mit einem Paukenschlag plötzlich wieder auf. Daß gleich beide von ihnen durchbrennen, zusätzlich zur Erkrankung des ältesten Sohnes, ist vielleicht ein bißchen arg melodramatisch. Selbst, wenn es in Julias Fall am Ende weniger schlimm ist als erwartet.


    Interessant finde ich, daß hier, wie es schon in "Stolz und Vorurteil" Lydia mit Wickham tut, am Ende die Frau den Mann "zwingt", mit ihr durchzubrennen. Wie das wohl praktisch ausgesehen hat? Natürlich konnte Maria ihren Mann mit Sack und Pack verlassen. Aber hätte Henry Crawford (der sich durch diese Aktion ja offensichtlich überrumpelt gefühlt hat) sie nicht einfach stante pede wieder nach Hause zurückschicken können? Zimperlich war er doch bisher nicht, was Marias Gefühle angeht. Und kompromittiert gehabt hätte sich bis dahin doch nur die Frau? Für Männer, das macht Jane Austen ja auch ganz klar, waren die Folgen eines solchen Skandals ohnehin kaum spürbar.


    Mary Crawford begreift vermutlich wirklich nicht, inwiefern sie Edmund so entsetzt. Daß es Edmund um mehr geht als nur darum, den Anschein guten Benehmens zu wahren.


    Mit dem Pärchen Edmund/Fanny kann ich irgendwie nicht so recht warm werden. Das ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Vielleicht wäre ich an Fannys Stelle auch beleidigt, wegen einer oberflächlich amüsanten Klugschwätzerin wie Mary Crawford so lange übersehen worden zu sein. Allerdings wäre eine solche Reaktion an Fanny zugegebenermaßen schwer vorstellbar.


    Ich bleibe dabei: nicht mein Lieblingsbuch von Jane Austen, aber immer noch herrlich zu lesen.

    Was mich bei der Beschreibung von Fannys Familie auch beeindruckt hat: wie die Umgebung auf den Charakter einwirkt. Das habe ich mir gedacht bei Fannys Mutter, die ja offensichtlich ihrer Schwester Lady Bertram im Prinzip unheimlich ähnlich wäre, sich aber in eine ganz andere Richtung weiterentwickelt hat. Wie eine Mischung aus Lady Bertram und Mrs. Norris: die Unzufriedenheit und das dauernde Gejammer hat sie von letzterer und die Bequemlichkeit von ersterer. Die positiven Eigenschaften sind dagegen weitgehend verschüttet.


    Der Vater ist ein Kotzbrocken, aber wahrscheinlich auch nicht weit weg vom typischen Haushaltsvorstand einer solchen Familie. Weiß im Grunde, daß er es zu nichts gebracht hat, ertränkt diese Erkenntnis im Alkohol und spielt zu Hause den starken Mann.


    Daß Fanny in dieser Umgebung alt geworden wäre, kann ich mir auch nicht vorstellen. Und es erklärt, meine ich, auch die enorme Bindung an ihren Bruder William. Da mußten die zwei ältesten Kinder wohl schon in frühester Jugend zusammenstehen und mithelfen, die Familie funktionstüchtig zu halten.


    Crawford benimmt sich erstaunlich gut in Gegenwart von Fannys Familie. Ich war schon halb darauf gefaßt, daß er den Rückwärtsgang einlegt, sobald ihm klar wird, aus welchem Stall seine Angebetete kommt. Aber er trägt es mit Fassung. Zumindest verbirgt er sein Entsetzen.


    Bei Edmund denke ich, er schätzt Fanny richtiger ein als alle anderen. Aber, ja, auch er will nur das sehen, was zu seiner Gemütslage paßt.


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    Bis zu einem gewissen Grade ist es erstaunlich, daß Fanny dennoch standhaft bleibt.


    Mit seinen moralischen Erpressungsversuchen macht er es ihr aber auch nicht schwer, standhaft zu bleiben. Auch wenn es in gewisser Weise rührend ist, mitanzusehen, wie er um ihre Anerkennung kämpft. ("Wenn ich da jetzt hinfahre und den bösen Verwalter zur Schnecke mache, dann mache ich das doch gut, oder? Das gefällt dir doch? Sag, daß dir das gefällt!") - Und dann ist da ja auch noch die Sache mit Edward. Den müßte Fanny ja erst einmal innerlich abhaken, um sich Mr Crawford zuwenden zu können.


    Am meisten beeindruckt hat mich die jüngere Schwester. Susan kämpft in ihrer Familie anscheinend einen Kampf allein auf weiter Flur.

    (Sorry für mein längeres Stillschweigen hier - bei mir kamen auch ein paar häßliche Dinge zusammen. Diese Runde steht anscheinend unter keinem guten Stern.)


    Daß Fanny diese Verve nicht hat, dürfte auch der Grund sein, warum so viele Leute Probleme mit dieser Heldin haben. Sie ist ungewöhnlich ängstlich und unsicher für eine Heldin bei Jane Austen.


    "Arm im Geiste" ... naja, vielleicht ein bißchen hart ^_^. Nein, ich verstehe schon, was du meinst. Aber ich versuche das etwas aus der Sicht der damaligen Zeit zu sehen. Was könnte einem absoluten Niemand, der Fanny nun einmal ist, aus Sicht ihrer Zeitgenossen denn Besseres passieren, als daß sich ein reicher, umschwärmter, wenn auch nach Ansicht von Mr Rushworth ein wenig zu kleinwüchsiger Mann aufrichtig in sie verliebt und noch dazu bereit ist, sein bisheriges Lotterleben für sie aufzugeben. Das ist genau das, wovon jeder Kitschroman schwärmt. Wieso ausgerechnet Fanny dagegen immun sein soll, kann Sir Thomas vermutlich gar nicht verstehen. (Und am Ende des Romans wird es ja auch etwas relativiert).


    Die Sache mit den Scheuklappen unterschreibe ich allerdings. Im Grunde dasselbe, was bei der Hochzeit seiner ältesten Tochter passiert ist. Sein Verstand sagt ihm ganz klar, daß da etwas im Argen liegt. Aber der eigenen Bequenlichkeit zuliebe läßt er den Gedanken bei erster Gelegenheit fallen.
    Dennoch finde ich es immerhin bemerkenswert, daß er sich diese Gedanken überhaupt macht. Soweit ich das aus den sonstigen Romanen im Kopf habe, war das Verheiraten der Töchter ja wohl in erster Linie Frauensache. Daß Sir Thomas sich überhaupt so um das künftige Glück seiner Kinder sorgt, spricht erst mal für ihn.

    Ich glaube schon, daß Henry Crawford ernsthaft etwas für Fanny empfindet. Alleine schon, daß er (er!) sich zu einer Ehe entschließen würde, nachdem er sich ein paar Kapitel zuvor so spöttisch über das Thema geäußert hatte. Er hat sich beim Bestreben, Fanny in sich verliebt zu machen, in seiner eigenen Falle gefangen. Was ihm nur zu gönnen ist.


    Doch, ernst ist es ihm schon damit. Er ist nicht dumm und durchaus in der Lage, Fannys Vorzüge zu begreifen. Aber er fängt es mit seiner Werbung vollkommen falsch an. Die Art und Weise, wie er sich Fanny zur Dankbarkeit verpflichten will, das grenzt ja schon fast an Zwang. Soll sie ihn heiraten als Gegenleistung für erwiesene Gefälligkeiten? - Dahinter steckt eine gewaltige Portion Egoismus und Selbstverliebtheit, finde ich. Auf die Idee, daß sie schlichtweg von ihm nichts wissen will, kommt er gar nicht.


    Überhaupt nimmt niemand von den Crawford-Geschwistern Fannys Persönlichkeit wirklich ernst und für voll. Auch Mary nicht. Beide wollen Fanny aus ihrer momentanen Situation herausholen, sie öffentlich gewürdigt und anerkannt sehen. Henry redet davon, sie in London in der Gesellschaft vorzuführen wie ein kostbares Schmuckstück. - Fanny in London? Fanny auf irgendwelchen Sektempfängen und Vernissagen, Fanny als strahlender Mittelpunkt von irgendetwas? Wenn Henry auf dem Ball nur ein bißchen aufgepaßt hätte, dann wüßte er, daß das für Fanny pure Folter wäre.


    Aber daran denkt er nicht. Dieses Leben ist eines, das ihm gefällt und das er für gut befindet. Da er Fanny liebt und (ehrlich!) das Beste für Fanny will, will er, daß sie das auch bekommt. Egal, ob sie will oder nicht.


    Der arme Sir Thomas steht vor einem echten Problem. Fanny will nicht raus mit der Sprache, soweit es die Liebäugelei zwischen Henry, Julia und Maria angeht, also kann er ihre heftige Abneigung überhaupt nicht begreifen. Und rein aus finanzieller Sicht muß er, seinem erlernten Denken zufolge, diese Ehe befürworten. Liebe, mein Gott. Wenn der Mann die Frau liebt, ist es doch sowieso fast schon weibliche Pflicht, diese Liebe zu erwidern.


    Aber die Sache mit dem Kaminfeuer hat mich dann sofort wieder ausgesöhnt.

    Wer mich in diesem Teil am meisten begeistert hat, war eigentlich Sir Thomas. Der taut so richtig auf. Er hat seine Fehler, er steckt leider fest in der Rolle des würdigen Familienoberhaupts, das alles managen und regeln und nach den Konventionen ordnen muß. Aber er versucht wirklich im Rahmen seiner Möglichkeiten, das Richtige zu tun.


    Ich glaube auch, wie Macska gesagt hat, daß die Auflösung des Verlöbnisses mit gewaltigen Schwierigkeiten und peinlichem Gerede verknüpft gewesen wäre. Daß Sir Thomas so etwas zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch ernsthaft in Erwägung zieht, ist wirklich erstaunlich. Seine Kinder sind ihm, auch wenn sie es nicht wissen, alles andere als egal. Er möchte tatsächlich das Beste für Maria.


    Und die handelt wie ein trotziges Kleinkind. Um Mr. Crawford nicht das Gefühl zu geben, er habe sie nachhaltig beeindruckt, will sie einen Mann heiraten, den sie - nicht zu unrecht - für einen ausgemachten Trottel hält. Naja. Jeder setzt seine Prioritäten anders.


    Und dann geht's los: Fanny kriegt Fans :grin. Kaum sind die zwei Schicki-Micki-Tussen aus dem Haus, stellt man fest, daß das graue Mäuschen auch seine Qualitäten hat. Erst Sir Thomas, dann Mr. Crawford. Auch wenn ihn seine Schwester (ebenfalls nicht ganz zu unrecht) im Verdacht hat, einfach nach dem einzigen Rockzipfel zu grabschen, der in Reichweite ist - anscheinend ist Fannys Zurückhaltung und Ablehnung wirklich genau das, was Henry Crawford mal gebraucht hat.
    Das kennt er nicht. Das Spiel ist neu. Das fasziniert ihn. Vielleicht sollte man sich dieses Mädel tatsächlich mal genauer anschauen.
    Ich fürchte nur, er begreift gar nicht, wie tief Fannys Abscheu gegen ihn geht.


    Meine Lieblingsszene war übrigens die, als Sir Thomas Fanny vor dem Dinner fragt, wann sie die Kutsche haben möchte. Da würgt er seiner Schwägerin, ohne es zu beabsichtigen, mal so richtig eine rein :lache.

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    Original von Macska
    Ein weiteres Fragezeichen ist bei mir die Freundlichkeit von Mrs. Crawford zu Fanny. Hat sie wirklich Mitleid und mag sie gern oder weiß sie nur um die besondere Zuneigung von Edmund zu Fanny und versucht dadurch Pluspunkte zu sammeln? Bei Frauen bin ich da irgendwie immer skeptisch, was ihre Beweggründe angeht. :-]


    Doch, da glaube ich Miss Crawford ihr Mitleid schon. Ihre Reaktion auf diese Ungerechtigkeit war so spontan, diese positive Eigenschaft will ich ihr gar nicht abstreiten. Es muß ja auch irgendeinen Grund haben (neben ihren äußeren Reizen), warum Edmund so von ihr eingenommen ist. Ganz ohne positive Eigenschaften kann sie wohl nicht sein. Sie ist witzig, auch durchaus geistreich, charmant, höflich und, solange es ihr in den Kram paßt, durchaus liebenswürdig. Eine recht "moderne" Frauengestalt für ihre Zeit. In einigen Punkten erinnert sie mich durchaus ein wenig an Elizabeth Bennet.

    Ich könnte mir vorstellen, daß bei der Beurteilung von Fannys Charakter die Erwartungen der Leser eine gewisse Rolle spielen.


    Wer nach "Pride and Prejudice" eine zweite Elizabeth Bennet erwartet hatte, dem wird Fanny sicher zu still und ruhig und zu wenig humorvoll sein. Den Witz und Esprit hat eher Mary Crawford. Und auch eine sehr ruhige und zurückhaltende Figur wie Anne Elliot aus "Persuasion" benahm sich doch sehr gefaßt, handelte sehr überlegt und, wenn es sein mußte, mutig. Demgegenüber ist Fanny ein ängstlicher Hasenfuß und wird von jedem noch so leisen Windhauch sofort aus ihrem seelischen Gleichgewicht gebracht. Sie ist in diesem Punkt doch sehr jung (sie ist ja auch erst achtzehn) und unreif und bringt der Welt zu wenig Gelassenheit entgegen.

    Was vielleicht ganz wichtig ist (wird später im Buch auch mal deutlich von Miss Crawford angesprochen): Wenn jemand einfach nur als "Mr. Bertram" oder "Miss Bertram" bezeichnet wird, dann sind damit immer jeweils die ältesten anwesenden Geschwister gemeint, also Thomas/Tom oder Maria. Die jüngeren Geschwister heißen immer Mr./Miss + Vorname.
    Es sei denn, der/die ältere ist nicht da. Dann rücken die jüngeren eine Stufe auf.
    "Miss Bertram" = Maria wird nach ihrer Heirat zur "Mrs. Rushworth" mutieren und dann im Roman wahrscheinlich auch so genannt werden.

    Kapitel 14 bis 20 oder "Aufstieg und Fall des Laientheaters zu Mansfield Park".


    Diesen Abschnitt fand ich höchst amüsant zu lesen. Der ganze Egoismus der jungen Herren und Damen bricht sich Bahn, bis zum Eklat, als Julia sich von Maria ausgestochen sieht und wutentbrannt aus dem Zimmer stürzt.


    Es gibt auf Austen.com eine Seite zum Theaterstück "Lovers' Vows", das von den jungen Leuten aufgeführt werden soll. Ich fand's ganz hilfreich, um zu verstehen, warum dieses Stück Edmund als so unpassend erscheint. Unter anderem muß Maria als Agatha Sätze sagen wie "I was intoxicated by the fervent caresses of a young, inexperienced, capricious man" und eingestehen, daß sie ein lediges Kind hat.


    Mir war beim Lesen nicht ganz klar, ob es den beiden Bertram-Schwestern primär um Henry Crawford geht, oder doch eher darum, die andere Schwester auszustechen. Auch bei Edmund bin ich mir nicht sicher, inwieweit seine Teilnahme wirklich der Versuch einer Schadensbegrenzung ist oder doch mit seiner angebeteten Miss Crawford zusammenhängt. Wahrscheinlich weiß er's selbst nicht.


    Mary Crawford sammelt Pluspunkte. Ihr Mitleid mit Fanny ist echt und spontan, auch wenn sie sicher nicht ungern in Kauf nimmt, daß ihr das zusätzlich Edmunds Sympathie sichert. Sie mag ja eine große Klappe und eine ziemlich oberflächliche Einstellung zum Leben haben, aber das Herz hat sie am richtigen Fleck.


    Ob man das von ihrem Bruder auch behaupten kann, weiß ich nicht. Für ihn ist nach wie vor alles nur Spiel. Sehr bezeichnend, daß er von allen Beteiligten das größte Talent zur Schauspielerei hat. Da Julia nicht mehr "mitspielt", sich seinem Charme entzieht und er mit dem Theaterstück gerade eine neue Ablenkungsmöglichkeit gefunden hat, hat die Angelegenheit prompt viel von ihrem Reiz verloren. Daß Maria sich tatsächlich einbildet, er würde bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten, zeigt, daß sie sich über seinen Charakter nicht die geringsten Gedanken gemacht hat. Schon bedenklich bei jemandem, mit dem man das weitere Leben verbringen möchte.


    Und die arme Fanny wird nun endgülig zur Zwangsvertrauten bei den erblühenden zarten Banden zwischen Mary Crawford und Edmund. Sie tut, was sie am besten kann, und leidet still vor sich hin.


    Eine wunderschöne Szene die Heimkehr von Sir Thomas gerade im unpassendsten Moment. Vor allem seine herzliche Begrüßung Fannys, aber überhaupt seiner ganzen Familie. Die Kolonien haben dem steifen alten Herrn anscheinend sehr gut getan. Man merkt, daß er alle seine Lieben (und da gehört Fanny aus seiner Sicht ganz selbstverständlich dazu) ehrlich vermißt hat. Er kann jetzt viel mehr über den eigenen Schatten springen und zeigt seine Freude und seine Zuneigung auch.


    Die letzte Szene auf der Mansfielder Bühne mit Tom als heimlichem Beobachter war natürlich auch herrlich. "Das Haus würde mit größtem Applaus schließen." Da capo.

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    Original von Macska
    Ich weiß nicht ob man wirklich etwas vermisst, wenn man es nicht anders kennt oder gewohnt ist.


    Das stimmt sicher. Ich hatte eher daran gedacht, wie's mir in der entsprechenden Situation ginge - ich glaube, ich würde mich aufhängen. Und es erklärt schon ein paar der vielen Schrullen, die gerade die Damen bei Jane Austen häufig haben. Sei es Lady Bertrams totale Lethargie ("dazusitzen und den Mops zu rufen, das ging schon fast über meine Kräfte" :lache), sei es Mrs. Norris' hektische Betriebsamkeit und ihr völlig unnützer Sparwahn, oder z.B. in Persuasion die eingebildeten Krankheiten von Annes Schwester oder in Stolz und Vorurteil die "überreizten Nerven" von Lizzys Mutter. Lauter Ticks und Spleens einer Damenwelt, die keine vernünftige Aufgabe und viel zu viel Zeit hat, um sich mit sich selbst zu beschäftigen.


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    Original von Macska
    Fanny ist mir immer noch sehr sympathisch. Sie scheint so der stille Beobachter zu sein und die Menschen richtig einschätzen zu können. Leider wirkt sie dabei etwas blaß und farblos, so dass sie sicherlich immer wieder einstecken bzw. zurückstecken muss.


    Sympathisch ist sie mir nur bedingt. Was daran liegen könnte, daß ich sie in vieler Hinsicht als mir zu ähnlich empfinde, gerade was ihr mangelndes Selbstbewußtsein angeht. Und dieses mangelnde Selbstbewußtsein hat ja durchaus Folgen - Fanny sieht, was sich da anbahnt, kann das drohende Unheil aber nicht aufhalten. Sie wagt noch nicht mal richtig, an ihrer eigenen Meinung festzuhalten, sobald Edmund sich dagegen ausspricht. Gesund ist das auch nicht.
    Geschweige denn, daß sie in der Position wäre, den Beteiligten mal vorsichtig ins Gewissen zu reden.
    Ich denke aber schon, daß so jemand wie Fanny in gewisser Weise das Frauenideal der Zeit war. Hübsch, intelligent, gebildet und trotzdem demütig, anspruchslos und unterwürfig.


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    Original von Macska
    Ich bin schon gespannt was es mit der Theaterspielerei so auf sich hat. Sinn sehe ich darin nicht wirklich, da man damit ja nicht an die Öffentlichkeit will. Aber nur um im Familienkreis zu spielen so ein Aufwand? Gut, vielleicht sehe ich das auch so, weil es so überhaupt nichts für mich wäre.


    Nachdem das Theaterspielen als solches ja offenbar als recht anstößig empfunden wird, wäre es wahrscheinlich ein Skandal, würden die jungen Leute auf Mansfield Park tatsächlich damit an die Öffentlichkeit gehen.
    Ich kann nur vermuten, daß diese seltsame Einstellung zum Schauspielern damit zusammenhängt, daß das Theater insgesamt damals zur Halbwelt gehörte, daß dort wohl auch die Prostituierten auf Kundenfang gingen und daß viele Schauspielerinnen sich von reichen Herren aushalten ließen. Das Benehmen solcher Leute nachzuahmen, war wohl höchst unanständig. Geben die diversen Vor- und Nachworte in euren Ausgaben dazu vielleicht etwas mehr Infos her?


    Den betriebenen Aufwand finde ich auch herrlich. Und der wird sich in den kommenden Kapiteln noch vergrößern. Zeigt irgendwie schon auch, worauf man den größten Wert legt. Rosa Satinumhänge nämlich. :rofl

    Ich hab' die Insel-Taschenbuch-Ausgabe; die hat leider kein Nachwort. Aber schöne Illustrationen. (I'm shallow.) Und ich habe das Buch ja früher schon mal komplett gelesen und dazu auch ein paar Dinge nachgegoogelt. :grin


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    Original von SiCollier
    Die Sehnsucht nach bzw. das Ideal einer Liebes- statt Geldverbindung war also auch damals offensichtlich vorhanden.


    Vielleicht war es mit dem Ideal der Kindererziehung so ähnlich wie mit dem Ideal der Liebesheirat? Gegeben hätte es diese Ideale durchaus, nur in der Praxis hielt sich kaum jemand daran?


    Wobei ich nicht einmal beschwören würde (da bin ich wohl nicht romantisch genug veranlagt), daß es heutzutage in den entsprechenden Kreisen anders läuft. Man lernt auch heute sicher schon während der Kindheit in den "Oberen Zehntausend" die richtigen Leute kennen (gemeinsame Schulen, Elite-Internate, die entsprechenden Clubs), damit die Chance gegeben ist, sich später mal richtig und "angemessen" zu verlieben, so daß Geld wieder zu Geld kommt.


    Bei Maria ist es so ähnlich. Der erste Impuls zur Verbindung mit Mr Rushworth scheint ja von ihr auszugehen. Zunächst mal ist sie mit der Aussicht auf diese Ehe hochzufrieden. Obwohl ihr sehr klar sein dürfte, daß der Gutste die Weisheit nicht unbedingt mit Löffeln gefressen hat, wiegen bei ihr sein Geld und sein Haus viel schwerer. Also beschließt sie, verliebt zu sein, und ist es tatsächlich. Nicht in Rushworth, aber in die Aussicht auf ihre eigene zukünftige Stellung.

    Erst mal zum bloßen Inhalt:
    Kapitel 7 bringt Edmund erstmals in Gewissenskonflikte zwischen Fanny und Miss Crawford. Er vernachlässigt Fanny (deren Positon im Haus völlig von ihm abhängt) wegen Miss Crawford, will das aber sofort wieder gut machen.
    In Kapitel 8 dürfen die Figuren ausgiebig darüber diskutieren, wer nun an dem Ausflug ins Nachbarhaus teilnehmen und wie er vonstatten gehen soll, bevor man sich sich in die Kutsche setzt und aufbricht.
    In Kapitel 9 während der Hausbesichtigung tappt Miss Crawford mit ihrer Bemerkung über Pfarrer und Gottesdienste bei Edmund so richtig ins Fettnäpfchen. Der trägt ihr aber nichts nach.
    Kapitel 10 verbringt Fanny zum größten Teil einsam auf einer Parkbank, während vor ihr eine Figur nach der anderen den eigenen Egoismus und die eigene Rücksichtslosigkeit vorführen darf, bevor man sich auf den Heimweg macht.
    Kapitel 11 bringt das nächste Streitgespräch zwischen Edmund und Miss Crawford über Pfarrer und ihre Stellung in der Welt.
    Kapitel 12 gibt ein paar Einblicke in Toms Wesen und macht verständlich, warum Miss Crawford sich trotz aller äußeren Umstände eher von Edmund angezogen fühlt.
    Kapitel 13 bringt mit Mr. Yates auch den Gedanken des Theaterspiels nach Mansfield Park und führt zum nächsten Zerwürfnis zwischen Edmund (und Fanny, aber deren Meinung interessiert sowieso keinen) auf der einen und dem Rest der jungen Leute auf der anderen Seite.


    Ich weiß nicht, wie's euch ging, aber die endlosen Diskussionen über Hausandachten, moralische Belehrung, Pfarrer und ihre Bedeutung für die Gesellschaft fand ich schwer zu lesen. Gerade aus heutiger Sicht, wo ihre Bedeutung für die Gesellschaft auf null gesunken ist. Trotzdem denke ich, daß genau darin der Schlüssel zum Buch steckt. Worauf Jane Austen wahrscheinlich raus will, ist der Unterscheid zwischen formal korrektem Benehmen und den dahinterstehenden "Grundsätzen", die immer wieder zur Sprache kommen und die Edmund bei Miss Crawford so vermißt. Man soll nicht nur das Richtige tun (wenn's mich gerade nichts kostet oder ich deswegen auf nichts verzichten muß), man soll vor allen Dingen verstehen, was und warum etwas das "Richtige" ist, und diese Regeln deswegen befolgen.


    Bezeichnend ist, daß Fanny als einzige bemerkt, was da zwischen Maria, Julia und Crawford abläuft. Nicht mal der feinfühlige Edmund begreift das. Aber für ihn ist Crawford wahrscheinlich einfach nur ein guter Kumpel, mit dem man gemeinsam auf die Jagd geht. Er würde ihm wohl gar nicht zutrauen, daß er bewußt mit Maria und Julia derart spielt, wie er es tut. Und formal verhält Crawford sich, soweit Edmund es bemerken kann, immer noch den Regeln gemäß. Daß die Angelegenheit für seine Schwestern weit tiefer geht, ahnt offenbar nur Fanny. Und die traut ihrer eigenen Meinung nicht.


    Wobei Crawford und Maria spätestens, als sie sich auf Sotherton gemeinsam (und ohne Anstandsdame) in die Büsche schlagen (die Sache mit dem verschlossenen Tor), m.E. alle Regeln brechen. Das empfindet ja auch Fanny so. Ganz egal, was da jetzt zwischen den beiden während der trauten Zweisamkeit gelaufen ist (wird wahrscheinlich gar nichts Besonderes gewesen sein) - Maria kann das nur als Liebesgeständnis Crawfords interpretieren. Da Crawford sich aber gleichzeitig alle Mühe gibt, Julia in sich verliebt zu machen, ist Ärger vorprogrammiert.


    Und damit der sich so richtig entzünden kann, kommt die Theaterspielerei zur Sprache. Ich hab' das jetzt einfach mal hingenommen, daß etwas, was aus heutiger Sicht so harmlos scheint, damals als derart frivol galt. Vermutlich spielen allerdings die besondere Situation der Familie (der Vater, Titelträger und Hausherr in Übersee, was permanente Gefahr nahelegt) und die Verlobung Marias dabei auch eine Rolle.


    Völlig unabhängig davon: Was mich bei allen Romanen aus dieser Zeit jedes Mal wieder fasziniert, ist die Untätigkeit vor allem der Damen. Ein bißchen Malerei, ein bißchen Lesen, vielleicht noch Musizieren, ein paar sinnlose Handarbeiten, Rosenschneiden im Garten und Spazierengehen. Und als absoluter Höhepunkt die Hoffnung, daß die ewig gleichen Nachbarn auf einen Besuch hereinschneien oder man selbst bei ihnen einen Besuch macht, um sich über die ewig gleichen Themen zu unterhalten. Kein Wunder, daß ein amüsanter Plauderer wie Crawford oder Tom sofort alle Herzen einfängt - wenigstens vertreibt so jemand die Langeweile.

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    Original von SiCollier
    Sir Thomas ist ja offensichtlich nicht mal mit einem kleinen Anteil von Mitgefühl oder Einfühlungsvermögen, oder vielleicht Interesse für (eigene wie anvertraute) Kinder ausgestattet. Oder er hat keine Ahnung, was in seinem Hause vorgeht.


    Ich vermute, eher Letzteres. Es wird wohl nicht von ungefähr erwähnt, daß Lady Bertram das Haus in London aufgibt. Offenbar hat Sir Thomas als ein "baronet" einen Sitz im Oberhaus, muß also einen Teil des Jahres in London leben. Da sieht er seine Familie jetzt gar nicht mehr. Und wenn er während der Jagdsaison zu Hause ist, sieht er die Familie vermutlich auch nur am Abend, wenn nach strengen Regeln diniert und anschließend im Salon Konversation betrieben wird. Da Fanny Angst vor ihm hat und in seiner Gegenwart kaum je freiwillig den Mund aufmacht, hat er gar keine Chance, zu bemerken, ob das Mädel etwas im Kopf hat oder nicht.


    Was die strengeren Regeln in der Familie angeht: Es spielt ja sozusagen "eine Etage höher" als "Stolz und Vorurteil". Eher im selben Milieu wie "Persuasion". Das könnte es zumindest zum Teil erklären.


    Zitat

    Original von SiCollier
    Etwas gewundert habe ich mich über die Äußerung von Miss Crawford (Kapitel 5):
    Mütter haben durchaus noch nicht die richtige Methode gefunden, ihre Töchter zu bändigen.
    Sie ist doch selbst noch im den „Töchteralter“, soweit ich das verstanden habe. Das paßt für mich irgendwie nicht so ganz zusammen.


    Ich denke, Mary Crawford redet hier über einen Mangel an Benehmen der eben erst "eingeführten" Töchter, die, sobald sie die Erlaubnis haben, sich ungezwungen zu unterhalten, sofort anfangen, Männer "anzubaggern". Zumindest war das ja die Geschichte, die Tom erzählt hatte. - So ein Benehmen ist stillos, und das stört Miss Crawford. Sie selbst dürfte aus diesem Alter aber schon heraus sein.
    Ich hatte aber im gesamten Buch das Gefühl, daß Mary Crawford, obwohl sie ja keine eindeutig positive Figur ist, ab und zu Dinge sagen darf, die eigentlich die Autorin sagen wollte.


    Zitat

    Original von SiCollier


    Wobei man im Hinterkopf haben muß, daß ein Kind damals nichts galt bzw. nichts wert war. Und eine eigene Seele hatte das schon gar nicht zu haben. Die Kindersterblichkeit war hoch, und nur wenige erreichten das Erwachsenenalter. Erst ab dann zählte man.


    Wobei das so ganz eindeutig auch nicht gewesen sein kann. Sonst hätte Jane Austen das Verhalten der Familie nicht so klar kritisiert - und das tut sie ja, indem sie ihm Edmunds Beispiel gegenüberstellt. Oder täusche ich mich?


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    Original von Macska
    Zutiefst unsympathisch ist mir ja Mrs. Norris. Sie scheint so eine richtige Giftspritze zu sein und schaut von oben auf die Leute herab. Sie ist groß mit Worten und kann sich gut in Szene setzen, aber die Verantwortung und die Arbeit schiebt sie auf andere ab. Sie ist für mich richtig hinterlistig und falsch.


    Eine herrliche Figur :D. Jedesmal, wenn sie auftritt, möchte ich die Frau erwürgen. Zu ihren Beweggründen Fanny betreffend: Ich denke nicht, daß Mrs. Norris je daran gedacht hatte, das Kind zu sich zu nehmen. Ihr geht es, ohne daß ihr das bewußt ist, mMn um ihre eigene Position in der Familie. Bis jetzt steht sie in der Rangordnung ganz unten, ist selbst eher geduldet und das fünfte Rad am Wagen. Durch Fannys Anwesenheit rückt sie eine Position auf. Fanny steht klar unter ihr.
    Wahrscheinlich erschließt sich ihr Verhalten aus der Familiengeschichte der drei Schwestern und ihrer extrem unterscheidlichen Heiraten. Oberste Aufgabe einer jungen Frau war ja wohl, sich einen angemessenen Ehemann zu angeln. Lady Bertram hat ihren Schwestern mit Sir Thomas da einiges vorgelegt. Mrs. Norris, die sich mit einem einfachen Landpfarrer begnügen muß, hat das familieninterne Duell verloren und für den Rest ihres Lebens das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Und genau so verhält sie sich.

    Nachdem das meine erste Leserunde überhaupt ist, poste ich jetzt einfach mal drauflos, und ihr klopft mir bitte auf die Finger, falls ich ich Dinge schreibe, die ich hier besser nicht schreiben sollte, okay?


    Das gesamte erste Kapitel dient vor allem dazu, die Hintergründe um die Familienverhältnisse zu erklären und den Charakter der wichtigsten Figuren zu skizzieren. Und das finde ich herrlich gemacht, mit diesen typischen boshaften Bemerkungen im Nebensatz. Ein Ehemann, der trotz geringem Einkommen "Geselligkeit und einen guten Tropfen sehr wohl schätzte" klingt doch gleich ganz anders als "Säufer".


    Auch die Motive der Beteiligten und ihre Reaktion beim Einzug Fannys sind bezeichnend und werfen ein erstes Licht auf ihren Charakter: Sir Thomas, durchaus beseelt von einem karitativen Gedanken, der aber trotzdem bedächtig kalkuliert und das ganze Szenario bis in die Zukunft durchspielt, und der zu seiner eigenen Überraschung bei Fannys Ankunft merkt, daß er dieses Kind vielleicht sogar persönlich gern haben möchte, wenn er nur wüßte wie das geht. Lady Bertram, der alles egal ist, solange nicht das Schlimmste geschieht und sie etwa vom Sofa aufstehen müßte. Und Mrs. Norris, die mit dem Mundwerk zu allem bereit ist und der es vor allem darauf ankommt, jemanden zu haben, der in der familieninternen Hackordnung möglichst weit unter ihr steht.


    Was auch klar ist: Es wird über Sachwerte diskutiert, über Erziehung und spätere Aussteuer. An das Kind und sein Seelenleben denkt erst mal niemand. Nicht aus Gefühlskälte, sondern weil das auch sonst in der Familie wenig üblich ist. Das wird in den nächsten Kapiteln deutlich: Außer Edward, der sich ernsthaft um Fanny bemüht und der in seinem Verhalten über bloße Höflichkeit hinausgeht, lebt man auf Mansfield Park nach den standesgemäßen Regeln, aber ansonsten recht gleichgültig nebeneinander her. Der älteste Sohn ein Bruder Leichtfuß, die Schwestern oberflächlich wie ihre Mutter, die Tante eine unerträgliche Besserwisserin mit Minderwertigkeitskomplex, die sich dauernd in den Vordergrund schieben muß.


    Daß Fanny selbst nun ausgerechnet ein Angsthase und eine Heulsuse ist, erleichtert ihre Situation nicht gerade.


    Mit dem Eintreffen der Crawfords und der Abreise Sir Thomas' wird der Rahmen für die zu erwartenden amourösen Verwicklungen abgesteckt. Katze aus dem Haus, Mäuse auf dem Tisch. Und die Crawford-Geschwister können gleich ein paar herrliche Bonmots über die Ehe und das Heiraten anbringen. Überhaupt waren diese Überlegungen - ab welcher Höhe ihrer Mitgift kann eine Frau mit Fug und Recht erwarten, sich einen wohlhabenden Grundbesitzer oder gar einen Adligen zu angeln? - mir in diesem Abschnitt die liebsten Szenen.