Ich finde die im Deutschen nach wie vor praktizierte Trennung zwischen ernsthafter und Unterhaltungsliteratur ohnehin problematisch. Wer entscheidet, was als "anspruchsvolle" Literatur gelten darf und nach welchen Kriterien? Und wie ist es möglich, dass Literatur an Anspruch gewinnt, nur weil sie fünfzig oder hundert oder fünfhundert Jahre herumliegt?
Aber das ist ein anderes Thema.
Ich habe in meiner frühen Jugend vieles gelesen, was als "ernsthafte" oder "anspruchsvolle" Literatur gilt, vor allem in Ermangelung anderen Stoffs im elterlichen Bücherregal.
Heute lese ich ausgewiesenermaßen "anspruchsvolle" Literatur fast nur noch zu Recherchezwecken.
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass schwere Verständlichkeit kein Indiz für hohen Anspruch sein muss und auch nicht sein sollte. Ist ein Buch schwer lesbar, bedeutet das nicht automatisch, dass es inhaltlich besonders wertvoll ist - es kann auch heißen, dass der Autor sich entweder einer Sprache befleißigt, die aus einem anderen Jahrhundert stammt und dem heutigen Leser deshalb automatisch Verständnisschwierigkeiten aufbürdet, oder es bedeutet schlicht, dass seine Schreibe Mängel in Punkto Zugänglichkeit aufweist.
Die Unterhaltungsliteratur ist außerdem nicht einfach schwarz oder weiß. Harry Potter, das Eis und Feuer Epos oder Herr der Ringe gehören alle zur Fantasy und sind der Unterhaltungsliteratur zuzuordnen, sogar einem Bereich, der vor noch nicht allzulanger Zeit in Deutschland eher als Unterleib der Literatur gebranntmarkt war.
Sie markieren sehr unterschiedliche Level in Sachen Anspruch und Zugänglichkeit. Moderne Fantasy-Autoren wie George R. Martin oder Tad Williams schreiben mit großer Tiefe und hohem Anspruch, schaffen es aber trotzdem, ihre Werke in locker-leichter, gut zugänglicher Sprache und einem hohen Spannungsbogen auf den Markt zu bringen.
Und das gilt für viele andere Autoren und Sub-Genres genauso.
Ich habe irgendwann für mich entschieden, dass ich nicht genug Zeit habe, mich durch Bücher zu quälen, die irgendwelche Kritiker und Literaturgelehrte zu anspruchsvoller Literatur, wenn nicht gar Klassikern erhoben haben - die aber meinem Anspruch an den Unterhaltungswert eines Buches nicht gerecht werden und andererseits auch nicht so tiefgründige Erkenntnisse bergen, dass es das ausgleichen würde.
Ich glaube auch, dass sich die Lese- und Schreibgewohnheiten ändern.
Moderne Autoren schreiben oft rasanter, spannender und emotionaler, als man das bei den meisten Klassikern findet. Und einmal an diesen Stil gewöhnt, fällt es schwer, wieder einen Schritt zurückzugehen.
Zum Vergleich bemühe ich mal die Filmindustrie: Filme, die ich vor zwanzig Jahren spannend und visuell bahnbrechend fand, reißen mich heute nicht mehr so recht vom Hocker.
Moderne Filme arbeiten mit nahezu perfekten Spezialeffekten, intensiver und emotionaler Kameraführung, perfektem Licht, perfekten Farben ... alles fühlt sich intensiv, unmittelbar und dadurch eben sehr emotional an. Eine Actionsequenz wirkt real, weil die Schauspieler vorher ein halbes Jahr lang Kampftraining erhalten haben und ein Choreograph die Schlägerei entworfen hat.
Ein Film aus den Sechziger Jahren hat das alles nicht. Da sieht man, dass der Hintergrund auf Pappe gemalt ist und die Kostüme aus billigem Plastik, dass die Schauspieler in physisch anspruchsvollen Szenen reichlich hölzern wirken, weil sie sich nicht zu bewegen wissen. Den früheren Sehgewohnheiten geschuldet, wirken ältere Filme außerdem aus heutiger Sicht oft gekünstelt, die Dialoge überdramatisiert und deshalb unfreiwillig lächerlich, außerdem bilden sie Rollenverständnis ab, das heute überholt erscheint.
Da kann ein alter Film noch so sehr als Meisterwerk und Klassiker gelten - an den Unterhaltungswert eines modernen Films kommt mit wenigen Ausnahmen nicht heran.
Auch wenn der Filmvergleich an einigen Stellen hinken mag - an anderen ist er wahrscheinlich recht treffend.
LG, Andrea