Hallo in die Runde,
interessanter Thread (wenn auch teilweise etwas wirr :grin) - ich hab auch noch etwas Senf.
Um mal zum Ausgangsthema zurückzukommen - wieviel Anteil hat der Lektor an der Qualität eines Buches:
Ich glaube, darauf läßt sich keine pauschale Antwort geben. So wie es gute oder schlechte Autoren gibt (wobei 'schlecht' natürlich immer relativ zu sehen ist), gibt es auch gute und schlechte Lektoren und dazwischen alle Graustufen. Ein engagierter, sprachlich versierter und feinfühliger Lektor kann ein lieblos und eilig heruntergetipptes Manuskript sicher zu gewissem Glanz schleifen. Oder, völlig überarbeitet, nur rasch drüberfliegen und die offensichtlichsten Gurken anmerken.
Wirklich schlechte Manuskripte von Anfängern schaffen es in der Regel nicht bis an diesen Punkt, deshalb kann man den Fall 'Lektor schreibt grausiges Machwerk eines unbekannten Autors zu Meisterwerk um' getrost als nicht relevant zur Seite legen. Mir ist in der Tat nur ein einziger Fall aus dem Bekanntenkreis zu Ohren gekommen, bei dem eine Lektorin einmal gezwungen war, das Werk eines Autors zu überarbeiten, der mit einer höheren Instanz im Verlag verwandschaftlich oder sonst irgendwie verbandelt war. Es handelte sich um ein dreistes Herr der Ringe Plagiat mit sexuell sehr ausschweifenden Hobbits (wenn ich das recht verstanden habe). Sie schrieb es im Wesentlichen neu.
Aber das dürfte WIRKLICH die absolute Ausnahme sein.
Nicht ganz so unüblich und immer mal wieder überliefert ist die langjährige Zusammenarbeit eines Lektors mit seinem Star-Autor, der aus verschiedensten Gründen seine Manuskripte schlampig ausgearbeitet oder nur fragmentarisch abgibt und diese dann vom Lektor in Schuß gebracht werden. Wobei das aber in erster Linie Textarbeit sein dürfte. Wenn man als Autor zum Synonym für einen Bestseller geworden ist und einen Gutteil des Umsatzes für den Verlag produziert, bei dem man unter Vertrag ist, kann man sich das auch eher mal leisten.
Es gibt natürlich auch Negativbeispiele, bei denen eigentlich sehr gute Autoren mit wachsendem Erfolg Bücher am Fließband zu produzieren beginnen, bei denen die Qualität aber bitter leidet - und offenbar kein Lektor dieses Defizit auffängt.
Und nun noch ein Wort zu all diesen unentdeckten, talentierten Autoren da draussen, deren Bücher niemals das Licht der Welt erblicken werden:
Wie Steffi schon sagt - der Anteil der Schreibenden da draußen, die das Bedürfnis haben, ihr Werk einem Publikum vorzustellen, ist gigantisch. Viele von ihnen, wahrscheinlich die allermeisten, werden aus einem der folgenden Gründe scheitern (die alle schon weit vor der Hürde 'großen Verlag finden' angesiedelt sind):
Handwerkliche Mängel, weil vielen nicht bewußt ist, dass literarisches Schreiben ein Kunsthandwerk ist, das sich maßgeblich vom Verfassen eines Deutsch-Aufsatzes unterscheidet. So wie nicht jeder Autofahrer für Formel1-Rennen qualifiziert ist, eignet sich auch nicht jeder geschriebene Text zur Veröffentlichung.
Gleichsetzung der eigenen Interessen mit Publikumsinteressen. Das Publikum da draußen will unterhalten werden, und es folgt ganz bestimmten Trends. Wer sich diesem Diktat nicht unterwirft, wird in den meisten Fällen mit niedrigen Verkaufszahlen bestraft. (Das ist kein Aufruf zum Verfassen von Mainstream, nur eine Feststellung)
mangelnde Ausdauer, Kritikunfähigkeit, fehlende Selbstreflexion. Vom ersten Satz an einem Buchmanuskript bis zur Veröffentlichungsreife vergehen leicht mehrere Jahre und tausende Manuskriptseiten für den Papierkorb. Das ist normal. Aber vielen der unentdeckten Talente nicht bewußt. Ein Großteil der bei Verlagen eingehenden MS-Angebote erfüllen nicht mal die Mindeststandards für Deutschaufsätze am Gymnasium, doch kein Verlag wird das so in die Ablehnung schreiben - niemand will schließlich wg. Beleidigung verklagt werden. Deshalb gibt's das geliebte Standardschreiben, das leider überhaupt keinen Aufschluss über den Grund der Ablehnung gibt, und man kann sich dann einreden, der Grund war, dass der Praktikant, der die Stapel sichten sollte, am Freitagnachmittag keinen Bock mehr hatte. (ok, das war gemein ... aber ich darf das sagen, hab mich selber jahrelang damit motiviert :grin)
Wenn der Autor wirklich Talent hat und gewillt ist, die gleichen Anstrengungen auf sich zu nehmen, die auch eine Karriere in einem beliebigen anderen Beruf erfordert, dann wird er, wie Steffi richtig bemerkt, irgendwann einen Agenten oder einen Verlag finden, der sich seiner annimmt.
Vorausgesetzt, er ist rührig, pflegt Kontakte, nimmt Ratschläge an usw.
Zum Start muss es auch nicht gleich ein Großverlag sein. An einem kleinen Verlag gibt es nichts Ehrenrühriges, und einen Achtungserfolg kann der Autor damit allemal produzieren. Der wiederum als Sprungbrett zu einem großen Verlag dienen kann. Wenn er nicht nur gut schreibt, sondern auch noch Themen bedient, die einer breiten Masse verkäuflich sind.
just my 2 cents,
Andrea