Teddy
von Inkslinger
Wann taucht der Typ endlich auf?
Seit einer geschlagenen Stunde sitze ich mir hier den Hintern platt. Man könnte meinen, er wäre der Rockstar, nicht ich.
Viele denken, das Leben als Rockstar ist aufregend. 24/7 Ruhm, Glamour, Groupies und Musik. Doch die meiste Zeit wartet man. Auf seine Bandkollegen, dass der Tourbous irgendwo ankommt oder der Gig endlich anfängt und die Leute dir zu jubeln können. Und auf verkackte Leute, die dich mit Fragen löchern wollen, aber nicht einmal die Uhr lesen können!
Meistens macht mir das nichts aus, aber heute weckt es Mordgelüste in mir.
Endlich höre ich die erlösenden Worte. “Mr Bradfield?”
Ich schaue hoch. Neben mir steht ein untersetzter Mann mittleren Alters.
“Wer die Eier hat, mich solange warten zu lassen, darf mich James nennen.”
“Okay, James. Sagen Sie Brian zu mir.”
Brian pflanzt seinen breiten Hintern in den Sessel gegenüber. Sein Anzug knistert wie Butterbrotpapier. “Wie geht es Ihnen?”
Ist das sein Ernst? “Was denken Sie denn, Brian?”
“Na gut, überspringen wir den Smalltalk.”
„Sehr gerne. Stellen Sie Ihre Fragen.”
Brian holt einen Notizblock aus seiner Brusttasche und liest in aller Seelenruhe.
Ich wappne mich innerlich gegen die erste Frage, werde aber trotzdem überrascht.
“Können Sie bitte die Sonnenbrille abnehmen?”
Wortlos folge ich seiner Bitte. Ich will nur, dass das alles endlich vorbei ist.
Brian grinst. “Besser. Erzählen Sie mir von sich.”
“Da gibt’s nicht viel zu sagen. Ich komme aus einem Kaff in Wales. Bergbauhochburg. Ist in den 80ern ziemlich vor die Hunde gekommen. Das kennt man ja.”
“Die eiserne Lady hat ihre Spuren hinterlassen.”
“Deswegen haben wir die Band gegründet. Um dem scheiß System den Kampf anzusagen.”
“Ziemlich viel Punk für eine Rockband.”
“Wir sind ein Genre für sich, Brian. Wir scheren uns nicht um Labels. Jede neue Musikgeneration muss das Erbe der vorherigen zerstören. Das haben wir getan.“
“Wann haben Sie gemerkt, dass es aus dem Ruder läuft?”
Ich schlucke. “Vor ein paar Monaten… Teddy war schon immer hart an der Grenze, hat sie aber nie überschritten.”
“Teddy?”
“Ja, so haben wir ihn schon in der Schule genannt.”
“Was ist passiert?”
“Wir haben unsere neuen Songs in Thailand promotet. Bei einem Konzert hat Teddy sich das Hemd runtergerissen und allen seine Brust gezeigt. Er hatte sich mit einem Messer übel zugerichtet. Alles hing in Fetzen und wurde nur von Zigarettenbrandnarben zusammengehalten.”
“Wie haben die Fans reagiert?”
“Ich weiß nicht. Ich habe nur auf Teddy geachtet. Er hat alle aufgefordert, sich für ihn die Arme aufzuschneiden. Sie sollten seinen Schmerz und Welthass teilen. Ich und die anderen haben das Set schnell zum Schluss gebracht und ihn von der Bühne geholt. Danach war er zehn Wochen in Therapie. Es ging ihm besser.”
“Sie bleiben also bei ihrer Aussage? Sie denken immer noch, dass er wieder auftaucht?”
Ich weiß nicht mehr, was ich denke. Seit zwei Wochen ist Teddy verschwunden, ohne Pass und Kreditkarten. Aber er hatte zuvor 2000 £ abgehoben. Damit kann er eine Weile auskommen.
Ich nicke langsam.
Brian klappt seinen Block zu und guckt mich lange an. “James, wir haben seinen Wagen gefunden. An der Severn Bridge.”
Ich schüttle energisch den Kopf. “Er hat sich immer gegen Selbstmord ausgesprochen... Das würde er nicht tun…”
“Es deutet alles darauf hin. Tut mir leid, James.”
Das ist jetzt 25 Jahre her.
Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass Teddy ein Mitglied im Klub 27 ist. Trotzdem zahlen wir immer noch seinen Anteil Tantiemen auf sein Konto ein, falls er je zurückkommen sollte.
Wir sehen uns jenseits von Cardiff, mein Freund.