Für mich hat die Geschichte grob zwei Stränge: Clément und seine Familie einerseits und parallel dazu Ghislain und die Oberschicht inklusive Widersacher. Diese Handlungsstränge kreuzen sich innerhalb des Buches immer wieder, verflechten sich aber kaum.
Der Ghislain-Strang setzt in diesem Leseabschnitt für mein Empfinden neu an. Ich frage mich, ob er vielleicht sogar komplett ohne das Vorwissen aus den anderen Leseabschnitten funktioniert hätte: Ein scheinbarer Landstreicher (Ghislain) wird von einem sadistischen Adligen (Donatien) in den Wald gebracht, um dort erhängt zu werden, dann für ihn selbst überraschend befreit und erfährt anschließend über seine Abstammung ... Aber dann wären uns die vielen interessanten Szenen zuvor entgangen.
Mir gefällt das neue Personal gut. Das gilt sowohl für Donatiens Schergen mit dem Riesen und dem einäugigen Bogenschützen als auch für den treuen Kämpen Renaud aus Ghislains Lager. Bei letzterem mag ich, dass er wie ein "echter Krieger" handelt, nicht wie ein verklärter Märchenritter, als er den Feind seiner Herrin gnadenlos umbringt. Er scheint sogar Gefallen an der Furcht seines Feindes zu finden.
Etwas schade finde ich, dass Donatien, Alissende und die anderen "üblen Typen" nur Randfiguren sind. Ich finde sie interessant und hätte gern mehr aus ihrer Sicht gelesen, zum Beispiel auch, wie Donatien und Alissende zueinander stehen. Da haben sich ja zwei Sadisten gefunden. Terrorisieren sie nun mit vereinten Kräften ihre Umgebung, oder machen sie sich lieber gegenseitig das Leben zur Hölle?
Im anderen Strang fällt mir auf, dass die Kinder wieder "Clément" und "Edwige" denken statt "Mama" und "Papa". Schade.
Auch hier gibt es viele starke Szenen. Die Eltern mit der kranken Margaux etwa - beide reagieren ganz unterschiedlich, dennoch sind beide Positionen verständlich. Hier zeigt die Autorin ihr Können, indem sie ein und die gleiche Szene aus zwei Blickwinkeln verdeutlicht.
Wenn ich mich an Lises Geschichte erinnere, meine ich, dass es immer nur Frauen sind, die sie wegen ihrer Schwangerschaft schlecht behandeln. Die Männer scheinen das lockerer zu sehen. Überhaupt kommt für mein Empfinden Clément sehr gut weg - er ist der große Sympathieträger in dem Buch. Deswegen erzeugt es auch Spannung, dass ausgerechnet ihm das Ende seiner Karriere droht, als am Schluss des Leseabschnitts die Verwundung seiner Hand beschrieben wird.
Lise hat mit der Geburt ihres Kindes und mit ihrem Selbstmord noch einmal ausgesprochen starke Szenen, danach wird der komplette Erzählfaden inklusive Kind gekappt. Okay, warum nicht? Die Figur wurde wohl ausgereizt und genug offene Fragen für die verbleibenden zwei Leseabschnitte gibt es allemal.
ZitatOriginal von ottifanta
Das Tempo der Erzählung zieht deutlich an.
Eine interessante Wahrnehmung, für mich hat es sich umgekehrt angefühlt, als ein eher ruhiger Leseabschnitt. Das liegt wohl auch an dem Eindruck, dass hier in vielen Aspekten neu angesetzt wurde.