Beiträge von Swansea

    Ich bin in der Kaiserpfalz, Kaiserwerth - und in einer alten Ruine wurden 25 Jahre nach einem ersten Sexualmord an einem kleinen Mädchen wieder eines tot aufgefunden - da ich bei der Kripo arbeite (aber noch nicht lange), wundere ich mich, dass am Tatort die Leiche (und auch der Tatbestand eines Unfalls) geändert wurde und im Archiv Dinge in alten Akten stehen, die die beiden Morde in einen absoluten Zusammenhang bringen, den aber meine Vorgesetzten nicht sehen (wollen) ....


    (Meine Rezension vom Oktober 2014 auf der Histo-Couch) - damals war ich noch nicht bei den Büchereulen - d. h. schon, aber noch nicht aktiv ;)



    Eine Rezension zu diesem (hervorragenden) Roman ist kein leichtes Unterfangen, doch ich will es dennoch versuchen...

    Das Cover und auch der Buchrücken von "Welt in Flammen" ziert auf der Vorderseite eine Bahnhofshalle und schemenhaft angedeutete Reisende im Nebel der Dampflok - ein sehr gelungenes Cover, das zum Inhalt sehr gut passt; die Rückseite des Schutzumschlages des HC-Bandes zeigt eine Moschee in Istanbul in zartem Morgenrot - auch eine gelungene symbolische Darstellung für die Bedeutung, die der "Orient-Express" für die Reisenden darstellte in jener dunklen Zeit (1940): Eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft"....

    Das Buch ist in 7 Teile gegliedert, von Frankreich bis Bulgarien/Türkei, in denen der Reiseverlauf des "Simplon Orient Express" (SOE) durch mehrere europäische Länder führt. Die jeweiligen Stationen sind auf den Innenseiten von Buchdeckel und -rücken markiert, die es dem Leser ermöglichen, die Teilstrecken gut zu überblicken und ggf. nachzuschauen, wovon ich des öfteren mit Freude regen Gebrauch machte ;-).

    Am Buchende sind Abbildungen der Schlafwagen und des Speisewagens, ebenso die Unterbringung der Passagiere in die Abteile dargestellt; ein Personenregister der Hauptprotagonisten sowie eine Danksagung des Autors sowie eine (wichtige, zum Verständnis des Buches) Nachbemerkung finden sich hier ebenfalls.

    Die Idee zum Roman wird in letzterer gut nachvollziehbar geschildert wie auch die Tatsache, dass es sich hier nicht um einen historischen Roman handelt, sondern um eine Erzählung in einem historischen Kontext (der auch schriftstellerische Freiheiten umfasst). Der eigentliche Impuls zum Buch stellt der Autor eindringlich dar (S. 762) - und dieser ist auch für mich auf jeder Seite spürbar - und macht "Welt in Flammen" zu einem ganz besonderen Buch.

    Nach einer kurzen Vorgeschichte rollt im Mai 1940 der letzte, dem "alten und im Kriege versinkenden Europa" aus dem Pariser Gare de 'Est - an Bord eine schicksalhafte Reisegesellschaft. Zu den Passagieren, die teils fiktiv, teils wahre historische Personen sind, zählen neben dem Bordpersonal z.B. ein russischer Großfürst mit Familie, ein sowjetischer Agent, ein rumänischer König (Carol II), dessen jüdische Geliebte, ein deutscher Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, ein französischer Diplomat und ein zeitgeschichtlicher Wagen von großem Wert (Wagon de l'Armistice), besonders für die Nazis: Doch dieser stellt nicht den einzigen unschätzbaren Wert dar, den der Simplon-Orient mitführt...

    Es handelt sich hier um einen sehr sprachgewaltigen, stilistisch sehr elegant gefeilten Roman, dem die Fahrt des legendären Orient-Express anno 1940 zugrunde liegt; einige Personen bzw. Hauptprotagonisten sind reale Figuren (Carol von Rumänien, Franz von Papen, Admiral Canaris z.B.); andere fiktiv (Eva Heilmann, Ingolf Helmbrecht alias Ludvig Mueller z.B.). Während der gemeinsamen Reise wird deutlich, dass "viele nicht die sind, die sie zu sein scheinen" und aus den unterschiedlichsten, vornehmlich verborgenen Gründen diese Reise antraten:

    Die leisen, aber unüberhörbaren "Zwischentöne", die sich zwischen allen Interaktionen der Reisenden, den Welt- und damit dem Kriegsgeschehen "draußen" wie auch den Geräuschen der sich drehenden Räder des Simplon Orient, die sich mahnend in die Handlung des Geschehens einfügen, sind es, die mich an diesem Roman fasziniert und am meisten begeistern konnten. Nach dem "Einstieg" des Lesers nach kurzer Vorgeschichte in Paris ins Abteil der "CIWL" 3425 (Schlafwagen), wo man im Kabinengang auf Raoul und Georges trifft, beide Stewards oder Angestellte der Cie., kann man an dieser Stelle anderen Lesern nur noch zurufen "FESTHALTEN! - so spannend und überaus fesselnd ist diese (literarische) zeitgeschichtliche Reise, an der man als Leser teilnehmen kann, geschrieben.

    Der elegante, sehr anspruchsvolle Schreibstil, die Dialoge und die Satzkonstruktionen transportieren für mich mehr als nur Worte; auch die Heraushebung einzelner Sätze oder Satzteile (kursiv) verstärken deren Bedeutung, führen zu einem noch besseren Leseverständnis. Ein Bsp. dazu auf S. 451:

    "Der graue Morgen lag über den Gleisanlagen, die wie ein stumpfer Dolch auf das Herz der jugoslawischen Hauptstadt zielten". (Belgrad, 27.05.1940)

    Ein weiteres Beispiel für den sprachlichen Genius des Autors:

    (S. 708, als der Simplon Orient die bulg-türk. Grenzstadt Svilengrad "passiert":

    "Die fiebernde Aura des Kometen begann zu ermatten, als der Simplon Orient seinen Weg (Richtung Istanbul) fortsetzte."

    Fazit:

    Ein atemberaubender, sprachgewaltiger und genial geschriebener Roman einer Reise im Simplon-Orient-Express des Jahres 1940 und ein Stück Zeitgeschichte (inkl. einiger schriftstellerischer Freiheiten), die an Spannung ihresgleichen sucht! Eines meiner bisherigen "Jahres-Highlights" und eine ganz klare Leseempfehlung!

    P.S. Wer sich für die historischen Hintergründe der CIWL und der Geschichte des legendären Orient-Express interessiert, dem sei ein Bildband empfohlen: Constantin Parvulesco: "Orient Express" - Zug der Träume

    (dort finden sich z.B. auch Carol von Rumänien wieder ;-)


    5*****


    Violet von Tracy Chevalier entführt den Leser in eine längst vergangene und aus heutiger Sicht auch tragische Zeit: Wir befinden uns zwischen den beiden Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts; genauer gesagt in


    Winchester, England, 1932:


    Violet Speedwell, die Hauptprotagonistin dieses wundervollen Romans, 38 Jahre alt, möchte sich nicht noch länger von ihrer verbitterten und stets unzufriedenen Mutter das Leben schwer machen lassen und beschließt, aus Southampton ins 30 Meilen entfernte Winchester zu ziehen, wo sie eine Stelle im Büro der Southern-Counties-Versicherungen annimmt. Durch einen Zufall nimmt sie an einem besonderen Gottesdienst teil, der sie gefangen nimmt: Die Broderinnen (Broder = mittelalterliche Stickkunst) sind zu einem Segnungsgottesdienst in der Kathedrale zusammengekommen, um ihre fertigen Kissen für die Sitze und Langbänke in der Kirche segnen zu lassen. Violet fühlt sich zu den Frauen hingezogen und erreicht es durch ihre Klugheit, dass sie diese Art des Stickens erlernen darf: Niemand geringeres als Miss Louise Pesel (eine authentische historische Figur) weist sie in die Stickkunst ein, die nach und nach zur Leidenschaft wird - und beruhigend auf sie wirkt.... Die Treffen, die teilnehmenden Frauen, Gilda Hill (die später Violets Freundin werden sollte), Dorothy Parker und die beliebte Miss Pesel wie die strenge und unerbittliche Miss Biggins sind so charakteristisch portraitiert, dass man sich alle sehr bildhaft vorstellen kann; ebenso wie die beschriebene Kunst des Stickens.


    Mit einer weiteren Hauptperson in diesem zauberhaften Roman, Arthur Knight, erlebt man eine weitere Kunstfertigkeit, das Glockenläuten. Violet ist der Glöckner überaus sympathisch, wenn auch älter als sie selbst und sie sucht seine Nähe. So besucht der Leser den Glockenturm der Kathedrale in Winchester und ist ebenso wie Violet erstaunt über die Kunstfertigkeit und die Konzentration, die für die verschiedenen Glockenschläge nötig sind. Die Erläuterungen zum Glockenspiel fand ich ebenso interessant wie die Darstellungen der Stickkunst; auch Arthur ist eine auch für den Leser sympathische Figur, da er Violet die Möglichkeit gibt, zu wachsen und sich zu entfalten; auch eine Spielart menschlicher Liebe und Zuneigung.


    Man wandert mit Violet durch malerische Landschaften, durch Wald, Feld und Wiesen und ist erstaunt über ihren Mut, denn alleinstehende Frauen hatten es in dieser Zeit nicht leicht: Da viele Männer im 1. Weltkrieg fielen, gab es in England einen "Frauenüberhang"; auch Violets Verlobter Laurence fiel im Krieg, ebenso wie ihr ältester Bruder George. Tracy Chevalier gelingt es sehr gut, die Situation dieser Frauen in der Person von Violet zu zeichnen; besonders gefiel mir die mutige und sensible Violet, die selbstbewusst einen Weg für sich sucht, ein unabhängiges und erfülltes Leben führen zu können: Viele Steine mussten dafür aus dem Wege geräumt werden, aber Violet ist von dem Gedanken beseelt, etwas Bleibendes zu schaffen: Ein Sitzkissen oder ein Klingelbeutel, der sie überdauert und in der Kirche, von ihr bestickt, von Hand zu Hand gereicht wird. Diesen Gedanken fand ich wundervoll - und war wohl auch das Motiv von Louise Pesel, die überaus gut gezeichnet wird und eine Seele von Mensch gewesen sein muss.


    Es geht im Roman (den ich durchaus ins Genre historischer Roman stellen würde) um vielschichtige Themen, die sich um die Zeit in den 30er Jahren ranken: Um Verlust und Schmerz, das Weiterleben, um Veränderung, um Liebe und die Liebe zur Kunst (des Stickens und des Glockenläutens); um den Willen, etwas Bleibendes zu schaffen und etwas Sinnvolles und Positives zu tun: Für die Gemeinschaft und für sich selbst!


    "(...) es geht (dabei) auch ums Nichtdenken. Wir brauchen alle immer mal wieder Beschäftigungen, die uns eine Pause von uns selbst gönnen" (Zitat Arthur, S. 259)


    "Ruhe und Konzentration macht den Kopf frei" (Zitat Violet, S. 263)


    Der Roman hat auch durchaus politische Elemente; etwa wenn Arthur sich (nicht zu unrecht) sorgt, dass ein Herr Hitler 1933 in Deutschland die Macht ergriffen hat - eine Geschichtslektion von englischer Seite aus betrachtet, die durchaus richtig und verständlich ist: Wie Arthur lässt man sich von Miss Pesel nicht wenig staunend den Unterschied zwischen "fylfots" und Hakenkreuzen zeigen und lauscht ihren Erläuterungen zur Symbolik. Violet möchte auf ihre Weise gegen den Faschismus rebellieren und dies in ihrer Stickarbeit zum Ausdruck bringen. Die Stickkissen der Broderinnen sind übrigens noch heute in der Kathedrale in Winchester zu sehen; sie haben aufwändige Muster (Medaillon) mit historischen Persönlichkeiten und Ereignissen; auch wird man im Internet fündig, sie zu sehen!


    Nach einer gemeinsamen Radtour von Violet und Arthur freut man sich über die Veränderungen in Violets Leben, ihre Freundschaft zu Gilda und Dorothy, ihren Großmut und ihre Hilfsbereitschaft - und ihren Eigenwillen!


    Ein Roman der leisen Töne, der Fans historischer Romane verzaubern wird, der Stickerinnen oder kreativen Männern und Frauen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, der aber auch feministisch und emanzipatorisch ist (und dies gefiel mir am besten):


    "wozu Frauen erzogen werden - wir sollen geben, dafür sorgen, dass andere es gut haben, ganz egal, wie es uns selbst dabei geht: Es kann ermüdend und undankbar sein, immer nur großzügig zu sein" (Violet, S. 297)


    Ein Lesegenuss, den ich absolut weiterempfehlen möchte! 5* und das erste Lesehighlight 2020! Vielen Dank dafür an die Autorin und die Übersetzerin Anne Rademacher. 5 *


    ASIN/ISBN: 3455007473

    Ich habe vor einigen Tagen noch ne Gewinner-Mail bekommen: Aus der Gruppe Randomhouse gibt es den "Sinnsucher" - mit interessanten Büchern.

    Wurde sogar befragt, von welchen dortigen Experten ich ein Buch gewinnen möchte. Es war ein Buchpaket - und ich hab mich echt gefreut, vor allem rechnet man ja nicht mehr damit....


    Ich wollte so gerne eine Reise gewinnen (Flughafen München - guckst Du 2020 - macht Spaß, vor allem das Motto: "Take a Plätzchen" ;-)

    Leider hat das nicht geklappt. Aber ich kann mich nicht beschweren; ausser dem Buchpaket war es auch noch ein Buch von C.H. Beck - und eines, das ich meinem Sohn geschenkt hab

    (Der galaktische Topfheiler - Philip K. Dick - Fischer Klassik)


    Mir hat es wie euch viel Spaß gemacht, mitzumachen - und das wird vermutlich gegen Jahresende wieder der Fall sein :lupe:-]

    Ich hab ein wenig rumgeeult, heute VOR dem "bisschen Haushalt" schon bisschen was weggelesen ;-) , noch spät eingekauft (nicht so trubelig, hasse es, samstags Schlange zu stehen) und werde jetzt noch ein wenig weiterlesen - und mich ins Glasgow der 70er Jahre begeben (die richtige Musik dazu wäre etwas "Sex and drugs and Rock'n Roll" :whistling:


    Auf jeden Fall viel besser als Brexit, Corona-Virus etc. pp - wie las ich neulich bei einer Buchbegeisterten?


    "One book a day keeps the reality away" :gutenacht

    ist zwar schon Feburar (Bd. 2) ;-), aber zuvor kommt der hier, Bd. 1 (Glasgow-Krimi)


    Alan Parks - Blutiger Januar


    ASIN/ISBN: 3453271882


    Januar 1973: Mitten in Glasgow erschießt am helllichten Tag ein Jugendlicher auf offener Straße eine junge Frau, bevor er sich selbst eine Kugel in den Kopf jagt. Detective Harry McCoy, dem der Mord am Tag zuvor im Gefängnis von einem psychotischen Gefangenen angekündigt wurde, steht vor einem Rätsel. Zumal der Gefangene selbst um die Ecke gebracht wird. McCoy nutzt seine alten Verbindungen zu Glasgows Unterwelt, um in den Ermittlungen voranzukommen, legt sich dabei aber schnell mit den Dunlops an, der mächtigsten Familie der Stadt. Und auch sein Boss pfeift ihn zurück. Aber McCoy lässt sich nicht beirren.

    Tracy Chevalier - Violet


    England, dreißiger Jahre. Die Abende, an denen Violet mit einer Gruppe ungewöhnlicher Frauen wunderschöne Stickereien für die Kathedrale in Winchester anfertigt, sind der Aufbruch in eine neue Welt. Sie zeigen Violet, dass sie mit ihrem Auszug aus dem mütterlichen Zuhause die richtige Entscheidung getroffen hat. Schnell lernt und schätzt sie die Kunst des Stickens und lässt sich von Arthur in die des Läutens der Kirchturmglocken einweihen. Violet gewinnt durch das starke Band der Freundschaft zwischen den Frauen und die wachsende Nähe zu Arthur an Lebensmut und überwindet die Lebenskrise infolge des Ersten Weltkriegs. Und die Kirchturmglocken könnten wahrhaftig ihr neues Leben in Winchester einläuten…

    Chevaliers neuer Roman ist episch, warmherzig und lebendig – eine Hommage an die weibliche Kunstfertigkeit und ein Buch darüber, wie Schönheit auch ein bescheidenes Leben erfüllen kann.


    ASIN/ISBN: 3455007473

    Gestern in der Verlagsvorschau entdeckt:


    Emily Gunnis - Die verlorene Frau


    1961, Seaview Cottage: Die dreizehnjährige Rebecca und ihre Mutter leiden unter dem gewalttätigen Vater. In einer stürmischen Nacht pocht jemand an die Tür des abgelegenen Cottages. Wenig später sterben beide Eltern, doch die Umstände ihres Todes werden nie aufgeklärt.

    2012, London: Eine junge Mutter verschwindet spurlos mit ihrem todkranken Baby. Ihre Schwester Iris, eine Journalistin, soll sie so schnell wie möglich finden. Sie bittet ihre Mutter Rebecca um Hilfe – die ihr nie von der schicksalhaften Nacht vor über fünfzig Jahren erzählt hat. Doch nur mit dieser erschütternden Wahrheit kann es Iris gelingen, das Baby zu retten ...


    ASIN/ISBN: 3453272897


    Edit: ET 11.05.2020 :freude:feiern

    "Lottes Träume" von Beate Maly erschien als TB, broschiert, 2019 im blanvalet-Verlag und ist der Auftakt einer geplanten Reihe um eine junge Frau, die in Wien ihr Glück zu Beginn des 20. Jahrhunderts sucht - und um den Skisport, der Anfang des letzten Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Die Autorin, selbst geborene Wienerin, bringt auch sehr viel historisches Lokalkolorit mit in diesen wundervoll geschriebenen Roman, der auch eine Hommage an Wien und die Bergwelt sowie den damit verbundenen Bergsteiger- und Skisport ist. Jede/r LeserIn, die selbst gerne Abfahrtsski fährt und Schneewelten sowie den Wintersport liebt, wird sich wie ich auf eine Fortsetzung sehr freuen!


    Wien, 1904:


    Lotte Seidl verliert in Mürzzuschlag nicht nur ihren geliebten Vater, der ihr sowohl das Bergsteigen als auch das Laufen auf Skiern beibrachte, sondern auch ihr Zuhause. Sie setzt alles auf eine Karte und begibt sich nach Wien, die Adresse einer Geschäftsfrau in Händen, die es sich in den Kopf setzte, Ski- und Wintersportartikel in der besten Geschäftslage in Wien, der Kaiserstraße, zu verkaufen. Lotte will sich als Verkäuferin bei Mizzi Kauba bewerben und da Mut im Leben oft belohnt wird, erhält sie diese Chance, zumal der Inhaberin nicht entgeht, dass Lotte (in dieser Zeit nicht üblich) gute Kenntnisse von sowohl der erforderlichen Ausrüstung als auch vom Skifahren selbst besitzt - und sich diese in bare Münze(n) verwandeln lassen sollten... Ein junger Mann, der mit einem Freund, den wir später besser kennenlernen, Ski kaufen möchte, wird von Lotte (zu dessen großer Verwunderung) beraten und der junge Arzt, Dr. Jakob Sonnstein, der aus einer reichen jüdischen Industriellenfamilie stammt, kann seine Augen kaum von der jungen und intelligenten Lotte abwenden. Wird es den beiden trotz der großen sozialen Unterschiede möglich sein, eine gemeinsame Zukunft zu haben? Jakob ist zu dieser Zeit bereits Elena versprochen; Ehen werden aus gesellschaftlichen Gründen (und um den eigenen Reichtum zu mehren) von den Eltern angebahnt - sehr zum Leidwesen Jakobs, der sich zu Lotte mehr und mehr hingezogen fühlt.


    Beate Maly entführt ihre Leser in eine längst versunkene Welt; eine spannende literarische Reise beginnt mit der Zugfahrt nach Wien, bei der man sozusagen in Lottes Leben "einsteigt": Die Romankapitel wechseln sich mit den beiden Hauptprotagonisten Lotte und Jakob auf spannende und unterhaltende wie auch sozialkritische Weise ab: Ein Teil der Handlung liegt im Laden der ebenfalls mutigen Pionierin, begeisterten Skifahrerin und Geschäftsfrau Mizzi Kauber (eine authentische historische Person) in der Wiener Kaiserstraße. In dieser Geschäftsstraße gehen reiche Menschen ein und aus, deren Wünsche sich in den prächtigen Geschäften und den ersten großen Kaufhäusern erfüllen lassen: Man wird durch detailreiche Beschreibungen in diese prunkvollen Kaufhäuser entführt und staunt mit Lotte über das für die damalige Zeit unglaubliche Warenangebot, schlendert mit ihr durch die Stockwerke...

    Man lernt auch Klara, die Freundin und Verkäuferin kennen, die sich mit Lotte ein Zimmer teilt und deren Leben dadurch erschwert wird, dass sie das verdiente Geld dazu nutzen muss, um ihre Familie, besonders ihre kleinen Geschwister zu unterstützen. Ausser Mila und Bert, die ebenfalls im Geschäft von Mizzi Kauba arbeiten, sind die übrigen Kolleginnen sympathisch, die Kunden hingegen nicht überwiegend. Hier treffen manche Vorurteile über Schickliches und Unschickliches über die Inhaberin herein: Zu dieser Zeit war es eher Männersache, sich dem Skisport zu widmen und für Frauen ungehörig, Hosen zu tragen geschweige denn auf Skiern zu stehen:


    In diesem Punkt hat mir der sehr gut recherchierte und stimmige, unterhaltsame Roman sehr gefallen: Er ist in der Person von Lotte und Mizzi auch emanzipatorisch: Mizzi Kauba war eine Pionierin, die es nicht einsehen wollte, "nur den Männern die Bergwelt und das Skifahren zu überlassen". In der herrschenden Habsburgermonarchie war es für sie mehr als schwierig, sich als Frau in diesem Geschäft zu behaupten und ihr Ehemann, Franz Kauba, war auch lange Zeit alles andere als begeistert von dieser Idee, was im Roman auch glaubwürdig zum Tragen kommt. Der Standesdünkel und die alten Rollenvorstellungen der Geschlechter taten dabei ihr Übriges.


    Mit Jakob Sonnstein, der in einem Kinderhospital arbeitet und als Sohn eines jüdischen Süßwarenfabrikanten damit seinem Vater keinen Gefallen tut, eröffnet sich dem Leser eine andere Welt als die der Wohlhabenden: Er behandelt an TBC erkrankte Kinder und hält sich nicht immer an die Regeln in der Klinik, die ihre PatientInnen in dieser Zeit danach behandelt, ob sie versichert sind und damit zahlungsfähig - oder nicht. Neben dem Reichtum existiert im schönen Wien dieser Zeit auch große Armut und Menschen wie Fritz, der auf der Straße lebt und ohne Glück keinerlei Lebensperspektive hat... So stellt die Autorin diese beiden Welten glaubhaft gegeneinander, was den Leser zuweilen sehr nachdenklich macht; da sich dies auch heute eigentlich nicht geändert hat.


    Lotte und Jakob nehmen den Leser mit auf eine historische Reise, die in einem Skirennen in Lilienfeld gipfelt, das tatsächlich stattgefunden hat und an dem erstmals eine Frau erfolgreich teilnahm! Vor einem authentischen historischen Hintergrund entführt der Roman in eine verschneite Bergwelt (die heutzutage immer rarer wird) und gibt ein stimmiges Sittenbild von Wien um 1900 wieder, stilsicher und spannungsreich verknüpft mit der fiktiven Geschichte um die sehr sympathischen Protagonisten Lotte und Jakob. Wie wird ihre Geschichte wohl weitergehen? Da auch der aufkommende Antisemitismus, der viel früher als Hitlers Machtergreifung 1933 bereits begann, im Roman thematisiert wird und Jakob aus jüdischem Hause stammt, wird mir schon etwas mulmig zumute...

    Dennoch bin ich sehr gespannt auf den Folgeband und freue mich sehr darauf, ihn zu lesen!


    Ich vergebe die volle Punktezahl - 5 glitzernde Winterlesesterne - und empfehle den Roman allen Fans historischer Romane und des Ski- und Wintersports - er zählt für mich zu einer der schönsten Sportarten, die es überhaupt gibt (auch wenn es leider inzwischen nicht mehr die Anzahl schneesicherer Gebiete gibt als dies in der Zeit des Romans noch der Fall war). Wer sich damit - "Skifahren in Zeiten des Klimawandels" - beschäftigen möchte, dem sei der gleichnamige podcast des "Weltspiegels" sehr empfohlen!


    ASIN/ISBN: 3734107326

    Hallo und herzlich willkommen aus dem Saarland (von einer Exil-Hessin, war fast 3 Jahrzehnte im schönen Hessen ;) und ganz viel Spaß hier bei den Büchereulen! :wave