Beiträge von Lipperin

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    Original von killerbinchen
    Denken und Palavern ist ihm ja nicht zu anstrengend - Handeln aber schon. Damit hätte er doch prima in die Politik gehen können.


    Wo Du recht hast ... Und wenn ich so darüber nachdenke: Sollte es mir eine gewisse Pein verursachen, wenn mir glatt dazu ein paar aktuelle Namen einfallen?

    Frank nimmt in Gedanken schon mal probeweise Abschied, wirft allem in Gedanken ein Lebewohl zu, wobei das „probeweise“ für mich für etwas Spielerisches, Auszuprobierendes, aber nicht wirklich ernst Gemeintes steht.Ich habe nicht den Eindruck, dass er gerne gehen würde. Außer, damit er sich beweisen kann, dass er eben doch anders als die, auf die er mit einer gewissen Verachtung blickt. Und er hat wieder seinen Spaß daran, den er wohl nur alleine versteht, buchstäblich. Manchmal habe ich doch Mühe, mit der Denkweise dieses jungen Mannes mitzuhalten. Wie April schon sagt, warum sagt er es nicht einfach (Seite 191)? Weil er sich ein Hintertürchen aufhalten will? Und um noch einmal das Wörtchen zu benutzen: Manchmal habe ich den Eindruck, er ist ein besserer Schauspieler als sie.


    Erneutes Entsetzen über Aprils „Feinfühligkeit“ als Mutter. Wenn sie Teller zerdeppert hat, muss sie sie mühsam wieder zusammenkleistern (Seite 194 ff.). Nein, sie machen sich beide nicht sonderlich viele Gedanken um die Kinder. War das so 1955? Mussten sie quasi nebenbei erwachsen werden?


    John hat seinen Auftritt. Geistesgestört ist er also. Als solcher hat er die Freiheit, seine Meinung ohne Punkt und Komma und Rücksichten kunzutun. Erfrischend. Und die anderen Leute können immer sagen „aber er ist ja ...“. Trotzdem: Neben der ganzen Schauspielerei, dem ganzen guten Benehmen wirkt er wie ein eiskalter Guss bei zu großer Hitze. Aber interessant, wie die Wheelers mit ihm klar kommen, ihm zum Teil den Wind aus den Segeln nehmen, weil sie ihn ernst nehmen. Intellekt trifft Wahn (oder was auch immer), sie verstehen sich.
    Und wieder ein Zeitbezug: Elektroschocks! Hat jemand parat, wie lange diese Foltermethode angewandt wurde?


    Der nächste Zeitbezug: Wie preist man einen Computer an (Seite 212 ff.)? Kaum zu glauben, dass es dagegen Vorbehalte gab. Und Frank wird es noch ein bisschen schwerer gemacht, nach Paris zu gehen. Aber die Missverständnisse zwischen ihm und Bart Pollock (bzgl. des Vaters) sind im Grunde symptomatisch, weisen auf Franks Probleme und Problematik hin. Was war der Vater für ihn? Warum hat er so große Schwierigkeiten, ihn zu akzeptieren, wie er war, auch, wie er sich entwickelte? An mehreren Stellen wurden die großen Hände erwähnt. Waren sie so wichtig, weil sie an – zu – große Fußstapfen erinnern (sollen)? An diesem Punkt fällt mir wieder auf, wie viele Geschichten Yates eigentlich nicht erzählt. Seinen Lesern überlässt er einiges. Gefällt mir gut.


    April putzt wie eine Wilde, findet Ameisen und verrottete Kartons – das Ganze wirkt auf mich wie ein Spiegelbild ihrer Ehe. Immer mal wieder aufpolieren, aber in den dunklen Ecken nicht so genau nachschauen, wer weiß, was da zum Vorscheint kommt. „Ich liebe dich, wenn du nett bist“ - dieser Satz geht mir nicht aus dem Sinn. Was hat diese Frau zu dem gemacht, was sie jetzt ist? Und schwanger ist sie auch. Und sie freut sich nicht, vermutlich genau so wenig wie bei den beiden anderen Schwangerschaften. Frank triumphiert, „das Leben hatte glücklicherweise zur Normalität zurückgefunden“ (Seite 224). Sie werden dann wohl nicht fahren, darf man annehmen. Auch wenn April schon wieder Pläne macht – und was für welche! Das geht nicht gut, das geht gar nicht gut, fürchte ich.

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    Original von Clare


    Ich glaube auch, dass das nie verjähren wird. Solange zwei Menschen miteinander eine Beziehung eingehen, solange wird es auch diese Probleme geben.


    Der Trott des Alltags ist ein starker Strom, der sie in eine Richtung zieht, in die sie gar nicht wollten. Nicht jeder hat die Kraft, gegen diesen Sog aus Erschöpfung und Bequemlichkeit zu paddeln. Und für mich ist auch fraglich, ob sie sich der Probleme auch vollends bewusst sind.


    Ich glaube, sie ahnen sie, und daher kommen dann auch diese Spannungen, die für mich schon etwas von Kämpfen an sich haben.

    Frank ist schon ein merkwürdiges Wesen. Mit welchen Worten er Maureen gegenübertritt. Für mich macht er es sich ein bisschen zu einfach, glaubt wohl, alle Welt habe so zu denken wie er, habe das für akzeptabel und richtig zu halten, was er dafür erachtet. Im Mittelpunkt seines Denkens und Sichsorgens steht er und sonst niemand. Familie, na gut, die ist halt da, also hat man sich da auch zu kümmern. Aber an erster Stelle steht er, das Haupt der Familie, der Ernährer, der Mann. Ob das wohl die gängige Denkweise auch damals noch war? Ich hätte eher vermutet, nach dem 2. Weltkrieg habe sich diese Sichtweise ein wenig geändert, mussten doch auch die Frauen „ihren Mann“ in dieser grausamen Zeit stehen; sollten sie sich wirklich wieder so leicht ins zweite Glied haben abdrängen lassen? Oder ist die Situation dieser beiden Spezies anders? Falls ja, spielt die Prägung sicherlich eine entscheidende Rolle, auch, dass sie aus diesem Denkmuster nicht wirklich herauskommen (wollen). Irgendwie habe ich das Gefühl, Frank will alles besser machen als sein Vater, will ihn übertrumpfen, will die Schwäche, die er vielleicht irgendwann zeigte, bei sich selbst nicht zulassen.


    Man redet also wieder miteinander. Alte Zeiten leben auf oder nur die Erinnerung daran? Was mich nach wie vor bedrückt, ist das Verhalten gegenüber den Kindern. Ist das nicht eine entsetzliche Feststellung Seite 142 ab „Einen Trost freilig gab es ...“?


    Diese Vorstellung, in Paris zu leben … ein Traum, so scheint mir, vielleicht bleibt er auch einer, auch wenn April sich schon so sehr müht. Auf mich wirkt das wie ein Aktionismus nur um des Aktionismus willen. Wie ernst ist diese Planung gemeint, was muss sie kompensieren? Manchmal habe ich das Gefühl, April lässt diese Gedanken zu, weil sie sich davon eine Rückkehr der „alten Zeiten“ erhofft, eben auch wieder diese besonderen Gespräche, dieses Anderssein, eine Abwehr gegen den grauen Alltag meinethalben auch. Ich bin mittlerweile auch gespannt, ob sie wirklich fahren. Und ist es nicht letztlich auch wieder etwas, um sich abzuheben von den anderen Leuten um sich herum?


    Milly und Shep sind für mich der große Kontrast zu April und Frank. Sie wirken so normal, sich auch in ihrer Familie und miteinander wohlfühlend, so alltäglich eben. Anfangs glaubte ich, Yates hätte sie als Gegenpol zu den beiden Wheelers eingeführt, aber ich vermute doch jetzt eher, sie sind sein Porträt einer ganz normalen, aber durchaus nicht langweiligen Familie der amerikanischen Mittelschicht. Was sich ja nicht unbedingt ausschließt, aber dennoch überwiegt bei mir der zweite Gedanke. Der arme Shep allerdings, er muss sich in April verlieben. Neben der „aristokratischen Schönheit“ verblasst wohl jede Frau, auch wenn es die eigene ist und man mit ihr vier Kinder (Söhne!) hat.


    Dieser Besuch bei den Campbells gerät ein wenig desaströs. Man will sich abheben. Man ist halt anders. Aber wenigstens bekommt man als Leser mal wieder einen Zeitbezug: Seite 165, tja, 1955 konnte ein richtiger Mann wohl nicht akzeptieren, dass seine Frau arbeitet, um das Geld für die Familie zu verdienen. Still in mich hineingegrinst habe ich aber, als Milly die ganze Geschichte als „unreif“ bezeichnet. Man kommt doch nicht umhin, den gleichen Gedanken zu hegen.


    Die Beschreibungen von Mr. Und Mrs. Givings haben in mir Bedauern für diese beiden ausgelöst. Auch da scheint so einiges nicht zu stimmen. Arbeit um der Arbeit willen oder nicht doch aus anderen Gründen, das frage ich mich in Bezug auf sie. Auch tauchte in mir die Frage auf, warum John eine „hochgradige Feindseligkeit“ gegen sein Zuhause, damit auch seine Eltern hat. Und während ich bisher immer den Eindruck einer gewissen mitleidlosen, wenigstens aber neutralen Beschreibung durch Yates hatte, meinte ich zum ersten Mal (Seite 182) so etwas wie einen Hauch von Mitgefühl für eine seiner handelnden Personen zu spüren: „Sie weinte ...“, das klingt wie die Aufzählung eines im Grunde vertanen Lebens, zwar angefüllt mit Aktionismus, mit schönen Dingen etc., aber letztlich so unglaublich leer. Die Häuser, die sie sich her- und einrichtet als Ersatz für etwas, was sie nie hatte, außer in ihrer Kindheit?




    Zitat

    Original von Clare
    Das Buch liest sich leicht ohne in irgendeiner Weise flach zu sein. Ich bin sehr angetan!


    :write
    Es hat etwas an sich, das mich nicht loslässt, von dem Buch kam ich nicht los.

    Zitat

    Original von Clare


    :grin
    Wenn du ein Dinosaurier bist, dann bin ich vielleicht auch einer(knapp 18 Jahre verheiratet :-] )
    Aber zurück zum Buch:
    Ich denke, die beiden Wheelers arbeiten auch an ihrer Beziehung, aber nicht miteinander, sondern eher so, dass jeder für sich arbeitet. Sie arbeiten sich eher aneinander ab als einander auf, und das ist es doch, was eine Ehe sollte: nicht nur miteinander etwas aufbauen, sondern auch einander aufbauen. Das sehe ich hier nicht.


    :write Es scheint mir eher ein Nebeneinander denn ein Miteinander zu sein.
    Und ich befürchte, diese Art von Ehe ist nicht unbedingt ausgestorben.

    Zitat

    Original von Clare


    Kam das Mitleid schon zu diesem Zeitpunkt, im ersten Abschnitt, auf? Ich bekam erst viel später Mitleid.


    Ja, April hätte ich am liebsten in den Arm genommen, sie tat mir einfach nur leid, obwohl ich, würde ich sie persönlich kennen, meine Schwierigkeiten mit ihr hätte. Mein erster Eindruck von Frank: Möchtegern-Cowboy. Der tat mir nicht leid, später auch nicht mehr, jedenfalls nicht bis dort, wo ich derzeit bin (irgendwo im fünften Teil).

    Bei der Szenerie Seite 64 – 67 Mitte habe ich den Eindruck, einen tiefen Einblick in eine festgefahrene Ehe zu bekommen. Es erscheint mir so typisch, die Streitereien, das „Nettsein“ „bis zum nächsten Mal“ (Seite 65), die Sinnfrage, die Frank stellt – natürlich ist es April, die alles verkomplizieren muss. Familie reicht ihm nicht, die Zeit, die er mit den Menschen verbringen darf/kann/muss, die ihm eigentlich am Herzen liegen sollten, reicht ihm nicht – ja, was will er dann?


    Über diese Ehe mache ich mir so meine Gedanken: Sie reden miteinander, schön und gut, aber haben sie sich eigentlich wirklich etwas zu sagen? Hatten sie sich wirklich etwas zu sagen, was vom Herausstellen des eigenen Intellekts, der eigenen „Größe“ abweicht? Mit einem Blick „mitleidiger Langeweile“ bedenkt sie ihn bei einem Besuch der Nachbarn (Seite 79). Na, was soll man sagen – das ist doch wenigstens etwas.


    Milly und Shep lernen wir etwas näher kennen, wenigstens für sie empfinde ich ein bisschen Sympathie. Denn die beiden Protas sind mir bis jetzt bestenfalls herzlich gleichgültig. Was ich interessant finde, sind Yates Formulierungskünste, sein Aufdecken, sein fast schon mitleidloser Blick auf das, was sich da so tut oder auch nicht tut, die Darstellung der Heuchelei, dessen, was sich die Personen vormachen oder vormachen wollen/müssen. Ein Beispiel: Der Sohn von Mrs. Givings. Die Polizei muss kommen: „Wie grauenhaft“ (Seite 74). Mehr weiß man kaum zu sagen, außer dass man alles durchhechelt. Typisch menschlich? Und leider gar nicht veraltet.


    Die Arbeit von Mr. Wheeler bzw. das, was er davon macht, erscheint mir wahrlich sinntötend. Wie lange kann eigentlich eine Firma existieren, wenn sie sich solche Leute leistet – ein Einzelfall scheint er ja nicht zu sein. Aber wenn man Kollegen hat, die das alles auffangen (können) … Und weil man ja nicht ausgelastet ist und daheim eine Frau hat, mit der es zu oft Streit gibt, obwohl man sie ja so sehr liebt, und weil das Wetter so schön ist und weil man nicht abgeneigt ist, von keiner Seite, weil, weil, weil … hat man eben kurzerhand eine Affäre. Und wie „weltmännisch“ er sich doch zu verhalten weiß gegenüber dem Mädchen. Die Geburtstagsparty direkt danach gönn ich ihm ja, aber so was von. Und nach Paris plant April zu gehen, natürlich nicht alleine, das Kostbarste will sie mitnehmen (Seite 128). Ehrlich gesagt, ich musste erst noch einmal nachschauen, wann das Buch erschienen ist. Denn zum ersten Mal hatte ich hier den Eindruck, da passt etwas nicht ins Bild von Heute, während ich bisher nicht das Gefühl hatte, einem Teil einer im Grunde vergangenen Epoche mit Hilfe Yates nachzuspüren.


    Ach, Entschuldigung, wenn ich mich über Frank so auslasse, aber mit dem jungen Mann Freundschaft schließen zu können, erscheint mir derzeit ein Ding der Unmöglichkeit. Ich finde ihn schlicht und ergreifend unreif und in einem Maße von sich überzeugt, dass es schon weh tut - nur weiß ich nicht, woher er diesen Glauben an sich nimmt. Kurz schwirbelte mir mal "mangelndes Selbstbewusstsein" durchs Hirn. Das muss man ja irgendwie kompensieren.



    Zitat

    Original von Clare
    Ich bin versucht April zu unterstellen, dass sie nur raus will aus ihrer eigenen, verfahrenen Situation zwischen Kindern und Küche, in die sie nicht zu passen scheint und die sie nicht ausfüllt.


    Als wenn sie weglaufen will ...

    Zitat

    Original von Clare


    Vielleicht ist das wieder so ein Roman, wo man keine wirklich sympathische Figur hat. Ich brauche das ja nicht unbedingt, manchmal im Gegenteil. :grin


    Darauf scheint es für mich definitiv hinauszulaufen (bin schon etliches weiter, aber ich muss meine Gedanken erst einmal sammeln und ... äh ... komprimieren, es sind gar zu viele). Das einzige Gefühl, dass sich bei mir bisher einstellt, ist Mitleid.

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    Original von Sonnschein
    Kommen euch die beiden auch wesentlich älter vor als gerade mal 29?? Also mir kommen die beiden eher gute 10-15 Jahre älter vor, vor allem sehr Eingefahren in ihrem Alltag und keiner scheint mit dieser Situation zufrieden zu sein.


    Auf mich wirken sie eher wie Leute, die sich den Anschein von Reife geben, obwohl sie von der noch meilenweit entfernt sind. Stellenweise fast schon ... kindisch-trotzig. Für mich haben sie irgendein Defizit, ohne dass ich genau benennen könnte, worin das besteht. Vielleicht, weil sie mehr scheinen wollen als sie wirklich sind? :gruebel

    „Meditiationen“ (Seite 190) nennt die profunde Kennerin von Thomas Manns Leben und Werk das, was zu lesen mir großes Vergnügen bereitete. Ob sie ihn mochte? Ich weiß doch nicht, zu verräterisch klingt manches, was sie sagt resp. schreibt; ihres Mannes Liebe zu dessen „Hausheiligen“, zu denen bekanntermaßen Thomas Mann zählte, lernte sie nach ihren Worten „zumindest teilweise zu verstehen“ (Seite 188). Nun ist das Gebaren des Nobelpreisträgers sicher nicht angetan, Zuneigung zu ihm zu wecken, aber Inge Jens ist zu höflich und zu klug, um irgendwelchen Ressentiments Vorschub leisten zu wollen. Sie bedient sich eines sehr feinen Sarkasmus, einer zarten Ironie, um zu sagen, was sie gesagt wissen will; stilsicher und mit Eleganz vermeidet sie, allzu großen Schmerz ob ihrer manchmal sich den Anschein von Respektlosigkeit gebenden Ansichten aufkommen zu lassen. Sie wahrt Distanz zum Besitzer des sie interessierenden und porträtierten Objektes, und diese Distanz, so meine ich es nicht nur diesem Buch zu entnehmen, ist nicht nur aus Solidarität zu „Frau Thomas Mann“ so, wie sie sich für mich darstellt. Manches lässt sich nur mit Humor ertragen – selbst aus der Distanz -, das weiß auch Inge Jens; sie lässt den Leser teilhaben daran. Es ist ein Humor, der zum Schmunzeln Anlass gibt und mehr, so meine ich, muss es ja auch gar nicht sein. Das Laute ist erkennbar ihre Sache nicht, ein Charakterzug, der selten wird. Umso dankbarer bin ich für jedes Wort, ob gedruckt oder gesprochen, von Inge Jens.

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    Original von Clare
    Bisher zentral waren für mich die Äußerungen in Kapitel 2, wo es um die Rebellion und das Anderssein geht, das Aufbegehren, das doch im Sand verlaufen ist, was dazu führte, dass die Wheelers genau so sind, wie alle anderen auch. Irgendwo unterwegs haben sie sich und den Weg verloren, und nun können sie irgendwie nichts Neues daraus machen. Mal sehen, ob sie es noch schaffen. Ich sehe diese Ehe unter keinem guten Stern. Meiner Meinung nach fehlt ihnen die Basis der Liebe. Mir kommt es so vor, als wären sie nach dem Verliebtsein stehengeblieben und nicht weiter gegangen, und das scheint sich nun zu rächen. Ich kann mich da aber auch irren.


    :write
    Für mich hängen sie immer noch an ihren Gedanken an die ach so tolle, aufregende Zeit des Kennenlernens, der aufregenden Diskussionen, all der anderen aufregenden Dinge, des aufregenden Andersseins oder Andersseinwollens - da passt der graue Alltag nicht so recht hinein, das kombiniert sich nicht gut. Ich hatte mehrfach das sich verstärkende Bedürfnis, den beiden mal zu sagen, dass sie bitte aufwachen sollen.

    Das ist ja mal eine interessante Szenerie: Eine erfolgreiche Probe – ja wissen sie denn nicht, dass Generalproben in irgendeinem Punkt daneben gehen müssen, damit die Premiere klappt (zumindest nach einem nicht ausrottbaren Urteil bei denen, die mit Theater etc. zu tun haben)? -, man erfährt, dass wir uns im Jahre 1955 befinden und irgendwo in Westconnecticut aufhalten. Und dann sind wir mitten im Geschehen, dann beginnen die Beschreibungen (ist das nicht interessant, wie April beschrieben wird – Seite 16 oben der Taschenbuchausgabe, in Kontrast dazu Seite 21? Und was haben die Amerikaner eigentlich immer mit ihren „aristokratischen Schönheiten“ (Seite 15), das liest man ja nicht zum ersten Mal?), dann beginnt ganz langsam, sich aber doch erheblich steigernd, das Sezieren. Das sind schon Beobachtungen, die man so nicht ausdrücken würde, in meinem Fall auch gar nicht könnte. Yates schaut genau, fährt, so mein Eindruck, fast wie mit einer Lupe über die Szenen, über die Personen und sagt, was zwar gesagt werden muss, man sich aber nicht zu sagen trauen würde.


    Jedenfalls: Die Aufführung wird versiebt, es gibt eine große Auseinandersetzung zwischen Frank und April, im Auto und davor, da scheint mir schon einiges seit einiger Zeit zu gären. In dieser Heftigkeit kommt das nicht von jetzt auf gleich – war ich geneigt zu sagen, bis Seite 41 nähere Aufschlüsselung bringt. Da gärt wirklich einiges! Und was ist das mit den „Wagenschlüsseln“ (Seite 24)? Will sie gerne fahren und darf nicht, weil er ja das Geld verdient, ergo Auto bezahlt? Ich bin gespannt, ob das noch näher erläutert wird.


    Bei der Beschreibung des Hauses bzw. des Inneren kommen mir fast die Tränen, so traurig finde ich das (besonders Seite 40: „Nur hinten in der Ecke ...“).


    Frank und sein Vater – diese Beschreibungen sind scheinbar eindeutig, lassen aber manchen nicht angenehmen Gedanken zu. Ob es in Franks Fall um mehr geht als die im Grunde typische Rebellion Jugendlicher? Ich vermute es ein bisschen. April hat eine nicht besonders glückliche Kindheit, so scheint es. Wer hat sie geprägt, welche Prägungen überhaupt gibt es – nur die Äußerlichkeiten, nur das, von dem sie dachte, dass es ihre Eltern ausmachte, ihnen gefallen hatte?


    Seite 57: „ich liebe dich, wenn du nett bist ...“ - vielleicht ist das der Schlüssel zu den Unstimmigkeiten in der Ehe von April und Frank? Im Grunde zu dem Verhalten der beiden dem anderen gegenüber, und dann nur in guten, aber nicht in schlechten Zeiten?


    Was mir noch aufgefallen ist: Die Kinder. Nicht die Kinder an sich, die setzt man ja im Grunde voraus, sondern die Art, wie der Umstand ihres Daseins „gerechtfertigt“ wird – die geplante und nicht durchgeführte Abtreibung bzgl. des ersten Kindes und das zweite, das sie bekommen haben, weil – sh. Seite 61. Was für ein entsetzliches Konstatieren.

    Zum Inhalt:
    Die Kolchosbäuerin Tolgonai erzählt am Totengedenktag dem Feld von ihrem Leid. Ihren Mann und ihre drei Söhne hat sie im Krieg verloren. Das Feld antwortet ihren Klagen: „Setz dich, Tolgonai. Du darfst nicht so lange stehen mit deinen kranken Beinen. Setz dich, wir wollen gemeinsam überlegen. Erinnerst du dich an den Tag, als du zum ersten Mal hierhergekommen bis?“ In einfachen Worten ruft Tolgonai ihr ganzes Leben in Erinnerung.


    Zum Autor:
    Tschingis Aitmatow, geboren 1928 im Talas-Tal in Kirgisien, gestorben 2008 in Nürnberg. Arbeitete als Viehzuchtexperte in einer Kolchose. Nach Besuch des Maxim-Gorki-Literaturinstituts in Moskau Redakteur einer Literaturzeitschrift, später bei Novyj Mir. 1963, zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des besprochenen Buches, Auszeichnung mit dem Lenin-Preis für Kunst und Literatur, es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen nicht nur in der Sowjetunion. Politisch engagiert, arbeitet er unter anderem als Berater Gorbatschows und als Botschafter.


    Der Roman (so steht es zumindest unter dem Titel) wurde aus dem Russischen übertragen von Ursula Röhrig.



    Meine Meinung:
    Taschenbuch, 114 Seiten Romantext, es folgen Worterklärungen und ein Aufsatz über Leben und Werk des Autors.


    Tolgonais Leben ist geprägt vom einfachen, bäuerlichen Leben in der Steppe Kirgisiens. Drei Söhne hat sie mit ihrem Mann Suwankul: Kassym, Masselbek und Dshainak; Ersterer heiratet die schöne Aliman. Tolgonais Familie durchlebt große Veränderungen, der Übergang in eine neue Gesellschaftsform, hier „neue Zeit“ genannt, die Arbeit nun in der Kolchose, aber erst recht der 2. Weltkrieg prägen und bestimmen das Leben der Menschen. Die drei Söhne und ihren Mann verliert Tolgonai, es bleibt ihr die Schwiegertochter, die sie wie eine Tochter liebt, wie sie sagt, am Schluss bleibt ihr einzig der Enkelsohn. Ein Leben breitet Aitmatow aus, reich an Leid, aber nicht bar aller Freude.


    „Goldspur der Garben“ ist wohl eine der frühesten Erzählungen Aitmatows, als Erstveröffentlichung des Originals wird 1963 angegeben. Das Buch erschien in Deutschland auch unter dem Titel „Der Weg des Schnitters“, den ich persönlich nicht für so glücklich halte, mir fehlt dabei dieser Hauch des Mythischen, der Bestandteil des Aitmatowschen Erzählens ist.


    Gefallen hat mir der Text, sei er nun als Erzählung, sei er als Roman deklariert. Es ist die große Kunst Aitmatows zu spüren, das Leben der Menschen, ihren eigenen Radius in ihrer Umgebung zu beschreiben, es ist das Jetzt der Personen und die Vergangenheit des Landes, die Mystik, die Mythen der Vorfahren für mein Empfinden gut verwoben, ich mag gerne glauben, dass dieses Leben sich in seiner Ursprünglichkeit so darstellte. Er belässt die Figuren da, wo sie sind, er mutet beispielsweise der Protagonistin Tolgonai, aber auch anderen, kein Wissen zu, das sie nicht haben konnte, er lässt sie in ihrer ganz eigenen Weisheit, gewonnen aus der Beobachtung und dem Leben mit der Natur, und ihrer Schlichtheit, resultierend aus ihrem einfachen Leben, ausgestattet aber mit großer Herzenswärme und Mitleidensfähigkeit.


    Stellenweise hat mich das Buch, gerade was die Naturbeschreibungen angeht, die zwar nicht so ausführlich sind, in ihrer Poesie aber an „Der Stille Don“ von M. Scholochow erinnert. Aitmatow besingt die Menschen, besingt das Leben, die Natur, die Arbeit. Er war offensichtlich von der Einrichtung der Kolchosen überzeugt (oder musste davon überzeugt sein), es wird mir, was aber vielleicht auch der Kürze der Erzählung und ihrer Gewichtung geschuldet ist, suggeriert, die Arbeit dort sei zwar hart, aber ansonsten „alles gut“. Die Zerstörungen an Maschinen, die Knappheit des Saatguts etc. sind selbstverständlich einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass fast alle Männer eingezogen und an der Front eingesetzt waren. Thematisiert wird auch nicht, dass die Errichtung der Kolchosen auch einherging mit einem nennen wir es nicht unbedingt pfleglichen Umgang der Natur, wie das zum Beispiel Valentin Rasputin in seinem Roman „Die letzte Frist“ (erschienen nur wenige Jahre später, nämlich 1970) getan hat.


    Betrachtet man Tolgonais Schicksal, kommt man nicht umhin, an Hiob zu denken. Anders als jener biblischen Gestalt sind es Menschen, die dafür sorgen, dass ihr fast alles, was ihr teuer war, genommen wird. Dass sich Tolgonai nicht (wenigstens nicht allzu lange) wie Hiob der Klage und dem Streit mit den Freunden hingibt, sondern sich wieder ihrer Arbeit (und damit dem Allgemeinwohl) widmet, mag durchaus ihrem Pflichtbewusstsein geschuldet sein; mir erschien gerade dieser Aspekt aber auch dem politischen Ansinnen Aitmatows geschuldet: Statt eines Trauerjahrs bekommt Tolgonai gerade einmal sieben Tage zugebilligt, um um ihren Mann und ihren Sohn zu trauern. Es gibt mehrere Motive, die mir ein wenig zu politisch gewollt erschienen, so wird die Kolchose, der Tolgonai angehört, nach einem ihrer Söhne benannt, der bei der Sprengung eines feindlichen Munitionslagers sein Leben ließ, so ist der Deserteur, den es selbstverständlich gibt und der die Kolchose und deren Mitglieder bestiehlt, ein „wohlgenährter Kerl mit feistem Gesicht“ (Seite 95), so versteigt sich Tolgonai in einer Anklage gegen den Krieg zu der Aussage: „...du zwingst den Menschen nicht in die Knie, du entwürdigst ihn nicht“ (Seite 84), so ist überhaupt Tolgonais Arbeitseifer, ja -wut für mich vielleicht ein bisschen zu sehr an das Bild von der „neuen Frau“ angelehnt, der keine Arbeit zu schwer oder zu ungewohnt ist.


    Vielleicht muss man diese kleinen Einschränkungen unter dem abspeichern, was Tolgonai einmal sagt: „Jedes Wort hat seine Zeit...“ (Seite 62). Davon abgesehen habe ich das Buch gerne gelesen. Es ist, wie gesagt, schon etwas zu spüren von dem Zauber des Tschingis Aitmatow.


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    Hans-Ulrich Treichel; Der Verlorene; 2
    Jana Simon; Sei dennoch unverzagt – Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf; 2,9
    Yahia Belaskri; Wenn du den Regen suchst, der kommt von oben; 1; Monatshighlight
    David Servan-Schreiber; Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl; 1,8
    Mariam Kühsel-Hussaini; Attentat auf Adam; 2,8
    Rainer Moritz, Reto Guntli; Die schönsten Buchhandlungen Europas; 1
    Anne Helene Bubenzer; Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown; 2
    Wolfgang Kasack (Hrsg.): Russische Weihnachten; 1
    Wolfgang Herrndorf; Arbeit und Struktur; 3

    Du schaffst es ja immer wieder, mich auf Bücher neugierig zu machen, die ich beim Buchhändler wieder weglege. Danke dafür!:anbet


    Zitat

    Original von Voltaire
    Ein Buch aber auch in dem sich Gebet und Sex gegenüberstehen ohne sich auf einen gemeinsamen Weg einigen zu können.


    Falls Dir mal ein Buch über den Weg läuft, in dem ein solcher Weg schlüssig aufgezeigt wird, und Du auch darüber eine Rezi verfassen würdest, würde ich sie ziemlich sicher mit Interesse lesen. :grin

    Einem Buch den ersten Platz zuzuerkennen, scheint mir angesichts der Inhalte der Bücher, die zu meinen Highlights dieses Jahres gehören, vermessen, darum einfach eine Liste:


    Walter Zwi Bacharach (Hrsg.): Dies sind meine letzten Worte … - Briefe aus der Shoah
    Wie der Untertitel sagt, Briefe, letzte Briefe von Menschen, die wissen, dass sie sterben werden, dass sie ermordet werden, die Zeugnis ablegen von dem, was ihnen angetan wurde und nicht nur ihnen. Erschüttert haben sie mich in ihrem Lebenswillen, ihrer Auflehnung, ihrer Erschöpfung und der Frage, der ewigen Frage nach dem „Warum“.


    David Grossman: Aus der Zeit fallen
    Wie verarbeitet man den Tod des eigenen Kindes, kann man zum Leben, einem quasi amputierten Leben zurückfinden – Grossman hat für mich einen Weg aufgezeigt


    Joseph Roth: Hiob
    Natürlich, immer wieder ein Höhepunkt im Leseleben. Warum Leid, warum muss ich leiden, wenn ich doch an Gott den Allmächtigen glaube – das fragt nicht nur Hiob. Er geht durch tiefstes Dunkel, will mit seinem Gott nichts mehr zu tun haben und lässt ihn doch nicht los.


    Liana Millu: Der Rauch über Birkenau
    Lagerliteratur. Millu schreibt, erzählt, berichtet und man hat keine Chance, sich dem zu entziehen, was in dem KZ geschah.


    Ilse Helbich: Grenzland Zwischenland
    Wie ist das, wenn man alt wird? Wenn der Lebensradius immer eingeschränkter wird, wenn die Lust am Leben nicht weichen will? Helbichs kurze Sentenzen, Reflexionen empfand ich als beeindruckend, weil sie so abseits jeglicher Weinerlichkeit daherkommen.


    Lydia Tschukowskaja: Ein leeres Haus
    Das Gegenstück zu Solschenizyns „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“. Für mich das bessere Buch, so man das bei diesem Thema überhaupt sagen kann. Bedauerlich, dass es nur noch antiquarisch bzw. gebraucht zu haben ist. Ein ganz großes Buch über das, was Stalinismus, egal ob im Original oder „nachgemacht“, besser gesagt Diktatur mit und aus den Menschen macht.