Beiträge von finsbury

    Das geht mir ähnlich. Wie ich schon schrieb, komme ich diese und nächste Woche kaum voran, aber einen Teil des Kindheitskapitels habe ich auch schon gelesen. Ich glaube, diese Erörterung der ganzen Phasen beim Kleinkind sind doch noch sehr der klassischen Psychoanalyse verpflichtet,. die in der Mitte des letzten Jahrhunderts wohl noch eine größere Rolle spielt als heute, wo viel mehr Ansätze miteinander konkurrieren und man gemeinhin nicht mehr so ideologisch fixiert ist.
    Ich finde diese Sachen zum Teil auch an den Haaren herbeigezogen und glaube, dass das eigentliche Rollenverhalten etwas später, so ab dem dritten, vierten Jahr anerzogen wird und sich weniger aus Penisneid und ähnlichem ergibt, sondern, wie Beauvoir es auch beschreibt, daraus dass Jungen die körperliche Zuwendung früher systematisch aberzogen wurde. Heute ist das zum Teil anders, aber die Peergroup erfüllt hier viele Rollenfunktionen, die den Jungen das Coolsein antrainiert, was auch leicht zum Macho-Verhalten führt. Vielleicht kommt das noch später im Jugend-Kapitel.

    Nun habe ich den ersten Teil fertig. Der letzte Abschnitt allgemein über den Mythos der Frau bringt nichts inhaltlich Neues, thematisiert nochmal die schwierige Situation der Frau in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Sie ist schon auf dem Weg, sich selbst als Subjekt setzen zu können, wird aber noch durch selbstgewählte Rollenakzeptanz, die Arroganz und das Machtspiel der Männer und insbesondere durch ihre Doppelbelastung als sich sozial und wirtschaftlich beweisender Mensch, aber auch als Frau und Mutter, immer wieder eingeschränkt und in die Objektrolle zurückgedrängt.

    Dieses letztere Problem besteht ja eigentlich auch heute noch oft.

    Der Beginn des zweiten Teils bringt in der Einleitung vielleicht eine Erklärung für das "wir". Hier spricht die Autorin, wenn ich nichts überlesen habe, nämlich auch das erste Mal in der "Ich"-Form, um die Struktur des zweiten Buches vorzustellen. Das "wir" ist wohl als ein Mittel gemeint, die Leser*in in die Erkenntnisse miteinzubeziehen. Wir gehen mit Beauvoir gemeinsam den Weg der Erkenntnis über die Frau.

    Ich werde morgen erstmal den ersten Teil zu Ende lesen, bin diese Woche zu gar nichts gekommen, und das gilt auch für die zwei nächsten Wochen. Der November ist immer ein besonders arbeitsintensiver Monat, auch an den Wochenenden. Aber ich versuche, wenigstens ein bisschen voranzukommen.

    Uff, bis auf das abschließende Unterkapitel habe ich jetzt den "Mythos" hinter mir. Das war vielleicht ein Quark:

    Seitenweise direkte und indirekte Zitate von Henri de Montherlant, D.H. Lawrence, Paul Claudel, André Breton und Stendhal.

    Besonders bei Montherlant musste man echt an sich halten! Der Schriftsteller ist heute erfreulicherweise wohl ziemlich vergessen, schrieb aber in der Mitte des letzten Jahrhunderts Dramen und Romane, in denen Frauen aufs Schlimmste verunglimpft wurden. Der Herr hatte wohl ein großes Problem mit seinem Ego, und um dieses aufzuwerten, beschloss er, Frauen massiv herabzusetzen, um sich oder seine Protagonisten auf dieser Sklaven- und Ekelfolie dann um so besser darzustellen.

    D.H. Lawrence dagegen erhöhte das Körperlich-Erotische der Frau und wollte, dass der Mann seinem phallischen Prinzip folgte und seinen Strom mit ihrem Strom der Sexualität zusammenführte, der zwar genauso stark war wie seiner, aber das war dann auch das Einzige, wozu die Frau in der Lage war und sich erfüllte. Bei Claudel, dem frommen Katholiken, wiederum verkörpert die Frau das Göttliche und ist dienende Magd des Herrn. In dieser Funktion kann sie wieder den Mann Gott und seiner Erfüllung näher bringen, sich selbst aber nicht. André Breton, der Theoretiker und einer der größten Dichter des Surrealismus, liebte die Frauen und setzte ihnen in seinen Gedichten viele Denkmäler. Die Frauen verkörperten für ihn die Natur und nur über die Frau kann der Mann seine Transzendenz vollenden.
    Stendhal dagegen schätzt Beauvoir hoch, wie überhaupt die Reihenfolge der Schriftsteller in diesem Kapitel vom Schlimmsten bis zum Besten angeordnet ist. Stendhal als einziger sieht die Frau nicht als das Andere, das nur immanent ist. Sie ist bei ihm frei und kann sich außer sich setzen und ihre Transzendenz vollenden, allerdings nur in der Liebe zu einem Mann.

    Gemeinsam ist allen, dass sie Beauvoirs These bestätigen: Der Mann sieht die Frau immer nur von sich aus, als Hilfsmittel, seine eigene Transzendenz zu verwirklichen, ihr selbst wird diese Verwirklichung höchstens in der Liebe zugestanden.


    Ich nehme aus diesem Kapitel vorallem mit, welche Schriftsteller ich bestimmt nicht (mehr) lesen werde ... .

    Willkommen, mona 2020: Wir freuen uns, wenn du hier mitliest, denn wir sind ja nur ganz wenige. In dieser Woche machen wir ein wenig Pause, was dir schonmal etwas Leseatem verschaffen kann. Abgesehen davon finde ich @Tante Lis Vorschlag mit der Kopiererei gut, dann weiß man immer, worauf du dich beziehst. Viel Spaß kann man bei der Lektüre nicht unbedingt wünschen, aber sie öffnet einem auf fast schmerzhafte Weise die Augen für vieles, was man häufig einfach so hingenommen und nicht hinterfragt hat.

    Rumpelstilzchen , meine Ausgabe hat leider eine ganz andere Paginierung als deine und wie ich glaube, auch die von Tante Li . Die Passage über Spanien kommt bei mir erst auf S. 326, und das Buch hat insgesamt 1146 Seiten Text mit Anmerkungen. Da müssen bei euch die Buchstaben ja noch kleiner sein! Ich sitze schon bei meiner Ausgabe ca. anderthalb Stunden für 20 Seiten :huh:.

    Zu Spanien: Vor einigen Jahren las ich von Clarín "Die Präsidentin". Das ist ein interessanter Roman, der die Unterdrückung der Frau im Spanien des 19. Jahrhunderts und deren psychologische Folgen sehr gut analysiert.


    Das Kapitel über den Mythos der Frau an sich habe ich jetzt hinter mir. Im fehlenden Drittel, das ich heute Nacht gelesen habe, kommt nichts besonders Neues, sondern nur Variationen dessen, was wir schon kennen. Die Frau inspiriert den Mann als Muse, sie erweitert seine Träume von Freiheit und Lebensgier als Prostiuierte, sie kann ihm Richterin und Ratgeberin sein, solange sie nur anerkennt, dass sie ihm nicht das Wasser reichen kann und sich ihm unterwirft. Letzten Endes, wenn ich das mal mit meinen Worten zusammenfassen darf, ist sie ihm immer nur Spiegel seines Ego, wenn er aufgewühlt ist und sich gedemütigt fühlt, erscheint sie ihm als feindliches Element oder bestenfalls mütterliche Trösterin und Ego-Aufbauerin, wenn er zufrieden ist, schmückt er sie als sein Prestigeobjekt und stellt sie aus in ihrer Schönheit, ihrem Charme, ja und auch in ihrer Intelligenz, solange diese immer noch als sein Besitz erkennbar ist.


    Diese Mythos-Geschichte langweilt mich inzwischen ein bisschen, wir haben's ja inzwischen kapiert. Deswegen schrecke ich auch vor dem kommenden, ziemlich ausufernden Kapitel zurück, das anscheinend eine feministische Literaturkritik an Werken von Autoren ist, die ich sowieso entweder noch gar nicht gelesen habe, deren Lektüre mir nicht sonderlich viel gegeben hat (Stendhal bei all seinen Verdiensten) oder über die ich mich geärgert habe (D.H. Lawrence).

    Wie schon zweimal geschrieben, geht es jetzt bei mir aber deutlich langsamer voran. Ich versuche, pro Woche ca. 50 Seiten zu schaffen, also bezogen auf eure Ausgabe ca. 40 Seiten.

    Etwas mehr als zwanzig Seiten bin ich weitergekommen. Hier beschäftigt sich Beauvoir, nachdem sie kurz die Stellung der Frau im Islam (dem Mann untergeordnet, Objekt der Freude, keine Mystifizierung) und die eher positive, für den Mann unkomplizierte Sicht auf das Besitztum Frau unter den Mittelmeervölkern vor dem Christentum umrissen hat, eben mit der Stellung der Frau im Christentum. Hier ist sie einerseits

    - die verworfene Eva, die den Mann verführte und aus dem Paradies verjagte, die ihn weiterhin mit ihrer Leiblichkeit von seiner Transzendenz fernhält und ganz allgemein eine Inkarnation des Schlechten, Sündigen ist,

    - die alles überstrahlende Jungfrau, die Muttergottes, die für Reinheit, Aufopferung und freiwillige Unterwerfung steht.
    Zwischen diesen Polen bewegen sich auch die literarischen Exzerpte, die Beauvoir einstreut oder hinten in den Anmerkungen ergänzt. Da wird einem ganz anders. Ich hatte allerdings immer schon Schwierigkeiten mit der französischen Literatur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und dem dort vorgetragenen Frauenbild. Ich empfand es - egal ob in den Romanen von Balzac, Zola, Stendhal, Proust, Musset, Flaubert, Mauriac usw. - oft so, als ob die Frau extra auf ein Piedestal gestellt wird, um sie abzusondern; Sie wird dort nicht als Mensch, sondern als etwas anderes, vielleicht Verehrenswertes, oft auch Verachtenswertes dargestellt. So empfinde ich es wenigstens, anders als in der englischen oder auch deutschen oder russischen Literatur, wo die Frau natürlich auch in den Fesseln ihres Geschlechts und ihrer sozialen Stellung unter dem Mann bleibt, aber auf gleichberechtigte Weise in ihren Gefühlen dargestellt wird oder wenn sie, wie besonders in der englischen Literatur, durch den Kakao gezogen wird, dann an der Seite von genauso vielen Männern, mit denen das auch passiert. Aber dort habe ich nicht so das Gefühl von Arroganz, dass mir bei französischen Autoren sehr häufig in der Darstellung von Frauen missfällt. Die Zitate bei Beauvoir bestätigen das, insbesondere aus der Lyrik, von der ich wenig französische kenne. Selbstverständlich sehe ich aber auch, dass Beauvoir auf den Literaturschatz der Kultur, aus der sie kommt, zurückgreift. Bei uns findet man genügend Philosophen wie Schopenhauer und Nietzsche, die die Frau äußerst verächtlich behandeln. Aber in der Literatur, die ich besser kenne, ist diese Arroganz nicht so auffällig.

    Vielen Dank und es freut mich, Tante Li , dass du dadurch Beauvoir und uns auch für die Diskussion erhalten bleibst.

    Aber wie ich oben schon schrieb: Ab nächster Woche wird es bei mir sehr viel langsamer gehen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ich im nächsten Jahr noch dransitze. Dann hast du auch noch genug Zeit, sofern du Lust dazu hast, Beauvoirs Text zu lesen.

    Inzwischen habe ich ein gutes Drittel des Mythos-Kapitel gelesen. Zu Beginn habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, wozu es dieses Kapitels überhaupt bedarf, da doch die Gedankengänge und mythischen Überhöhungen der Männer auch schon in den Geschichtskapiteln, ausführlich Erwähnung fand. Aber Beauvoir fasst hier nochmal zusammen und analysiert die abwertenden und die überhöhenden, aber gerade deshalb als anders setzenden Mythen, die Männer angesichts des "anderen" Geschlechts entwickelt haben:

    - Die Frau ist eine Inkarnation der Erde, des Meeres, des Gebirges, alles dessen, was sich in der Natur dem Mann als wunderbar und latent feindlich, aber als Element entgegenstellt, das es zu beherrschen gilt.
    - Der Mann ist Teil der Natur, aber sieht sich eben auch als ihr Überwinder, und diese Spannung vermittelt sich ihm auch in seinem Verhältnis zur Frau.
    - Dass der Mensch von der Frau empfangen und geboren wird, macht ihn zum Teil der Natur und beängstigt ihn, weil durch seine eigene Fortpflanzung zwar seine Gattung erhalten wird, gleichzeitig aber gerade dadurch auch seine Endlichkeit, also sein Tod besiegelt wird, denn sonst müsste er sich ja nicht fortpflanzen. Insofern mythisiert er in der Frau auch den Tod, und gerade die alte Frau, aus dem Fortpflanzungsprozess enthoben, ängstigt ihn und stößt ihn ab. Frauen wird daher auch in vielen Kulturen der Totenkult zugeteilt.
    - Im Zusammenhang mit der Fortpflanzung macht der Mann aus der Menstruation eine Unreinheit, für die die Frau durch Absonderung und andere Riten büßen muss.

    - Weibliches Blut überhaupt ist ihm ein Schrecken - so ist in den Naturvölkern das Blut des Hymens etwas, womit sich der Gatte nicht konfrontiert sehen will, die Defloration muss anders geschehen, mit zum Teil für das Mädchen, die junge Frau sehr schmerzhaften Methoden.
    - Erst als das Privateigentum seinen Siegeszug antritt, wird auch das Hymen zum Symbol dieses Eigentums der Gattin, das Schloss, das nur der Gatte öffnen darf, und nun geht der Kult genau in die andere Richtung, das Jungfrauentum muss bis zur Ehe eifrig gehütet werden, und die Entjungferung wird mehr oder weniger öffentlich als Fest gefeiert (heute immer noch im Kult um die Hochzeitsnacht und den Honeymoon).

    - Im Sexualakt wird der Mann aber auch wieder Teil der Natur und das macht ihn traurig und stößt ihn ab, weil er dadurch - zumindest kurzfristig - seine Transzendenz verliert, weshalb dem Geschlechtsverkehr vom Mann - und auch der Frau aus gesehen - oft etwas Schmutziges, Verbotenes anhaftet. Die Frau darf sich zudem mit einem Schuldgefühl herumschlagen, da sie ja durch das Begehren, das sie auslöst, diese Gefühle verursacht.


    Ganz schön heftig, wenn einem so analysiert wird, was man (unterbewusst) oft mitbekommt, in den vielen Spielarten der Literatur, Kunst und Musik immer wieder dargeboten wird. Wie oben schon geschrieben, tut die Lektüre dieses Buches manchmal richtig weh, aber Augen öffnen ist immer hilfreich.

    finsbury, ich bin sehr gut darin, Abschnitte, die ich nicht ganz verstehe, auch einmal zu überfliegen. Ich muss ja kein Referat drüber halten :lache

    Was mich immer wieder fasziniert, sind die anderen Gedankengänge und die Ideen, die ich noch nie gehabt habe. Als Beispiel: Welche Zurücksetzung, nicht als eigenständiges Wesen von Gott geschaffen worden zu sein, sondern als Gefährtin des Mannes! Und auch noch aus seiner Rippe!

    Die Geschichte habe ich tausendmal gehört und nie hinterfragt.

    Ich habe immer so einen Vollständigkeitsfimmel und will auch alles genau verstehen, was ich lese. Im Moment habe ich daher immer auch ein dickes Fremdwörterbuch neben mir, weil Beauvoir oft damit um sich schmeißt.
    Eigentlich ist es besser, wenn man so wie du, einfach Dinge überspringt. Dann wagt man sich wahrscheinlich eher an die dicken Brocken ran. Aber wenn ich mal dran bin, bleibe ich auch dabei und wenn es Jahre dauert.


    Die jüdisch-christliche Schöpfungslegende und die darin enthaltene Diffarmierung der Frau war mir schon bewusst, aber da ich nur als Kind religiös war, habe ich mir nie große Gedanken über die gesellschaftliche Auswirkungen gemacht. Ich habe mich dann eher über die Verwehrung des Priesteramtes in der katholischen Kirche und Paulus' Vorgaben dazu geärgert, weil das auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Diese Rippen-Geschichte ist ja, wie du selber schreibst, so selbstverständlich in unseren mythischen Traditionen, dass wir das gar nicht hinterfragen. Wie ich mir über ganz viele Dinge, die Beauvoir aufzählt, nie Gedanken gemacht habe, besonders über die biologischen Voraussetzungen und ihre Folgen.

    Aber auf die Biografie freue ich mich jetzt schon, wenn ich mal dazu komme. Danke für deine kleinen Einblicke, Rumpelstilzchen .

    Das Geschichtskapitel habe ich jetzt abgeschlossen, wobei die letzten Seiten eigentlich nur noch einmal eine Zusammenfassung des Vorherigen waren und die Überleitung zum neuen Thema, dem Mythos, zu dem die Männer die Frauen gemacht haben.
    Dieses Kapitel lässt sich nun etwas schwieriger an, denn wieder steht die Begrifflichkeit des Existenzialismus im Vordergrund. Ich muss noch aufmerksamer lesen, obwohl man ja inzwischen die Begriffe kennt und versteht. Dennoch ist die Abstraktionsebene einfach höher.

    Beauvoir hat es schon in der Einleitung aufgestellt: Die Frau ist für den Mann eine Mittlerin zwischen sich und der Natur. Sie hat ein Bewusstsein, so dass er sich in ihr spiegeln kann, sie ist aber nicht anstrengend, denn er muss sich ihr nicht im Wettbewerb gegenüberstellen, wie es mit Individuen, die für den Mann nur andere Männer sein können, nötig ist, um sich zu transzendieren. Außerdem übt er über sie Macht aus, sowohl ganz primitiv sexuell-körperlich als auch gesellschaftlich, was wiederum sein Selbstbewusstsein oder wie die Existenzialisten sagen, seinen transzendentellen Entwurf von sich selbst, erhöht. So habe ich es verstanden.


    Tante Li , ich hoffe, wir sind dir nicht zu weit vorausgaloppiert. Ab der nächsten Woche muss ich wieder voll arbeiten, da habe ich weniger Zeit und Konzentrationskraft und werde deutlich langsamer mit dem Buch vorankommen.

    Die gleiche Biographie wie du, Rumpelstilzchen , habe ich mir auch als E-Book zugelegt. Scheint ja sehr interessant zu sein, muss aber warten.

    Inzwischen bin ich ungefähr bis in die Mitte des Kapitels über die Auswirkungen der Französischen Revolution gekommen.

    Diese geschichtlichen Kapitel sind viel leichter als der Anfang zu lesen und wirklich interessant. Beauvoir war ungeheuer fleißig und hat ein riesiges Quellenvolumen studiert, nun auch im aktuellen Kapitel Statistiken dazu genommen.

    Bei ihren Ausführungen im letzten Kapitel fiel mir wieder mal auf, wie weit Frankreich intellektuell - zumindest in der Breite der Veröffentlichungen und bedeutetender Schriftsteller - den Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert voraus war. Vor allem hat der französische Adel - ungeachtet des oben Ausgeführten - doch eine Menge bedeutender, wenn auch nicht genialer Schriftsteller hervorgebracht - bei uns in Deutschland ist das ja eher marginal gewesen, war Literatur seit dem Humanismus überhaupt meist eine Sache des Bürgertums, und schon die Dichter des Mittelalters waren eher niedrigere Ministeriale gewesen.
    Im Kapitel zu den Auswirkungen der Revolution ist mir mal wieder aufgefallen, dass Beauvoir immer erwähnt, die biologische Versklavung der Frau sei besonders groß, da sie im Gegensatz zu den TIeren keinem jährlichen Empfängniszyklus unterliege, sondern monatlich empfängnisbereit sei. Dazu kommt meiner Ansicht nach noch, dass die menschlichen Kinder besonders starke Nesthocker sind, d.h. viel länger intensiver Betreuung bedürfen als die meisten Tierkinder. Da diese Aufgabe auch den Frauen zufiel und auch heute meist noch falst ausschließlich aufgebürdet wird, bedeutet das eine starke zusätzliche Fesselung.

    Meine Eltern stammten beide aus der Landwirtschaft, allerdings von ziemlich großen Höfen und im Falle meiner Mutter auch großstadtnah. Aber du hast wohl Recht, Rumpelstilzchen , es liegt wohl eher daran, ob man auf dem Land oder in der Kleinstadt aufgewachsen ist und die katholische Kirche spielt ja beim Konservativismus sowieso eine große Rolle. Ich bin jetzt am Ende des Kapitels MIttelalter/ Neuzeit und finde sehr interessant, was Beauvoir über die Herkunft von Genies sagt. In Adelskreisen oder anderen gehobenen Ständen kommen Genies nicht oder nur sehr selten vor, da sie aus der Masse kommen müssen, so begründet die Autorin, das könnte man biologistisch sehen, weil dort genügend Genmaterial für die Entstehung eines Genies zu finden ist.


    Ich glaube dagegen eher, dass diejenigen Schichten der Gesellschaft, die schon seit mehreren Generationen nicht mehr für ihren Unterhalt arbeiten müssen, ein gerüttelt Maß an Anstrengungsbereitschaft verlieren, und erst damit kann aus einer mittelmäßgen Begabung ein Genie werden. Und das gilt natürlich in besonderem Maße für die adelige oder großbürgerliche Frau, die noch nicht mal in die Verwaltung des Besitzes, die Jagd usw. einbezogen wurde und selbst die Aufzucht der Kinder in die Hände von Ammen, Kindermädchen und Gouvernanten legen konnte. Außerdem spornt die gesellschaftliche Anerkennung guter Ansätze an, sich zu steigern, und das ist viel eher dem Mann beschieden gewesen als der Frau.

    Und in der "Masse" spielt natürlich die Hauptrolle, dass die Frau nicht im entferntesten den Zugang zu den Bildungsmöglichkeiten des bürgerlichen Mannes hatte.

    Ich bin zwar mit diesem Abschnitt nicht viel weiter gekommen, möchte aber doch einen Gedanken dazu einwerfen:

    Ich könnte mir gut vorstellen, dass in den unteren Schichten sich die gemeinsam Rechtlosen eher miteinander solidarisierten. Die Männer mussten die Arbeitsleistung und das evtl. klügere wirtschaftliche Handeln ihrer Frauen anerkennen, weil es sich unmittelbar auf ihr eigenes Überleben und das seiner Kinder (Erben) auswirkte.

    Das führt Beauvoir in ihrem Kapitel über Mittelalter und Neuzeit auch weiter aus. Sie anerkennt ausdrücklich, dass die Stellung der Frau als (Leidens-)gefährtin des Mannes in den unteren Schichten zu allen Zeiten auf der Geschlechterebene eine bessere war, was natürlich in Anbetracht der allgemein schlechten Lebenssituation dieser Schichten nur eine schwacher Trost ist.

    Inzwischen bin ich auch mit dem Überblick über die Antike fertig und erstaunt, welche Schliche immer wieder genommen wurden, um der Frau ihre Rechte vorzuenthalten. Wenn sie in der Familie mehr Rechte bekam, wurde sie gesetzlich kurz gehalten. Übernahm der Staat die Rechtsprechung auch im Familienverband und schien es daher für die Frau durch die übergeordnete Instanz mehr Rechtssicherheit zu geben, wurde ihr diese sogleich wieder genommen, indem ihr das Menschsein un die damit verbundene Würde wieder zum großen Teil aberkannt wurde. Eine unrühmliche Rolle spielte dabei, wie bei allen abrahamitischen Religionen, das erstarkende Christentum, das die Frau mit der verführerischen Schlange verband, ihr die Erbschuld auf den Hals hetzte und ihr noch nicht mal die Würde der Mutter gönnte, sondern sie als gefährliche, regel- und hemmungslose unreine Verführerin abstempelte, vgl. Paulus und die Kirchenväter.

    Neu war für mich auch, dass die Völkerwanderungszeit und das frühe Mittelalter für die Stellung der Frau eine positive Wendung bedeuteten, weil sie als notwendige Gefährtin des Mannes und Vorsteherin über den Haushalt über eine gewisse Macht und Ansehen verfügte.

    Aber, nochmal, wie Rumpelstilzchen oben auch schreibt und ich vorher auch, Beauvoir schaut auf die Frauen aus gehobenen Familien, wie im übrigen die meisten Historiker auch auf die gehobenen Schichten schauen, weil über diese ja auch aus einsichtigen Gründen viel mehr Material vorliegt.
    Wie die Rolle der Frau in den unteren Schichten aussah, wo ja auch schon der Mann fast rechtlos und unterdrückt war und als einzige Möglichkeit, sein Mütchen zu kühlen, nur noch seine Frau und Kinder hatte, das mag man sich kaum vorstellen. Wobei ihm ja oft das Recht über seine Frau durch unterschiedliche Formen der Leibeigenschaft genommen wurde, Bsp. jus prima noctis u.ä.


    Was du über die Kindersterblichkeit in der Vorgeschichte schreibst, Tante Li , unterstreicht noch einmal, dass die Frau längst nicht so unproduktiv war, wie von Beauvoir angenommen. Ich glaube allerdings mittlerweile immer mehr, dass sie viele Passagen extra aus männlicher, sogar besonders chauvinistischer Sicht schreibt, um dem später ihr eigenes Konzept und ihre Forderungen entgegenzusetzen.


    Rumpelstilzchen , mit der Rückwärtsgewandtheit der Fünfziger und Sechziger Jahre hast du einesteils natürlich recht. Andererseits hatte meine Mutter, die Mitte der Fünfziger mit meinem Vater ihre Familie gründete, doch schon selbstverständlich eine höherwertige Ausbildung erhalten, die ihr ermöglicht hätte, jederzeit aus einer nicht mehr gewollten Ehe auszusteigen und auf eigenen Beinen zu stehen. Sie war die Konservativere unter meinen Eltern, aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals darauf insistiert hätte, dass die Erfüllung der Frau in Ehe und Mutterschaft liege, dass unter uns Geschwistern geschlechtsbezogene Unterschiede bei der FInanzierung von Ausbildung oder Studium gemacht worden wären. Und sobald wir aus dem Gröbsten raus waren, baute sie sich noch eine zusätzliche kleine Existenz auf, die sie noch etwas unabhänger vom Verdienst meines Vaters machte.

    Wann hast Du was studiert?

    In den Achtzigern vorwiegend Germanistik, aber auch ein paar Semester Philosophie.

    Du hast die beiden ersten Geschichtskapiteln sehr gut zusammengefasst, Tante Li . Beauvoir betont ja sogar auch, dass selbst in der Phase, in der die Männer die Muttergöttin anbeteten, diese nicht die Frau als Subjekt, also als gleichberechtigt sahen, sondern in sie das Unverstandene, daher Bedrohliche projizierten, vor dem nichst bleibt als die Anbetung. Aber den Menschen sahen sie auch da nicht in der Frau.

    Ich finde immer noch, dass Beauvoir aus dem Grund, das Handeln des Mannes und die Erniedrigung der Frau besonders stark herauszustellen, die Passivität der Frau maßlos übertreibt. Sie versteigt sich ja sogar darin, dass die Frau schuld war an der ungebremsten Fortpflanzung:

    [...] die ungelenkte Fruchtbarkeit der Frau hinderte diese daran, aktiv bei der Vermehrung der Hilfsquellen tätig zu sein, wähnrend sie unaufhörlich neue Bedürfnisse schuf. Zwar war sie notwendig für die Erhaltung der Gattung, doch pflanzte sie sich nun allzu reichlich fort: der Mann hingegen mußte das Gleichgewicht zwischen Produktion und Arterhaltung schaffen.

    Hier übersieht Beauvoir, dass der Mann ja wohl an der Fortpflanzung ebenso beteiligt war. Ohne ihn wären diese vielen Kinder ja nie geboren worden. Und es war mindestens ebenso sehr sein Trieb, der dazu führte. Außerdem waren die Mütter ja nicht neun Monate ans Bett gefesselt und auch bei der Kinderaufzucht liefen die ebenso mit oder wurden irgendwo an den Körper gepackt, wie man es bei vielen Völkern heute noch sieht. Die Frau sammelte Beeren, bereitete das Essen und erfand dabei vielleicht die Töpferkunst. Warum soll das alles vom Mann entdeckt worden sein?



    Ja ja, lang ist`s her. In meiner Studienzeit habe ich mich aber noch ziemlich intensiv mit dem historischen Materialismus auseinandergesetzt. Heute ist er wohl im Wesentlichen "historisch", was allerdings für einige Grundideen sehr schade ist. Übrigens haben mir Ökonomen mit streng marktwirtschaftlicher Ausrichtung schonmal erklärt, dass viele Erkenntnisse von Marx/Engels heute zum allgemeinen Basiswissen der Ökonomie gehören.

    Glaubst du, Rumpelstilzchen , dass nach dem 2. WK tatsächlich immer noch von den Frauen so eine Selbstannahme, wie sie Beauvoir zu begründen versucht, betrieben wurde? Die erste Welle des Feminismus war doch schon vorbei. Frauen hatten im Krieg notwendigerweise in vielen Männerberufen arbeiten müssen und die Trümmerfrauen hat auch niemand danach gefragt, ob ihre Muskelkraft ausreiche oder sie gerade ihre Tage haben.

    Ich habe eher das Gefühl, dass ihre Herkunft aus "gutem Hause" ihr ein wenig den Blick für das Leben der "einfachen" Frauen verstellt hat, deren Arbeitsfähigkeit und Muskelkraft nie in Frage gestellt wurde, solange man sie ausbeuten konnte. In ihren Kreisen haben Frauen es sich eher leisten können, sich auch aus Bequemlichkeit auf ihre auslaugenden weiblichen Körperfunktionen zu berufen, um ihre Ruhe zu haben. Das heißt jetzt natürlich nicht, dass ich bestimmte Menstruations- und Schwangerschaftsbeschwerden verharmloen will.

    (1) Zu dem "Wir" habe ich auch noch keine Idee. Bin gespannt, ob du, Rumpelstilzchen , etwas in der Biografie findest. Welche liest du? Ich habe mir die neueste, von Kate Kirkpatrick, auf den E-Reader geladen, denn sie war gerade bei amazon für 5.99 zu bekommen. Aber ich habe keine Muße, das neben unserem Buch hier auch noch durchzulesen.


    (2) Das sind wohl genau die Theorien von Freud, Adler und Engels, die sie zuvor gerade gründlich besprochen hat und wo sie jeweils feststellte, welchen Teil der psychoanalytischen und marxistischen Erkenntnisse sie für das Verständnis der Rolle der Frau als erhellend empfindet und welchen Teil nicht.
    Der Rest des Satzes, den du oben zitiert hast, bedeutet meiner Meinung nach, dass die Frau - genau wie der Mann - als Mensch sich als Subjekt ihrer Existenz setzt, d.h. sich die Werte sucht, nach denen sie ihr Leben gestaltet, und darin sind die in dem Satz angesprochenen Dinge nur Teilaspekte, je nachdem wie sie ihre Ziele auffasst. Genau das ist die Freiheit und auch die menschliche Verpflichtung, die der Existenzialismus postuliert.


    (3) Und genau das bedeutet wohl auch der letzte Satz: Inwieweit der Mensch den Phallus oder die Muskelkraft als Wert bestimmt, ist, wie auch Rumpelstilzchen oben ausführt, davon abhängig, in welcher Welt man lebt und welchen Lebensentwurf man selber hat. Als Mitglied einer Naturgesellschaft braucht man die Muskelkraft, als Teil einer hochtechnologisierten Gesellschaft nicht.

    Bisher fand ich das meiste sehr schlüssig, auch wenn ich an vielen Stellen schlucken musste, weil ich finde, dass Beauvoir die Gebundenheit der Frau an ihre weiblichen Körperfunktionen als etwas zu unausweichlich und dominierend beschreibt.
    Und das geht mir jetzt allerdings mit dem Kapitel über die archaischen Gesellschaften noch etwas mehr gegen den Strich. Sie schildert dort die Frau als passives, ständig schwangeres oder stillendes Wesen, das nicht von seinen Körperfunktionen wegkommt und daher dem Mann die stolze Rolle des Welteroberers und Erfinders vollständig überlässt.
    Ich habe nun wenig Ahnung von Ethnologie, aber soweit ich weiß, haben Frauen in naturnahen Gesellschaften wichtige Funktionen als Schamaninnen, als Heilerinnen, in ihrem Wissen über Konservierung von Lebensmitteln, Verarbeitung von Fellen, Knochen und so weiter. Dass die Erfindung der Nadel eine männliche ist, wer sagt das? Und ist diese nicht genauso wichtig wie die des Paddels oder des Pflugs? Und z.B. Konservierungstechniken werden auch nicht alle von den Männern erfunden worden sein. Dazu kommt noch das ganze Heilwesen usw.. Ich finde, dass Beauvoir da sehr einseitig ist. Vielleicht will sie das so, um kontrastiv dazu dann ihre eigene Theorie vom Wert der Frau zu entwickeln. Das wird die weitere Lektüre weisen.

    Ich habe jetzt auch das marxistische Kapitel hinter mir und wie Rumpelstilzchen oben sagt, dieser dient der ökonomischen Sicht auf das Geschlechterproblem, aber auch hier weist Beauvoir genau auf die Schwachstellen hin. Der Mensch - ob Mann oder Frau - ist nicht nur ein ökonomisches Wesen, sondern hat auch die anarchischen Triebe und das Liebesbedürfnis, die sich nicht in eine rein rational kontrollierte Gesellschaftsform mit ökonomischen Gleichheitszielen pressen lassen. Als Existenzialistin sagt sie, dass er zunächst sich selbst überwinden muss, um sich zu befreien und dazu gehören viele unterschiedliche Aspekte, die er sich zum Ziel setzt.