Beiträge von bartimaeus

    Zitat

    Original von Teck


    Wie meinst du das?


    Kannst du das genauer erklären?


    Grob habe ich es ja schon im vorletzten Absatz gesagt. Es ist die Tatsache, dass Brecht dem Rezipienten seine Kritik immer und immer wieder ausformuliert serviert und vor Augen hält. Auf mich hätte das Stück sehr viel mehr Eindruck gemacht, wäre zum Beispiel nicht von Anfang an klar gewesen, dass Shen Te Shui Ta ist. Dadurch, dass Brecht mehrmals diese Szenen vor dem Vorhang einbaut, in denen der Rezipient direkt angesprochen wird, sorgt er zwar dafür, dass die Kritik unmissverständlich wird, aber ich fühlte mich in gewisser Weise des Denkens enthoben. Wenn schon die Antworten nicht explizit mitgeliefert werden, sind es zumindest die Erkenntnisse und das Kritikwürdige. Da konnte auch der Epilog leider nichts daran ändern (der allerdings die wichtigsten, angestrebten Denkanreize auch wieder vorgibt).


    So sehr ich seine Kritik an Gesellschaft und Religion auch (teilweise) berechtigt finde und im Großen und Ganzen den "guten Menschen von Sezuan" auf dieser Ebene wie auch auf der der "bloßen Handlung" sehr gerne gelesen habe, ist es die Methode, die mich stört. Bei mir regte sich leichter Widerwille. Es ist also durchaus eine subjektiv geprägte Wahrnehmung. ;-)

    Lighthouse I: Flesh and Spirit
    Carol Berg, 2007
    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe
    Roc, ISBN: 978-0451461568


    Valen ist einer jener Helden, die keine Helden sein wollen. In einer Gesellschaft, in der die magisch talentierten purebloods(1) in ein Korsett aus Verpflichtungen gezwängt und vom pureblood registry(1) penibel überwacht werden, wurde er zum recondeur(2) und ist beständig auf der Flucht, kämpft für einen der drei Königssöhne, die das Königreich Navronne unter ihre Herrschaft bringen wollen. Die Welt retten zu wollen liegt ihm fern, er möchte sich lediglich selbst retten, frei sein. Er ist eher der sympathische schurkische Held, der auch Diebstahl und Täuschung nicht scheut, und gerade dadurch einem ans Herz wächst, dass er diese 'negativen' Eigenschaften ebenso in sich vereint.


    Als er schwer verletzt in das Kloster Gillarine kommt, in dem sich große Teile der Handlung zutragen, hat er demnach auch keinesfalls, wie er als 'reuiger Sünder' behauptet, im Sinn tatsächlich dem Orden beizutreten, sondern möchte sich für die Zeit seines Novizendaseins in kriegsgeschüttelten Zeiten ein bequemes Winterlager beschaffen. Dass er vom Abt erstaunlicherweise sofort angenommen wird, liegt wohl nicht nur an reiner Nächstenliebe, wie sie der an monotheistische, christliche Vorstellungen angelehnte Glaube an Iero fordert, sondern eher an dem Buch, das er mit sich trägt, ein geerbtes Kartenwerk, das den Weg in die Reiche der Danae(3), mystischer Wesen, die eng mit der Natur verknüpft sind, zeigen soll.


    Und so gleitet er immer mehr hinein in einen von Abt Ludviar geleitete Geheimkreis, der das Ende der Welt abwenden möchte. Denn das scheint wahrlich nahe. Nich nur, dass Perryn von Ardra, sein Bruder Bayard, "der Schmied", und der sich in Evanore befindliche und im Volksmund als dämonischer "Bastardprinz" verschrieene Osriel sich uneins über die Nachfolge ihres Vaters als Herrscher über Navronne sind, und vor allem erstere das Land mit Krieg überziehen, auch religiös sieht es in Navronne nicht überall friedlich aus. Denn neben den Anhängern Ieros und den Anhängern der polytheistischen Verehrung der Urgötter und ihrer lokalen Schutzgeister mit ihren aingerous (Wegschreinen), gibt es auch noch die Harrowers(4) unter der Führung ihrer demagogisch veranlagten Hohepriesterin Sila Diaglou, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Naturkräften der Gehoum zu huldigen, indem sie gewaltvoll und blutig das Land 'eggen' (bzw. in ihrem eigenen Vokabular "reinwaschen"), sämtliches Wissen und die Schutzräume der Danae vernichten wollen, um zu einem Dark Age(5), einem Urzustand ohne Bücher, falsche Gottesverehrung und Technik zurückzukehren.


    Die Welt, die Carol Berg mit der Lighthouse-Dilogie geschaffen hat, ist eine recht komplexe, politische und religiöse Wirren, mit ihren Hintergründen und der starken Bedeutung, die ihnen zukommt, geben diesem Buch eine Tiefe, die es gegenüber anderen Fantasybücher hervorhebt.
    Es ist nicht die Beschreibung der Kriege, die im Vordergrund steht wie in anderen Büchern, diese Szenen sind äußerst spärlich gesät. Die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen stehen im Vordergrund, Kritik an religiösem Wahn, Machtkämpfen und der hierarchischen Gesellschaft. Auch wenn der Protagonist Valen nicht lesen kann und Büchern generell nicht sehr positiv gegenübersteht, hat er auf diesem Feld viel mehr verstanden als die Menschen um ihn herum.


    Das macht ihn zu einem sehr interessanten Charakter, er ist gleichermaßen privilegiert durch seine magischen geographischen Kräfte, die er aus der Cartamandua-Linie seiner Verwandtschaft hat, und unterdrückt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn schließlich auch wieder einholen in diesem ersten Band. Er hat Sinn für Humor, ihm haftet ein wenig der Hauch des Spitzbübischen und Tragischen an, was ihn für die Rolle des sympathischen Helden, der sich nicht immer korrekt durchs Leben schlägt prädestiniert.
    Und da wir im Gegensatz zu seiner Umgebung einen Einblick in ihn haben, da er der Ich-Erzähler ist, erkennen wir auch, dass er gar nicht so vertrauensunwürdig ist, wie es den Anschein hat...


    Obwohl die Handlung kaum durch tatsächliche, kriegerische "Action" (nebenbei bemerkt: auch nicht durch romantische Verwicklungen) angereichert ist, ist sie so fesselnd, atmosphärisch und dicht, dass sie mich dazu zwang der Erzählung von Valen - oder um wenigstens einmal den kompletten Namen zu nennen: Magnus Valentia de Cartamandua-Celestine - zu folgen, bis mir in den frühen Morgenstunden die Augen endgültig zuklappten. Es ist zu interessant all den Verwicklungen und Verschwörungen zu folgen, in diese Welt einzutauchen (hier gibt es übrigens noch ein Glossar zu den Begriffen). Lange hat mich kein (Fantasy-)Buch wirklich so mehr gefesselt.
    Da das Buch leider mit einer cliffhangerartigen Erkenntnis endet, die Vieles in neuem Licht erscheinen lässt, und ich, bis ich die Fortsetzung in den Händen hielt, grässlich mürrisch und hibbelig war - empfehle ich diese frühzeitig bei Gefallen des ersten Bandes zu ordern ...


    Fazit
    Carol Berg hat ein Buch geschrieben, das auf allen Gebieten überzeugt, eine komplexe Fantasywelt, die mehr als nur Kulisse ist, religiöse/mythische sowie magische Elemente, die eine zunehmend wichtigere Rolle spielen (auch im 2. Band: "Breath and Bone"), eine fesselnde Geschichte über Unterdrückung und Bürgerkrieg sowie ein Icherzähler, der einem ans Herz wächst. Ich bin begeistert.


    Eine euphorische Empfehlung:
    10/10


    :wave
    bartimaeus


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    (1)engl. pureblood (registry): Reinblüter(-Registratur)
    (2)lat. recondere: sich verstecken
    (3)vgl. die Sichtweise der Danaë (Tochter des Akrisios) als Göttin, die an den Mondkreislauf gebunden ist
    (4)engl. (to) harrow: eggen; peinigen / harrowing: qualvoll
    (5)engl.: frühes Mittelalter, aber ich finde den Begriff passender, da es um das Wissen geht und die 'Lichtsymbolik' auch an anderen Stellen 'aufleuchtet'.

    Zitat

    Original von Charlie
    Ich finde, da sollte Dein Konto sich unbedingt ueberreden lassen - schliesslich muss man fleissige Studenten ja motiviert halten!


    Noch nicht. Nur ein Schüler, der sich vornahm, seine Facharbeit auf Englisch schreiben zu müssen :lache und sich dadurch an Shakespeare heranwagte.
    Die Sekundärliteratur ist ja auch furchtbar spannend gewesen :-)


    Und dein Buch sieht ja schon vom Cover her wie ein Prachtstück aus. Immer diese Bücher, die einen förmlich anspringen :cry

    Sollte mein Bücherbudget das irgendwann in nächster Zeit einmal hergeben, ist dieses ein Buch, das ganz oben auf meiner Wunschliste steht. Bis dahin werde ich mich wohl mit Shakespeare selbst bevergnügen dürfen :-], ich habe hier zum Glück eine billige Gesamtausgabe stehen, nun ja, eigentlich zwei ... Leider hat er erst vor Kurzem mein Herz erobern können, als ich durch eine Facharbeit die Chance hatte, mich näher mit ihm beschäftigen zu können.


    :gruebel Vielleicht könnte ich mein Konto ja überreden, dass bei einer guten Benotung dieser Band für mich rausspringt :grin

    Für mich gibt es auch einmal "Die Hütte". Das Buch war nach langer Zeit wieder eines, das mich ansprach (von der Thematik allerdings nur, nicht von der Aussage). Ich bin gespannt, wie der Autor das Thema bearbeitet, leider denke ich, dass es recht kitschig werden wird... :rolleyes

    Der gute Mensch von Sezuan
    Bertolt Brecht, 1938-40

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Suhrkamp, ISBN: 978-3518100738


    Das Gute im Menschen zu finden haben sie sich aufgemacht, die drei Götter, die durch China wandern. Unaufhaltsam suchen sie einen Menschen, der durch und durch rechtschaffen und gut ist, die göttlichen Gebote heiligt und ihnen Unterschlupf gewährt. Und in der Prostituierten Shen Te meinen sie ihn dank der Hilfe des Wasserträgers Wang gefunden zu haben.


    Von den Göttern mit etwas Geld ausgestattet, eröffnet diese einen kleinen Tabakladen, stellt den Armen Essen hin, bietet Bedürftigen Obdach. Shen Te, Engel der Vorstädte! Shen Te, naives Dummchen? Denn in ihrer Güte kennt sie nur Maßlosigkeit, zu sehr ist ihr Vertrauen in das Gute im Menschen. Doch wo bleibt das Gute, wenn es wie in den Armenvierteln Sezuans ums Überleben geht? Gierig klammern sich die Bedürftigen und die Halsabschneider an sie. Wang meinte, sie könne nicht nein sagen. Das kann sie in der Tat nicht, bzw. der Teil von ihr der Shen Te ist.


    Der andere Teil in ihr ist ihr Vetter Shui Ta, der immer dann ans Licht kommt, wenn Shen Te in der Güte, die sie leben will, überfordert und wieder zu weit gegangen ist. Wenn ihr Laden, ihre Liebe, ihre Existenz vor dem Ruin stehen, steht er da, maßregelt, beutet aus und verkörpert den knallharten Geschäftsmann, der sich nur um das eigene Wohl schert. Über lange Strecken ist sein Auftreten immer nur für kurze Zeit, Shen Te benötigt, aber mag ihn nicht.


    In diese zwei Persönlichkeiten geteilt, Rationalität und Rücksichtslosigkeit gegen Empfindsamkeit und Güte, vollzieht sich der Zwiespalt in ihr wortwörtlich. Die beiden Persönlichkeiten handeln gegeneinander. Shen Te will ihrem Verlobten glauben - Shui Ta sieht seine Gerissenheit. Shen Te will helfen - Shui Ta unterdrückt. Und Shui Ta rückt immer mehr in den Vordergrund, da Shen Te langsam ihre eigenen Interessen wahrnimmt.


    Auf den ersten Blick scheint auch in ihr das Gute dem Bösen zu unterliegen. Doch was ist gut und was ist böse? Disqualifiziert ein gezinkter Messbecher in schlechten Zeiten wie beim gottesfürchtigen und ebenfalls gutmüttigen Wang vom 'Gutsein', wie die Götter behaupten? Darf ein 'guter' Mensch nicht auch einmal an sich selbst denken?
    Shen Te scheitert nicht, weil sie gut ist (und das ist ein Aspekt auf den Wert gelegt wird, sie will gut sein), sondern weil die Ansprüche an ihre Güte, sei es von Seiten der Götter, von Seiten der Mitmenschen oder diejenigen die sie an sich selbst stellt, zu hoch sind. "Sie ist in ihrer Liebe gescheitert, weil sie die Gebote der Nächstenliebe befolgte", sagt Wang zu den Göttern, worauf ihm heftig widersprochen wird.


    Ist es das Geld, das die Schuld trägt? Auch vor dem Treffen mit den Göttern war sie ein guter Mensch in Wangs Augen, doch mit dem Geld wurde sie ausgenutzt, raffgierig stürzte man sich auf sie. Ohne es wäre vieles nicht passiert. Aber auch wenn Shui Tas kapitalistische, gewinnoriertierte Verhaltensweise angegriffen wird, führt der Ansatz meines Erachtens ins Leere. Es ist nicht die Tatsache, dass sie Geld hat, sondern vor allem, dass so viele andere es nicht haben in den Armenvierteln von Sezuan.


    Das ist auch einer der Gründe warum sich die Götter aufgemacht haben. Sie wurden ausgeschickt zu beweisen, dass die Lebensbedingungen auf Erden nicht zu schlecht sind, um gut zu sein, dass ihre Grundsätze nicht zu streng sind. Aber sie überlegen nicht recht. Sie sind überfroh, Shen Te gefunden zu haben und sich bestätigt zu sehen, so dass sie ignorant auf rosa Wölkchen am Ende gen Himmel entschweben und die Verzweiflung und Trümmer ihres Besuchs übersehen. Sie haben die Verbindung zur Wirklichkeit verloren, sie ignorieren das Offensichtliche.


    Offensichtlich ist hingegen vieles in diesem Theaterstück, zum Beispiel, dass Shen Te und Shui Ta ein Charakter sind. Brecht reicht das Subtile nicht, wenn es um seine Botschaft geht. Es muss gleich der Holzhammer sein. Erschreckend häufig wird dem Zuschauer direkt dargelegt, dass auf dieser Welt es schwer ist, Gutes zu tun, da es die andern nicht tun, da die Lebensbedingungen dagegen sprechen, und mit der Frage, was man daran ändern könnte wird der Zuschauer auch nach Hause geschickt.
    Die Gedankengänge über die Welt, den Menschen und die Götter, die sich im "guten Menschen von Sezuan" wiederfinden, sind damals wie heute aktuell. Mehr als eine Krise sitzt uns im Nacken, Zweifel an das Gute im Menschen kommen immer wieder auf. Aber Brecht gibt Gedankenanstöße vor, adressiert den Zuschauer direkt, spielt bewusst mit dem Medium Theater, kurzum er winkt immer wieder mit dem Zaunpfahl und das verleidet den Reiz des Stückes, das Potenzial, das in ihm steckt. Denkanstöße hätten mir genügt, ich will nicht zwangsweise à la Brecht denken, ich will selber denken. So war es mir zu viel des Guten.


    Nichtsdestoweniger hat Brecht ein Stück geschrieben, das in seiner Thematik und durch seine eindrucksvolle, schlichte Sprachwahl, die nur in Gedichten ihren Tiefpunkt erreicht, nach wie vor wichtige Gedanken enthält und alles in allem mich nicht nur zum Nachdenken gebracht, sondern auch vortrefflich unterhalten hat. Das kann Brecht nämlich auch. Nicht umsonst zählt er immer noch zu den am häufigsten gespielten Autoren.


    8/10, da es mir ein wenig zu viel des Holzhammers war.

    Zitat

    Ich bezweifel gar nicht, dass der Opi das Buch gelesen hat, nur scheint ihm die junge und frische Form dieses Buches nicht zu gefallen, weil er sich eben einfach nicht mehr damit identifizieren kann. :rolleyes


    Edit:
    Und dann kann er als "Literatur-Kenner" nicht einmal richtig Stephenie Meyer aussprechen. :fetch
    [...]
    :lupeIch könnte kotzen wenn ich den Typen auch nur sehe... :uebel


    Mit dieser Art von persönlichen Mutmaßungen über ihn als Person und dem darin verborgenen Angriff (mit der Disqualifizierung über ein so lächerliches Kriterium, wie die Aussprache eines Namens) bist du natürlich sehr viel weniger dreist :rolleyes


    Herr Scheck ist durchaus keiner jener "Opi[s]", die sich allem 'Neumodischem' verschließen, er hat u.a. in der selben Sendung die Jugendromane um Artemis Fowl präsentiert und gelobt. Und auch wenn er seine Meinung scharf formuliert, fände ich es schön, sie ihm zuzugestehen und ihn nicht, weil man sich in seinem persönlichen Lesegeschmack verletzt fühlt, anzugreifen. Er stellt gewisse Ansprüche, die einige Bücher ihm (!) nicht erfüllen können. Das ist einer der Unterschiede, er KRITISIERT in diesem Teil der Sendung, Frau Heidenreich EMPFIEHLT.


    Edit: Und Kritik schließt negative ein. (Ich hoffe, jetzt wird nciht wieder das Fass 'konstruktive Kritik' aufgemacht...)

    Zitat

    Original von Bouquineur


    Vielleicht soll der Auftritt vom Lied ablenken :chen


    12 Points für die Dame im Champagner-Glas :lache


    Und was fügen sie dann ein, um vom Auftritt abzulenken? :gruebel

    Dennis Schecks Sendung, besteht aus verschiedenen Aspekten. Interviews mit Autoren (in der letzten Folge Eoin Colfer, Juli Zeh, T.C. Boyle), Empfehlungen und Besprechungen von Büchern und eben jenem Teil, den Sabine genannt hat, in dem er die (Spiegel-)Bestsellerliste auseinander nimmt.


    Mit Kurzkommentaren, teilweise etwas scharf formuliert, wandern dann diejenigen Bücher, die er für 'Schrott' hält, die Rampe in den Müll hinunter, gute, eher anspruchsvollere Bücher werden mit Empfehlung beiseite gelegt. Auch wenn da schon einmal ein Buch, das ich mochte, von ihm in den Müll befördert wurde, finde ich die bissige Kritik, die er äußert, sehr amüsant und häufig durchaus berechtigt. Die Sendung auf diesen Aspekt zu reduzieren finde ich aber nicht unbedingt gut. :-)


    Der Unterschied zu Elke Heidenreich ist, dass er in Bezug auf die Bestsellerliste kritisiert, dass er etwas tiefer geht, Frau Heidenreich ist die Frau, die einem Bücher (euphorisch) ans Herz legt und nur das vorstellt, was sie mag.
    Unter ihren Büchern hab ich aber auch schon das ein oder andere Schmuckstück gefunden und ich bedaure, dass die Sendung abgesetzt wurde.

    Die Bernsteinsammlerin
    Lena Johannson, 2009

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Knaur, ISBN: 978-3426501214


    Auch unter den "Historischen Romaninnen" findet sich mitunter ein Schätzchen. "Die Goldschmiedin" von Sina Beerwald zum Beispiel. Nicht immer verheißt das aufgeklebte Ettikett eine weitere stereotype Variante vom Einheitsplot "Mädchen (wahlweise in Hosenrolle) schlägt sich erfolgreich durch die Männerwelt und bekommt am Ende die große Liebe".


    "Die Bernsteinsammlerin" folgt im Großen und Ganzen allerdings dem Schema. Da haben wir Femke, mehr naiv als überlegt, die einem in ihrer Naivität ans Herz wächst, mit einer gehörigen Portion Glück durch die Gassen Lübecks bis hin zu den Bernsteinküsten stolpert und sich von so etwas Lächerlichem wie Krieg nicht immer aufhalten lässt. Sie ist noch nicht ganz erwachsen, kann aber mit den Bernsteinschmuckstücken, die sie herstellt, die Familie während der Besetzung durch die napoleonischen Truppen über Wasser halten und muss Verantwortung übernehmen.


    Sie ist nicht nur besonders begabt im Umgang mit Bernstein, sondern hat auch Visionen, und ein großes Bernsteinerbstück, in dem eine Echse eingeschlossen ist - der einzige Hinweis auf ihre wirkliche Familie, denn von den Thuraus, Lübecker Weinhändlern, ist sie nur adoptiert.
    Die findet sie aber nur nebenbei wieder, ihr Streben wird vor allem angetrieben von ihrer Liebe zum Bernstein, sie flüchtet sich während der Kriegszeit in ihre Arbeit, und ihrer Liebe zum Jugendfreund Johannes Nebbien, der den ganzen Roman lang fast nicht an Kontur gewinnt, da er nur zu Beginn eine kurze Rolle spielt. Um ihn zu retten, lässt sie sich auch auf ein unziehmliches Geschäft mit dem Franzosen Deval ein.


    Der ist übrigens als harscher und verheirateter Soldat eine sehr viel interessantere Figur als der langweilige Jugendfreund, den man nur wegen Femkes Liebe akzeptiert. Er ist auch die einzige genauer bestimmte Figur, die eine Schattenseite hat und nicht nur "gut" ist. Wenn man das Buch so liest, könnte man denken, es wäre kein Problem recht mittellos durch das Norddeutschland des 19. Jahrhunderts zu stolpern, schließlich gibt es ja überall Menschen, die gerne helfen... So viel Glück wie Femke hatte, muss es damals von Gutmenschen nur so gewimmelt haben. Bedingt dadurch, dass es kaum Rückschläge gibt, und auch die keine große Gefahr darstellen, ist das obligatorische Happy-End natürlich nicht gefährdet.


    Was Lena Johannsons Roman dennoch zu einem Lesevergnügen für den Liegestuhl macht, ist ihre schöne Sprache und ihr Sinn fürs Atmosphärische. Als ich das Buch gelesen habe, hatte ich beständig eine leichte Erzählstimme im Ohr, ein wenig wie die Erzählung eines Großvaters, die Sätze klingen sehr rund, wenn man sie sich gesprochen vorstellt, geschrieben stolperte ich manchmal ein wenig.


    Immer wieder eingeflochtene Landschaftsbeschreibungen, Anekdoten zur Herkunft des Bernstein und die liebevoll geschilderten Einwohner der Küstenregion, tragen neben der klaren Sprache dazu bei, dass der Roman eine geradezu "hanseatische Atmosphäre" hat, die die Handlung gut untermalt. Mag diese auch nicht unbedingt als besonders hervorstechen, so fühlt man sich zusammen mit Femke doch wohl im Norden und kann sich an vergangene Seeurlaube zurückerinnern.


    Vermeidbar wären nur die kleinen Fehler in den eingeflochtenen französischen Sätzen gewesen, die mir als frankophilem Menschen natürlich ins Auge fallen, und recht elementarer Natur sind. Etwas mehr Sorgfalt hätte man da walten lassen können.


    Obwohl es sich nicht von den Klischees lösen kann, die Fortsetzung den einfallsreichen Titel "Die Tochter der Bernsteinsammlerin" verpasst kriegen soll (ich werde sie mir wohl nicht mehr zulegen) und es insgesamt doch zu glücklich (und unglaubwürdig) für Femke verläuft, ist "Die Bernsteinsammlerin" ein Roman mit einer sehr sympathischen Hauptfigur, der Meeresbilder vor dem inneren Auge entstehen lässt und eine eher leichte, aber atmosphärische Lektüre verheißt.


    6/10


    :wave bartimaeus

    Zitat

    Original von Paulchen
    Danke für die Infos, bartimaeus!
    Was die Altersempfehlung betrifft: Grundsätzlich ist es natürlich so, dass mich ein Buch ab 10 nicht mehr anspricht (beispielsweise "normale" Kinderbücher). Ich habe jedoch auch schon ab und zu tolle "Kinder"bücher entdeckt, die über das empfohlenen Alter hinaus faszinierten...ich hoffe, dieses Buch ist ein ähnlicher Schatz :-] und bei unserer Buchhandlung kann man in z.B. bestellte Bücher auch immer noch mal rein schauen und so hält sich das Risiko einer Enttäuschung glaube ich in Grenzen :grin


    Ich wollte nur vorsichtshalber warnen - aber ich selbst lese ja auch noch gerne das ein oder andere Kinderbuch :-]
    Und wenn du das Buch erstmal zur Ansicht bestellst, ist das Risiko wirklich gering.


    :wave bartimaeus

    Ich hoffe nur, das Buch enttäuscht dich nicht, Paulchen, du liegst ja altersmäßig auch schon über der Zielgruppe, es ist eher Kinder- als Jugendbuch. Amazon empfiehlt es ab 10 Jahren.


    Chinesische Gedichte sind wirklich was Feines. Ich kenne mich zwar kaum aus, aber ich lese sie sehr gerne. Wobei es ja immer sehr auf den Übersetzer bzw. Nachdichter (die Übersetzung in eine europäische Sprache erfordert immer eigenes Dichten und Interpretieren, das geht manchmal schief) ankommt.


    Woher der Name Li Tai Pe (=Li Po) auch dem ein oder anderen dunkel bekannt vorkommen könnte, ist übrigens James Krüss' "Mein Urgroßvater und ich" mit der Geschichte über den "Pavillon aus Porzellan", die sich auf ein Gedicht Li Pos stützt. Habe ich heute durch Zufall entdeckt, weil mir ein Gedicht so bekannt vorkam.


    :wave bartimaeus

    Carol Berg; Flesh and Spirit; 1
    María Cecilia Barbetta; Änderungsschneiderei Los Milagros; 1,5
    Carol Berg; Breath and Bone; 1; Monatshighlight
    Jan Winter; Erzähl mir von den weißen Blüten; 4
    Lena Johannson; Die Bernsteinsammlerin; 3
    Antonia Michaelis; Das Geheimnis des 12. Kontinents; 2
    Heiko Wolz; Das Mädchen auf dem Seil; 2
    Friedrich Dürrenmatt; Die Physiker; 1
    Bertolt Brecht; Der gute Mensch von Sezuan; 2,5
    Johann Wolfgang Goethe; Die Leiden des jungen Werther; 3,5
    Alan Bennett; The Lady in the Van; 3; dt. "Die Lady im Lieferwagen"

    Von mir auch ein Dankeschön.


    Irgendwann werde ich mir dieses Buch auch zu Gemüte führen. Nur fand ich, dass Band 4 relativ schwach war. Als nachgeschobener Band, ich hab fast vermutet, dass man die Reihe nur weil sie erfolgreich war, ausbauen wollte. Wie würdest du Band 0 im Vergleich sehen? Wieder besser?