Zur Entstehung des Romans:
"Aus Italien schickte Mann an die Neue Deutsche Rundschau, eine vom Berliner Verlag S.Fischer herausgegebene Zeitschrift, die Novelle "Der kleine Herr Friedemann", die er aus München mitgenommen hatte. Die Antwort, die er erhielt, übertraf alle Erwartungen: der Chefredakteur Oskar Bie akzeptierte die Erzählung, ja noch mehr: er bat den Autor, ihm alle Novellen zu schicken, die er in der Schublade habe. ... Der Herausgeber legte Mann nahe, einen Roman zu schreiben. Das war kein geringer Erfolg: das Wohlwollen eines der bekanntesten Verleger erlaubte es, mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken und große Hoffnungen zu nähren.
Fischers Gedanken fielen auf fruchtbaren Boden. Der Romanentwurf war noch nebelhaft, alles war ungewiß, bis auf eines: es sollte die Geschichte einer Bürgerfamilie werden, und den Hintergrund des Romans sollte das hanseatische Lübeck bilden." ...
(S. 36)
Palestrina, Italien
"Hier also begann Thomas Mann an den Buddenbrooks zu schreiben. "In unserem kühlen, steinernen Saal", lesen wir in Heinrich Manns Erinnerungen, "auf halber Höhe einer Treppengasse, begann der Anfänger, mit sich selbst unbekannt, eine Arbeit, - bald sollten viele sie kennen, Jahrzente später gehörte sie der ganzen Welt. In dem Entwurf, den er unternahm, war einfach unsere Geschichte, das Leben unserer Eltern, Voreltern, bis rückwärts zu den Geschlechtern, von denen uns überliefert worden war, mittelbar oder von ihnen selbst." Vorläufig aber stand der Dichter am Anfang eines langen Weges: er stellte ein Schema der Genealogie der Familie Mann auf, ordnete die chronologische Folge, fixierte die Daten, legte eine Liste von Namen an, holte bei den Verwandten Informationen über Ereignisse ein, deren Schauplatz Lübeck und das elterliche Haus waren. Er sammelte Anekdoten und lustige Aussprüche, Redewendungen mit lokaler Färbung, Ausdrücke aus dem prätentiösen Sprachschatz der patrizischen Salons, er holte sogar die Küchenrezepte seiner Mutter ein." ...
"Eine große Familie, ihre Freunde und Feinde mußten auf die Bühne gestellt, vier Generationen, die alte Stadt, ihre Häuser, Gassen und Gäßchen gezeigt werden. Der Autor wandte sich auch an seine Schwester Julia um Hilfe. Sie schrieb auf seine Bitte hin einen achtundzwanzig Seiten langen Bericht über die Tante, die Schwester des Senators, aus dem Hause Mann, nachmalig Haag, dann Elfeld, die zu einer der farbigsten Gestalten des Romans wurde. Aus Julias Bericht nahm Mann viele Einzelheiten in sein Werk auf und verwendete häufig fast wörtlich ihre Formulierungen. Er kam auch nicht ohne die Ratschläge der Mutter aus - als besonders wertvoll erwiesen sich die Erinnerungen an ihre Jugendzeit, als sie im Lübecker Pensionat des Fräuleins Therese Bousset ihre Erziehung empfing."
(S.37)
"Im Oktober 1897, aus Palestrina nach Rom zurückgekehrt, ging Thomas Mann daran, seinen Roman niederzuschreiben. Trotz der Vielzahl so sorgfältig zusammengetragener Details hatte das Lübeck seiner Kinderjahre noch sehr nebelhafte Umrisse. "Als ich die Buddenbrooks zu schreiben begann", erzählt der Dichter in "Bilse und ich", "saß ich in Rom, Via Torre Argentina trenta quattro, drei Stiegen hoch. Meine Vaterstadt hatte nicht viel Realitätfür mich, man kann es mir glauben, ich war von ihrer Existenz nicht sehr überzeugt. Sie war mir, mit ihren Insassen, nicht wesentlich mehr als ein Traum, skurril und ehrwürdig, geträumt vorzeiten, geträumt von mir und in dem Buche, mit Müh´ und Treue."
Im Frühling 1898 verließ Thomas Mann Italien, das handgeschriebene Manuskript der ersten Kapitel der Buddenbrooks im Koffer."
(S.37/38)