Ich hatte mich erst ein bisschen gesträubt, dieses Buch zu lesen, weil ich dachte, das wäre eher ein "Jungs-Buch", mit dem ich nicht so viel anfangen könnte, und weil mir das Milleu nicht gerade sympathisch ist. Toms Beiträge im Eulenwettbewerb haben mich dann aber einfach zu neugierig gemacht. 
Das Titelbild ist schonmal klasse, das fand auch die Buchhändlerin bei Osiander, die mir das Buch bestellt hatte. Der Werbetext auf der Rückseite hätte mich allerdings unter normalen Umständen vom Kauf abgehalten, da ich "rasend komische Romane über die Liebe und junge Helden" generell weiträumig umfahre. Und dann noch der neue Nick Hornby – kann man sich als Autor eigentlich gegen solche Verleumdungen wehren? 
Aber der Titel macht dann doch neugierig. Und, ja, ich weiß, don't judge a book by its cover...
Also angefangen. Und dann habe ich das Buch viel schneller gelesen, als ich eigentlich wollte, das spricht für die Spannung des Romans.
Der Stil gefällt mir, ich kenne ein paar semigescheiterte Existenzen aus dem Berliner Kiez (allerdings eher Prenzlberger und Mittis als Neuköllner), und ja, die Berliner Schnauze passt und die Sprüche auch.
Ich habe laut gelacht bei Formulierungen wie:
- "Die Mortadellascheibe hatte sich vollständig eingerollt, wahrscheinlich aus Einsamkeit." (wohinter ich natürlich sofort eine metaphorische Ebene vermute
).oder der "schleimige Frischkäse, der auf einem Unterteller gegen das Dogma seines Namens ankämpfte".
- "Fuck Busch. Wie nennt man Leute, die mit Pflanzen Sex haben?" – Das ist mal eine wirklich gute Frage...
- "Bleich dich, Ei" – herrlich!
- Die Beerdigungskrawatte mit der Aufschrift "Into the great wide open" – grandios!
- Die "Scheiß-Sonne" gefällt mir, und dass die Leute "in Mobiltelefone" "schwätzten" (und nicht etwa schwatzten – überhaupt eine schöne Szene, das).
Ich freue mich immer, wenn ich solche sprachlichen Perlen in einem Text entdecke, und in diesem entdecke ich eine ganze Menge davon.
Dass der Kater nicht Miau sagt, sondern "Määrg" hat mr sehr gefallen, überhaupt ist Kumpelli für mich eine der am besten getroffenen Figuren im Buch, sehr plastisch beschrieben, ohne ihn zu sehr zu vermenschlichen. (Katergefühle sind im Vergleich zu denen von Frauen ja auch relativ einfach zu dechiffrieren.
)
Es gibt schöne Metaphern.
- Die Erinnerung an die losen Enden der Paketschnur in der Szene mit Andrea, die die "Bindungsangst" als Verlustangst entlarven.
- Die Welt der Gefühle des Protagonisten als Buchstabensuppe: ein Durcheinander undeutbarer Zeichen (die am Ende geordnet und richtig gelesen werden).. Schön in diesem Zusammenhang auch die Erweiterung der Metapher: "Ist doch alles eine Suppe,", sagte ich. "Scheiß-Osten!" - unbekanntes Terrain (oder Terrine
).
- Das Taxifahren als Spiegel für die Unverbindlichkeit Henrys sozialer und sexueller Beziehungen.
Und vieles mehr.
Harrys Beerdigung ist wirklich eine klasse Szene. (Und ein schöner Kontrast zu Henrys Gefühlskälte bei der ersten Beerdigungsszene.)
Ich muss gestehen, ich habe geheult wie ein Schlosshund. Das mag daran liegen, dass ich vor Kurzem einen Freund verloren habe, auch so ein superlieber Mensch, der immer für andere da war und über seine eigene Krankheit nie reden mochte...
Das Ende der Beerdigungsszene fällt dagegen für mich leider etwas ab. Zum einen mag ich es nicht, wenn der Autor mir das, was er vorher so virtuos gezeigt hat, noch einmal explizit erklärt. Zum anderen bezieht Henry sich im letzten Teil seiner Rede wieder selbstmitleidig auf sich, was mich daran zweifeln lässt, ob er wirklich was gelernt hat.
Henrys Wahrnehungsstörung (ich will das mal nicht dem Autor in die Schuhe schieben
) macht die Figuren (außer Harry, der für mich die glaubwürdigsten und "rundesten" Figur des Buches) zu recht eindimensionalen "Typen".
Bei Gonzo beispielsweise wird 3mal in 3 verschiedenen Szenen beschrieben, dass er mit Frauen nix anfangen kann. Mehrmals wird beschrieben, wie er mit Elektronikteilen herumbastelt. Die Einkaufsszene ist ziemlich genial. Aber sonst erfährt man so gut wie nichts über ihn. Walter und Andrea bleiben noch blasser. Auch bei der Beschreibung der Umgebung hätte ich mir (besonders für die Leser, die Neukölln nicht kennen) detailiertere Beschreibungen gewünscht.
Ich stelle es mir als Autor schwierig vor, einen Roman aus der Ich-Perspektive eines solchen Gefühlsanalphabeten mit sehr eingeschränktem Sichtfeld.zu schreiben. Ein kluger guter Beobachter als Erzähler wäre da sicher einfacher zu händeln gewesen. Aber in der eigenwilligen Perspektive liegt, wenn ich so länger drüber nachdenke, wahrscheinlich sogar der Hauptreiz des Buches... 
Das Ende ist mir dann allerdings ein wenig zu happy. Oder, vielleicht besser, wie soll ich sagen, zu moralisch korrekt. Henry ist geläutert und seine emotionalen Probleme haben sich offenbar ebenso in Luft aufgelöst wie Andreas Trauma und die beiden Ex-Mitbewohner. Das geht mir ein bisschen zu glatt und schnell.
(Und ob es für einen trockenen Alkoholiker so eine gute Idee ist, zur Feier des Tages ein Bier zu trinken? :rolleyes)
Sorry, das Ende ist mir ein bisschen zu einfach gestrickt, ebenso, wie es mir zu einfach erscheint, die spätere Arschlöchrigkeit mit einer "schweren Kindheit" zu entschuldigen. (Das kann ich übrigens auch im RL nicht leiden.
)
Ich hoffe, Tom, du nimmst mir die Kritik nicht übel.
Ich habe das Buch wirklich gern gelesen und freue mich schon auf dein nächstes!
Habe mir gestern übrigens tatsächlich eine Packung Askiesuppe gekauft (Tom, du solltest dir den Namen schützen lassen und dich von Maggi sponsorn lassen! Lebenslang Buchstabensuppe umsonst oder so...
)