Beiträge von finsbury

    Aber Menschen, die so denken und handeln, sind meistens nur auf eine Art tolerant: sie tolerieren, daß man sich ihrer Meinung widerspruchslos anschließt. Und darin liegt das Problem: es gilt nur eine einzige Meinung und Weltsicht, nämlich die eigene.

    Das sind allerdings zwei Seiten einer Medaille: Oft bringen gerade die Menschen, die kompromisslos und empathiearm gegenüber ihren Gegnern für ihre Sache kämpfen, die Gesellschaft voran, gerade weil sie keine oder nur wenig Rücksicht nehmen. Deshalb brauchen wir auch diese Flammen- und Sturköpfe und müssen ihren Überschwang dann halt in der gesellschaftlichen Diskussion abdämpfen.

    Seit heute Morgen bin ich auch - wie ein paar andere wohl - mit dem Roman fertig. Die letzten Kapitel bringen Hardings Reise nach London und die Versöhnung zwischen den Kontrahenten aller Seiten.
    Hardings Londonaufenthalt ist wieder ein Kabinettstückchen der Erzählkunst. Sowohl das Hotel mit seiner verstaubten geistlichen Atmosphäre, die selbst im gewichtíg-langsamen Schritt des alten Kellners deutlich wird, als auch der stundenlange Aufenthalt in Westminster Abbey und der Besuch des fischduftgeschwängerten Restaurants, das ist schon sehr gut eingefangen.

    Ansonsten ist der Rest recht konventionell: Alle vertragen sich wieder, auch für Harding findet sich eine Möglichkeit, das Kantorenamt mit einer kleinen, naheliegenden Pfarre zu kombinieren und er darf am Ende wieder im Haushalt seiner jüngeren Tochter, der neuen Mrs.Bold, eine gewisse Bequemlichkeit und seine familiären Bindungen genießen. Auch wieder so schön aus dem Leben gegriffen ist die kurze Anmerkung, wie die Kleinstadtbevölkerung nun endlich den neuen Namen von Eleanor kicherfrei aussprechen kann. Gerade diese kleinen Beobachtungen machen die Schilderungen Trollopes so liebenswert und lebensecht.

    Insgesamt hat mir der Roman so gut gefallen, dass ich erstmal tief in die Tasche gegriffen habe und alle Romane, die auf Deutsch entweder als E-Book oder bei Manesse erschienen sind, angeschafft habe. Ich danke euch sehr, dass ihr mich durch diese Leserunde auf Trollope gebracht habt. Vielleicht lesen wir hier ja mal wieder einen anderen Band zusammen?!

    Ich habe ähnliche Schwierigkeiten wie ihr, Lorelle und SiCollier : Die Lesezeit und die Zeit zum Posten verlaufen selten synchron. Bei Klassikern finde ich es eigentlich auch nicht nötig, dass man diese Kapiteleinteilungen macht, weil es da ja weniger um die spannende Handlung als um den Lesegenuss an sich geht. Dann könnte man einen großen Thread machen und müsste sich nicht so künstlich wieder auf die Kenntnis bis nur zum x. Kapitel.
    Aber nun zum Inhalt. Diese fünf Kapitel sind meiner Ansicht nach recht zentral, durch die Kritik am JUPITER und auch dadurch, dass die Charaktere der Hauptpersonen nochmal deutlicher werden. Das knuffige Iphigenie-Kapitel fand ich auch sehr schön, @Brigitte H.H., Trollope zeigt hier, dass er auch die "Guten" nicht überstilisiert, sondern auch ihnen taktische Manöver und nur teilweise bedauerte Planänderungen auf den Leib schreibt. Eleanor wird dadurch nicht unsympathischer, sondern nur realistischer.
    Was die Macht der Presse angeht, zeigt uns der JUPITER, der laut Nachwort der TIMES entspricht, wie sehr die Medien die öffentliche Meinung prägen. Das allgemeine Medien-Bashing würde ich aber nicht so unter-schreiben, wir können hier noch froh sein, doch viele gut recherchierende und einigermaßen unabhängige Redaktionen sowohl bei den Print- als auch den Radio-, Fernseh- und auch einigen Onlinemedien zu haben. Schlimm ist eher, dass vieles immer gleich sehr persönlich wird, Politiker oft auf Fehler reduziert werden und die Onlinekommentare so einen großen Einfluss haben.

    Und mir gefällt die direkte Ansprache des Lesers durch den Autor auch sehr gut. Man fühlt sich so mit eingebunden.:)

    Irgendwie erinnert mich das von der Art her ein wenig an die Romane von Dumas, die ich dieses Jahr gelesen habe. Da wurde der Leser auch oft vom Erzähler direkt angesprochen. Ich mag das.

    Der auctoriale Erzählstil, wo sich der Erzähler kommentierend mit einbindet und oft auch den Leser anspricht, ist ja auch recht typisch für die Romane des 19. Jahrhunderts.

    Interessant sind auch immer wieder die Stellen, wo der Erzähler selbst sich zu Wort meldet. Ein Beispiel ist im 8. Kapitel, Plumstead Episcopi auf Seite 133 "Und dennoch habe ich das Pfarrhaus nie als freundlichen Ort empfunden".

    Diese Stelle finde ich auch deshalb bemerkenswert, weil der Erzähler ja im ersten Kapitel sofort eindeutig klar macht, dass er hier Fiktion schreibt und es weder Barchester noch die geschilderten Personen gibt. Das ist schon selbstironisch und ein Zeichen dafür, wie sehr er während des Schreibens in seiner Handlung und seinem Setting steckt, wenn er so etwas wie oben schreibt, was klingt, als habe er schon etliche Male das Pfarrhaus und seine Bewohner besucht.

    Ich kann Annabas , Rumpelstilzchen und Tante Li nur unterstützen. Das Vorgehen gegen Rassismus und Diskriminierung allgemein ist neben den Maßnahmen gegen den Klimawandel das Wichtigste überhaupt, denn diese beiden Bereiche sind die Grundlage der Probleme und Konflikte, die wir heute haben, und gerade wir Europäer haben eine besondere historische Schuld hier aufzuarbeiten und für die Beseitigung der Folgen mit einzustehen.

    Den ersten Abschnitt habe auch ich nun beendet. Bezüglich Bolds und seines Anliegens bin ich etwas anderer Meinung als zum Teil oben dargestellt.. Auch wenn Bolds Handeln als aufdringlich und anmaßend, wenig durchdacht, angesehen werden kann und er sich mit Anwalt Finney einen schmierigen Winkeladvokaten zur Seite gestellt hat, ist seine Haltung grundsätzlich richtig. Die Kirche hat sich nunmal, nicht nur in England, für ihre Würdenträger häufig aus Töpfen bedient, die eigentlich für Anderes vorgesehen waren, und damit auch ihrer eigenen Moral zuwider gehandelt. Das erkennt auch Harding an und Trollope geißelt in den Ausführungen des Archidiakons ja gerade, dass dieser um den heißen Brei herumredet. Sicherlich hätte Hiram nicht gewollt, dass zwölf Arme in Saus und Braus leben, aber es wäre andererseits eher im Sinne seiner Stitung gewesen, wenn man das angewachsene Vermögen dazu genutzt hätte, es auf mehr Arme zu verteilen.

    Dass der arme Harding nun ins Scheinwerferlicht gerät, der ja gar nichts dafür kann, dass er diese Pfründe erhalten hat und Bold unter Missachtung dieser Umstände und des Naturells von Harding gegen dessen Pfründe vorgeht, das ist sicherlich nicht richtig. Harding benutzt den Ertrag nicht hauptsächlich für seine persönlichen Bedürfnisse, sondern um eine Sammlung geistlicher Musik aufzulegen und gibt einen, wenn auch kleinen, Teil an die alten Männer ab. Aber die grundsätzliche Berechtigung, sich gegen Unrecht einzusetzen, finde ich in Ordnung, auch wenn viele dann wieder aus niederen Beweggründen und eigenem Egoismus auf diesen Wagen aufspringen, früher wie heute.


    Das Schöne übrigens an Trollopes Schreibweise ist für mich gerade, dass er sich zurückhält und dem Leser dadurch die Möglichkeit gibt, sich selbst eine Meinung zu bilden.

    Ich hab mal ausgerechnet, wie viel die alten Männer insgesamt bekämen, wenn Hardings Bezüge vollständig unter ihnen aufgeteilt würden. Sie haben jetzt 27, 4 Pfund pro Jahr, wenn man die anderthalb Schilling pro Tag zugrunde legt, die ihnen ohne Hardings zusätzliche zwei Pence zustünden. Wenn Hardings £800 vollständig unter ihnen aufgeteilt würden bekäme jeder noch 66, 7£ dazu, was zusammen 94£ ergibt. Die hundert Pfund sind also ein bisschen gerundet, aber grundsätzlich stimmt der Betrag, allerdings nicht, wenn man die zwei- bis dreihundert Pfund davon abzieht, die im vierten Kapitel als verbleibende Vergütung für den Aufseher vorgeschlagen werden.

    Lorelle , das Fett weg bekommen ja nur bestimmte Personen, z.B. der Archidiakon, ein bisschen der Bischof und Abel Handy sowie seine Partei unter den alten Männern. Die Hauptpersonen des Konfliktes, Harding und Bold, nimmt der Autor aber schon ernst und vollzieht ihre Gedankengänge relativ neutral nach. Er macht sich über sie nicht lustig.

    Huch, jetzt schreibe ich den ersten Beitrag, obwohl ich kaum zum Lesen gekommen bin.

    Ich stehe momentan im dritten Kapitel.

    Septimus Harding wird zunächst, nachem die Fiktion des Handlungsortes festgestellt wurde (Kirchenkritik war im viktorianischen England wohl noch ein heikles Thema), dem Leser nahegebracht, sein gutmütiger Charakter, seine Position als Mentor und familiäre Beziehung zum Bischof. Interessanterweise steht das erste Kapitel im Präsens, wohl um die englische Verlaufsform anzudeuten. Hier geht es eben um Dinge, die Voraussetzung für den Rest der Handlung, also andauernd sind. Dennoch sehr ungewöhnlich, ich kann im Moment nicht sagen, dass ich einen englischen Roman des 19. Jahrhunderts mit so einer langen Präsenspassage kenne.

    Schön satirisch ist im zweiten Kapitel die Darstellung seines Schwiegersohnes, des Archidiakons. Der ist nach außen hin autoritär und anmaßend, im ehelichen Gemach kuscht er dann aber doch vor der Gattin. Und der dramatische Konflikt durch den kritischen jungen Arzt wird auch schon eingeführt.

    Im dritten Kapitel lernen wir die Insassen des Spitals kennen und die patriarchalische Atmosphäre zwischen Harding und seinen Schutzbefohlenen.

    Bisher gefällt mir Trollopes Stil, seine unaufgeregte, leicht ironische Schreibweise sehr gut.

    Vielen Dank, SiCollier . Ich versuche aber schon, ein bisschen voranzukommen und kurz zu posten. Nur die Zitierfunktion und lange Stellungnahmen sind über Tablet sehr zeitraubend und nervig.


    Im Übrigen lese ich die Reclam-Ausgabe in der Übersetzung von Joachim Schulte.


    Lest ihr alle diese Übersetzung? Oder gibt es auch andere oder vielleicht jemanden, der das Original liest. Bei manchen Stellen ist so ein Vergleich zwischen Original und verschiedenen Übersetzungen manchmal ganz spannend.

    Liebe Nyx,


    vielleicht solltest du zwischendurch aber auch ruhig zu den Zeitgenossen der von dir bevorzugten Epochen der englischen Geschichte greifen.

    Chaucers "Canterbury Tales" vertreten dann z.B. das mittelalterliche England und sind sehr farbig und spannend.

    Die Shakespeare-Dramen nehmen sich einer ganzen Reihe englischer Könige an.
    Und ab dem 18. Jahrhundert sind die Briten mit so vielen guten und leicht lesbaren Romanschriftstellern gesegnet wie - behaupte ich mal - keine andere Literaturnation zumindest Europas.

    Swift, Fielding, Defoe, Austen, Brontes, Eliot, Thackeray, Dickens, Gaskell usw., da bekommst du die Zeitumstände authentisch geliefert und nicht durch die Brille des 20./21. Jahrhunderts.

    Bewusste Lesepausen lege ich dafür häufig zwischen zwei Büchern ein. Dann kann die gerade beendete Geschichte "sacken", bis ich gedanklich wieder bereit für eine neue Lektüre bin.

    Das ist ein sehr schöner Gedanke! Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, auch nur einen Tag ohne ein Buch auszukommen, das zumindest mit Lesezeichen vor dem ersten Kapitel auf mich wartet. Die Figuren und Handlungen des Letzgelesenen sacken lasse ich bei profanen Tätigkeiten wie z.B. Haushalt, Fahren, Spazierengehen, Wandern u.ä, auch schon während der Lektüre.

    Ich halte dieses Nachleben der Bücher aber für unerlässlich. Je besser (ganz subjektiv gesehen) ein Buch ist, desto intensiver "sackt" es.

    Für Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" habe ich zwei, für Thomas Manns Joseph-Tetralogie sogar zehn Jahre gebraucht, weil beide Zyklen sehr herausfordernd sind und ich viele Atempausen dazwischen benötigte: Solche über lange Zeiträume genossene Werke bleiben dann allerdings auch besonders gut im Gedächtnis haften, wobei die mittleren Bände des Proust für mich wie für den Protagonisten eher eine Quälerei waren. Auch für den "Don Quichotte" habe ich viele Monate gebraucht. Das sind nun literarisch besonders anspruchsvolle Werke, die aber auch eine hohe Gewinnspanne haben.

    Ansonsten geht es mir genauso wie dir, Rumpelstilzchen , auch neben meinem Sessel befinden sich ein dicker topografischer Atlas, ein historischer Atlas und eine Zeittafel zur Weltgeschichte sowie einige andere Hilfsmittel.
    Im Moment lese ich die Darwin-Biografie von Jürgen Neffe, die verdammenswerter Weise keine Weltkarte mit der Route der Beagle-Reise enthält, weshalb mir der Atlas kaum aus dem Gesichtsfeld kommt.

    Dann braucht es in einem solchen Falle natürlich noch Zusatzliteratur zur Evolution, Geologie und Paläontologie.
    Nebenbei habe ich mir noch von Ilona Jerger "Und Marx stand still in Darwins Garten" aus dem Regal gezogen, so dass ich jetzt, im Urlaub befindlich, gemütlich von einem zum anderen driften kann.

    Von Katia Fox gibt es eine Trilogie "Das kupferne Zeichen", "Der silberne Falke" und "Der goldene Thron" über eine Schmiede- Falkner-Dynastie, die zur Zeit des Hundertjährigen Krieges gegen Frankreich spielt. Ähnlich spannend und ordentlich recherchiert wie die Gablé-Romane.

    Wenn du lieber das 19. Jahrhundert hast, wärest du auch gut bedient mit Follets " Die Pfeiler der Macht".

    Und ja, die Mantel-Romane sind Spitzenklasse und spielen in einer ganz anderen Liga als die hier erwähnten. Das heißt aber nicht, dass die hier erwähnten nicht auch unterhaltsam und informativ wären.

    Nach zwei Biografien über Simone de Beauvoir kam ich zu der Erkenntnis, dass Intellekt und geistiger Austausch mit Jean-Paul Sartre eine Schriftstellerin zurückließen, die keine Selbstachtung (mehr) besaß und/ oder extrem leidensfähig war, was kaum meinen Vorstellungen von menschlicher Existenz entsprach. Von einer weiteren Lektüre sah ich dann ab.

    Na ja, aber wenn man das Leben eines Autors / einer Autorin mit seinem /ihrem Werk vergleicht, kann man 50 bis 70% aller Bücher in die Tonne kloppen. Ich denke, dass Beauvoir trotz ihrer Beziehung zu Sartre viel für die Frauenbewegung getan hat.

    Bisher kenne ich von Beauvoir nur ihre "Memoiren einer Tochter aus gutem Hause." Den berühmten, von Ronja 79 und Rumpelstilzchen anvisierten Wälzer würde ich auch gerne mitlesen, aber leider habe ich im Juli schon eine Leserunde und auch nicht so viel Zeit und entweder im August oder September ein anderes Mammutwerk. Ab Oktober könnte ich mithalten, aber das wird für euch wohl zu spät sein. Aber so ein dicker Wälzer liest sich im Lesesessel bequemer als auf der Sonnenliege … .

    Ab nächste Woche muss man wieder sehr früh raus, sonst ist es nicht auszuhalten :sun. Ich habe erfreulicherweise Wald in unmittelbarer Nähe, gehe aber auf dem Rückweg auch eine längere Strecke Asphalt auf meiner üblichen Strecke. Der erhitzt sich schnell.

    Ich hab ganz billige Gummipads von Aldi Nord auf meinen Leki-Stöcken, und die halten schon ewig, sowohl auf Waldwegen als auch auf Asphalt. Eigentlich ist an Nordic Walking toll, dass man außer einen kleinen Einweisung und den Stöcken nichts Besonderes braucht: bequeme Schuhe - ich wechsle je nach Wetter zwischen normalen Wanderhalbschuhen und Cross-Walkingsschuhen mit griffigem Profil und mehr Halt um die Knöchel - sind das Wichtigste. Einmal hat mich eine Laufsportlerin unterwegs angesprochen und gefragt, warum ich denn keine Hightech-Sportkleidung trüge, ich habe nur gegengefragt: Warum! Es muss nur bequem sein.