Die Kaffeehaus-Trilogie - seitenlange Romane, aber eindeutig keine großen Romane
Leider kann ich die positiven und einhelligen Lobeshymnen der anderen hier zu den drei Büchern der Trilogie "Das Kaffeehaus" nicht nachvollziehen. Mein Eindruck nach der Kaffeehaus-Trilogie von Marie Lacrosse (und nach zwei weiteren Büchern von Marita Spang). Sie hält absolut nichts von dem, was Spang-Lacrosse, ihr Umfeld und die vielen Rezensionen versprochen, angekündigt oder behauptet haben.
Mit tatsächlicher Geschichte oder Geschichte, wie sie vielleicht wirklich gewesen sein könnte, hat die Kaffeehaus-Trilogie von Marie Lacrosse (wie auch die beiden anderen Bücher von Marita Spang, die ich gelesen habe) nichts gemein, auch wenn die Autorin davon selbst überzeugt sein dürfte. Ein paar bekannte Namen und ein paar emotional aufgeladene Geschehnisse machen noch kein gutes Buch und schon gar keine überzeugende Epochenschilderung. Auf die Hintergründe und Entwicklungen hinter den gezeigten Geschehnissen wird fast nie eingegangen, es wird höchstens etwas an der Oberfläche gekratzt. Dadurch, dass der zeitliche Ablauf und entscheidende Zusammenhänge völlig außer Acht gelassen, weggeblendet oder gar verändert werden, ergeben sich ganz automatisch schwere historische Verfälschungen.
Ein gutes Beispiel sind die Szenen, in denen das Elend der Arbeiterinnen und Arbeiter regelrecht ausgeschlachtet wird. Die Szenen sind schockierend, grausig, mitleiderregend - trotzdem sind es nur Schauwerte, weil es der Autorin nicht gelungen ist, die historischen Augenzeugenberichte beziehungsweise die Informationen aus der Fachliteratur mit den Mitteln eines Romans eindrucksvoll zu vermitteln (und damit der Fachliteratur im besten Fall sogar einen Zugang für die breite Masse zu geben.) Zu kühl und mit zu viel spürbarer Kalkulation sind hier der Horror und Grauen dosiert, es reduziert sich letztlich auf den fiktiven "Ausflug", den Publikum und "Heldin" Sophie mit sentimental-billigen Mitleid leicht bewältigen dürfen. Sophie kann jederzeit wieder in ihre feine Kaffeehauswelt zurückkehren, das Publikum in die Gegenwart und die gemütliche Wohnung.
Nachdenklich stimmt auch, dass die Autorin sich nicht einmal bemüht hat, innerhalb der von ihr für die Romandauer ausgewählten Jahre ein halbwegs authentisches Bild der politischen Bewegungen und der Arbeiterbewegung für diesen Zeitraum zu zeigen, dies umso mehr, als es zu dieser Zeit eben nicht nur die Sozialdemokratische Partei war, die sich in der Arbeiterbewegung engagiert. Auffällig ist ohnehin, dass die Sozialdemokraten mit Viktor Adler und Adelheid Popp lediglich durch zwei recht bekannte und zudem "Lichtgestalten" präsentiert sind. Dass es zum Beispiel auch in dieser Partei Antisemitismus gab, wurde weggelassen. (Oder hat Spang-Lacrosse das nicht gewusst, dann dürfte sie zumindest für diesen Handlungsteil aber nicht sehr umfangreich recherchiert haben.) Die bürgerliche Arbeiterbewegung dagegen, die zu dieser Zeit ebenfalls recht aktiv war, kommt nicht vor, und es gibt nicht einmal einen Hinweis darauf, dass das bürgerliche Lager damals keineswegs nur aus der Partei von Karl Lueger bestand. Unglaubwürdig und dazu noch ziemlich frauenfeindlich ist außerdem, wenn Spang-Lacrosse den Eindruck vermittelt, dass die bürgerliche Frauenbewegung mit den Arbeiterinnen nicht zusammenarbeiten konnte, weil sie ausschließlich aus Antisemitinnen bestand, die zudem "Jüngerinnen" von Lueger waren.
Hinzu kommt noch, dass die Hauptfiguren Sophie und ihr Mister Right Richard lediglich als Sprachrohre der Autorin fungieren, aber über diese Rolle und Funktion hinaus, kein richtiges Charakterprofil haben, und vor allem auch kein spezielles oder gar individuelles Charakterprofil entwickeln. (Das wird leider nur behauptet.) Gerade Sophie ist mit Blick auf das, was sie innerhalb des Romans tut, ein spießiges und hochmütiges Girlie, natürlich von Adel (in dem Vorwort zu ihrem früheren Roman "Blut und Seide" hat Spang-Lacrosse seinerzeit bereits klargestellt, dass nur Adelige zu Heldin beziehungsweise Held taugen und ein Happyend haben können), das mit heutigen Wertvorstellungen aus der Welt ihrer Autorin in eine frühere Zeit-Epoche verpflanzt wird und von der Autorin die Aufgabe erhalten hat, der Leserschaft zu zeigen, was für eine üble Zeit das doch war und wie gut wir es doch heute haben. (Durch die Nachworte und die Website (indirekt), die Leserunden (sehr deutlich) etc. wird nebenbei von Spang-Lacrosse klar gestellt, dass zumindest die üblen Menschen in ihrem Roman keineswegs auf das Wien der Donaumonarchie zu beschränken sind, sondern dies für die heute im Land Österreich lebenden Menschen ebenfalls gilt. - Nutzung eines historischen Stoffes, um die Gegenwart anzuprangern.)
Die Romanfigur Sophie ist eine vornehme Komtess und blutjung, behauptet sich in jeder Situation erfolgreich, wobei sie in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch ist. Abgesehen davon, dass sie mit Mary Vetseras Abschiedsbrief über eine wahre Wunderwaffe verfügt, mit der sie zuletzt den Kaiserhof mit Sisi für sich selbst endgültig in die Knie zwingt und somit als erfolgreiche Siegerin mit ihrem Richard ins Happyend "tanzen" darf, lösen sich die Probleme, die ihr Spang-Lacrosse andichtet, ansonsten auch nur von selbst. So hat zum Beispiel ihre Flucht vom Hof keine Konsequenzen, oder der Onkel vererbt ihr nicht nur sein Kaffeehaus "Prinzess" (schon der Name verrät, dass es sich dabei um kein wirkliches Wiener Kaffeehaus, sondern eine vornehme Münchner Café-Konditorei, die sehr heutig wirkt, handelt), sondern auch gleich viel Geld, mit dem Sophie sofort toll investiert.
Mit Blick auf historisch belegte Frauen, die tatsächlich in Wien zu dieser Zeit oder in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg ein Kaffeehaus führten, ist Spang-Lacrosses Inszenierung von Sophie als erfolgreiche Kaffeehausbesitzerin nicht glaubwürdig. Sophie muss zum Beispiel keine tatsächlichen Probleme, die Kaffeehäuser zu dieser Zeit hatten, lösen oder wenigstens meistern. (Da gibt es keinen wirklichen Konflikt mit der Kaffeesieder-Innung, Erwerb und Besitz von Konzessionen sind kein Thema, gesetzliche Regelungen weitgehend unwichtig und wichtige wirtschaftspolitische Entwicklungen Anfang der 1890er-Jahre, welche Unternehmen wie Kaffeehäuser betrafen, kommen nicht vor, obwohl es doch eine historische Romantrilogie ist). Mit Richard, dem zweiten Sprachrohr, sieht es nicht besser aus.
Die meisten wichtigen Figuren sind ebenfalls keine Charaktere, sondern lediglich auf ihre Rolle (Sophies jüngere Schwester als Opfer des Missbrauchs durch den Stiefvater) oder einen Stereotyp (der böse Stiefvater, die gute Dienstbotin, die scheinheilige Unternehmerwitwe etc.) reduziert.
Bei den meisten historischen Figuren wie zum Beispiel Sisis Hofdamen ist das nicht viel anders. Ida Ferenczy gibt hier halt die gute, liebe Hofdame und ist Sophies Freundin, Marie Festetics ist die böse, neidische Hofdame und Sophies Feindin.
Sisi selbst fand ich als Figur einfach nur langweilig - das nicht im Vergleich mit den beiden Figuren, die Romy Schneider 1955-1957 und 1973 kreiert hat. Die sind beide zum Beispiel nicht nur spannender, sondern wirken mit Blick auf Genre und die Ausrichtung ihrer Filme authentischer. Das Musical wiederum war kurzweiliger. ...
Letztlich ist die Trilogie trotz eines beachtlichen Umfangs nur eine schicke Zeitreise in eine stereotype, profillose Gegenwelt, die aus ein paar historischen Versatzstücken und profillosen Figuren zusammengeschustert wurde. Mag sich die Autorin Spang-Lacrosse damit auch viel Arbeit gemacht und umfangreich recherchiert haben, wie sie zumindest selbst behauptet, mag sich der Verlag auch mit einem entzückenden Cover eingebracht haben und ein Konditor aus Bayern durch seine Tortenkreationen an der Trilogie mitverdient haben - herausgekommen ist letztlich nur eine langweilige, mit Blick auf die Historizität schwammige Romantrilogie, auch wenn das der breiten Masse (und ich vermute besonders den deutschen Leserinnen) genügt.