Kapitel V - Gesetze der Abänderung
Eine sehr wichtige Anmerkung macht Darwin hier direkt zu Beginn. In den voran gegangenen Kapiteln hätte er öfter den Begriff "Zufall" verwendet in Bezug auf Form und Ausmaße von Abänderungen... noch heute wird das ja gerne von Anti-Evolutionisten aufgegriffen und ins Lächerliche gezogen. Darwin selbst sagt hier, dass "Zufall" natürlich keine richtige Bezeichnung ist, sondern dies hier nur Ausdruck der Unkenntnis der Ursachen dieser Abänderungen ist (zum damaligen Zeitpunkt).
Er verfolgt eine Annahme, die besagt, dass Veränderlichkeiten von den Lebensbedingungen, in denen ein Organismus lebt abhängen und kommt zu dem auch aus heutiger Sicht richtigen Schluss, dass es eher so ist, dass in einer veränderlichen Umwelt einfach mehr Chancen für Varietäten existieren, sich durchzusetzen als in einer stabilen. Die Veränderlichkeiten haben seiner Ansicht nach unbekannte Ursachen, aber äußere Faktoren wie zum Beispiel das Klima können hier als natürliche Zuchtwahl ansetzen (selektieren) und bestimmen damit, welche Variationen erhalten bleiben.
Er erkennt, dass zum Beispiel flugunfähige Käfer auf Inseln ein Ergebnis der Auslese sein müssen, da Käfer die fliegen einer höheren Wahrscheinlichkeit unterliegen ins Meer geweht zu werden und zu verenden.
Aber in einem Beispiel von in Höhlen lebenden Tieren, deren Augen reduziert sind merkt er an, dass diese Reduktion wohl eher auf den Nichtgebrauch dieser Organe zurückzuführen sei, als auf Zuchtwahl, denn auch die unnützen Augen seien in diesem Fall ja kaum schädlich für die Organismen. Und seiner Theorie nach kann "natürliche Zuchtwahl nur zum und durch den Vorteil eines Lebewesens wirken".
Hier hängt er wohl dem Lamarck´schen Gedankengang an, was mich aber ehrlich gesagt ein bisschen verwundert, denn etwas später im selben Kapitel bringt er an einem anderen Beispiel selbst den vorteilhaften Hintergrund der Reduktion von unnützen Organen an. Hierzu bezieht er sich auf ein Zitat von Goethe, der erkannte: "Natur muss einerseits sparsam sein um andererseits geben zu können".
Man kann eine Kuh züchten, die entweder viel Milch gibt oder besonders fett wird, beides ist kaum möglich, da hier der Effekt der Kompensation eintritt. Die Zuchtwahl versucht in allen Teilen der Organisation zu sparen, so Darwin, um Nahrung nicht für nutzlose Strukturen zu verschwenden und damit wieder einen Vorteil für das Individuum zu erzielen, dass dann natürlich mit weniger Energie auskommt.
Mir ist nicht ganz klar, warum er dieses Grundprinzip wohl verstanden hat, es aber nicht auf die Höhlentiere und deren Augen anwenden konnte.
Dafür wird hier an dieser Stelle wieder sehr deutlich. Er hat Höhlentiere und deren Verwandtschaft aus Kentucky und Kärnten als Referenz benutzt um zu verdeutlichen, dass die Höhlentiere der beiden Höhlenwelten nicht näher miteinander verwandt sind, dafür aber mit den Tieren der umliegenden Gegenden. Für ihn ein weiterer deutlicher Beweis gegen den Schöpfungsakt, der diese seltsamen Verwandtschaftsverhältnisse nicht wirklich erklären kann... die Evolutionstheorie schon. Eine Schöpfung angenommen, wäre es wohl logischer, wenn alle Tiere, die in Höhlen leben, sich am ähnlichsten sind.
Ein Weiteres Thema, dass er hier anspricht, ist die Akklimatisation von Organismen an bestimmte Umweltbedingungen. Man kennt das heute, dass zB Insekten oder Amphibien einer Art, die kühler oder wärmer aufgezogen werden, dann auch dementsprechend resistenter gegen Kälte oder Wärme sind. Darwin erkannte diese Ansätze auch und meint, dass die Abgrenzung zwischen einer echten Varietät und einer einfachen Akklimatisation schwierig zu ziehen sind. Zum damaligen Zeitpunkt, mit der Unkenntnis von Genetik, ist das wohl tatsächlich schwierig gewesen... auch heute ist es nicht immer ganz einfach, aber es gibt bestimmte Experimente ("common garden", "reziproke Transplantation" usw) mit denen man diesen Unterschieden auf die Schliche kommen kann.
Generell erkennt Darwin in Bezug auf dieses Thema aber, dass Arten wohl stärker durch den Wettbewerb mit anderen Arten begrenzt werden als durch Anpassung an ein spezielles Klima. Als Beispiel führt er hier Mäuse und Ratten an, die vom Menschen in alle Welt verschleppt wurden und sich fast überall etablieren konnten. Er deutet sogar zögerlich an, dass es möglich wäre, dass Arten in der Natur nicht zwingend in ihrem Optimum leben müssen (relativiert diese Aussage aber wieder).
Wie schon weiter vorne im Buch kurz angerissen, geht er hier nochmal auf korrelative Verbindungen ein, bei der sich zwei Merkmale parallel vererben können... die Ursache sei, so betont er, aber unklar (heute zeigt die Vererbungslehre die Gründe auf). Er führt unter anderem wieder die Katzen an, bei deinen weiße, blauäugige Tiere oft taub sind, oder dreifarbige Katzen in der Regel weiblich.
Dieser Fakt ist sehr wichtig, denn er erklärt laut Darwin, wie sich Strukturunterschiede entwickeln können, ohne dem Organismus irgendwelche Vorteile zu bringen.
Eine weitere Tatsache, die er erkannt hat ist, dass abnorme Teile (im Bezug auf andere Arten der Gattung) veränderlicher sind als andere. Evolutionstheoretisch leicht zu erklären, da für eine so starke Abänderung natürlich im voraus eine hohe Variabilität des Organs gegeben sein muss, die weiter anhält.
Aus ähnlichem Grund sind Artmerkmale (also jüngst variierte Strukturen) variabler als bereits länger fixierte Gattungsmerkmale.
Er beschreibt Arten als kräftig ausgeprägte, fixierte Varietäten.
Wieder weist er sehr deutlich darauf hin, dass dieser Umstand mit der Schöpfungslehre nicht erklärbar sei.
Aber er wird noch deutlicher. In der Zucht ist bekannt, dass Bastartdisierungen zwischen zwei Rassen oft zu Rückschlägen zur Stammform führen. So ist das bei seinen heiß geliebten Tauben regelmäßig der Fall, dass besonders bei der Vermischung von Rassen Rückschläge auf die Merkmale von Felsentauben vorkommen.
Er hat eine ganze Reihe von Fällen gesammelt, wo Pferde und Esel Streifen an Beinen, Schulter oder sogar im Gesicht aufwiesen und schlussfolgert daraus, dass der Stammvater dieser Arten wohl solche Streifenmuster aufgewiesen haben muss.
Dies zu verkennen betitelt er ganz klar als "Herabwürdigung der Werke Gottes zu Trug und Täuschung".
Insgesamt hatte ich in diesem Kapitel das Gefühl, dass er nach einem noch recht seichten Einstieg immer deutlicher wird.
Eventuell sind diese Kapitel auch chronologisch später entstanden. Darwins Glauben erlischt ja erst entgültig mit dem Tod seiner Tochter, die Arbeiten an seinem Werk begannen aber schon früher.
Ich bin jetzt sehr gespannt auf das nächste Kapitel, wo er sich den Problemen seiner Theorie wittmen will. Mal schauen, was davon heute tatsächlich noch Probleme sind, und was vielleicht mittlerweile gelöst wurde.