Beiträge von bartimaeus

    The Lady in the Van
    Alan Bennett, 1989

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Profile Books, ISBN: 978-1861971227


    Es existiert eine dt. Ausgabe, erweitert um 3 Kurzgeschichten:
    "Die Lady im Lieferwagen", Wagenbach, ISBN: 978-3803112255


    Meine erste Reaktion angesichts der ältlichen Dame auf dem deutschen Cover und dem gezeichneten Lieferwagen auf meinem englischen, war "Ach, wie putzig!"
    Eine ältliche Dame, die es sich mit dem Lieferwagen, in dem sie haust, im Vorgarten des Mr. Bennett bequem gemacht hat, Briefe an Margaret Thatcher schreibt und zu den leicht sonderlichen Gestalten auf unserer Welt zählt.


    So putzig war es dann doch nicht, die Cover täuschen ein wenig. Lady und Lieferwagen sind doch nicht so aus dem Ei gepellt, wie dargestellt - der Lieferwagen ist gelblich-eierschalfarben-miefig, Miss Shepherd lebt und kleidet sich in Lagen flickiger und schmutziger Kleidung - sie ist die Art von Person, die von Kindern und Erwachsenen mit Streichen und bösen Worten bedacht wird, verschroben vor sich hinlebt und von einem Hauch der Verwahrlosung umgeben ist.


    Und Mr. Bennett, der ihr schon geholfen hatte den Lieferwagen nach einer der vielen Räumungsaufforderungen zu schieben, endet als ihr Nachbar - erst parkt sie gegenüber und ein paar Jahre später zieht sie mit einem ihrer Vans 1974 in seinen Vorgarten ein. Was ihn veranlasst, ist eine Art Sympathie, Mitleid, Interesse, ganz so klar wird es nicht immer, sie ist eine sonderliche Person.


    Miss Shepherds politische Ansichten sind niemals gemäßigt, und durchaus Grund zur Erheiterung. Sie verteilt Blätter und gibt ihre Meinung in die Welt, sie schreibt Briefe an Mrs. Thatcher, die sie für zu weichlich hält, und Briefe an die argentinische Botschaft, in denen sie behauptet, sie selbst sei die wirkliche 'Eiserne Lady. Sie will sich für die Wahlen aufstellen lassen und wollte einst Nonne werden. Sie ist einfach überaus skurril und sonderbar.


    Hilfe von Außen nimmt sie nicht gerne, sie meistert das Leben - nein, das trifft nicht zu, sie bestreitet es - auf ihre eigene Art. Die immer ein wenig abweicht und mitunter doch zum Schmunzeln anregt. Und zum Kopfschütteln.
    Als Leser fühlt man vieles, obwohl die Schilderungen nur kurze, nachbearbeitete Tagebucheinträge sind. Mitleid, weil ihre Lebensbedingungen für uns unerträglichh scheinen und sie ihren Lieferwagen doch den Sozialangeboten vorzieht, Sympathie, weil sie doch ein wenig putzig wirkt, aber auch Respekt. Sie ist ungewöhnlich, keine eiserne Lady, aber eine sonderbare alte Jungfer, deren Charakter das deutsche Cover dann doch ganz gut einfängt. Und auch wenn Mr. Bennett das ein ums andere Mal wohl zurecht (ich hätte das nicht mitgemacht) nicht gut auf die Nachbarin im Lieferwagen zu sprechen ist, schildert auch er augenzwinkernd, aber voller Respekt - er gibt die skurrile Miss Shepherd nie der Lächerlichkeit preis. Er ist auch nicht sentimental, stirbt sie doch schließlich auch in seinem Vorgarten, er schildert immer sehr ansprechend freundlich. Manchmal gerät der Text ihm allerdings doch ein wenig zu eintönig..


    Das Buch erhebt keinen Anspruch, den Leser mitzureißen oder zu begeistern, es geht in seiner Kürze auch nicht zu sehr in die Tiefe, Miss Shepherds Hintergründe offenbaren sich erst in den letzten paar Seiten. Alles in allem, ist es in seiner 'Alltäglichkeit' recht beschaulich. So ist das Büchlein, das wie auch "Die souveräne Leserin" im roten Leineneinband erschienen ist, zwar interessant und durchaus das Lesen wert, aber doch nur eine Lektüre für Zwischendurch. Um es zu einem wirklich nachdrücklichen Leseerlebnis werden zu lassen, reichen die Sympathie für die Lady im Lieferwagen und der nette Humor leider nicht aus. Gefallen hat es mir dennoch.


    Zu den in der deutschen Ausgabe enthaltenen weiteren Kurzgeschichten kann ich nichts sagen, da ich eine englische Ausgabe gelesen habe, in der nur "The Lady in the Van" enthalten ist.


    6/10

    Das Buch kommt in den nächsten Tagen raus, ich würde mich über eine Rezension freuen:


    Die Friesenrose - Jutta Oltmanns


    Zitat

    amazon.de
    ... Ein mitreißender Roman über die abenteuerliche Reise des Tees von Asien nach Ostfriesland ... ... Ostfriesland 1810: Widerwillig beugen sich die Menschen dem Handelsverbot und der Fremdherrschaft der Franzosen. Auch die Borkumerin Inken Hinderks, Tochter eines Walfängers, bekommt deren Willkür zu spüren, als ihr Vater zu Unrecht gefangen genommen wird und sie selbst von der Insel fliehen muss. Völlig auf sich allein gestellt, erhält sie Hilfe von Cirk Hoogestraat, einem Blockadebrecher, in den sie sich verliebt. Cirk bringt sie zu der bärbeißigen Geldverleiherin Tjalda, die Inken Unterschlupf gewährt. Schon bald schafft es Inken mit Hilfe der Chinesin Sumi und Tjaldas zur ersten Teehändlerin Emdens aufzusteigen. Da tritt Cirk erneut in ihr Leben, an seiner Seite die Engländerin Lucia, die behauptet ein Kind von ihm zu bekommen. Als der Schmugglerkönig auch noch gemeinsame Sache mit Inkens verhasstem Konkurrenten macht, bricht für sie eine Welt zusammen. Doch im Augenblick größter Gefahr begegnet sie Cirk erneut und muß sich zwischen Liebe und Hass entscheiden.


    :wave barti

    Lustig, genau solche Fragen wie Eddie sie hat gehen mir auch die letzten Tage durch den Kopf. Schuld ist - tadaaaa - der allseits geliebte Werther.


    Am schönsten finde ich ja da einen Satz aus Werthers höchstselbigem Munde:
    "Es mag sein, sagt ich, man hat mir schon öfter vorgeworfen, daß meine Combinationsart manchmal an's Radotage gränze" :grin


    Edit: Aber es bringt alles nichts. Wenn man ein Buch selber liest, kann man besser mitreden als nur durch das Wissen aus der Sekundärliteratur, also quäle ich mich langsam aber sicher - mühsam nährt sich das Eichhörnchen - hindurch...

    Hmmm...


    Komplett stehen hab ich hier:
    Die 2
    Wurde ja schon genannt, eine der wenigen Serien, die durch die Übersetzung gewonnen hat - recht amüsante Sprache.


    Nummer 6 [The Prisoner]
    In einem herrlich pittoresken Städtchen, zusammengewürfelt aus allen möglichen Stilen. Und bis auf die Episode mit den Uralt-Computern noch nicht einmal zu antiquiert. Skurril.


    Und das Zeugs, das ich mir früher angetan hab, verschweig ich lieber :grin

    No one belongs here more than you
    Miranda July, 2007

    Meine Rezension bezieht sich auf die orangene Ausgabe:
    Scribner (Simon & Schuster), ISBN: 978-0743299411


    Es existiert eine dt. Ausgabe:
    "Zehn Wahrheiten". Diogenes, ISBN: 978-3257239386


    Das Buch "No one belongs here more than you" von Miranda July stand schon lange auf meiner Wunschliste. Mal ehrlich, wer kann bei einer witzigen Website widerstehen, die komplett auf einem Kühlschrank und einem Herd geschrieben wurde? Ich nicht. Manche Sachen sind so skurril, dass ich sie haben muss. Und so hab ich mir das Buch zwar nicht wie vorgeschlagen passend zur Kleidung, aber doch zu meinem Lesesessel in Orange zugelegt (das Taschenbuch gibt es sonst noch in Gelb, Pink und Grün) und mich auf ebenso gelungene Lektüre gefreut.


    Ihre Kurzgeschichtensammlung, umjubelt von amerikanischen Zeitungen, ist nur eines der vielen Projekte von ihr. Miranda July, 1974 in Barre, Vermont geboren, ist ansonsten noch Musikerin, Performance-Künstlerin und dreht in Cannes ausgezeichnete Filme. Kein Wunder, dass auch die Kurzgeschichten euphorisch behandelt werden.


    Miranda July stürzt sich in ihnen auf das Verstörende, Skurril-Seltsame, Befremdliche. Ihre Protagonisten stehen auf die ein oder andere Weise alle vor einem Abgrund und kommen mit dem Leben nicht klar. All ihre Persönlichkeiten sind angeknackst - Neurosen, Missbrauch, Einsamkeit, Enttäuschung und unglückliche Lieben bewegen sie, treiben sie zu obsessivem und nicht immer nachvollziehbaren Verhalten. Miranda July führt vor Augen, wie zerrüttet Seelen und Leben sein können, sie erzeugt Verzweiflung.
    Melancholisch, bizarr, und selten hoffnungsvoll erzählt sie kleine Szenen aus dem Leben von Menschen, ich wollte beinahe schreiben "wie du und ich", aber dazu sind sie zu sehr in ihren Leben gefangen, und wir können uns immer nur in Teilen wiedererkennen. Da ist der Kurs, der uns Romantik über synkopiertes Atmen näherbringen will, das Mädchen, das ihr Leid in die Welt singt, oder eine Frau, die ihr Haus nie mehr als 27 Schritte verlässt. Es sind einzelne Ausschnitte, nicht immer sinnvoll, Momente, die durch Existenz berühren können.


    Das Gefühl, verlassen zu werden, und Hoffnungslosigkeit dominieren und diese Ballung der negativen Gefühle ist das größte Problem und die größte Stärke des Buches. Auf ein Unheil folgt eine Geschichte mit dem nächsten. Themen werden nacheinander aufgegriffen und abgehandelt. Das wird mit der Zeit eintönig, wenn man das Buch in einem Rutsch liest, es wiederholt sich ein wenig und ich saß irgendwann nur noch genervt davor. Deswegen war es auch definitiv das falsche Buch für eine Leserunde. Es ist kein Buch zum "Durchlesenmüssen".
    Ursprünglich sind die Geschichten unabhängig voneinander in Zeitungen abgedruckt worden, und so müsste man sie auch lesen. Immer mal wieder zwei bis drei, spontan ausgewählt, vielleicht mit ein wenig Musik dazu. (Ich rate, nicht mit "The Sister" anzufangen). Als ich in letzter Zeit noch einmal in das Buch hineinschaute, war ich berührt von der Art, wie in einigen Geschichten die Unwegsamkeiten des Lebens eingefangen werden.


    Miranda Julys Erzählweise, gerne von skurrilen Anekdoten durchbrochen, kleinen Erkenntnissen, die auflockern und einen Kontrast hinzufügen, ist auf eine skurril-naive Art liebenswürdig. Auch wenn sie inhaltlich in einem ihrer zentralen Themengebiete, "verbotene Liebe" (pädophile Tendenzen, Inzest, Beziehung mit Schutzbefohlenem), teilweise über das Ziel hinausschießt und einige Geschichten absolute Fehlschläge sind, kann man sich sicher sein, dass sie wenigstens sprachlich ansprechend, ein wenig melancholisch, bizarr und mit leichtem Galgenhumor herüberkommen.


    Die Euphorie, die die Website und die Anpreisung auslösen, ist allerdings doch ein wenig zu viel, eben weil auch Ausschuss dabei ist. Manchmal sind die kurzen Eindrücke aus den Leben zu kurz geraten, manchmal zu bizarr, manchmal inhaltlich problematisch. Man muss sich die guten Stückchen herauspicken - ich empfehle vor dem Kauf unbedingt, Leseproben zu konsultieren. In dem englischen wikipedia-Artikel zu Miranda July werden einige der Kurzgeschichten, noch dazu welche, die ich den gelungenen zurechne, verlinkt.


    6/10 Pkt.
    für ein nicht immer umgängliches Buch

    Katze mit Hut
    Simon & Desi Ruge, 1980

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Beltz & Gelberg, ISBN: 978-3407780669
    Illustriert von Helga Gebert



    Wer kennt sie nicht aus der liebevollen Darstellung aus der Augsburger Puppenkiste, die sympathische Katze mit dem immer beladenen Hütchen, und die Sonderlinge, die mit ihr das Haus bewohnen? Und die Bücher besitzen den selben Charme.


    Dass die Katze mit Hut nach Stackeln an der Kruke kommt, ist eigentlich ein Zufall, da sie doch nach Hamburg wollte. Wo sie allerdings schon einmal da ist, kann sie sich natürlich auch umsehen. Und in der Backpflaumenallee findet sie ein altes, leeres Haus, das wie geschaffen aussieht für sie. Der erste Stock ist zwar voller Filzpantoffeln, aber damit kann man leben.


    Den Vermieter, den brummeligen Brauereibesitzer Maulwisch, wickelt sie mit der ihr eigenen Liebenswürdigkeit um den Finger und handelt die Miete herunter - denn reden kann sie, die Katze. Nach und nach finden sich dann wortwörtlich die Sonderlinge an. Marianne Dudel, das Dudelhuhn, das jeden Tag stolz ein Ei bekakelt, findet sich auf dem Holzstoß vor dem Haus, das insektische Waisenkind Brumsel zwischen den Rosen, der verschmitzte, keckernde Zappergeck als zweite Waise am Zaun, und Baby Hübner - das musikalische Wildschweinkind mit Verbesserungspotenzial vor dem Klavier. Andere Bewohner folgen: Kapitän Knaak, der Seemannsgarn spinnende Hund, der so leicht beleidigt ist, der Stolpervogel, der so furchtbar neugierig ist, die Erfinderbrüder Erbsenstein mit ihrer Hosenstopfmaschine, der Hundertfuß mit seinen Glühbirnen und das Lama, das eigentlich sehr wohlerzogen ist, aber im Schlaf rückwärts geht. Lauter Sonderlinge, Individualisten, die hier die Chance haben, sich zu entfalten - selbst wenn sie wie Baby Hübner auf den ersten Blick ein wenig talentlos wirken.
    Es ist eine Kommune der besonderen Art, die Tiere mit ihren menschlichen Zügen sind auf ihre Weise alle etwas Besonderes, voller Fantasie ausgedacht, und durch und durch liebenswerte Charaktere.


    Aber auch wenn die Katze als Kunsthäklerin das Städtchen begeistern mag, gibt es Probleme mit Maulwisch - denn so ganz hat die Katze es nicht mit dem Geld. Es gibt aber auch so viel anzuschaffen, und die kleine Gesellschaft muss ja auch mit Pudding, Hafergrütze und was man sonst noch so zum Leben braucht, versorgt werden. So wird der wutentbrannte Maulwisch das ein ums andere Mal vertröstet, bis er resigniert. Die Katze wohne ihm schließlich schon das Haus, in dem er eine schreckliche Kindheit verbrachte, glücklich mit ihrer kleinen Familie.


    Aber das ist ja nicht alles, was passiert. Es gibt eine Schatzsuche, Wanderrhabarber, Naturforscher und eine Portion Seemansgarn, lauter kleine Abenteuer, die bisweilen ähnlich sonderlich sind wie die Einwohner von "Haus Katze", wie es kurzerhand getauft wurde.
    Und es ist gut, dass es das Haus gibt, denn all diese Einwohner würden an einem anderen Ort ihr Glück vermutlich nicht finden in ihrer sonderliche Art. Das sind auch die Grundgedanken, die im Verhalten der Katze deutlich werden und auch in der Erzählstimme zustimmend durchbrechen, sie zeugen von freien Entfaltungsmöglichkeiten, Individualismus und in reduzierter Form auch von Anarchismus - richten sich doch einige Spitzen gegen Maulwisch, den Großindustriellen und die Bürger des Städtchens.


    Zu weit geht das Buch nicht dabei, die Anklänge an Anarchismus sind zwar vorhanden, aber überwiegen nicht. Viel wichtiger sind die Botschaft, dass es nichts ausmacht, ein klein wenig sonderlich zu sein und zum Beispiel alte Glühbirnen zu sammeln. Etwas versteckt finden sich auch einige, wenige moralische Anmerkungen - wie zum Beispiel in der Geschichte, in der verschenkt wird, was einem nicht gehört - aber all diese Botschaften sind so eingebunden in die Geschichte, die sonderbaren Personen, dass sie wie selbstverständlich wirken und keinesfalls einem erhobenen Zeigefinger gleichkommen.


    Sprachlich den Charakteren angemessen, also ein wenig sonderbar, aber immer mit Respekt für sämtliche Personen, ist das Buch doch etwas schlicht geschrieben. Simon & Desi Ruge (ein Pseudonym übrigens) haben in der "Katze mit Hut" und ihren Kommentaren dennoch einen ganz eigenen, unverkennbaren Stil, den man sofort als Erzählstimme im Ohr hat. Leicht amüsiert und ironisch geleiten sie gut durch die Geschichte und sorgen immer wieder für ein kleines Schmunzeln. Begleitet wird das alles durch die ebenfalls sehr gerlungen Bleistift-Illustrationen von Helga Gebert.


    Ich bin froh, dass ich mir die Bücher ertauscht habe und bedaure umso mehr, dass sie vergriffen sind. Von manchen wird ihr Kultstatus zugeschrieben, für mich gehört sie zu meiner Kindheit, diese Geschichte, die sich dann irgendwann ereignen wird. Gleich nach Pfingsten. Und so lange ist es bis dahin ja nicht mehr hin.


    9/10 Punkten


    :wave bartimaeus

    Zitat

    Original von Steena


    Ich war grad stöbern, die englische Ausgabe habe ich tatsächlich auch schon bei Hugendubel gesehen! Und länger in der Hand gehabt, aber vor allem, weil es optisch den Büchern von Vikram Chandra ähnelt und ich deshalb neugierig war.


    Das ist doch ganz einfach. Man muss sich nur in sämtliche Verlagsnewsletter, die man nur auftun kann, eintragen :grin Ich bin auch zuerst auf die englische Ausgabe gestoßen (um die ich schon seit Monaten rumschleiche), ich weiß nicht, ob das auch durch nen Newsletter war :gruebel


    Das Cover ist schuld :cry

    Kennt dieses Buch schon jemand? Ich schleiche schon seit Ewigkeiten drum herum.


    Die linke Hand - Hannah Tinti


    Zitat

    amazon.de
    New England im 19. Jahrhundert: Der Waisenjunge Ren ist überglücklich, als plötzlich ein junger Mann in seinem Heim auftaucht, der behauptet, sein Bruder zu sein. Der Fremde nimmt ihn mit und entführt ihn in eine abenteuerliche Welt von Gaunern, Trickdieben und Grabräubern.


    Ren, ein zwölfjähriger Junge, ist in St. Anthony's aufgewachsen, einem kirchlichen Waisenhaus für Arme in New England, wo er als Säugling »abgegeben« wurde. Seit seiner Kindheit fehlt ihm die linke Hand. Er weiß nicht, was mit ihm passiert ist, auch nicht, woher er kommt oder wer seine Eltern sind. Als plötzlich Benjamin Nab auftaucht, ein junger Mann, der behauptet, sein Bruder zu sein, tut sich für Ren eine neue Welt auf. Benjamin führt Ren in seine Bande von Gaunern und Trickdieben ein, die auch als »Körperjäger« arbeiten: Sie stehlen nachts frisch beerdigte Leichen vom Friedhof und verkaufen sie zu medizinischen Forschungszwecken an Krankenhäuser. Trotz seines schlechten Gewissens findet Ren Gefallen an diesem freien Vagabundenleben, er lernt neue Freunde kennen, darunter einen Mörder und einen Zwerg, zieht mit seinen Gefährten über Farmland, durch Küstenstädte und erste Fabriksiedlungen, stets auf der Flucht. Doch ist Benjamin wirklich der, als der er sich ausgibt? Oder ist er einfach nur ein begnadeter Schwindler? Allmählich ahnt Ren, dass sein neuer Freund mehr über seine eigene Vergangenheit weiß, als er zugibt ...


    :wave bartimaeus

    Das Mädchen auf dem Seil
    Heiko Wolz, 2008

    addita; ISBN: 978-3939481096


    Nachdem schon Heiko Wolz' Roman "Spinnerkind" einen sehr positiven Eindruck bei mir hinterlassen hatte, habe ich im Januar dieses Jahres und jetzt gleich noch einmal (eigentlich wollte ich ja nur kurz meine Erinnerung für die Rezension auffrischen, aber das Buch zog mich sofort wieder in seinen Bann) "Das Mädchen auf dem Seil" verschlungen.


    Obwohl sich die 140 groß bedruckten Seiten schnell weglesen lassen, gelingt es Wolz wieder, eine kleine skurrile Welt vor den Augen des Lesers entstehen zu lassen: Der Zirkus Koschwitz lädt zur Vorstellung ins Nachkriegsberlin der 20er Jahre.
    Doch was soll man erwarten? Der Zirkus ist genauso heruntergekommen, wie alles um ihn herum. Der alte Herr Gruber mit seinem in die Jahre gekommenem Zirkusbären weiß ein Lied davon zu singen, und Direktor Koschwitz, dem sein lächerlicher roter Frack eine zweite Haut geworden ist, träumt von alter Glorie, die er mit der frisch engagierten Lona Rosenzweig zurück holen will. Wie so viele Gestalten in dem Roman hängt er dem nach, wie es einmal war und lässt die Vergangenheit nicht los. Mutter Rosenzweig, eine ehemalige Seiltänzerin, die sich aus Verzweiflung und Frust die Gestalt eines Elefanten angefressen hat, mag ihre Tochter nicht erwachsen werden lassen und lässt sie deswegen in einer Kiste voller Regeln schlafen, die Icherzählerin Juli hat seit dem Tod ihrer Mutter nichts mehr in der Wohnung verrückt und Gruber hat mit vielem resigniert abgeschlossen. Ansonsten gehören zu dem kleinen Ensemble noch die Brüder Romanow, die kaum charakterisiert werden, aber sofort Bilder russischer Artisten heraufbeschwören, und Franz Großhaupt, der gerissene Leoparden-Dompteur, der sich in seiner Rolle im finsteren Winkel ganz gut gefällt.


    Lona ist da ganz anders. Von ihr stammt der Ausspruch "Wir sind jung. Wer weiß, was das Leben uns noch bringt", der auf dem Klappentext zitiert wird. Sie ist der frische Wind, immer in Bewegung, immer ein kesses Wort auf den Lippen - und noch dazu ist sie eine begnadete Seiltänzerin, die munter auf Wäscheleinen balanciert. Wären da nicht die Momente, in denen sie ins Rudern kommt, wo ihre Fassade bröckelt und ihr Lachen hysterische Züge annimmt, die immer dann auftreten, wenn es um ihre Familie und die Kiste geht ... Sie ist wie ein eingesperrte Vogel, der nicht anders kann, als auszubrechen, der aber doch reuig wieder zur schikanierend Mutter zurückkehrt, weil er noch nicht komplett flügge geworden ist.
    Denn wie Juli, die von Direktor Koschwitz als gleichaltrige Freundin für den neuen Star engagiert wurde, ist sie gefangen im Prozess des Bewusst- und Erwachsenwerdens. Sie kann sich nicht lösen, zerbricht beinahe an den zerrütteten Verhältnissen und kompensiert das alles durch ein Übermaß an Munterkeit.


    Man kann sie nicht einfach vor seinen Karren spannen, auch wenn Koschwitz das versucht. Lona hat ihren eigenen Kopf, ihre eigene unberechenbare Art - und das ist es auch, was Juli so sehr an ihr fasziniert und ihre freundschaftlichen Gefühle zu etwas Stärkerem wachsen lässt. Lona begeistert die Menschen. Und enttäuscht sie in ihrer Sprunghaftigkeit und ihrer Abkehr vom Kindsein. Aber kann man ihr, der so viel widerfahren ist, böse sein?


    Nein. Denn dazu sind die Figuren viel zu liebenswert gezeichnet. Mit ausdrucksstarken Vergleichen, knappen eindringlichen Worten und Respekt für ihre Eigenheiten kreiert Wolz glaubwürdige und durchaus vielschichtige Charaktere. Die kurzen klaren Sätze lassen viel Raum für Ungeschriebenes, sprechen bittere Wahrheiten und in den Figuren Verborgenes nicht immer aus - doch was Heiko Wolz skizziert, ist nicht unvollständig.


    Er fängt einzelne Momente, Szenen ein, die vielen nahegehenden, verzweifelten Momente aber auch die skurril-komischen Die Beeinflussung durch den Film, von der er auf seiner Homepage spricht, wird deutlich - man hat die einzelnen Szenen wunderbar vor Augen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich die Skurrilitäten, die er schildert, nicht infrage stellen mag. Sein kleines Universum mit all seinen Bruchstellen und der doch vorhandenen Lebensfreude gehorcht einfach manchmal ein wenig anderen Regeln. Manchmal hätte ich mir dennoch ein wenig mehr gewünscht, das Buch ist einfach zu schnell ausgelesen.


    Stilistisch hat Wolz sich von "Spinnerkind" weiterentwickelt. Die Sätze klingen runder und von den Wiederholungen die mir in "Spinnerkind" ein wenig zu plakativ und unnütz vorkamen, hat er sich größtenteils verabschiedet. Seiner Skurrilität und der Schwebe zwischen Komik,Tragik und Hoffnung, in der auch schon Spinnerkind hing, bleibt er treu. Und nur im zirkustauglichen Finale schießt er in seinem szenischen Schreiben leider etwas über das Ziel hinaus: Es gerät doch etwas sehr tumultartig und ist zu effektheischend. So ganz angemessen ist es der Geschichte, die so rücksichtsvoll leise die einzelnen Figuren und ihre Macken betrachtet, nicht. Wie gut, dass es nicht das Ende ist.


    Nicht ganz das Ende des Buches, das mich lächelnd zurückließ - und nicht das Ende der atmosphärisch und inhaltlich zueinander passenden Reihe, die Heiko Wolz mit einem dritten Band abschließen möchte. Leider hat der Kleinverlag addita, bei dem "Spinnerkind" und "Das Mädchen auf dem Seil" erschienen sind, aus dem Geschäft verabschiedet - wer sie sich zu Gemüte führen möchte, sollte also bald zugreifen.
    Für die Verlagssuche für das dritte Buch drücke ich die Daumen und hoffe, dass der neue Verlag den Unterschied zwischen Apostroph und Gravis kennen möge. :grin Kaufen würde ich das Buch aber so oder so.


    8/10 Punkten


    :wave bartimaeus

    Zitat

    Original von Bott
    Wie auch im vorherigen Band bildet dieser Roman keine eigenständige Geschichte, sondern ist lediglich eine weitere Ausschlachtung der Handlung um Charlie Bone. [...] Und wieder drängt sich dem Leser der Gedanke auf: "Oh Graus, ein weiterer Band wird folgen." Sollte nicht nach dem fünften Band das Ende erriecht gewesen sein? Besser wäre es gewesen. Dieser Charlie Bone Band ist nichtssagend, birgt nichts Neues an Ideen oder handlungstechnischen Wendungen. Kalter Kaffee wird aufgewärmt, stehen gelassen und kühlt wieder ab. Das ist der Spannungsbogen!


    Das Gefühl hatte ich schon beim dritten Band. (Bis zum 5. habe ich noch durchgehalten, wenn ich mir die Bücher auch nur noch geliehen habe). Ich hab das Gefühl, dass da eine wirklich nette Serie immer und immer weiter aufgebläht wird :rolleyes


    Ich hatte in letzter Zeit mit dem Gedanken gespielt doch noch mal, in die Bücher zu schauen, ich werde es wohl lassen...

    Englisch- und Französischsprachige Bücher lese ich gerne in der Originalsprache, wenn es sich einrichten lässt. An einem spanischen bin ich in einer Leserunde aus Zeitmangel gescheitert, da gehe ich aber bald noch mal dran.


    Ich finde, dass (fast immer, denn ich hab schon eine Ausnahme gefundne) die Bücher in der Originalsprache besser wirken, in der Übersetzung geht häufig etwas verloren, da es nicht mehr nur der Autor ist, der spricht.

    Zitat

    Original von Lena J.
    Lustig, ich habe das genau anders empfunden. Für mich ist Femke ein gehorsames naives Mädchen, das überwiegend seinem Herzen folgt. Sie ist gerade nicht die starke Frau, die sich locker behauptet, sondern sie ist oft unsicher und auch hilflos, tut aber, was sie in dem Moment glaubt tun zu müssen.


    Hmmm :gruebel Ich weiß nicht, das gehorsam naiv ist sie auch, aber nur zu Teilen. Sonst würde sie wohl nicht völlig "ungehorsam" auf die Reise gehen... Sie hat ein recht starkes Bewusstsein und auch Berechnung gegenüber Deval entwickelt, sie hat da zu Teilen begriffen (auch weil sie verletzt wurde), wie die Welt funktioniert. Aber dann kommt wieder ein Schub Naivität, der das alles über den Haufen wirft und für mich nicht so ganz ins Bild passen mag.


    Das Problem ist für mich auch, dass sie mit ihrer Hilflosigkeit problemlos durchkommt, immer wird ihr geholfen. Richtig schmerzvolle Erfahrungen muss sie nicht machen (bis auf den Tod des Meisters Delius, den sie recht schnell verkraftet), egal was auch passiert.


    Zitat

    Vielleicht spielen da meine eigenen Erfahrungen hinein ...Ich habe als junges Mädel vollkommen gefühlsgesteuert Hals über Kopf Dinge getan, über die ich erst im Nachhinein nachgedacht habe. Naiv also. Aber wie heißt es so schön: Das Glück ist mit die Dummen! Könnte sein, dass Menschen, die nicht nachdenken sondern ihrem Herzen folgen wirklich mehr Glück als Verstand haben. Bei mir ist es jedenfalls auch immer gut gegangen.


    Das man damit gut fahren kann mag aber dann auch damit zusammenhängen, dass wir heute keine Kriege und Hungersnöte (in Deutschland) haben. Femkes Verhalten finde ich da schon ein wenig gefährlicher...

    Meine Abschlussmeinugn hier kommt noch ein wenig nachgeplätschert. :-)


    Für mich waren es auch ein wenig zu viel der Zufälle und glücklichen Fügungen. Das Wiederfinden der Familie kam ein wenig überraschend, aber gut, das hätte ich hinnehmen können, die Rettung durch den jungen Delius zusätzlich und wie leicht sie an Bernsteine kommt... :gruebel Und dann die Auflösung mit Johannes, wo sich alles in Wohlgefallen auflöst, naja. Deval ist auch komplett aus dem Blickfeld verschwunden, von der angespannten Kriegslage merkt man auch nur am Rande was... Ein wenig zu fröhlich ist mir da das Ende, auch da ausgeblendet wird, wie ihr Kind dann wirklich aufgenommen wird.


    Was sie an Johannes findet, erschließt sich mir immer noch nicht, der blieb mir viel zu blass für die große Liebe...


    Alles in allem hat mich das Buch aber gut unterhalten, wenn ich es auch fand, dass es das Schicksal ein wenig zu gut meinte. Auch wenn ich Femkes Naivität und Glück ein wenig nervig fand, war sie als Person sehr schön gezeichnet und sympathisch. Wie auch die anderen, wenn mir auch negative Seiten an den Figuren fehlten. Bis auf Deval gab es ja niemanden, der als Person negativ auftrat, oder? Und selbst der wurde relativiert durch den Spruch, dass auch die Soldaten den Krieg nicht mögen... :gruebel


    Die Landschaft fand ich sehr schön beschrieben, ich hatte direkt Seebilder vor Augen, dazu passte auch die Sprache schön, die für mich leicht hanseatisch klang. Keine Ahnung, warum :-) Das Buch war auf jeden Fall schön atmosphärisch :-)


    Danke für die Leserunde!


    :Wave barti