Beiträge von Heike

    @ magali


    Zitat

    Original von magali
    Heike


    Iris hat gerade geklärt, was ich mit 'nicht bei der Aufklärung angekommen' meinte.


    OK :-)


    Zitat


    Daß die Aufklärung in Deutschland denkerisch stagnierte, war einfach eine Entwicklung. Vorgedacht wurde in Frankreich.


    Ja, aber das nicht erst seit 1740. Deshalb meine Frage.


    Zitat


    Ein Grund dafür, daß sich Friedrich II. mit französischen Philosophen beschäftigte, wenn er nicht grad Leute totschießen ließ.


    Na komm, sooo ein Unmensch war er auch wieder nicht. Und deutlich "zivilisierter" als sein Vater. :grin Der hat nur benutzt, was Papa aufgebaut hat :lache


    Zitat


    Interessant wäre übrigens mal die Frage nach seinem Verhältnis zu Kant.


    Das müsste man mal recherchieren. Ich weiß darüber leider nichts. Du??


    Zitat


    Friedrich und Diener seines Staates gehört auch zu den Preußen- Legenden.


    Dieses Selbstverständnis mit Zitat ist überliefert. Meinst du mit Legende die Umsetzung? Da ist natürlich die Frage, wie man den Diener versteht :grin


    Zitat


    Joseph II. verstand sich ganz genauso, hier entwickelt sich einfach ein neues Selbstverständnis der Herrscher von ihrem Amt. Man sieht es z.B. an der Kleidung, die 'Herrscherlichen' Prachtgewänder verschwinden aus der öffentlichen Darstellung, der Herrscher trägt militärische Uniform, die 'Dienstuniform' sozusagen.


    *Nicken*



    Zitat


    Natürlich ist 'sakral' nicht christlich, aber kein Herrscher in jener Zeit gab den Gedanken des Gebundenseins seines Amts an eine jenseitige Macht auf.


    Das Königsbild als von Gott eingesetzer Herrscher, was den Thron und die Person des Königs heiligt, existiert so nicht mehr. Vielleicht noch in den Köpfen der einfachen Leute, die, wie gesagt, von den Ideen der Aufklärung weniger berührt waren, und vielleicht noch bei dem einen oder anderen Monarchen im stillen Kämmerlein, wenn er sich seiner Position sicher fühlte, doch im Verständnis der Öffentlichkeit (vor allem Bildungsbürgertum) des 19. Jh. war ein König ein (unerlässliches) Staatsoberhaupt, aber keine sakrale Gestalt mehr. Ist auch wichtig für das Selbstverständnis eben jenen Bürgertums, das den Adel an Bedeutung überflügelt und für das Selbstbewusstsein des eigenen Standes keine gottgewollte Ordnung gebrauchen konnte. :grin
    Wobei manche Monarchen damit sicher noch ein Problem hatten. :grin Dem preußischen König passte es ja auch nicht, dass die Vertreter der Nationalversammlung in der Paulskirche mit der Kaiserkrone ankamen.
    Aber das allgemeine Verständnis hatte sich geändert.


    Zitat


    Es ging mir einfach um die Frage einer jenseitigen Macht, zu der man sich in Beziehung setzt, nicht um Interpretationen oder gar den Sinn und Zweck der sogenannten Aufklärung.


    Wir hätten uns im Prinzip die ganze Diskussion schenken können, wenn ich deinen Verweis auf "vor der Aufklärung" nicht missverstanden hätte :lache :knuddel1



    Viele Grüße :wave
    Heike

    @ magali


    Zitat

    Original von magali
    Heike


    mein Einwand, wir befinden uns in der Diskussion Vor der Aufklärung bezog sich genau auf den Diskussionsstand im Therad zu einem bestimmtenm Zeitpunkt.


    Und zu eben diesem Zeitpunkt hatte ich darauf geantwortet.
    Wenn ich dch missverstanden haben sollte - vielleicht erklärst du mir einfach mal, was du mit dieser Bemerkung meintest?


    Zitat


    Ansonsten war ich es, die von vornherein sagte, daß eine Form von 'Religion' stets nur die andere ersetzt.


    Stimme ich dir ja auch zu :grin


    Zitat


    Man muß auch mit der Aufklärung aufpassen. 'Aufgeklärter' Absolutismus ist ein Hilfsbegriff und bedeutet mitnichten, daß ein Herrscher plötzlich liberal wird. Noch es den Untertanen gestattet.


    Vorsicht! Liberal und Aufklärung nicht gleichsetzen! Jetzt verstehe ich auch, warum du mich nicht verstehst. Das sind zwei unterschiedliche Paar Stiefel (wenn das eine auch u.a. Vorausetzungen für das andere schafft).


    Zitat


    Es heißt, daß sich Herrscher langsam an die Stelle Gottes setzen.


    Kann man so sehen, wenn man den sakralen Aspekt rauslässt :grin Ist heute ja nicht anders.


    Zitat


    Deswegen glauben sie trotzdem an ihn und verlangen es auch von ihren Untertanen.


    Insgesamt beschreibst du damit den Zustand des Ancien Régime. "Ich bin Gott, bzw. von Gott in diese Position eingesetzt und außerdem der Staat" (Stil Louis XIV.) "Ich bin der erste DIENER des Staates" (der alte Fritz). Letzterer herrschte natürlich abosultistisch (wie gesagt, aufgeklärt und liberal ist nicht das Gleiche), aber er hatte ein vollkommen anderes Selbstverständnis als Fürst. Und damit auch nicht die Notwendigkeit eines sakralen Königtums.
    Abgesehen davon muss man berücksichtigen, auf welche Bevölkerungsschichten die Aufklärung überhaupt einen Einfluss hatte. Und da landen wir bei einigen Adligen und vor allem dem gehobenen Bürgertum (das bei der Französischen Revolution mit Ballhausschwur und Nationalversammlung den Anstoß zum Umbruch gab - nicht zur Abschaffung der Kirche!). Für die Bauern sah die ganze Sache wieder ganz anders aus, und Glaube war selbstverständlich, wurde nicht in Frage gestellt. Ob Ancien Régime, Aufgeklärter Absolutismus, Napoleon oder 2. Republik, der einfache Mann glaubte, was der Fürst vorgab oder was "man eben so glaubte" (noch heute sind viele Dörfer streng nach Konfessionen getrennt, und wehe, man erscheint nicht in der Messe :grin).


    Zitat


    Die 'Aufklärung' stockte im Deutschen Reich denkerisch noch dazu ab ca. 1740.


    Magst du das weiter erläutern?


    Zitat


    Preußen als Staat ist nicht 'aufgeklärt'. Es ist ein restriktives, autoritäres Staatsgebilde von hoher Aggressivität.


    Das widerspricht dem aufgeklärten Absolutismus nicht (die Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses - getreu nach den Ideen Rousseaus - war auch restriktiv, autorirtär und äußerst aggressiv und brutal).
    Es widerspricht einem "liberalen" Staat - aber der Liberalismus mit seinen Forderungen entwickelt sich erst in Folge der Französischen Revolution und damit einige Jahrzehnte nach Friedrich II. Und von liberaler Seite wurden Staaten, die restriktiv und autoritär waren, heftig kritisiert.


    Zitat


    zu sakral: natürlich sahen sich die Herrscher in Frankreich auch nach 1814 als christlich - sakral.


    Upps :yikes.
    Christlich darf man doch nicht mit sakral gleichsetzen ! :wow :wow



    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hallo magali,


    Zitat

    Original von magali
    Ich muß das doch noch mal hocholen, weil ein paar Dinge nicht stehenbleiben können.


    Heike


    Das auf Gott gegründete Königtum anzuschaffen, mag ein Ziel der Revolutionäre 1789 gewesen sein, die Kirche und deren Einfluß abgeschafft haben sie damit nicht. Noch haben sie 'Religion' abgeschafft, Deine Beispiele beweisen nur, daß eine durch die andere ersetzt wurde. Jeder Machthaber schafft sich die Religion, die zu ihm paßt.


    Ich habe ja auch nie behauptet, dass sie die Religion abgeschafft haben ;-) Eher im Gegenteil: die Französische Revolution hat gezeigt, dass ein Staat à la Rousseau auf der Basis der Vernuft auch nicht funktionieren kann und das eine (die eine Religion) das andere (die andere Religion) lediglich ersetzt. Von daher ist deine Aussage, wir bewegen uns bei einer Diskussion, in der es um Glauben ohne Beweis geht, auf einem Vor-Aufklärungslevel, m.E. falsch. Die Aufklärung hat heftig am Glauben gerüttelt, ihn abzuschaffen ist ihr nicht gelungen, wohl aber eine gewisse innere Distanz zu Glaubendingen aufzubauen. Von daher befinden wir uns nicht vor der Aufklärung, wenn wir sagen, dass wir glauben, sondern durchaus in der säkularisierten, aufgeklärten Welt des 21. Jh. Die Aufklärung hat vor allem dafür gesorgt, dass wir uns selbst entscheiden können, ob wir glauben, und dass unser gesellschaftlich-politisches System nicht länger an "gottgewollt" und "von Gottes Gnaden gekoppelt" ist.


    Zitat


    Napoleons Kaisertum war gleichfalls eine Form von Religion, und die vertrauite, katholische Kirche war dabei, bedenke die Krönung im Beisein des Papstes.
    Eingeführt wurde Staatsreligion wieder 1814 mit Rückkehr der Bourbonen und sie blieb, bis zum Loi Waldeck-Rousseau 1903. Es mag Erschütterungen im Gebäude gegeben haben, es gab Ziviltrauung, aber das kirchliche Leben mit all seinen Riten und Glaubensüberzeugungen blieb erhalten.
    Das ist doch der Punkt.


    Vollkommen richtig. Aber der sakrale Aspekt des Königtums ist mit Louis XVI. auf dem Schafott zugrunde gegangen, und das ist der Punkt, den ich betonen möchte. Keine ABSCHAFFUNG der Religion, sondern eine UMDEUTUNG ihrer Rolle innerhalb von Staat und Gesellschaft.


    Oder ist für dich alles, was mit Kirc he zu tun, vor-aufklärerisch? :wow


    Zitat


    Friedrich II. von Preußen ist ein heikler Fall, sein Verhältnis zur Religion ist de facto unerforscht. Trennung von Kirche und Staat gab es natürlich nicht.
    Klar konnte jeder nach seiner Fasson selig werden, laut preußischer Staatsideologie. Vieles an Preußen ist Legende.
    Er blieb, wie die Könige vor ihm und alle nach ihm, oberster Bischof in seinem Land (das Summepiskopat), de facto hatten die preußischen Könige mehr Rechte über ihre Kirche als die französischen. Kirchliches Leben spielte eine wichtige Rolle, keiner konnte sich seine/ihren Glauben 'aussuchen'. Vor allem konnte sich keie/r aussuchen, nicht zu glauben.


    Aber darum geht es doch gar nicht, sondern um das Selbstverständnis der herrschenden Schicht. Und das war im aufgeklärten Absolutismus Preußens ein vollkommen anderes als im Ancien Régime Frankreichs.


    Zitat


    Auch heute ist Kirche und Glaube bei weitem nicht so einfach zu handhaben. Viele sagen: ich trete nicht aus, die Kirche könnte mal eine Arbeitgebnerin werden. Ist das Wahlfreiheit?


    Ja. Wenn man nicht zu den Idealen des Arbeitgebers steht, muss man nicht bei ihm arbeiten. Und wenn man mit Arbeitslosigkeit und Notwendigkeiten argumentiert und über diesen Weg die Kirche in Frage stellt, dann wird es - mit Verlaub gesagt - zur Heuchlerei. :-(
    Wenn du oder ich einen Betrieb hätten und gewissen Wert darauf legten, dass Werte, die uns wichtig sind (zumutbare Werte!), in diesem Betrieb vertreten werden, würden wir doch auch Leute einstellen, die bereit sind, diese Werte mit zu tragen. Wem das nicht passt, der kann sich doch auch anderswo bewerben. Bei den Kirchen ist das doch nicht anders. Die unterhalten ihre Schulen, Krankenhäuser etc. und wollen dort ein bestimmtes Leitbild vermitteln. Dabei halte ich es für absolut nachvollziehbar, dass sie Leute einstellen, die sich zu diesem Leitbild bekennen.
    Außerdem ist es ja nicht so, dass die Kirchen unseren Arbeitsmarkt dominieren :grin Es gibt also genug Ausweichmöglichkeiten für Atheisten und Agnostiker, die sich mit einem christlichen Leitbild und Kruzifixen in den Klassenzimmern nicht anfreunden können.


    Zitat


    Und wie soll man sich zur Landeskirche Brandenburg oder berlin äußern, die 'rückständige' Kirchsteuer von DDR-Bürgern einfordert?.
    Der Alltag ist da viel komplizierter in Glaubensdingen.


    Ich habe jetzt keine Ahnung, was du mit Brandenburg und Berlin meinst, aber wenn man mit der Kirche und mit Kirchensteuer nichts zu tun haben will, kann man jederzeit austreten. Wo ist das Problem? Das ist heute problemlos und ohne Ächtung etc. möglich - anders als im 18. Jahrhundert :grin


    Zitat


    Und hier kommen wir zu meinem beklagten weiblichen Pragmatismus. Ja, Tom, ich meinte das natürlich konkret. Denn die Frage: glaube ich an ein übernatürliches Etwas oder nicht, hat keine Bedeutung, wenn daraus nicht folgt, daß an diesem Wesen ein bestimmtes System hängt, nach dem ich mich richte.


    Das System hängt nur dran, wenn du es willst. Heutzutage kannst du dich problemlos von dem System verabschieden.



    Zitat


    Stoße ich auf jemanden, die/der glaubt und äußere Zwiefel, wird von mir umgehend verlangt, zu beweisen, daß es Gott nicht gibt.
    Zugleich 'beweist' mit die/der Glaubende, daß es ihn doch gibt. Warum? Weil ich nicht beweisen kann, daß es ihn nicht gibt.
    Also soll ich glauben, weil es nicht bewiesen werden kann, daß nicht...??
    Ich bin verwirrt.


    Wenn sich das auf obrige Diskussion bezieht - nein, du SOLLST nicht glauben. Du kannst glauben, wenn du willst. Es ist nicht bewiesen, dass es keinen Gott gibt, aber auch nicht, dass es einen gibt.


    Zitat


    Warum kann man nicht einfach glauben? Genau dieses 'kindlich sein' an den Tag legen? Sich ergeben? Es gibt eine ganze Religion, die 'Ergebung' heißt. der vielgescholtene Islam.
    Ergebung, Annehmen, etwas Höheres akzeptieren mu0 ofenbar damit zu tun haben.


    Gebe dir voll und ganz recht.
    Das ist aber nicht nur Islam-spezifisch. Im Prinzip berührt es jede Art von Religion.


    Viele Grüße :wave
    Heike

    PS: Abgesehen davon musst du fragen, welcher Christ sich dazu äußern soll. Nicht jeder Christ streitet anderen Religionen das Existenzrecht ab, weil sie "irren" und es keinen Gott neben Gott gibt (bei Islam und Judentum ist das ja einfach, da es sich um den gleichen Gott handelt :grin).


    Und wenn man sich die Bibel anschaut, steht dort ja nur "Du sollst keinen Gott neben mir haben". Das impliziert doch eigentlich die Möglichkeit, dass andere Götter als denkbar angenommen werden, aber nicht verehrt werden sollen.


    Folgt man dieser Auslegung, so kann man den Gott des Guru und den der Sekte als Gott annehmen, den man aber nicht verehrt und dessen Kult man moralisch und ethisch ablehnt, weil er Werte des Christentums verletzt.


    Geht man hingegen davon aus, dass es nur einen Gott gibt, so müssen Guru und Sekte zwangsläufig im Unrecht sein, per Dogma.


    Der friedliche Dialog mit Buddhismus etc. lässt mich jedoch annehmen, dass selbst der Vatikan etc. die Existenz anderer Religionen mit anderen Gottheiten akzeptiert.


    Folglich sind Guru und Sekte vor allem aufgrund der Verletzungh allgemeingültiger Werte im Unrecht.



    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hallo Tom,


    Zitat

    Original von Tom
    Vielleicht mal ein anderer Ansatz:
    (...)
    Nun weiß sogar ich abgehalfterter Laienprediger, daß das Christentum längst nicht die erste Religion war, die sich Menschen ausgedacht haben oder die zu den Menschen "kam". Der Begriff ist etymologisch nicht eindeutig geklärt, mein Kluge sagt, daß er dem lateinischen religio entlehnt ist, "gewissenhafte Berücksichtigung, Sorgfalt", womit die gewissenhafte Sorgfalt in der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften gemeint ist. Religionen sind ritualisierte Vorschriftensysteme.
    Religionen - vereinfacht: Welterklärungen - gab es zuvor schon, Volks- und Tierglauben, Religionen und Mythologien mit vielen Göttern, die alle noch in einigen Romanen und Sternbildern auftauchen. Aber die fünf Weltreligionen, allen voran das Christentum, gefolgt vom Islam, beides monotheistische Religionen mit großer inhaltlicher Ähnlichkeit, waren die ersten, die "Welterfolg" hatten, auch aufgrund einiger systematischer Eigenschaften, nicht zuletzt aber aufgrund ihrer Handlichkeit für die Regierenden.


    Handlich waren andere Religionen auch (man konnte gut mit Iuppiters Zorn drohen und auf die vom Blitz geteilte Eiche deuten :grin), aber das Christentum hatte dem Pantheon römischer+internationaler Gottheiten+Kaiserkult vor allem eine Sache voraus - die Jenseitsvorstellung mit Erlösung. Derartige Religionen fanden in der mittleren und späten Kaiserzeit viele Anhänger - und wenn sich der Mithras-Kult nicht ausschließlich an Männer (vor allem Soldaten) gerichtet hätte, wäre unser Symbol heute vielleicht nicht das Kreuz, sondern Mithras mit dem Stier. :grin


    Zitat


    Nun zurück zum Anfang: Was unterscheidet das Christentum von irgendeiner beliebigen Heilslehre, die ein Sektenführer aus Boise, Idaho vertritt? Warum hat der Mann - aus Sicht eines Christen - unrecht?


    Niemand kann mit gewissheit sagen, dass er Unrecht hat. Das Christentum hat auch als "Sekte" angefangen.
    Allerdings stoßen Sekten, die ethische und moralische Grundeinstellungen ihrer Umwelt verletzen, auf sehr profanen Widerstand. Schon die Römer (noch vollkommen unbeleckt vom Christentum) haben im 2. Jh. v.Chr. eine größere Kampagne gegen die Ausweitung des Bacchanalien-Kults aufgezogen, weil dieser Kult mit den römischen Wertvorstellungen nicht vereinbar war und die res publica angeblich gefährdete. Ähnlich wird auch heute noch reagiert, wenn ein wirrer Guru die U-Bahn von Tokio vergast oder eine amerikanische Sekte mit Mann und Maus Suizid begehen will.
    Ob die religiösen Überzeugungen des Gas-Gurus oder der Suizid-Kandidaten falsch sind oder nicht, kann man mit dem Problem des Gottesbeweises, bzw. der Frage nach dem "einzigen" Gott m.E. nicht beantworten. Aus Sicht eines Christen ist es Unrecht, weil elemantare Elemente des christlichen Glaubens verletzt werden. Aus atheistischer Sicht ist es ebenfalls Unrecht, weil auch weltliche Wert- und Moralvorstellungen mit Füßen getreten werden (man vergast keine 1000 Menschen in der U-Bahn oder tötet kleine Kinder :fetch).


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hiho,


    Zitat

    Original von magali
    Heike


    Christliche Religion als geistiger Luxus? Auch mal eine Idee.
    Warum nicht, pickt sich ja eh jede und jeder raus, was ihnen selber so paßt.


    Ich sehe das weniger von der theologischen oder philosophischen Seite, sondern von der historischen. Letztendlich ist die Aufklärung nichts anderes als eine Reaktion auf die politischen und gesellschaftlichen Umstände: absolutistische Herrschaft, als gottgegeben legitimiert, dazu eine Gesellschaft, die man ebenfalls auf Gottes Fügung zurückführte, und einen einflussreichen Klerus, der eng mit der Herrschaft verknüpft war (z.B. Frankreich ab ca. 1780 nur Adlige als Bischöfe etc.).
    Der alte Fritz hat reagiert, indem er die Ideen der Aufklärung zu den seinen gemacht hat und den aufgeklärten Absolutismus in Preußen eingeführt hat. Religion bedeutet ihm nichts, er hat sie toleriert, aber Kirche und Königtum standen unabhängig voneinander.
    In Frankreich hingegen kommt es zur Revolution, die den Absolutismus mit seiner göttlichen Legitimation stürzt und zur Säkularisierung der Kirchengüter führt. Das war ein Teil des Umsturzes, der wichtig war, weil man nur eine konstitutionelle Monarchie (Vorhaben in der ersten Phase der Revolution) einrichten konnte, wenn die Verbindung Königtum-Kirche gebrochen wurde. Dazu war eine rigorose Abkehr vom "Glauben" notwendig, da die Kirche sonst nicht ins politische Abseits gedrängt werden konnte (Aufstände in ländlichen Gebieten in den folgenden Jahren gegen die Revolution zeigen, dass das nicht einfach war durchzusetzen).
    Radikalen Kräften geht das nicht weit genug, sie fordern einen Staat nach Rousseaus Ideal und setzen eine wirre Vernunfts-Religion an die Stelle der Kirche, um das alte System mit seiner Wurzel Kirche endgültig auszulöschen - alles Gedanken der Aufklärung, die unter Robespierre ad absurdum (oder zur endgültigen Entfaltung??) geführt werden. Wer sich der Revolution verweigert, landet auf dem Schafott.
    Die "Herrschaft der Vernuft" dauert bekanntermaßen nicht lange an, aber das System des durch Gott legimitierten absolutistischen Königtums hat sich erledigt. Zwar werden die Ideen von Leuten wie Hegel weitergetrieben, aber die Grundgedanken der Aufklärung, bzw. ihre Folgen - Menschenrechte, Forderungen nach Parlamenten und Verfassungen, Empirie als Ideal der Wissenschaft etc. - haben sich längst etabliert und führen zu einer Welle von (nationalen und liberalen) Revolutionen in der ersten Hälfte des 19. Jhs.
    Eine so radikale Abwendung von der Religion wie zur Französischen Revolution ist nicht mehr notwendig - man kann Glauben und Gedanken der Aufklärung miteinander verbinden, schließlich fordern die Grundgedanken der Aufklärung in erster Linie, die Vernuft als Maß alles Dinge anzusetzen, und das kann man mit einem Glauben an Gott, der distanzierter ist als der des Bürgers/ Bauers des 16. Jhs., problemlos verbinden.


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hiho magali,


    Zitat

    Original von magali
    Hier im Thread allerdings sind wir immer noch nicht mal bei der Aufklärung angekommen.


    Falsch. Wir habe die Aufklärung nur in ihrer extremen Ausprägung hinter uns gelassen, weil wir ihrer (der extremen Ausprägung) gesellschaftlich und politisch nicht mehr bedürfen, sondern uns Glauben leisten können, ohne das damit ein bestimmtes politisch-gesellschaftliches System verknüpft ist (zwar machten einige Kanzler Anstalten, den Absolutismus wieder aufleben zu lassen, aber das mit "von Gottes Gnaden" ist zum Glück weit genug unten in der Klamottenkiste :lache).


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Zitat

    Original von Heike
    Hiho,


    mein Freund leidet gerade auch ganz furchtbar. Ich habe ihm den Thread gezeigt, und nun schreibt er ein Gedicht auf seinen Schnupfen :grin
    Ich poste es, sobald es fertig ist :lache


    Viele Grüße :wave
    Heike *ebenfalls verschnupft*



    Und da ist's: :grin


    Ich sitze auch hier
    und lamentier
    ob meiner Nase
    stets wohlauf, das war se
    nun triefend bis nachts um halb vier.



    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hallo Tom,


    Zitat

    Original von Tom
    Aber ich werde nicht müde, diese Frage zu stellen, weil mich die Antwort wirklich interessiert: Warum glaubt ihr?


    Pelican hat m.E. schon sehr zutreffend darauf geantwortet, weshalb du auf diese Frage in diesem Spiel keine Antwort erhalten wirst, die dich befriedigt.
    Was micn persönlich angeht - ich weiß nicht einmal, ob ich glaube oder nicht. Das habe ich noch nicht rausgefunden, und ich werde es sicher nicht davon abhängig machen, ob ich Gott beweisen kann oder nicht. Ist doch ein dämliches Unterfangen, das Unvorstellbare beweisen zu wollen, solange vom Vorstellbaren kaum 10% erfasst sind (Verweis auf eine Neuroanatomie-Vorlesung vor einigen Jahren, zum Stand der wissenschaftlichen Erforschung des Hirns :grin).
    Aber ich habe immer wieder Menschen kennengelernt, die glauben (in letzter Zeit häufiger, da ich an einer katholischen Stiftsschule arbeite), und die ich manchmal darum geradezu beneide. Eine Begegnung ist mir dabei im Gedächtnis haften geblieben. Es war vor vier Jahren, als ich aus heiterem Himmel krampfend umgekippt bin und anschließend eine Woche Krankenhausfolter durchstehen musste (mehrere Tage hungern, dazu alle zwei Stunden Blutabnahme, auch nachts, Schlafentzug etc.). Es war eine Woche, in der ich nahe daran war, Bomben zu werfen und das World Trade Center zu besteigen, um mich herunter zu stürzen. Es handelte sich um ein katholisches Krankenhaus, so dass an einem der schlimmeren Tage eine Nonne vorbei kam. Am liebsten hätte ich ihr noch in der Tür zugebrüllt, sie solle verschwinden, aber so viel Höflichkeit bekam ich noch zusammen, dass ich nicht ganz aus der Rolle fiel. Zum Glück, muss ich im Nachhinein sagen, denn wenn ich eine moralisierende Betschwester erwartet hatte, wurde ich angenehm überrascht. Die Frau (Mitte Siebzig) sprühte vor Lebensfreude und Optimismus. Wir unterhielten uns nicht über Gott, sondern sie erzählte mir und meinem Besuch von ihrer Arbeit im Krankenhaus und ihrem Leben als Nonne, und ruhte dabei mit einer solchen Gelassenheit und Selbstverständlichkeit in sich, dass man sie nur ansehen musste um zu erkennen, dass sie bei Gott ihren Frieden gefunden hatte und die innere Ruhe und Zufriedenheit, die sie aus ihrem Glauben zog, an die Kranken weitergeben konnte (die Karte mit der selbstfotographierten Seerose, die sie mir zum Abschied schenkte, habe ich leider beim letzten Umzug verloren).
    Ich glaube nicht, dass sie dir eine Antwort auf deine Frage hätte geben können, aber ich bin mir sicher, dass eine solche Antwort für sie ohnehin irrelevant gewesen wäre.


    Viele Grüße :wave
    Heike


    PS: Du kannst "infantil" meinetwegen so gemeint haben wie du willst, der peiorative Unterton schwingt mit. Es wirkt herabsetzend oder, schlimmer noch, abschätzig.
    Aber du hast dich ja bereits dafür entschuldigt, daher will ich das Thema damit auf sich beruhen lassen. :-)

    Zitat

    Original von Nudelsuppe
    Auch von Einstein:


    Je weiter die spirituelle Evolution der Menschheit fortschreitet, desto sicherer scheint mir, daß der Weg zu wahrer Religion nicht in der Angst vor dem Leben, in der Angst vor dem Tod oder in blindem Vertrauen liegt, sonderm im Streben nach rationalem Wissen.


    Schönes Zitat :-]

    Zitat

    Original von Seestern
    Sorry, ich bin zwar nicht Tom, aber auf welche Naturwissenschaftler beziehst Du Dich, Pelican?


    Einstein, p.e.


    "Durch die Mathematik weiss ich, dass es Gott gibt, aber mit der Mathematik kann ich Gott nicht finden. Ich glaube an einen Gott, der sich durch die Harmonie alles Bestehenden geoffen bart hat."


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hi Pelican,


    Zitat

    Original von Pelican
    @ Tom



    Wie erklärst Du Dir, daß etliche Naturwissenschaftler, insbesondere solche, die sich mit der Erforschung der Entstehung der Welt befassen, an ein göttliches Wesen glauben, das die Welt erschaffen hat? Hältst Du die auch für infantil?


    Da er die ganze Zeit mit zunehmenden Eloquenz jeden, der an Gott glaubt, als "einfach" und "infantil" bezeichnet, nehme ich an, dass er auch bei besagten Naturwissenschaftlern keine Ausnahme macht. :rolleyes


    As se möcht, wie der Ostfriese sagt (denen übrigens auch nachgesagt wird, schlichen Gemüts (infantil?) zu sein). In meiner pubertären Sturm-und-Drang-Phase (mit 14-15 Jahren) hätte ich Tom vermutlich uneingeschränkt recht gegeben; heute sehe ich die Dinge etwas differenzierter, setze ein, zwei rolleyes-Smilies :rolleyes und denke mir zu dem Rest meinen Teil :grin


    Schönen Abend noch :wave
    Heike




    EDIT: Tippfehler

    Hiho,


    Zitat

    Original von Tom
    Und ihre Fassungslosigkeit, wenn sie sich treu glaubenden (gläubigen) Menschen gegenübersehen. Kein gläubiger Mensch, den ich persönlich kenne, und ich kenne einige gläubige Menschen, kann seine Auffassung auf irgendetwas Faßbares, auf "Fakten" oder für Nichtgläubige verstehbare Ursachen zurückführen, von echten Gottesbegegnungen will ich garnicht erst reden. Sie glauben einfach.


    Ist das denn schlimm? Wo ist das Problem, Menschen, die sagen, dass sie glauben, mit Toleranz zu begegnen, solange sie nicht versuchen, dich zu bekehren oder ihren Glauben absolut zu setzen? Muss denn alles beweisbar sein? Oder vielmehr - ist denn alles beweisbar? Gerade aus dem wissenschaftlichen Bereich - Medizin etc. - gibt es doch immer wieder Dinge, die man wissenschaftlich nicht fassen kann. Und vieles, was wir heute als Wahrheit annehmen, wird in hundert Jahren vielleicht als Irrtum entlarvt, weil es nicht mehr als eine Theorie ist, mit der wir versuchen, die Natur in Gesetze zu fassen. Was wissen wir also sicher? Woher nehmen wir die Gewissheit, dass unsere Welt tatsächlich so ist, wie wir sie zu erklären versuchen? Warum also fordern, dass Glauben erklärbar sein muss? Lass die Menschen doch glauben, wo die Erklärungen aufhören. Es geht ja nicht darum, dass sich Glauben, Auto und Toaster widersprechen. Niemand (außer fundamentalistischen Christen in den USA, die ich hier einmal ausnehmen möchte) wird seinen Glauben über die Gesetze der Physik stellen. Warum auch? Das hieße mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen und Tatsachen zu ignorieren, was religiöse Gläubigkeit nicht zwangsläufig einfordert (bis auf ein paar Irre, die dies zur Doktrin machen :wow). Glauben und Wissenschaft müssen sich nicht widersprechen, vielmehr beginnt Glauben dort, wo die Erklärungen aufhören. Das war immer schon so, nur sind unsere Grenzen durch den rasanten Wissenszuwachs viel weiter hinausgeschoben als das vor tausend Jahren der Fall war.
    Natürlich ist die Existenz einer wie auch immer gearteten Gottheit nicht zu beweisen - aber es gibt auch nichts, was das Gegenteil beweist. Und wir nehmen doch auch nicht an, dass alles, was wir nicht beweisen können, nicht existiert? Dazu gibt es doch noch viel zu viele weiße Flecken auf der Wissenschaftslandkarte :grin.


    Abgesehen davon erfüllt Glauben (gleich welcher Art) eine wichtige soziale Funktion - Trost und Zuversicht, aber auch Gemeinschaft. [SIZE=7](Und wird gefährlich, wenn er zu politischen Zwecken missbraucht wird.)[/SIZE]



    Viele Grüße :wave
    Heike


    *weder tief gläubig noch Agnostikerin, aber für Toleranz in beide Richtungen eintretend*

    Zitat

    Original von Oryx
    Iris : Sie hat Griechisch gesagt - nicht Altgriechisch. Und ich habe ja auch nur gesagt, dass ich es nicht kann. Was ist daran so komisch? :help


    Ähmm, ich dachte, wenn ich schreibe, dass ich Altphilologin bin und dann von Griechisch spreche, klar ist, dass es sich nur um die Sprache Platons und Aristoteles' handeln kann :wow
    Ja, so sind se eben, die Altphilologen, kommen nicht auf die Idee, dass es ja noch ein anderes Griechisch geben könnte :brain :lache :lache


    Viele Grüße :wave
    Heike



    PS: Zum eigentlichen Thema - ich sage von mir selbst, dass ich christlich (diaspora-katholisch) sozialisiert bin. Christentum, vor allem aber christliche Werte gehören für mich unverrückbar zu dem Wesen unserer westlichen Kultur. Kirche ist für mich eine zwiespätige Sache, auf der einen Seite wichtig, weil verbindend, und eine funktionierende Gemeindearbeit ist eine gute Sache. Auf der anderen Seite umfasst die Kirche die ganze Welt, d.h. Menschen und Kulturen, in denen das Selbstverständnis der Kirche und der Gläubigen anders läuft als bei uns, und nicht alle Dogmen, die alte Männer im Vatikan für wichtig halten und die in Südamerika und Afrika, meinetwegen auch in streng katholischen Gebieten Südeuropas geachtet werden, sind für mich als aufgeklärten Menschen des säkularisierten 21. Jahrhunderts verständlich und akzeptabel.
    Dennoch werde ich kirchlich heiraten, und ich würde auch meine Kinder taufen lassen - wie sie selbst zur Kirche und zum Christentum stehen, können sie später selbst entscheiden, aber sie sollen erst kennenlernen, worüber sie sich später ein Urteil bilden.
    (Übrigens kenne ich es auch, dass ich mich dafür, dass ich Kirche und Glauben nicht mit Stumpf und Stil ablehne, rechtfertigen muss :pille)

    Zitat

    Original von Oryx
    Heike : Philologin? Welche Sprachen?


    ALTphilologin. D.h. Latein und (leider nur noch ein wenig :cry) Griechisch.
    Ich unterrichte jetzt Latein und Geschichte.


    Viele Grüße :wave#
    Heike

    Hiho, :wave


    Zitat

    Original von Oryx
    Heike : Danke für den Geschichtsunterricht, da bist Du sicher besser bewandert als ich, erst recht nicht hier im Büro, wo ich kein Nachschlagewerk zur Hand habe.


    Ich habe das Zeug (Klassische Philologie) acht Jahre lang studiert und bringe es jetzt meinen Schülern bei. Bin eben eine sich für antike Historiographie begeisternde Philologin :knuddel1


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Hiho,


    Zitat

    Original von Oryx
    Naja, dass die Römer die Christen den Löwen vorwarfen, wissen wir ja.


    Sagen wir lieber, wir kennen die Kolportagen, die dies behaupten, nebst schöner Bilder, die Hollywood hervorgebracht hat :grin


    Zitat


    Die haben wohlweisslich die Gefahr, die von den Leuten für die römische Religion ausging, erkannt gehabt.


    Ich bezweiflte sehr stark, dass zu Neros Zeiten jemand an so etwas gedacht hat. Diese These ist m.E. anachronistisch. Es ging eher um einen Sündenbock, und was bietet sich dazu besser an als einen Haufen religiöser Fanatiker, deren Eingottglauben ohnehin suspekt ist (war bei den Juden ja nicht anders) und über die man sich allerlei seltsame Dinge erzählt. Da gibt es sehr interessante Quellen bezüglich heidnischer Vorurteile gegenüber den Christen ("die backen Kinder in Brotlaibe und essen sie" :grin).
    Auch später ist das Hauptproblem mit den Christen die fehlende Bereitschaft, sich auf den Kaiserkult einzulassen - ein Element, das das riesige Reich verbunden hat und auf dessen Einhaltung daher sehr viel Wert gelegt wurde.


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    Es ist aber nicht bekannt, ob dieser Christus und Jesus eine Person waren oder ob sich da nicht auch andere Heilsbringer oder Legenden, die es in der Zeit und auch vorher schon aufgrund des hellenischen Ursprungs vermischt haben. Deswegen hatte ich auch Achilles genannt gehabt, ich hätte aber auch Herkules nennen können. Im Nahen Osten wurde Göttlichkeit immer mit übermenschlichen Fähigkeiten in Zusammenhang gebracht, da ist das Weinwunder sogar eine einfache Tat gewesen.
    Man muss sich mal diese Party vorstellen - unlimited supply of booze!


    Ob man die Wunder skeptisch betrachtet oder Jesus als Person in Frage stellt, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Über die Wunder wissen wir nicht mehr als die Evangelien und ähnliche (christliche) Schriften überliefern.
    Zu der Person Jesus haben wir oben zitierte Stelle bei Tacitus - und Tacitus gehört nicht zu den Historiographen, die bunt Mythisches und Historisches durcheinanderwerfen, vor allem nicht, wenn es um eine Angelegenheit geht, die zeitlich nicht allzu weit entfernt ist und daher zu Tacitus' Zeit noch gut dokumentiert. "Mythologisierte" Helden findet man in der Schilderung der römischen Frühzeit bei Livius - einen Romulus, eine Lucretia und ähnliche exempla virtutis - als "Geschichte" einer Zeit, über die man kaum etwas wusste, aber selbst der gute Geschichtenerzähler Livius wird sehr genau (wenn auch moralisierend), je näher es an seine eigene Zeit geht und je genauer die Geschichte "dokumentiert" ist. Für Tacitus gilt das um so mehr. Man darf sich das nicht vorstellen, dass man im antiken Rom innerhalb von einem halben Jahrhundert einen "Halbgott" erschaffen kann, weil sich niemand mehr an die tatsächlichen Ereignisse erinnert. Das war gut dokumentiert, womöglich bekannt, auf jeden Fall aber gab es Leute, die mit der Sache "damals in Judaea" zu tun gehabt hatten. Gut möglich, dass Tacitus sogar Söhne und Enkel des Pontius Pilatus kannte, oder Freunde dieser Familie.
    Abgesehen davon gibt Tacitus gewöhnlich auch widersprüchliche Quellen an, d.h. wenn hier zur Diskussion gestanden hätte, ob Jesus gelebt hat oder ob es sich um eine innerhalb weniger Jahre entstandene wirre Religionsgemeinschaft um einen aus dem Boden geschossenen Halbgott mit Instantlegendenbildung gehandelt hat, hätte Tacitus diesen Widerspruch sehr wahrscheinlich angesprochen.
    Iris mag mir widersprechen, wenn sie die Quellenlage anders beurteilt; ich jedenfalls sehe nach aller Quellenkritik keinen Anlass an der Existenz eines "Christus" zu zweifeln, nach dem sich eine jüdische Sekte benennt. Mit den Wundern etc. ist das, wie gesagt, eine andere Sache :grin


    Viele Grüße :wave
    Heike