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Frankfurt am Main, 1947. In den Trümmern der Stadt fahndet die junge Hannah Bloch, eine Überlebende der Aktion T4, im Auftrag der Amerikaner nach Kriegsverbrechern. Ihre Aufgabe führt sie nach England, wo sie dem Mörder ihres Geliebten auf die Spur kommt. Sie verfolgt ihn quer durch Europa. Auf ihrem Weg lernt sie den ehemaligen KZ-Häftling Pawel kennen, der nur einen Gedanken kennt: Rache. In ihm findet sie einen Gleichgesinnten, doch Pawel hütet ein dunkles Geheimnis. Sein Hass droht nicht nur ihn zu vergiften, sondern auch Hannah …
„Die Ungerächten“ - ist „ungerächt“ gleich „ungerecht“?
Mit „Die Ungerächten“ hat Volker Dützer seinen zweiten Roman
um Hannah Bloch geschrieben. Ich habe Hannahs Weg bereits in dem Buch „Die
Unwerten“ verfolgt, aber ich glaube, auch ohne Vorkenntnisse kann man gut in
die aktuelle Geschichte eintauchen, da ein ausführlicher Prolog alle wichtigen
Details beschreibt (aber Stopp: ich kann „Die Unwerten“ wirklich wärmstens
empfehlen – deshalb lieber damit anfangen!)
Entweder gibt es nicht viele Bücher, deren Handlung
unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg einsetzt – oder ich habe sie bisher kaum
entdeckt. Mich haben jedenfalls die detaillierten und z.T. unter die Haut
gehenden Beschreibungen des (schwierigen) täglichen Lebens in den zerbombten
Städten nach Kriegsende sehr berührt. Der Autor hat einen lebendigen und
bildhaften Schreibstil, so dass ich selbst den nagenden Hunger verspürt,
entsetzlich gefroren, ein Dach über den Kopf gesucht, mich auf dem Schwarzmarkt
umgesehen habe...
Hannah hat die Aktion T 4 überlebt und arbeitet nun eng mit
den Amerikanern zusammen, um weitere nationalsozialistischen Verbrechen
aufzuklären, denn es sind zwar die wichtigsten Persönlichkeiten durch die
Nürnberger Prozesse verurteilt worden, aber viele sind untergetaucht und/oder
haben andere Identitäten angenommen, um sich der Justiz zu entziehen... Aber
die Amerikaner wollen die weitere Strafverfolgung der deutschen
Staatsanwaltschaft überlassen... Hannah ist entsetzt, macht sich doch unter den
Deutschen der „Persilschein“ breit (vereinfacht: „Du sagst, ich war nie
Nationalsozialist, dann sage ich auch, dass Du keiner gewesen bist...“)
Ein weiterer Protagonist ist Pawel Kowna, dessen Schwester
und Vater im April 1945 in Sachsenhausen ermordet wurden, er hat seinem Vater
kurz vor dessen Tod versprochen, er werde für das Leid seiner Familie Rache an
den Deutschen nehmen. „Es fraß an ihm wie ein Geier, der seinen Schnabel in
ein Stück Aas hackt. Pawel fühlte sich schuldig. Warum hatte er als Einziger
die Verfolgung und Deportation, das Grauen der Lager und den Todesmarsch
überlebt?“ (S. 62, E-book). Pawel lebt immer stärker den
Selbstjustizgedanken, er geht sogar so weit, davon zu träumen, alle Bewohner
einer deutschen Kleinstadt durch vergiftetes Wasser zu ermorden.
Die Gedanken und Überlegungen von Hannah und Pawel werden
immer wieder in verschiedenen Sichtweisen herausgearbeitet und thematisiert,
uns Leser*innen werden quasi die verschiedenen Ansatzpunkte präsentiert: kann
es legitim sein, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen und einen
Nazi-Verbrecher zu ermorden, da anscheinend „die Deutschen“ (aus was für
Gründen auch immer) kein Interesse haben, die notwendigen Schritte einer
gesetzlichen Strafverfolgung in Gang zu setzen?
Mir war bisher nicht bekannt, dass auch die katholische
Kirche, Nationalsozialisten Unterschlupf gewährt hat und sogar sehr aktiv daran
beteiligt war, diesen Menschen über die sog. „Rattenlinien“ die Flucht z.B.
nach Südamerika zu ermöglichen.
Aber das Buch hat durchaus auch heitere Seiten, verkörpert
durch Hannahs Freundin Ruth. Ruth hat zwar auch heftige Schicksalsschläge
hinnehmen müssen, aber sie verfolgt das Ziel, das Leben einfach zu genießen.
Sie engagiert sich im großen Stil im Schwarzmarkt und durch sie werden wir
Zeugen des Kohle- und Kaffeekrieges. Bei diesen Szenen – sehr spannend
geschildert – musste ich mehrmals lächeln...
Volker Dützer hat seinem Buch ein Zitat von Mahatma Gandhi
vorangestellt: „Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein“, Ja,
das passt ausgezeichnet!
Die Frage vom Titel „Ist ungerächt gleich ungerecht?“ lasse
ich bewusst stehen, die kann / muss jeder für sich selbst beantworten!
Dieses Buch wird – genau wie „Die Unwerten“ - noch lange
nachhallen und ich bin sicher, dass mir dieses Buch präsent bleiben wird, ich
kann es deshalb bedingungslos weiterempfehlen – und ich bin sehr neugierig, wie
Hannahs Weg weiterhin verläuft...