Hallo magali,
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Original von magali
Ich muß das doch noch mal hocholen, weil ein paar Dinge nicht stehenbleiben können.
Heike
Das auf Gott gegründete Königtum anzuschaffen, mag ein Ziel der Revolutionäre 1789 gewesen sein, die Kirche und deren Einfluß abgeschafft haben sie damit nicht. Noch haben sie 'Religion' abgeschafft, Deine Beispiele beweisen nur, daß eine durch die andere ersetzt wurde. Jeder Machthaber schafft sich die Religion, die zu ihm paßt.
Ich habe ja auch nie behauptet, dass sie die Religion abgeschafft haben
Eher im Gegenteil: die Französische Revolution hat gezeigt, dass ein Staat à la Rousseau auf der Basis der Vernuft auch nicht funktionieren kann und das eine (die eine Religion) das andere (die andere Religion) lediglich ersetzt. Von daher ist deine Aussage, wir bewegen uns bei einer Diskussion, in der es um Glauben ohne Beweis geht, auf einem Vor-Aufklärungslevel, m.E. falsch. Die Aufklärung hat heftig am Glauben gerüttelt, ihn abzuschaffen ist ihr nicht gelungen, wohl aber eine gewisse innere Distanz zu Glaubendingen aufzubauen. Von daher befinden wir uns nicht vor der Aufklärung, wenn wir sagen, dass wir glauben, sondern durchaus in der säkularisierten, aufgeklärten Welt des 21. Jh. Die Aufklärung hat vor allem dafür gesorgt, dass wir uns selbst entscheiden können, ob wir glauben, und dass unser gesellschaftlich-politisches System nicht länger an "gottgewollt" und "von Gottes Gnaden gekoppelt" ist.
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Napoleons Kaisertum war gleichfalls eine Form von Religion, und die vertrauite, katholische Kirche war dabei, bedenke die Krönung im Beisein des Papstes.
Eingeführt wurde Staatsreligion wieder 1814 mit Rückkehr der Bourbonen und sie blieb, bis zum Loi Waldeck-Rousseau 1903. Es mag Erschütterungen im Gebäude gegeben haben, es gab Ziviltrauung, aber das kirchliche Leben mit all seinen Riten und Glaubensüberzeugungen blieb erhalten.
Das ist doch der Punkt.
Vollkommen richtig. Aber der sakrale Aspekt des Königtums ist mit Louis XVI. auf dem Schafott zugrunde gegangen, und das ist der Punkt, den ich betonen möchte. Keine ABSCHAFFUNG der Religion, sondern eine UMDEUTUNG ihrer Rolle innerhalb von Staat und Gesellschaft.
Oder ist für dich alles, was mit Kirc he zu tun, vor-aufklärerisch? 
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Friedrich II. von Preußen ist ein heikler Fall, sein Verhältnis zur Religion ist de facto unerforscht. Trennung von Kirche und Staat gab es natürlich nicht.
Klar konnte jeder nach seiner Fasson selig werden, laut preußischer Staatsideologie. Vieles an Preußen ist Legende.
Er blieb, wie die Könige vor ihm und alle nach ihm, oberster Bischof in seinem Land (das Summepiskopat), de facto hatten die preußischen Könige mehr Rechte über ihre Kirche als die französischen. Kirchliches Leben spielte eine wichtige Rolle, keiner konnte sich seine/ihren Glauben 'aussuchen'. Vor allem konnte sich keie/r aussuchen, nicht zu glauben.
Aber darum geht es doch gar nicht, sondern um das Selbstverständnis der herrschenden Schicht. Und das war im aufgeklärten Absolutismus Preußens ein vollkommen anderes als im Ancien Régime Frankreichs.
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Auch heute ist Kirche und Glaube bei weitem nicht so einfach zu handhaben. Viele sagen: ich trete nicht aus, die Kirche könnte mal eine Arbeitgebnerin werden. Ist das Wahlfreiheit?
Ja. Wenn man nicht zu den Idealen des Arbeitgebers steht, muss man nicht bei ihm arbeiten. Und wenn man mit Arbeitslosigkeit und Notwendigkeiten argumentiert und über diesen Weg die Kirche in Frage stellt, dann wird es - mit Verlaub gesagt - zur Heuchlerei. 
Wenn du oder ich einen Betrieb hätten und gewissen Wert darauf legten, dass Werte, die uns wichtig sind (zumutbare Werte!), in diesem Betrieb vertreten werden, würden wir doch auch Leute einstellen, die bereit sind, diese Werte mit zu tragen. Wem das nicht passt, der kann sich doch auch anderswo bewerben. Bei den Kirchen ist das doch nicht anders. Die unterhalten ihre Schulen, Krankenhäuser etc. und wollen dort ein bestimmtes Leitbild vermitteln. Dabei halte ich es für absolut nachvollziehbar, dass sie Leute einstellen, die sich zu diesem Leitbild bekennen.
Außerdem ist es ja nicht so, dass die Kirchen unseren Arbeitsmarkt dominieren
Es gibt also genug Ausweichmöglichkeiten für Atheisten und Agnostiker, die sich mit einem christlichen Leitbild und Kruzifixen in den Klassenzimmern nicht anfreunden können.
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Und wie soll man sich zur Landeskirche Brandenburg oder berlin äußern, die 'rückständige' Kirchsteuer von DDR-Bürgern einfordert?.
Der Alltag ist da viel komplizierter in Glaubensdingen.
Ich habe jetzt keine Ahnung, was du mit Brandenburg und Berlin meinst, aber wenn man mit der Kirche und mit Kirchensteuer nichts zu tun haben will, kann man jederzeit austreten. Wo ist das Problem? Das ist heute problemlos und ohne Ächtung etc. möglich - anders als im 18. Jahrhundert 
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Und hier kommen wir zu meinem beklagten weiblichen Pragmatismus. Ja, Tom, ich meinte das natürlich konkret. Denn die Frage: glaube ich an ein übernatürliches Etwas oder nicht, hat keine Bedeutung, wenn daraus nicht folgt, daß an diesem Wesen ein bestimmtes System hängt, nach dem ich mich richte.
Das System hängt nur dran, wenn du es willst. Heutzutage kannst du dich problemlos von dem System verabschieden.
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Stoße ich auf jemanden, die/der glaubt und äußere Zwiefel, wird von mir umgehend verlangt, zu beweisen, daß es Gott nicht gibt.
Zugleich 'beweist' mit die/der Glaubende, daß es ihn doch gibt. Warum? Weil ich nicht beweisen kann, daß es ihn nicht gibt.
Also soll ich glauben, weil es nicht bewiesen werden kann, daß nicht...??
Ich bin verwirrt.
Wenn sich das auf obrige Diskussion bezieht - nein, du SOLLST nicht glauben. Du kannst glauben, wenn du willst. Es ist nicht bewiesen, dass es keinen Gott gibt, aber auch nicht, dass es einen gibt.
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Warum kann man nicht einfach glauben? Genau dieses 'kindlich sein' an den Tag legen? Sich ergeben? Es gibt eine ganze Religion, die 'Ergebung' heißt. der vielgescholtene Islam.
Ergebung, Annehmen, etwas Höheres akzeptieren mu0 ofenbar damit zu tun haben.
Gebe dir voll und ganz recht.
Das ist aber nicht nur Islam-spezifisch. Im Prinzip berührt es jede Art von Religion.
Viele Grüße 
Heike